Gruss aus Wuxi

Reisezeit: April - September 2009  |  von Uwe H Kaufmann

Unterwegs in China...

Gruss aus Wuxi

Wieder einmal hatte ich das Vergnuegen, mit einer deutschen Firma in Wuxi eine Woche zu arbeiten. Diese Woche war etwas regnerisch. Bei schlechtem Wetter sieht man viele bunte Schirme auf der Strasse. Einige dieser Schirme sind relativ gross und laufen nach einer Seite spitz zu. Ausserdem bemerkt man beim genaueren Hinsehen, dass sich diese Schirme sehr schnell bewegen. Beim Betrachten stellt man fest, dass diese Schirme auf Fahrraedern und Motorrollern montiert sind. Diese Schirme haben grosse Aehnlichkeit mit Drachenfliegern. Erfinderisch wie die Chinesen sind, werden sie das sicher auch tun.

Der Strassenverkehr in Asien - besonders in China - ist etwas unkomplizierter geregelt als in Deutschland. So zum Beispiel verschwendet der typische Autofahrer in China nicht viel Energie mit grossen Boegen beim Linksabbiegen. Die direkte Verbindung zwischen zwei Punkten ist die Gerade und die wird genutzt. Oder, wenn die Linksabbiegerspur schon voll oder die Schlange zu lang ist, faehrt man einfach ganz rechts vorbei und biegt dann links ab - um keine Energie in der Schlange zu verbrennen. Das Ampelsystem wird hier auch etwas flexibler ausgelegt. "Rot heisst Halt" hatte ich frueher mal gedacht. Manchmal wird hier bei Rot gehalten, manchmal auch nicht. Das System habe ich noch nicht erkannt. Wahrscheinlich haengt das einfach davon ab, ob es jemand eilig hat oder nicht. Meine Interpretation der Ampelfarben in China ist etwa so:
Gruen - Du kannst versuchen zu fahren. Sei aber sehr vorsichtig.
Gelb - Versuchs einfach noch - wird schon klappen.
Rot - Selber schuld, wenn Du anhaeltst.
Nach diesem System ist Gruen die gefaehrlichste Phase fuer diejenigen, die denken im Recht zu sein. Ansonsten hat man Vorfahrt, wenn man entweder einen Lastwagen oder Bus faehrt oder wenn man ein uraltes Auto durch den Verkehr presst. Jeder laesst Dich passieren, da Du mit dem alten verbeulten Auto nie nachgeben wuerdest. Der Yuppie mit seinem neuen 7er BMW wird niemals Vorfahrt haben, da jeder seine Angst vor Kratzern am neuen Schau-Mal-Ich-Habs-Geschafft-Auto riechen kann.

Wenn Autofahrer aus einer Nebenstrasse auf eine Hauptstrasse einbiegen, tun sie das unabhaengig vom Verkehr und mit mittlerer Geschwindigkeit. Sie stellen sicher, dass sie nicht in die Richtung des ankommenden Verkehrs schauen. Wieso? Ganz einfach: Sie wuerden sofort als Weicheier erkannt werden und der fliesende Verkehr wuerde sein Recht einfordern. Durch bewusstes Nichtbeachten des Verkehrs ist jedem klar, dass der Einbieger nicht halten wird. So fliesst der Verkehr eben weiter - nach einer kleinen Unterbrechung.

In Deutschland haben wir die Unsitte, vor Zebrastreifen mit Fussgaengern zu halten und dabei noch mehr vom teuren Oel zu verschwenden. Wieso koennen die Fussgaenger nicht schneller laufen, wenn sich Autos naehern? In China koennen sie. In China ist man noch Wer, wenn man im Auto an einen Zebrastreifen herankommt. Zum Zeichen dafuer kann man auch mal ausgiebig von der Hupe Gebrauch machen. Fussgaenger naehern sich nur sehr aengstlich einem Zebrastreifen, den sie dann zuegig ueberschreiten. In Deutschland habe ich manchmal den Eindruck, alte Menschen koennen nur sehr langsam laufen. In China koennen auch die alten Menschen sehr, sehr schnell rennen, wenn sich mein Taxifahrer mit Vollgas und Hupe naehert. Wenn sie etwas troedeln, werden sie mit einem riesigen Schwall aus der naechsten Pfuetze verabschiedet, was heisst "Pass beim naechsten Mal besser auf!"

Energiesparen ist angesagt in China. Im Strassenverkehr klappt das sehr gut. Beispielsweise war mir schon immer schleierhaft, wieso man in Deutschland auf einer sechsspurigen Strasse nach dem Erblicken des Fahrziels auf der linken Seite bis zur naechsten Umlenkestelle fahren muss, um dann auf der anderen Seite wieder zurueckzufahren. In China nimmt man sich eine von den drei Fahrspuren auf der linken Seite und faehrt gegen den Verkehr bis zum Fahrziel. Sehr praktisch. Dieses Prinzip wird auch auf vierspurigen und zweispurigen Strassen angewendet. Allerdings gibt es dann einige engstirnige Autofahrer auf der linken Seite, die hupend auf ihr Recht hinweisen.

Wieder bin ich auf dem Weg von meinem Hotel in Wuxi zum Flughafen Shanghai-Pudong in China. Der Weg ist im Taxi zwar viel laenger als im Zug, der mit Schnitt 160 km/h (Spitze 260 km/h) die 150km in unter einer Stunde erledigt. Allerdings ist der Weg zum Zug und vom Zug zum Hotel immer etwas abenteuerlich. Ein Ticket zu kaufen ist mittlerweile kein grosses Thema mehr. Das ist im Hotel moeglich. Zwischen Hotel und Zug hat Gott (oder wer auch immer) noch interessante Begegnungen mit vielen Chinesen gesetzt.

Hier meine Erfahrung:
Nachdem ich an einem Sonntagabend aus meinem Taxi ausgestiegen war, marschierte ich - gemeinsam mit vielen, vielen Chinesen - zur Schlange am Bahnhof, in der einen Hand meinen Koffer, in der anderen meine Computertasche. Beide Teile nicht eben leicht und ziemlich gross. Die Schlange ist interessant organisiert: Man hat eine Art Vor-Schlange. Das heisst, dieser Teil der Schlange ist nicht limitiert durch Barrikaden. An diesem Teil der Schlange stehend, wird man oft von Chinesen "ueberholt". Dann geht es in eine Art enge Gasse, gebildet durch Metallbarrikaden - eine Art Viehtriebgitterzaun, wie er wohl im Westen der USA verwendet wurde, um Rinder zum Abtransport vorzubereiten. Der Sinn der Barrikade ist offensichtlich, die Menschen am "Ueberholen" zu hindern. Daher ist diese Metallgittergasse breit genug fuer genau eine Person plus ein paar Zentimeter fuer unsere amerikanischen Mitbuerger. Am Ende dieser Gasse steht ein freundlicher Beamter, um etwas zu kontrollieren. Wenn Du aber nicht weisst, was da kontrolliert wird, kann es Dir passieren, dass Du mit Deinen Koffern gegen den Strom der anderen in der Schlange den Weg durch die Metallgittergasse zurueckgehen musst. Ich wusste nicht, dass diese Schlange nur fuer Leute mit Ticket vorgesehen ist. Ein sehr effektiver Lernprozess, der ewig bleibende "Eindruecke" hinterlaesst.

Wenn Du das Warten beim Ticketkauf und das Schlaengeln in den Bahnhof geschafft hast, suchst Du nach Deinem Bahnsteig. Der Bahnsteig wird nur etwa 15min vor Abfahrt geoeffnet. Daher wirst Du erst in einen der Wartesaele geleitet. Der Wartesaal ist etwa so gross wie ein halbes Fussballfeld und hat schaetzungsweise 500 bis 600 Sitze, von denen Du einen ergattern solltest. Bei der Auswahl des Sitzes im Wartesaal sollte man etwas waehlerisch sein. Nicht neben Familien mit kleinen Kindern bitte, da diese Dich stundenlang wie eine Sehenswuerdigkeit anstarren und mit Fingern auf Dich zeigen wuerden. Ausserdem haben die Kleinen die unangenehme Eigenschaft, bei allen unpassenden Gelegenheiten was loswerden zu muessen - gross oder klein. Da der Weg zur Toilette zu lang ist oder da keine Toilette existiert, werden die Kleinen schon mal ueber einen Abfalleimer gehalten, bis Ihnen was abfaellt. Nicht witzig. Die Kleinen sind auf diese Art Toilette bestens vorbereitet. Die haben eine halbierte Hose, d.h. die Hose ist in der Mitte aufgeschnitten. Nur so nebenbei: Von diesen Wartesaelen gibt es acht im Bahnhof Shanghai.

Nun wollte ich im Wartesaal sitzend ein paar Kleinigkeiten essen und trinken. Kein Problem - im Wartesaal gibt es einen kleinen Kiosk. Allerdings solltest Du auch hier vorsichtig sein. Bei meinem ersten Abenteuer auf der Bahn hatte ich zwei Tueten mit vermeintlichen Suessigkeiten gekauft. Leider wurde mir beim Auswickeln klar, dass da wohl etwas anderes versteckt war. Ueberraschung: In einer Bonbontuete hatte ich kleine getrocknete Rindfleischteilchen, in der anderen fein gesalzene Tintenfischringe. Naja, kein Problem. Das ist ja alles essbar. Der Ueberraschungseffekt ist wohl aehnlich, wenn Du nach muehevoller Kleinarbeit ein Date mit der Traumfrau gemacht hast und Du beim Auswickeln feststellst, dass da mehr ist, als Du wolltest.

Inzwischen bin ich in meiner Lounge im Flughafen Pudong. Die China-Chinesen sind echt witzig: auf der einen Seite gibt es viele Verbesserungen, um Prozesse schneller und komfortabler zu machen. Auf der anderen Seite gibt es offensichtlich eine ganze Menge Chinesen, die immer neue Einfaelle entwickeln, mit denen man das Leben kompliziert machen kann. Gerade eben wurde ich beim Eintritt in das Flughafengebaeude ueberprueft. Nach dem automatischen Oeffnen und hinter mir Schliessen der Flughafentuer stand ich in der Falle. Ein Beamter hielt eine Art Schnueffler in der Hand, mit dem er meinen Koffer beschnueffelte. Ich nehme an, so eine Art elektronischer Drogenhund. Drogen hatte ich nicht dabei. Dann zum Check-In. Check-In war sehr schnell, aber danach bekam ich meinen Pass und mein Ticket nicht gleich. Ich musste das erste Mal in meinem Leben in den sogenannten Gepaecksicherheitskontrollraum. Bis jetzt wusste ich gar nicht, dass so etwas existiert. Dort stellte sich Gepaecksicherheitskontrollbeamtin Nummer 325741 vor, die meinen Koffer auf dem Band hatte. Offensichtlich war sie beim Scannen meines Koffers auf irgend ein Teil gestossen, das sie nicht identifizieren konnte. Nun durfte ich meinen Koffer oeffnen. Zielsicher langte die Gepaecksicherheitskontrollbeamtin Nummer 325741 in eine Ecke meines Koffers und zog meinen Rasierapparat heraus. Dann pruefte sie das Geraet und entnahm die Batterien. Das wars dann auch schon. Ich konnte meinen Rasierer wieder in mein Make-Up-Set neben meine Kaemme stopfen und von dannen ziehen.

In China laufen solche Szenen normalerweise wortlos ab. Entweder ist es ein Sprachproblem oder es gibt wirklich nichts zu erklaeren. Man bekommt normalerweise keine Erklaerung. Darf man Geraete nicht mit Batterien transportieren? Kann nicht sein, da ich sowohl die Batterien einpacken durfte, als auch andere Geraete in meinem Koffer ihre Batterien behalten hatten. Vielleicht ist es ja eine Vorsichtsmassnahme. Hat eigentlich schon mal eine Flugzeugentfuehrung mit Rasierer stattgefunden? "Haende hoch, sonst rasier ich Dich!" Vielleicht ist es ja auch die elektromagnetische Strahlung, die von einem zufaellig eingeschalteten Rasierer in meinem Koffer im Bauch des Fliegers ausgeht? "Elektrorasierer brachte Boing 747 ueber Hongkong zum Absturz." Das habe ich noch nie gehort. Ich habe also wie immer keine Idee.

© Uwe H Kaufmann, 2010
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Die Reise
 
Details:
Aufbruch: April 2009
Dauer: 5 Monate
Heimkehr: September 2009
Reiseziele: China
Der Autor
 
Uwe H Kaufmann berichtet seit 14 Jahren auf umdiewelt.
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