Cusco: Augenblicke des Alltages

Reisezeit: Februar / März 2006  |  von Frank Lukaszewski

Eine Reise in den Alltag der Andenstadt Peru wiederzugeben ist schwierig: so viel könnte und müsste geschrieben werden. In diesem Fall wird versucht, einige wenige Eindrücke dem geneigten Leser zu vermitteln.

Cusco

Cusco: Augenblicke des Alltages

"Ich habe den Eindruck, dass das Flugzeug die Spitzen der Anden berührt; ich weiß jetzt, es ist fast geschafft", flüstert der Ingenieur Alberto Rodriguez. Er fliegt regelmäßig die Strecke, ist jedoch immer wieder ein wenig nervös. Nach einer scharfen Linkskurve beginnt der rapide Sinkflug und man landet in der etwa 3400 Meter hohen Andenstadt Cusco. Trinkt man umgehend einige Tassen Mate de Coca Tee, ein aus getrockneten Cocablättern zubereitetes Getränk, hat man mit der Höhe weniger Probleme. Qosco, der ursprüngliche Name der Stadt, bedeutet in der Quechua-Sprache "Nabel der Welt"; der Mittelpunkt des versunkenen Inkareiches. Cusco ist die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Zentrum des Hochlandes der peruanischen Anden, umgeben von gewaltigen Bergen. Die Gründung der Stadt durch die Inkas geht auf das 11. oder 12. Jahrhundert zurück; so genau weiß man es nicht. Es dauerte lange, bis die spanischen Kolonialisten unter Pizarro 1533 die Inkahauptstadt erobern konnten. Seit der Befreiung Perus vom Joch der spanischen Krone im Jahr 1821 findet sich eine gelungene Mischung aus kolonialem und ursprünglichen Stil in der Bebauung der Stadt wieder. Mit etwa 250.000 Einwohnern ist sie heute der weltbekannte Ausgangs- und Anziehungspunkt touristischen Erlebens; von hier aus wird beispielsweise das geheimnisvolle Machu Picchu, eine hochgelegene versunkene Inkastadt, die erst 1911 entdeckt wurde, besucht. Der relativ kleine Flughafen für eine solch bekannte Metropole verzeichnet einen entsprechend regen Betrieb. Vor allem von und nach Lima - die Hauptstadt Perus - gehen die Flüge, die in der Regel Touristen, peruanische Geschäftsleute oder Einheimische transportieren; Leute, die es sich leisten können. Ab 80 US Dollar mit der Gesellschaft LAN-Peru ist der einzelne Flug zu haben. Für die Normalbevlökerung nicht gerade günstig; vielfach unerschwinglich. Edy Alvarez, ein mittdreissiger internationaler Geschäftsmann, der in Europa Baumaschinen auf- und in Lima verkauft, hat keine Probleme, auf diesem Wege seine Eltern zu besuchen. Danna Beltran-Cardenas im Gegensatz schon. Die 21jährige Studentin aus der Hauptstadt muss, wie die meisten Peruaner, auf den Bustransfer zurückgreifen, um die Großeltern zu sehen. End- sowie Ausgangspunkt einer solchen Fahrt ist der Busbahnhof in Cusco. Er vermittelt den Eindruck eines Zwitters von Bahnhof und Flughafen. Verkaufsstände der diversen Anbieter reihen sich an den Rändern, während auf den Plastiksitzgruppen in der Mitte die Reisenden auf die Abfahrt warten. Verkaeufer unterschiedlichster Lebensmittel dürfen nicht fehlen; das Angebot mit gekochtem Mais, Mana (eine Art Popcorn) oder den bekannten Anticuchos (gegrillte Rinderherzstückchen am Spieß) richtet sich jedoch an Peruaner, nicht, wie oftmals üblich, an ausländische Toursiten. Verónica Velasquez, Busfahrkartenverkäuferin, genehmigt sich gerade einen Spieß. Die dreißigjährige gepflegte und dezent geschminkte Cusquena arbeitet täglich mehr als zwölf Stunden daran, entsprechende Fahrten in die etwa 1000 km entfernte Hauptstadt oder andere zentrale Städte des Landes zu vermitteln. "Das Geschaeft läuft ganz gut", sagt sie zwischen den Bissen, "fast jeder muss oder will frueher oder spaeter nach Lima." Nachdem das letzte Stückchen in ihrem Mund verschwunden ist, bietet sie einem älteren Mann eine Fahrt in der Imperialklasse fuer 80 Soles - momentan gut 20 Euro - an. Man könne sogar mit einem Frühstück und etwas mehr Beinfreiheit rechnen. Eine solche Reise von Cusco nach Lima dauert über 20 Stunden und ist kein Zuckerschlecken. Für zartbesaitete Menschen mutet die rumpelige, kurvige Strecke durch die Anden des Landes und die Gewohnheiten der Reisenden, Lebensmittel - auch noch lebender Art - sowie anderes ungewöhnliche Gepäck mitzuführen, eher weniger idyllisch an. Es gehört aber dazu. "Ich nehme alles mit, was ich in Lima verkaufen kann" sagt Rodriga Cutcho, Mitte fünfzig, und zeigt ein zahnlückenreiches Lachen. "Davon lebe ich" meint die Witwe, "da sind dann manchmal auch Hühner dabei." Die Indigena ist mit einer traditionellen Tracht gekleidet und hat eine Menge Taschen um sich herum stehen. Gefährlich kann eine solche Busfahrt auch sein - erst vor einigen Wochen starben 13 Menschen bei einem Unfall. "Das Leben ist ein Risiko", meint Rodriga, noch immer lächelnd.

Für kürzere Strecken, die man in der Provinz Cusco zurückzulegen hat, greift man auf einen der unzähligen Microbusse zurück; sozusagen Sammeltaxen, die einen - je nach Länge der Strecke - für 50 Centimos oder etwas mehr in die gewünschte Richtung bringen. Oftmals kommt der Transport dem Leben der Ölsardine sehr nahe. Diejenigen, die an den Haltestellen die anzufahrenden Ziele herausrufen, Ein- sowie Ausstieg regeln und das Kassieren übernehmen sind in der Regel Kinder oder Jugendliche. Der vierzehnjährige Alipio ist einer von ihnen. Mit nackten Füßen in Sandalen und einem alten Fußballtrikot von Cienciano, dem örtlichen Club, gekleidet steht er seinen Mann. Eine Schule habe er noch nicht von innen gesehen, gibt er schüchtern zu. "Ich kann zwar nicht lesen aber ich kann rechnen; sonst klappt das ja hier im Bus nicht" sagt er stolz. Zig mal fährt er am Tag die selbe Strecke. Mehr als 200 Soles (also keine 100 Euro) springen im Monat nicht für ihn raus. So wie ihm geht es vielen Kindern. Das obligatorische Schuheputzen, der Verkauf von Lebensmitteln oder Postkarten an Touristen am Plaza de Armas sind Tätigkeiten, der nahezu Ausnahmslos Kinder oder ältere Frauen nachgehen. Für die Schule bleibt wenig Zeit. "Bildung und Schule ist generell ein Problem in Peru" meint die stellvertretende Leiterin der 2005 renovierten "Biblioteca Municipal `Gustavo Pérez Ocampo`", Odalis Santisteban Ordonez. Aber in ihrer Einrichtung, die nunmehr auch über moderne Computerarbeitsplätze für die Nutzer oder gar kabellosen Internetzugang für Notebooks verfügt, seien wachsende Nutzerzahlen gerade von Jugendlichen erkennbar. Für einen Jahresbeitrag zwischen 6,50 und 8 Soles hat man auf alle Angebote Zugriff. "Aber eine Bücherei kann bei der Bildung nur helfen" meint Ordonez und schaut ein wenig bedrückt. "Dass alle Kinder in die Schule kommen ist das wichtigste! Denn qualifizierte Arbeit gibt es nicht viel in Cusco und ohne Bildung erst recht nicht."

Eine weitere Möglichkeit, in der Stadt sich motorisiert und relativ günstig zu bewegen, bieten die Taxen. Für 2 Soles wird man zu seinem Ziel gefahren; vielfach mit Ticos. Dies sind Autos von Daewoo, die während der Fujimori-Diktatur massenhaft eingeführt wurden. Sie kosteten seinerzeit nur wenige Tausend Dollar und fahren und fahren und fahren... Taxi fährt nicht alleine in Cusco eigentlich jeder, der mit dem Auto unterwegs ist. Man hebt nur den Arm, schon steht ein Wagen bereit. Die Fahrer, ausschließlich Männer, müssen lange arbeiten, um entsprechend zu verdienen. Der Mittzwanziger Gerardo beispielsweise. Er fährt sozusagen Vollzeit Taxi, was hier täglich bis zu 18 Stunden bedeuten kann. Zwar weist der unrasierte und übermüdet wirkende junge Mann eine Ausbildung zum Technikassistenten auf, eine entsprechende Arbeit findet er allerdings nicht - weder in Cusco, was er eigentlich nicht verlassen möchte, da er eine Familie zu versorgen hat, noch in der Hauptstadt. Also muss gefahren werden. Wie lange die mitgenommene Ausführung des Ticos die rasante Fahrweise auf den holprigen und teilweise steilen Straßen jedoch noch aushalten wird, ist fraglich. "Reparaturen kann ich mir nicht leisten", meint Gerardo, nimmt die zwei Soles entgegen und sucht die nächsten Fahrgäste. Am besten Touristen, denn die geben manchmal - meist aus Unkenntnis - deutlich mehr.

"Der Himmel Cuscos ist wie seine Frauen:" sagt ein einheimisches Sprichwort, "völlig unberechenbar!" Wenn der kräftige Regen, der so plötzlich kommt, wie er auch wieder geht, die Stadt in der Sommerzeit von November bis März heimsucht, schwimmt Cusco. Nicht nur dann ist die Sauna eine Abwechslung. Diejenigen Einheimischen, die sich 13 Soles für Dampf- und Trockensauna, heiße Duschen und einen Whirlpool mit kaltem Wasser leisten können, besuchen die "Banos Turcos Manantial" auf der Av. Tupac Amaru im Stadtteil Progreso. Zu Fuß sind es von hier etwa 20 Minuten bis ins Zentrum; geprägt ist das Gebiet durch viele Einzelhändler, kleinere Kneipen aber auch einigen Diskotheken - und Hänchenbraterein. Der Familienbetrieb des über siebzigjährigen Ehepaars bietet hier einen entsprechenden Service; Getränke, wie frisch gemixter Obstsaft und kleinere Speisen werden angeboten - alles ohne Alkohol, versteht sich. Denn die Besitzer sind gläubige Christen, Adventisten. Eine Minderheit im katholisch geprägten Peru. Daher bleibt das Geschäft auch am Samstag und nicht etwa Sonntags geschlossen. "Samstag ist der Tag des Herrn", sagt Eufracia Canal, die resolute Hausherrin, "und da wird nicht gearbeitet!" Dies gilt natürlich auch für die Haushälterin, Luzma, und dem "Mädchen für alles", Luziano. Touristen sind hier nur wenige zu finden; es wird auch ausschließlich spanisch - oder eben Quechua - gesprochen. Trotz des freien Tages kommt man mit den Einnahmen aus, meint die Chefin. Und es reicht, auch mal zum Großmarkt zu fahren. Dort kann man alles kaufen, was Herz oder Magen begehrt; von Käse bis zu getrockneten Kartoffel, von Hühnerfüßen für die Suppe bis lebendigen Fröschen für spezielle Gerichte. Oder man trinkt - umgeben von einer unglaublich hektischen Geschäftigkeit - an einem der vielen Stände einfach eine heiße Milch und isst dazu ein mit Schmand belegtes Brötchen. "Das ist unser Luxus", sagt Eufracia Canal und beisst beherzt ein Stückchen ab. Wer es deftiger mag, sollte eines der vielen Restaurants aufsuchen. Dort kann man eine der vielen Spezialitäten bestellen: Cuy, gebratenes Meerschweinchen!

Frank Lukaszewski, Cusco

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Die Reise
 
Details:
Aufbruch: 20.02.2006
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 20.03.2006
Reiseziele: Peru
Der Autor
 
Frank Lukaszewski berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.
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