1200 km bis Budapest - Aufbruchsstimmung
Aufbruch zur globalen Radtour zunaechst durch Deutschland Oesterreich Ungarn
Aufbruchsstimmung
Nachdem alle notwendigen Vorbereitungen abgeschlossen waren , hiess es am 01.04.07 Abschied nehmen von meiner Familie und von meinen Freunden.
Eine Drei-Zimmer-Wohnung in fuenf Packtaschen unterzubringen fiel mir sichtlich schwer und dementsprechend stand ich bei der Abfahrt bepackt wie ein Muli auf dem Busplatz, um gemeinsam mit Micha die erste Woche in die Pedale zu treten. Der erste Stop - bereits in Eisenberg - ein letztes Koestritzer Pils bei Torsten und dann hiess es auch fuer mich: "...abgefahren".
Den ersten Tag blieben wir bis zum Abend nicht allein, denn Freunde liessen es sich nicht nehmen, uns ein Stueck zu begleiten und wollten den ersten Abend mit uns teilen. Micha startete am Weidaer Ausgleichsbecken seine ersten Angelversuche, die vorerst erfolglos blieben. Ein neuer Schwarzangler war somit geboren.
Noch einen Tag kurbeln bis zum Grenzuebergang Bad Brambach, wo wir unsere letzte aufregende Nacht in Deutschland in einer alten NVA-Baracke verbrachten. Frueh morgens weckte uns die Polizei mit dem Hinweis auf Hausfriedensbruch. Unser Malheur bekam die KFZ-Werkstadt neben an mit und kurz darauf wurden wir von der Inhaberin Frau Schmidt zum Fruehstueck eingeladen. Sie verpflegte uns mit Kaffee und Spiegeleiern und einer ordentlichen Portion Buechsenwurst, welche wir dankend annahmen. Kontrastreicher haette der Abschied aus Deutschland nicht sein koennen.
Am spaeten Vormittag erreichten wir die Grenze und ich holte mir voller Freude meinen ersten Stempel ab. Cheb war unser Tagesziel. Hier machten wir zwei Tage Pause und Micha gab mir letzte Instruktionen zum Einstellen der Schaltung und Bremsen, wofuer ich ihm sehr dankbar bin. Wir nutzten die Gelegenheit, um den ersten Bouwtenzug der Schaltung zu wechseln, nachdem am Vortag mein Velo nach dem Abstellen so unguenstig aufgeschlagen ist, das der Bouwtenzug direkt unter dem Rahmenmittelrohr begann aufzudrudeln. Dies zeigte mir, nichts passiert ohne Grund. Das war aber noch nicht genug der Pannen, denn bereits am dritten Tag brach die Pumpe meines hoch gepriessenen MSR-Kochers.
Weiter auf der B21 ging es ueber Tachau nach Tisova, wo wir unseren letzten gemeinsamen Abend verbrachten. Noch einmal hiess es "chef quisine". Micha war heute der Sternekoch, nachdem wir uns die letzten Tage abgewechselt hatten. Die Variationen reichten vom "Reis mit Fruehlingszwiebeln und angemachtem Rauchspeck" bis hin zur "Heissen Banane am Eichenstock im Nutella-Mantel". Etwas unsicher war ich mir zu diesem Zeitpunkt schon, denn ab heute hiess es allein weiter radeln. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Doch Micha besaenftigte mich immer mit den Worten: "Das schleift sich schon ein"! Wir radelten gemeinsam bis Bor, wo wir uns verabschiedeten. An dieser Stelle moechte ich dir Micha, nochmal "DANKE" sagen fuer die schoene Woche, mit all ihren Facetten.
Erst jetzt startete "meine" Tour richtig. Gut bepackt inklusive gefüllten zehn Liter Wassersack (als Training) machte ich mich auf ueber Tyn nach Tomazlice, wo ich mein Nachtlager unweit einer Bikerennstrecke aufschlug. Am Rande einer wunderschoenen Obstplantage mit Blick auf den Bayrischen Wald, hinter dem die Sonne allmaehlich verschwand. Mein Kocher zischte leise vor sich hin, um keine Aufmerksamkeit zu wecken. Plötzlich bekam ich Besuch von sieben Romakindern und deren drei Hunden. Mulmig war mit zumute, denn zwei der Hunde waren groesser als die heranstuermenden Kinder. Sie sprachen kein Wort deutsch und ich brachte noch nicht mehr als ein "doboj djen" ueber meine trockenen Lippen. Die agilen Hunde hatten aber nur sichtliches Interresse an meinem frischen Kassler, das ich schnell im Vorzelt versteckte. Just in diesem Moment viel mir ein, dass ich in meiner Lenkertasche noch zwei kleine Tueten Haribo hatte. Wir lutschten gemeinsam die Gummibaeren und danach zogen die Kinder samt Hunden weiter.
Nach Tomazlice aenderte sich allmaehlich die Landschaft. Der Ostseite des Böhmer Waldes folgend, wurde es gruener und huegeliger. Rauf runter, rauf runter... das setzte meinen Tomatenstoecken ganz schoen zu und ich verabschiedete mich zu diesem Zeitpunkt von meinem Tagesziel zwischen 80 - 100 km zu fahren. Vorbei an endlosen Alleen, alten Guthaeusern und zerfallenen Bauernhoefen, welche teils noch betrieben wurden, erreichte ich Klatovy. Auf der Karte waren bis nach Budweis unzaehlige Seen verzeichnet und ich freute mich darauf, meiner Angelleidenschaft ausfuehrlichst zu froehnen. So wollte ich an diesen Tagen meist nicht mehr als 30-40 km radeln, denn ein See war schoener als der andere. Eine Seenlandschaft wie im Bilderbuch: kleine idyllische Gewaesser mit ein wenig Schilff, einem Schwanenpaar und Wasservoegel, die ich zuvor noch nie gesehen hatte. Hier war ich goldrichtig. Jedes einzelne Detail saugte ich auf und genoss diese Zeit in vollen Zuegen. Kurz vor Budweis fand ich in einem Waldstuck eine alte verlassene Angelhuette. Die Scheiben waren eingeschlagen, das wenige Mobiliar zertruemmert und das Holz der spaerlichen Huette war von Wuermern zerfressen. Sie war perfekt fuer mein heutiges Nachtlager, denn zu meinem Glueck war die Veranda noch einigermassen intakt, so beschloss ich, diese Nacht kein Zelt aufzubauen, da mich das Trocknen des Zeltes jeden Morgen eine gute Stunde kostet. An diesem Tag sprangen die Fische wieder im Teich... der erste Biss mit Erfolg... "Petrie Dank" ein Schlamkarpfen. Zurueck auf meiner frisch gefegten Veranda huellte ich mich in mein selbst gebautes Biwak ein und schlief gluecklich ein. Kurz darauf stockte mir der Atem und die Luft in meinen Lungen vibrierte. Ich griff zu meiner Lampe und direkt vor mir stand ein mannshoher Hirsch. Er bruellte mir nochmals fast ins Ohr und verschwand blitzschnell im Schutz der Dunkelheit. Der Schreck steckte mir morgens immernoch in den Gliedern - ein unvergessliches Erlebnis.
In Budweis angekommenn machte ich Station, um das hiesige Bier zu verkosten und dann weiter Richtung oesterreichischer Grenze zu fahren. In Raven legte ich letztmalig eine Pause ein und nutze die Chance, mich mit Proviant aus dem örtlichen Konsum einzudecken. Mein Energiebedarf war soweit gestiegen, das es mir nicht schwer viel, mehr als 1 1/2 Pfund Schokolade taeglich zu verspeisen. Ein alter Man, dessen Geruch nicht unbemerkt blieb, sass vor dem kleinen Geschäft und ich setzte mich zu ihm. Leider verstand ich nur was von "Njemetz" und "Hitler". Schnell fuhr ich weiter und erreichte Oesterreich.
Die Grenzer empfingen mich mit einem "Da schaut's her, a Spoartler". Der naechste Stempel war im Pass und ich traute meinen Augen nicht. Nach einer 6 km langen Abfahrt aus der Tschechei folgte ein doppelt so langer Aufstieg ins Kernerland. Alles aenderte sich wieder: die Strassenverhaeltnisse, die Haueser, das Preisniveau und die Menschen, mit denen ich mich wieder leichter verstaendigen konnte. Mit 6-7 km/h krauchte ich die zweispurige Bundesstrasse bergauf. Meine Muskeln krampften und meine Knie zitterten nach diesem Anstieg. Oben angekommen dachte ich, das sich jeden Moment meine Patella (Kniescheibe) verabchiedet und Schmerzen machten sich breit. Dies war Anlaß genug, um zwei Tage im herrlichen Rainbach im Muehlkreis bei 30°C an einem glasklarem Bergsee zu pausieren.
Ich wollte mir die Zeit nehmen, die Ereignisse der letzten Tage zu verarbeiten, mich zu erholen, endlich Ordnung in meine Packtaschen zu bekommen und einfach nur das Jetzt und Hier geniessen..
Meinen Plan, die Donau auf schnellstem Weg zu erreichen, aenderte ich in Rainbach und machte einen Abstecher durch das Muehlenviertel entlang der traumhaften oesterreichischen Romatikstrasse in Richtung Mauthausen.
Vierzehn Tage waren vergangen, als ich voller Freude gegen Mittag mein erstes kleines Etappenziel - die Donau - erreichte. Der mit 2845 km zweit laengste Fluss Europas fliesst als einzige Wasserstraße in Europa von West nach Ost. Mehr als 300 verschiedene Tierarten sind hier beheimatet, unter anderem der Uhu, der Eisvogel und der Seeadler. Die Freude hielt sich jedoch in Grenzen, denn der von mir erwartete Rueckenwind in Fliessrichtung blieb aus. Stattdessen bogen sich die Baeume und Straeucher entlang des Ufers entgegen meiner Fahrtrichtung. Mit aller Kraft stemmte ich mich dagegen und erreichte mit Muehe und Not 13km/h.
Aber die Landschaft entschaedigte mich fuer die Strapazen, denn die Wachau ist bis jetzt der beeindruckenste und schoenste Teil meiner Tour. Entlang des Donauufers breiten sich malerisch, gedraenkt auf kleinstem Raum, Wein und Obstanbaugebiete aus, die jetzt in voller Bluette stehen. Ich halte oft an, um die Schoenheit dieses Areals richtig aufzunehmen, welches bereits 1994 von der UNESCO als Weltkulturerbe eingestuft wurde.
Am 16.Tag erreichte ich Wien, verweilte aber nur kurz, um einen Tag spaeter weiter durch den Nationalpark "Donau-Auen" nach Bratislava zu fahren. Die Imbissbuden entlang des gut beschilderten Eurovelo 6 ziehen mich magisch an und ich mache Rast in Schoenau im Marchsfelder Land, Oesterreichs groesstem Spargelanbaugebiet. René, ein Arzt aus Oberhof, der seit 9 Jahren in Wien arbeitet, spricht mich an. Wir plaudern in unserem Thueringer Dialekt, tauschen uns aus, trinken ein Bier nach dem anderen. Schlussendlich laed er mich zu sich nach Hause auf seinen Bauernhof ein. Auf meinen Wunsch gibt es Thueringer Gulasch mit Hoernchennudeln. Ein wunderschoener Abend folgt, voller Herzlichkeit und Gastfreundschaft. Sabine, seine Frau, waescht am spaeten abend sogar noch meine Waesche, nachdem sie ihre 12 Pferde versorgte. Voller Vertrauen hinterlegten sie mir ihre Schluessel und ich reiste einen Tag spaeter - erstmals im Regen - weiter nach Bratislava. Auch hier bleibe ich nur eine Nacht.
Wiedereinmal Veraenderung: der Strassenbelag wird zur Schotterpiste, die gute oestereichische Beschilderung entfaellt fast gaenzlich, aus Obst und Weinanbaugebieten wird Ackerbau. Den richtigen Weg aus Bratislava finde ich irgendwie nicht und fahre einfach stromabwaerts Richtung Sueden. Weit und breit nichts ausser Schotterpiste zu sehen, als ich nach gut drei Stunden einen schmalen Asphalt entdecke, der wohl ins naechste Dorf fuehrt. Von weiten sehe ich eine Art "Konsumleuchte" und mein Kopf sagte mir: "Bananen mit Nutella". Als Einziger betrat ich den kleinen Kaufmannsladen. Eine schmaechtige alte Frau sass hinter einer verrosteten halbrunden Waage, die ich noch von Omas Laden aus DDR-Zeiten kannte. Sie wog meine Bananen, rechnete zusammen und schrieb 670 auf einen Zettel... aber das waren ca. 20 Euro... da war was faul und ich fragte nochmal nach. Sie schrieb Forint dahinter. So hatte ich auf meiner morgentlichen Irrfahrt ueber den Donaudamm die Grenze ueberschritten und war bereits in Ungarn.
Immernoch Gegenwind entlang der Donau. Mein Weg fuehrte mich ueber Komaron nach Gyoer und dann weiter nach Esztergom, dem "Rom von Ungarn" wie es ein hiesiger Maler beschrieb. Eine sehr geschichtstraechtige Stadt, in der Menschen schon zu Steinzeiten angesiedelt waren und Ungarns erster Koenig um 1000 gekroent wurde. Eine eindrucksvolle Basilika ziehrt das roemische Stadtbild, in der das mit 13x7m groesste auf Leinwand gemalte Altarbild zu finden ist. Am Nachmittag verliess ich die Stadt ueber eine endlose Allee mit Fliederstraeuchern, deren Geruch so stark war, dass man fast Kopfschmerzen bekam. Nur noch wenige Kilometer bis Budapest. Ich verliess die Hauptroute am Donaunkie und kurbelte hoch in die Weinberge. Auch hier wurde ich eingeladen. Ein Winzer holte mich klitsch nass vom Fahrrad und bat mich, seinen Wein zu verkosten. Er zeigte mir voller Stolz seinen Weinberg und sein Heiligtum - einen eher modrigen Weinkeller - der aber den ein oder anderen guten Tropfen bereit hält. Da die aeltere Generation der Ungarn zweisprachig erzogen wurde, verstaendigten wir uns hervorragend und nach zwei Stunden fuhr ich weiter Richtung Budapest.
Liebe Gruesse aus Ungarn
Marco
Aufbruch: | 01.04.2007 |
Dauer: | 11 Wochen |
Heimkehr: | 15.06.2007 |