St. Peterburg, Moskau, Velikie Liuki. 3000 Kilometer durch Russland

Reisezeit: April / Mai 2009  |  von Frank Kotzte

Der Autor wagte es, trotz Warnungen vieler, im Mai 2009 auf eigene Faust 3000 Kilometer mit dem Auto durch Russland zu fahren. 1000 Kilometer davon Abseits der Fernstraßen. Drei Wochen nach seiner Rückkehr bemerkten Freunde beim Autor eine schwere Erkrankung: Den Russlandvirus. Mütterchen Russland hatte offenbar seine Seele gestreichelt.

Ein Unterhaltsamer und informativer Reisebericht.

Die Idee und der Plan

Eine Vision

Wie so oft, stand auch am Anfang dieses Projektes eine Vision. Die Vision ein fremdes, fernes Land zu bereisen.
Nein nicht irgendein Land. Es sollte Russland sein. "Warum gerade Russland?", fragten mich viele denen ich von meinem Vorhaben erzählte. Olga, vor mehr als 10 Jahren aus Russland nach Deutschland gekommen, sah mich erstaunt und fast schon entsetzt an, um mir dann auf sehr liebenswürdiger Art zu sagen, dass ich verrückt sei. Freunde schüttelten ebenso mit ihren Köpfen. Und der Eine oder Andere hoffte vielleicht insgeheim, dass ich irgendwann von meinem Vorhaben ablassen würde. Immerhin ein Jahr lang recherchierte und plante ich meine Reise.

Auf eigene Faust in Russland - das ist zu gefährlich!
Von Beginn an stand fest, dass die Reise mit dem Auto erfolgen soll. Aber schon diese Tatsache sollte sich als ein Problem darstellen. Mit dem eigenen Auto nach Russland?
Mit einem westeuropäischem Modell? Mit einem Europäischem Kennzeichen? Und schon sprühten die Vorurteile:
Mit einem Westkennzeichen wirst du:
-andauernd und total kontrolliert und abgezockt
-das Auto klauen sie dir
-wenn dir das da drüben kaputt geht, kann es dir niemand
reparieren
-die haben gar keinen bleifreien Kraftstoff.

Also begann ich zu lesen, Bücher, Internet. Versuchte aktuelle Reiseberichte zu finden.
Neue, aktuelle Informationen Fehlanzeige. Entweder waren die Reiseberichte zu alt, bis zu fünf Jahre, oder die Verfasser schienen nie selbst wirklich mit einem eigenen Auto auf eigene Faust in Russland gewesen zu sein.
In einem Internetforum rieten mir dann sogar, angeblich erfahrene, Russlandreisende von meinem Vorhaben ab.

Es sei zu gefährlich!
An dieser Stelle wäre mein Reise dann beinahe gescheitert. Denn unnötig in Gefahr begeben, wollte ich mich nun wirklich nicht. Doch zum meinem Glück ergab sich eine ausgedehnte Unterhaltung mit einer Berlinerin, die seit mehr als 15 Jahren in Moskau lebt und arbeitet.
"Du möchtest nach Russland, du kannst die Sprache, die kyrillischen Buchstaben lesen? Dann hol dir ein Visum und fahr los! Auf was wartest du?" fragte sie mich. Also los, die Planung wurde nun konkreter.

Wir konnten keine Route zwischen Berlin und Moskau berechnen.
Das eigentliche ferne Ziel, sollte Moskau sein. Aber auf gar keinen Fall so einfach auf dem direkten Weg. Zu meinem Erstaunen ließ sich mit herkömmlichen Internetkarten, wie zum Beispiel unter Google.de, kaum eine konkrete Reiseroute in oder nach Russland planen. Gab man bei Google Maps Berlin -Moskau als Reiseziel ein, bekam man die Antwort:"Wir konnten keine Route zwischen Berlin und Moskau berechnen."
Selbst Routen innerhalb Russlands ließen sich nicht berechnen. Also ab in den Buchladen und zur guten alten Karte gegriffen. So fand ich einen Falkplan "Russland/ Von St. Petersburg bis Moskau" im Maßstab 1:750.000 inklusive Citypläne. Der Kartentitel gab mir nun auch die Grundidee für meine Reiseroute.
In der Planungsphase und dann auf der Reise stellte sich die Karte, bis auf eine kleine Ausnahme, als sehr wertvoll heraus. Die Ausnahme: Als ungünstig machten sich die Beschriftungen der Karte bemerkbar. Besonders Ortsnamen abseits der Großstädte versucht der Verlag ins Englische oder Deutsche zu übersetzen, so dass die tatsächlichen russischen Ortsnamen nicht mehr zu erkennen sind. Was hier in Deutschland kaum auffällt, aber in Russland vor Ort erhebliche Probleme bereiten kann. Am Ortsschilde stehend, Buchstabe für Buchstabe, Laut für Laut aus dem Russischen übersetzt und mit der Karte verglichen, kamen nicht selten ganz andere Ortsnamen heraus.

Dieses Problem ließ sich aber mit einem in Russland gekauften Autoatlas ausgezeichnet lösen. Allerdings Achtung! Die in Russland vertrieben Autokarten sind alles andere als hochauflösend. Sie dienen gut zur Groborientierung. Gerade bei meinen Touren abseits der Pisten, stellten sich ein Kompass und der Falkplan als unentbehrliche Helfer heraus.

Im Oktober 2008 stand die Route fest: Mit der Fähre von Saßnitz nach St. Peterburg (Pjotr wie der Peterburger sagt, Petersburg haben wohl die Deutschen draus gemacht) weiter über Wilikij Novgorod, Staraja Russa, Tver, Kimr, Dubna, Dimitrov, Moskau, Wolokolamsk, Gagarin, Reschew, Nelidowo, Wilikij Luki nach Zasition und von dort über Litauen, Lettland, Polen wieder in Richtung Berlin. Als möglichen Reisetermin wählte ich April-Mai. Denn meine Hoffnung war es, denn Frühling in Russland erleben zu dürfen.

Das Auto
Was nun noch fehlte, war ein geeignetes Auto. Es standen Fragen wie, welche Autos fahren da drüben, welche Werkstätten gibt es, welche nicht? Und plötzlich erschien es logische: nach Russland fährt man mit einem Lada. Für den gibt es da sicher Kraftstoff, Werkstätten und zur Not lässt sich das Eine oder Andere selbst reparieren. Ich sollte erfahren, dass der Kauf eines geländetauglichen Lada in Deutschland gar nicht so einfach ist wie man es sich denkt. Wochen und Monate verbrachte ich mit der Suche nach einem Lada 4x4. Keinen Neuwagen. Bitte einen Jahreswagen. Weder Internet noch Händler, es schien irgendwie nicht möglich. Fast alle Händler meinten, dass die Nachfragen nach diesen Fahrzeugen hier in Deutschland groß seien. Die Idee schon fast aufgegeben, entdeckte ich eines Morgens im Netz plötzlich meinen Traumwagen. Halbjahreswagen, 10.000 Kilometer für 5500 Euro (Neupreis 11 000).

Die Fähre, die Einladung und das Visum.

Nächster Planungspunkt: mit welcher Fähre geht es rüber und wo, wie und wie oft im Land übernachten? Eine mögliche Fährverbindung ließ sich ziemlich schnell im Internet finden. Nach einigen Vergleichen zwischen drei Varianten entschied ich mich für den Internetanbieter seetour24.de und buchte über diesen im Januar 2009 eine Überfahrt von Saßnitz nach St. Peterburg mit der Reederei Finnlines. Das Ticket kostete 490 Euro für Pkw und Kabine. Nun stand es fest, am 26.04. würde die Reise beginnen. Allerdings fehlte noch das erforderliche Visum. Einzige Hürde: ein Russlandvisum zu beantragen geht nur mit einer Einladung.
Auch hierzu tummeln sich viele Anbieter im Netz welche für gutes Geld das besorgen von Einladungen für Privatreisende und Individualtouris versprechen. Ich entschloss mich den Tipp eines Insiders zu folgen und wählte die Firma "Academservice" (www.acase.ru) mit Sitz in Moskau. Nach ausführlichem Emailkontakt mit einer gewissen Natascha in Moskau buchte ich über diese Firma eine Einladung und die Hotelzimmer.
Hotelangebote lassen sich auch im Netz verschiedene finden. Jedoch scheiterten meine Versuche der Kontaktaufnahmen. Emailkontakte über Buchungsformulare im Internet kamen zum Beispiel bei fünf Versuchen mit fünf verschiedenen Hotels nicht zu Stande.
Die Firma "Academservice" buchte mir auf meinen Wunsch sieben Übernachtungen in vier verschiedenen Hotels für 14880 Rubel, und schickte mir via Email die begehrte Einladung. Und schon stand ich vor der nächsten Aufgabe.
Die Banküberweisung nach Moskau. Kompliziert und teuer. Sehr teuer. Ich legte mir eine Kreditkarte meiner Bank zu und gab mit gemischten Gefühlen meine Kartendaten via Email nach Russland weiter. Gemischte Gefühle deswegen, seit meines Emailverkehrs mit Moskau hatte ich unzählige fragliche Mails aus Russland in meinem Postfach. Aber es sollte, bis heute, alles gut gehen. 340 Euro und 16 Cent wurden für die Hotelzimmer und 35 Euro für die Einladung von meinem Konto abgebucht. Bei einem nachträglichen Vergleich der Hotelpreise stellte ich fest, dass ich die Zimmer offenbar günstig bekommen hatte.

Die Einladung war nun da, die Zimmer gebucht, die Fähre bezahlt. Was noch fehlte war das Visum. Plötzlich hatte ich die Sorge die russische Botschaft könnte meine Einladung nicht anerkennen und mir damit einen Strich durch meine nun inzwischen sehr vorangeschrittenen Pläne machen. Diese Sorge sollte sich als unberechtigt herausstellen.
Auch zum ausfüllen meines Visumsantrages fand ich umfangreiche Hilfe und Anleitung im Internet. Direkt auf den Seiten der russischen Konsularabteilung (www.russisches-konsulat.de/visa.htm) konnte ich alles nachlesen, was ich zum Beantragen meines Visums wissen musste. Somit fuhr ich ideal vorbereitet nach Berlin in die Konsularabteilung der russischen Botschaft. Was ich jedoch nicht im geringstem ahnte: vor der Tür des Konsulats standen zahlreiche Menschen in einer schier endlos langen Warteschlange. Mich dort einzureihen und vielleicht einige Stunden auf meine Abfertigung zu warten, davon nahm ich dann doch Abstand. Eine Woche später wiederholte ich meinen Versuch. Nach knapp zwei Stunden stand ich wieder auf der Straße
und wusste, dass ich mein Visum in 10 Tagen abholen konnte. Sofern es erteilt wird. Und es wurde erteilt. Ein 30-Tage Visa als "Autotourist 004". Inzwischen war es Ende März. Es galt nun noch einen Internationalen Führerschein zu beantragen und meiner Russlandreise stand nichts mehr im Weg.

Sieben gebuchte Hotelnächte und ein 30-Tage Visa.

30 Tage in Russland und nur sieben Hotelübernachtungen. Wie soll das gehen? Ganz einfach, sollte das Wetter passen, war Camping angesagt. Weiter bestand die Hoffnung auf Verlängerung in den Hotels oder das Finden eines Hotels. Campingplätze wird es schon geben. Hotels werden doch wohl zu finden sein. Dachte ich ...

Der Aufbruch
Am 26.04.09, in aller Frühe ging es los. Das Auto war schon am Vorabend gepackt. Voller Ungeduld brach ich gen Ostsee auf. Um 05 Uhr sollte ich zum Einchecken im Fährhafen Mukran bei Saßnitz am Terminal sein. An der Hafeneinfahrt standen zwei Laster mit russischem Kennzeichen und mein Pkw. Ob ich da, wo ich stand, richtig stand ließ sich aus meiner Sicht überhaupt nicht erkennen. Vor mir sah ich,
außer den Lastern, nur ein erstaunlich leeres Hafengelände und leere dunkle Gebäude....

Wer will denn schon nach Russland?
"Ich bediene die Linie nun fast 20 Jahre, aber da drüben in Russland war ich noch nie. Was treibt sie da rüber?" Wollte der Angestellte der Reederei von mir wissen, während er meine Papiere kontrollierte und die Reiseformulare ausfertigte. "Wer will denn schon nach Russland? Drum ist unser Hafengelände auch so leer. Der Handel ist wegen der Wirtschaftskrise fast zusammengebrochen, na und Touris fahren ehe nicht von hier, wenn dann ab Kiel. Wo das Schiff jetzt auch her kommt." Mit einem Blick auf den Bildschirm seines Rechners stellte er fest: "Ein Touristen-Pkw ist bereits an Bord. Na dann sind sie ja schon mal zu Zweit.". Freundlich drückte er mir meine Papiere in die Hand, zeigte mir von seinem Bürofenster aus den Stellplatz, welchen ich bis zur Ankunft der Fähre einnehmen sollte.

Ein Schiff wird kommen.
Gegen 06 Uhr stand ich mit Blick auf die Ostsee an der Hafenkante und wartete.
Kein Hafenarbeiter zu sehen, kein Kran in Betrieb, alle Lkw Stellflächen leer. Ich fragte mich, ob das wohl Zeichen der Weltwirtschaftskrise sind?
Gegen 06.30 Uhr fuhr sie langsam in den Hafen ein. Die "Transeuropa"....

Zwei Tage auf See
Pünktlich um 9 Uhr verließ die "Transeuropa" den Hafen. Das Abenteuer Russland begann. Lange habe ich auf diesen Moment gewartet. Nun war er da, es wurde ernst, es gab kein Zurück mehr. Meine Visionen und Pläne wurden Realität. Allein mit dem Auto ein Teil Russlands durchqueren. Wird es gelingen? Werden Probleme auf mich warten? Werde ich sie meistern können? Bin ich wirklich, ausreichend vorbereitet? ...

...Der Mann kam aus dem Ruhrgebiet und wollte nach Hause, zu seiner Familie in Sibirien, wie er erzählte. Die drei anderen Russen waren Lkw Fahrer. Sie lehrten mich, wozu Schiffe auf ihren Stiegen und Gängen die Handgriffe immer in Greifnähe haben. Denn die Herren waren während der Zweitagesreise durchweg so alkoholisiert, dass sie trotz ruhiger See, ohne diese Griffe, nicht hätten gerade aus laufen können. Weiter waren acht Holländer und fünf Deutsche an Bord. Sie unternahmen eine Schiffsreise von Kiel nach Sankt Peterburg und zurück. Sechs Tage Seereise und drei Tage Sankt Peterburg. Mehr Passagiere gab es an Bord nicht. Wer will denn schon nach Russland?

Ein Schreck
Ich vertrieb mir die Zeit an Bord mit ausgedehnten Wanderungen von Außendeck zu Außendeck, von Büffet zu Büffet und genoss nach den Saunagängen die frische Brise des Ostseewindes auf meiner Haut. Am Abend summte mich das gleichmäßige Dröhnen der Schiffsdiesel in den Schlaf.

Am Nachmittag des letzten Tages meiner Seereise erschreckte mich der russische Geschäftsmann mit der Aussage, dass es mit bleifreiem Benzin in Russland schwer werden würde. "In Russland fahre man überwiegend Diesel oder Gas." So seine Worte. Da war guter Rat teuer. Ich griff zum Handy und rief meine Werkstatt in Deutschland an. "Was mache ich wenn ich kein bleifreies Benzin bekomme?" Galt es zu klären. Es ginge auch mit verbleitem Kraftstoff, aber das nähmen über kurz oder lang die Einspritzdüsen übel, war die Aussage des Meisters. Na, das waren ja Aussichten!....

Die Ankunft
Ich hatte mir vorgenommen die Ankunft, die Einfahrt in den Hafen von Sankt Peterburg auf keinen Fall zu verpassen. Von Deck aus wollte ich sie miterleben. Am Abend stellte ich mir meinen Wecker auf 5 Uhr.
5.30 Uhr, ich war gerade aus der Dusche raus, kam eine Durchsage aus dem Bordlautsprecher: "Liebe Passagiere wir laufen in wenigen Minuten in den Hafen von Sankt Peterburg ein..."

Die Gesichtskontrolle
Nach dem Frühstück gab es die nächste Ansage aus dem Lautsprecher: "Bitte alle Passagiere zur Gesichtskontrolle ins Restaurant."
Ja, da klang es wirklich: "...zur Gesichtskontrolle...".
Im Restaurant erwarteten uns mehrere russische Beamte in Zivile und Uniform. ...

...Anschließend bekamen wir die Vordrucke für die Zollerklärungen in die Hand und die Beamten schickten uns, zum Bearbeiten der Papiere, zurück in unsere Kajüten. Beim Ausfüllen der Erklärung wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie wichtig das Kennen der russischen Sprache für die Reise seien sollte. Das Formular gab es nur in russischer Sprache. Englisch oder gar Deutsch - Fehlanzeige.

Die Kontrolleure kommen
Es war schon ein merkwürdig anmutendes Prozedere. Und wahrlich ein komisches Bild, wie alle Fahrgäste die Kontrolle erwartend, aus ihren Kajütentüren heraus den Gang entlang schauten. Dann kamen sie, die Kontrolleure. Mit nahezu versteinerten Mienen traten drei Mann, einer in Uniform, zwei in Zivil, in meine Kabine. "Passport Maschina, Medizinskoje Straschowanje, ie Straschowanje Awtomobilie paschalusta.", den Fahrzeugschein, die Krankenversicherung und die Fahrzeugversicherung bitte, forderten mich die Herren auf. Gewissenhaft sahen sie gemeinsam meine Papiere durch. Nach vielleicht knapp drei Minuten stellten sie fest, dass ich keine Fahrzeugversicherung für Russland vorweisen konnte. Im Rahmen meiner Reisevorbereitungen hatte ich mich aus Kostengründen entschieden eine Fahrzeugversicherung erst in Russland abzuschließen. Die Herren übergaben mir meinen Reisepass, forderten mich auf, noch in der Kabine zu warten und verabschiedeten sich.

Warum mit einem Lada?
Kurze darauf betraten zwei weiter Herren, dieses Mal in Zivil meine Kabine. Auch sie wollte meine Fahrzeugpapiere, die Fahrzeugversicherung und zusätzlich meinen Führerschein sehen. Die Männer durchblätterten meine Papiere. Auffallend aufmerksam besahen sie sich den Fahrzeugschein und schauten plötzlich, als trauten sie ihren Augen nicht. "Ein Lada? Warum mit einem Lada?" fragte mich der Eine sehr erstaunt auf Russisch. "Eta charascho Maschina.", ein gutes Auto, antwortet ich, mit einem Schmunzeln....

...Nach den beiden Männern betrat nun eine kleine, etwas untersetzte Frau meine Kabine. Grußlos forderte sie mich barsch auf mein Gepäck zu nehmen und ihr zu folgen. Das heißt, eigentlich verstand ich ihr Russisch überhaupt nicht. Ihrer Mimik leitete ich mein Handeln ab. Ich schnappte mein Gepäck und folgte ihr mit schnellen Schritten. Irgendwie, ich weiß bis heute nicht wie, verstand ich, dass ich mein Auto vom Schiff fahren sollte. Endlich ging es los. Denn inzwischen war es 9 Uhr. Super, dachte ich, die Einreise wäre damit dann wohl geschafft. Fehlte nur noch die Autoversicherung. Aus dem Schiff raus und gut 50 Meter weiter, hieß es dann auch schon Stopp! Mehrere Uniformierte, sechs bis sieben, stellten sich um mein Auto und die kleine, untersetzte, barsche Frau unterhielt sich mit ihnen. Erst Kopf schütteln, dann ein Nicken, danach kam sie zu mir. Jetzt verstand ich ihr Russisch gar nicht mehr. Nicht mal mehr ihre Mimik. Nichts ging. Sie sprach so schnell und so undeutlich, dass ich zweifelte, ob ihre Landsleute sie überhaupt verstehen würden. Ein Uniformierter mischte sich in das Gespräch, besser in den Monolog, ein und erklärte mir, natürlich in Russisch, dass die Dame mit mir zum Abschluss einer Fahrzeugversicherung fahren würde...

...Dieses Mal kam ein schroffes "Da", ja, als mein Begleiter an der Tür des Versicherungsmaklers klopfte.
In einem engen schmalen Raum saß Zeitung lesend ein älterer Herr. Mit unserem eintreten senkte er das Blatt und legte es umständlich zur Seite. Eine Narbe quer durchs Gesicht,
das rechte Augen nur als weißer Apfel sichtbar, hinterließ er den Eindruck eines Afghanistanveteran der ehemals Ruhmreichen Sowjetarmee.
Wie aus Deutschland von Versicherungsmaklern gewohnt, nur in russischer Sprache, offerierte er mir seine wertvollen Angebote. Ich erklärte ihm, dass ich nur eine einfache Haftpflichtversicherung für dreißig Tage bräuchte.
Mit einem Blick in meine Fahrzeugpapiere brach er in ein lautes Lachen aus. Die Baracke schien zu beben. Und da war sie wieder, die Frage: "Ein Lada, warum mit einem Lada?". Kopfschüttelnd und weiter vor sich hin lachend füllte er die Versicherungspapiere aus. Und diese, im Großen und Ganzen, nicht anders als in Deutschland gewohnt. Von nun war ich für 1425 Rubel und 60 Kopeken, ungefähr 32 Euro, im Besitz einer Fahrzeugversicherung. Als wir die Baracke verließen dröhnte sein Lachen noch immer durch die Luft. Es schien als bebe der gesamte Bau. Mit der Versicherungspolice in der Hand kletterte ich wieder in den weißen Sprinter und zurück ging es zu meinem Auto. Noch immer, oder vielleicht schon wieder standen die Beamten um meinen Lada herum.
Die Fähre war inzwischen entladen, von den Passagieren niemand mehr zu sehen.

Bloß nichts anmerken lassen
Ich stieg aus dem Sprinter und grübelte angestrengt wie es nun weiter gehen würde. Bin ich schon eingereist? Wollen die jetzt nur noch meine Autoversicherung sehen? In diesem Moment fiel mir ein, das ich die Zollerklärung noch bei mir hatte und mein Reisepass noch immer in der Hand der russischen Behörden war.

Also stand mir jetzt wohl die Zollabfertigung bevor. Und schon sprach mich einer der Uniformierten an:"Tamoschneije deklaratije, paschalusta!". Die Zolldeklaration bitte. Im Auto suchte und kramte ich zwischen meinen Sachen nach der Zollerklärung. Endlich fand ich sie und übergab sie dem Beamten. Dieser verschwand mit dem Papier in einem einer Baracke ähnelndem Bau, wohl dem Grenzkontrollbüro.
Hinter einer Glasscheibe, ähnlich wie in einem Kassenhäuschen am Stadion, saßen zwei junge Zollbeamtinnen. Eine mit kurzem blondem, die Andere mit braunem schulterlangem Haar welche dieses zu einem Pferdeschwanz gebunden trug. Hinter ihnen, sich an die Wand lehnend, stand ein Mann so um die vierzig. Die glänzenden Schulterstücke seiner Uniform wollten wohl sagen, mein Träger ist ein Offizier. Ein Chef. Alle drei würdigten mich keines Blickes. Nebeneinander sitzend teilten sich die Frauen in der Enge des Raumes gemeinsam einen Schreibtisch.
Der Beamten mit meinem Papier in der Hand, tauchte hinter der Glasscheibe auf und legte meine Zolldeklaration auf den Schreibtisch und verschwand. Auf dem Tisch stand ein Telefon mit einer Wählscheibe, ein Computer und am anderen Ende des Tisches ein Faxgerät. Mitten auf der Tischplatte lagen ein Stempelkissen sowie ein riesiger Stempel. Vor dem Faxgerät stand ein Ablagekorb voller Papiere. Für mehr war kaum noch Platz auf dem Tisch und im Raum. Die Blonde nahm meine Zollerklärung und schaute sie sich mit leicht zusammen gekniffen Augen an, so als wenn sie eine Brille bräuchte. Während die Andere schon den Stempel in der Hand hielt. Drinnen wurde kein Wort gesprochen. Draußen an der Scheibe stand ich und schaute auf die Dinge die drinnen geschahen oder besser nicht geschahen. Doch plötzlich nahm die Schwarzhaarige den Stempel und krachte ihn gleich zwei Mal auf die Zollerklärung. Was bis draußen zu hören war. Na bitte, dachte ich. Den Stempel hast du. Jetzt geben sie dir gleich deine Papiere und dann bist du in Russland. Und da, woher auch immer, hatte die Dunkelhaarige auch schon meinen Reisepass und meine Fahrzeugpapiere in der Hand. Doch ich hatte nicht mit dem Offizier gerechnet. Nun kam sein Auftritt. Er nahm die Papiere an sich und verschwand. Nach gut drei Minuten tauchte er wieder auf und legte den Frauen mein Zollpapier zurück. Meinen Pass behielt er in der Hand und lehnte sich wieder schweigend an die Wand. Die Mädels beugten sich über das Papier und versuchten offensichtlich mein Geschriebenes Wort für Wort zu entziffern. Ich wurde weiterhin mit keinem Blick beachtet. Nach einigen Minuten beugte die Blonde sich zu mir an die Scheibe. Ohne mich anzuschauen zeigte sie mit einem Stift auf das Papier und erklärte mir etwas, was ich nicht tatsächlich verstand. In der Glasscheibe befanden sich zwar in einem Kreis mehrere Löcher, offenbar zur besseren Verständigung. Ich verstand jedoch kein Wort. Ich hörte und sah, dass die Frau spricht. Aber was sie sagte kam einfach nicht durch die Scheibe zu mir. Ziemlich ratlos stand ich da und drinnen erschienen sie mir ebenso ratlos. Der Offizier, welcher noch immer an der Wand gelehnt stand,

verließ den Raum um ziemlich unmittelbar mit einem weiteren Offizier zurück zu kehren. Dieser nahm meine Papiere, blätterte darin, schüttelte seinen Kopf und schaute kurz zu mir auf. Er sprach einige Worte mit seinen Kollegen, legte die Papiere wieder auf den Tisch und verließ den Raum.
Nun geschah für einige Minuten erst einmal Garnichts mehr.
Bis der Offizier, welcher inzwischen wieder an der Wand lehnte, die Zollerklärung vom Tisch nahm und sich zwischen den Frauen durch, über den Schreibtisch ans Fenster drückte.
Was ich seinem Russisch entnehmen konnte, konnte ich nicht wirklich begreifen. Ich sollte auf der Zollerklärung meine Adresse eintragen. Genau diese stand da. Jede Spalte war ausgefüllt. Wohnort, Postleitzahl, Straße, Hausnummer, Nationalität. Verstand ich den Mann richtig? Was hatte er denn nun wirklich zu beanstanden?
Das mit den zwei Stempeln war dann wohl erst einmal Nichts.
Der Beamte schob mir das Papier durch einen Schlitz in der Glasscheibe zu und ich stand vor meiner ersten richtig Kommunikationspanne. Ich hatte nicht die geringste Ahnung was ich zu tun hatte. Und aus dem Glaskasten raus würdigte man mich weiter keines Blickes. Ich meinte, mein Kopf sei leer und mein Russisch schon am Beginn der Reise zu Ende.
An meinem Auto stehend, über die Motorhaube gebeugt, ging ich die Zollerklärung wie eine Klassenarbeit immer und immer wieder Punkt für Punkt durch. Jedoch blieb ich ratlos. Nach gut fünf Minuten, kam ein Zollbeamter an mein Auto und übergab mir eine leere Zollerklärung.
"Pischat, paschalusta". Schreiben, bitte. Forderte er mich auf, während er mit dem Finger auf die einzelnen Spalten zeigte. Wohnort: Deutschland. Straße: Deutschland. Hausnummer: Deutschland, erklärte er mir. Ich konnte es nicht fassen. Eigentlich hatte ich von Anfang an verstanden was sie von mir wollten, nur konnte ich die Banalität der Antworten nicht fassen. Die deutsche Gründlichkeit war mir zum Verhängnis geworden. Zügig füllte ich meine Zollerklärung, nun richtig,

in zweifacher Ausfertigung aus und übergab den Beamten die ausgefüllten Formulare. Ich hatte den Eindruck, von nun an ging alles irgendwie schneller. Ohne weiter aufs Papier zu schauen ging er damit in das Abfertigungsgebäude. Von meinem Auto aus sah ich, wie die Frau mit dem Pferdeschwanz wieder ihren Stempel schwang. Vier Beamte traten jetzt an mein Auto und verlangten, ich solle alle Türen und Klappen, inklusive der Motorhaube öffnen. Sie schauten mehrfach, abwechselnd in das geöffnete Auto.
Nach was sie schauten, erschloss sich mir nicht wirklich. Unerwartet durfte ich dann alle Türen und Klappen wieder schließen. Die Vier verschwanden. Meine Papiere hatte ich jedoch immer noch nicht. Nun kamen drei weitere Kontrolleure und verlangte das ich die Heckklappe des Autos wieder öffnete. Sie schauten in den Wagen und wollten wissen, was sich in den einzelnen Gepäckbehältern befand. Jedes Stück musste ich einzeln erklären. Öffnen brauchte ich die Taschen und Behälter nicht. Wieder einmal durfte ich mein Auto schließen. Jetzt kam die Blonde aus dem Glaskasten zu mir ans Auto. Sie trug wie fast alle russischen Beamtinnen eine Uniformjacke und einen knielangen Rock. Als ich sie auf mich zukommen sah musste ich mir für einen Augenblick das Lachen verkneifen. An ihren Füßen trug sie Filzpantoffeln. Ja, graue Filzlatschen. Im ersten Moment dachte ich die gehören zur Uniform. Aber ein Blick zu den Füßen der Anderen verriet mir, dass diese jedoch in schwarzen Schuhen steckten. In der Hand hielt die Blonde meine Papiere. Na jetzt geht es los, dachte ich. Ich glaubte meiner Einreise nun wirklich sehr nah zu sein. Doch jetzt traten zwei weitere Beamte an mein Auto. Sie gaben mir kurz und knapp, mehr nur mit Handzeichen, zu verstehen, dass ich alle Türen meines Autos noch einmal öffnen sollte. Innerlich Kopf schüttelnd öffnete ich mein Auto. Unverständnis machte sich in mir breit und drohte sich als Zorn nach außen zu zeigen. Bloß nichts an merken lassen, dachte ich in meinem Innersten, du willst in das Land! Wirst du unhöflich ist die Reise hier vielleicht zu Ende.

Die Kontrolleure durchsuchten nun mein Auto. Sie öffneten das Handschuhfach, schauten unter die Sitze, klopften an die Türverkleidungen. Ok, dachte ich, die machen ihre Arbeit.
Das soll auch so sein. Das Innere meiner Gepäckstücke schien niemanden zu interessieren. Alle Taschen, Koffer und Bündel musste ich nun aus dem Auto ausladen. Die Beamten forderten mich auf, mein Gepäck in das Gebäude zu tragen. Umringt von inzwischen fünf Leuten schleppte ich meine Taschen und Bündel in zwei Etappen in das Abfertigungsgebäude. Im vorauseilenden Gehorsam, stellte ich sofort eine Tasche auf das Band eines Röntgengerätes. "Net", nein, sagte mir ein Beamter. Ich nahm meine Tasche wieder vom Band und stellte sie zu den anderen Stücken zurück. Mit zwei Kontrolleuren stand ich nun abwartend vor meinem Gepäck. Für Minuten geschah nichts. Ich dachte, wir warten auf eine Hund, einen Drogenhund, einen Sprengstoffhund oder so etwas. Stattdessen kam die Blonde rein. Mit einem Handzeichen gab sie den beiden Kontrolleuren zu verstehen, dass mein Gepäck wieder ins Auto kann. Jetzt plötzlich eifrig und hilfsbereit, bückten die Herren sich und griffen nach meinen Sachen. Gemeinsam trugen wir diese zurück zum Auto. Der Sinn dieser Aktion hat sich mir bis heute nicht erschlossen. Freunde, denen ich nach meiner Rückkehr davon erzählte, hatten zum Teil sofort Erklärungen bereit. Wie: "Na ist doch klar, die haben dir einen Peilsender eingebaut."
Nach dem ich meine Sachen wieder im Auto verstaut hatte, drückte mir die Blonde, meine von mir heiß ersehnten Papiere in die Hand und verschwand wortlos in ihrem Glaskasten. Erst jetzt bemerkte ich, dass auch die anderen Beamten verschwunden waren. Ein Blick zur Uhr zeigte mir, es war 13 Uhr. Sechs Stunden hatte mich allein die Einreisekontrolle gekostet.

Sankt Petersburg - die ersten Stunden in Russland.
Ich stieg in mein Auto, legte die Einreisepapiere auf den Beifahrersitz und los ging es. Zuerst einmal kreuz und quer durchs Hafengelände, vorbei an nagelneuen Traktoren und Mähdreschern der amerikanischen Firma New Holland, sowie an zahlreichen ebenfalls neuen MAN Lkw. Aufmerksam nach einem eventuellem Ausgang Ausschau haltend, stand ich unerwartet wieder vor einem Schlagbaum. Ein großer kräftiger Wachmann, offensichtlich Angestellter eines privaten Wachschutzunternehmens, trat an mein Auto und verlangt: "Propousk!", Passierschein! Ich zeigte ihm meinen Reisepass. Energisch schüttelte der Mann seinen Kopf. Ratlos durchblätterte ich unter den Augen des Wachmanns meinen inzwischen prächtig angewachsenen Papierberg. Reisepass inkl. Visum, Internationaler Führerschein, einen an der Grenze ausgestellten Fahrzeugpassierschein, sowie einen Versicherungsschein für das Auto, ein Krankenversicherungsschein, die Nachweise meiner Hotelbuchungen, Migrationskarte und ein einfacher weißer Zettel mit einem Datumsstempel und einer handschriftlich drauf geschriebenen Uhrzeit. Genau diesen Zettel wollte der Wachmann haben. Eilig schrieb er die aktuelle Uhrzeit dazu und gab mir das Papier mit einem freundlich auf Deutsch gesprochenem: "Danke" zurück. Wie von Geisterhand öffnete sich der Schlagbaum. Weiter ging es durch ein Gelände was auf mich weniger den Eindruck eines Hafens hinterließ. Es ähnelte mehr dem eines verlassen Fabrikgeländes. Der Beschilderung folgend querte ich einen äußerst holprigen Bahnübergang. Wieder stand ich vor einem Schlagbaum welcher von einem Wachmann verteidigt wurde. Dieses Mal wusste ich Bescheid. Ich drehte die Scheibe runter, grüßte, natürlich auf Russisch, reichte den Zettel hinaus, der Wachmann vermerkte die Uhrzeit und weiter ging es. Ich kam an ein mit rotem Backstein gemauerten Torbogen welcher natürlich auch mit einem Schlagbaum versehen war. Hier standen zwei Wachleute und ein Milizionär. Der Milizionär schaute ungläubig und sichtlich verwundert auf das Kennzeichen meines Autos, während die beiden Wachleute in ein Gespräch vertieft kaum Notiz von mir nahmen. Ich reichte ihnen den Zettel, sie schrieben das Kennzeichen meines Autos darauf und behielten den eigenartigen Zettel, wohl so etwas wie ein Laufzettel, ein. Schon öffnete sich auch dieser Schlagbaum.
Endlich, das Hafengelände lag hinter mir und ich fuhr in Sankt Petersburg ein. Das heißt, der Sankt Petersburger Stadtverkehr riss mich und mein Auto regelrecht mit. Dicht an dicht rauschten viele Autos mit hoher Geschwindigkeit daher. Es waren keinerlei Fahrbahnmarkierungen zu erkennen, in wie viele Spuren gefahren wurde musste ich erst erfühlen. Die Verkehrsschilder gleichen den unsrigen im wesentliche schon sehr, nur sind sie nicht in jedem Fall sofort zu erkennen. Ich ordnete mich am Hafen in den fließenden Verkehr ein und rollte erst einmal mit BMW, Mercedes und Wolga ein Stück mit...

© Frank Kotzte, 2009
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Die Reise
 
Details:
Aufbruch: 25.04.2009
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 17.05.2009
Reiseziele: Russland / Russische Föderation
Der Autor
 
Frank Kotzte berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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