Frachtschiffreise
Zwischen Genua und Singapur
Es ist so heiß, dass wir es in der Sonne nur kurzfristig aushalten. Der Himmel ist blitze-blank blau, keine einzige Wolke zu sehen. Der Horizont stellt sich als Strich dar, wie mit dem Lineal gezogen, also ganz ruhiges Wasser. Und wir sind am südlichen Rand der Arabischen See und fahren in den Indischen Ozean hinein.
Delphine am Wulstbug
Gegen Mittag, werfen hier große Ereignisse ihre Schatten voraus, denn für heute Abend ist eine Barbecue-Party angekündigt und schon seit einigen Stunden wird draußen dröhnend die Musikanlage "überprüft". Die Bänke bekommen neue Plastiküberzüge, die quer durchtrennte Tonne zum Grillen steht gesäubert parat, der Bosun selber reinigt das Deck. Alle freuen sich auf die Abwechslung. Wir auch.
Die Vorbereitungen dauern fast den ganzen Tag. Die Vorfreude der Seeleute ist förmlich zu spüren. Immer wieder taucht jemand von der Crew, die wir bisher meistens in ihren orangefarbenen Overalls gesehen haben, auf, der eine verwegene Sonnenbrille auf der Nase trägt oder ein rot-weißes Tuch keck wie ein Pirat um den Kopf gebunden hat. Jedem gefällt die Stimmung, man macht Scherze und lacht viel. Es ist eine Freude, diese mitreißende Spannung und das Vergnügen am Vorbereiten zu erleben.
An der Grilltonne
Am Mittag wird schon die Grillkohle angezündet. Über der Tonne sind auf einer Stange Puter und Enten aufgespießt. Ein Crewmitglied sitzt stundenlang geduldig hinter dem Grill und dreht emsig den Spieß. Nette Kollegen bauen ihm aus zwei Regenschirmen einen Sonnenschutz an seinen Stuhl. Eine Flasche Bier taucht auch schon auf.
Nach und nach füllt sich das Achterdeck. Frankie bringt bergeweise Fleisch heran. Riesengroße Tische werden mit weißen Tischdecken bespannt und Tellerstapel, Besteck, Servietten und die Eimer mit den verschiedenen Saucen stehen schon Stunden vor dem Essen darauf. Die Sojasauce hat inzwischen bestimmt 40 Grad!
Puter und Enten am Grill
Vorfreude pur
Mit unserem Kapitän plaudern wir eine ganze Weile am Pool. Er ist ein sehr sensibler Mann und erzählt uns voller Anteilnahme, dass einige von seiner Crew schon seit zwölf Monaten an Bord seien und dass schon lange keine Barbecue-Party mehr stattgefunden hat. "They need a party, now!" Das kann man ja auch gut verstehen.
Gespräch mit dem Kapitän am Pool
Unser Magen knurrt. Erste Fleischstücke werden vom Grill heruntergenommen und auf großen Platten gestapelt. Sogar Pommes frites sind schon in einer Schüssel. Immer mehr Töpfe und Schalen kommen nach und nach auf den Tisch. Gemischtes Obst in einer weißen Sahnesauce, ein Teller mit Brot, eine Schüssel mit Orangen. Für ein Frachtschiff und für eine reine Männercrew, die das erste Mal auch weibliche Passagiere an Bord hat, sieht es erstaunlich hübsch aus. Ich freue mich richtig darüber. Von den anderen Passagieren ist noch nichts zu sehen. Der Kapitän schickt James hinauf. Als er zurückkommt berichtet er, dass Mary noch unter der Dusche steht. Der Kapitän schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und stöhnt lächelnd: "Oh, Maaary!"
Endlich sind aber auch Mary, Marlene, Ella und Marcel da und die Party kann beginnen. Der Puter und die Enten stehen seit einer Weile auf dem Tisch, die Pommes frites ja sowieso. Wenn die Lufttemperatur nicht so hoch wäre, könnte man glatt behaupten, dass die Speisen alle kalt wären. Aber auf solche Feinheiten darf man hier nicht achten. Jeder greift sich sein Messer, zieht sich die Platte mit dem Geflügel heran und schneidet sich ein Stück ab. Entsprechend sehen die übrig bleibenden Torsi der toten Vögel bald aus. Aber hier hat schlichtweg jeder Hunger und da stehen Etiketteregeln nicht an vorderster Stelle. Das Vergnügen am Essen wird dadurch nicht geschmälert, nein, es macht richtig Spaß zu sehen, wie glücklich alle über den wohl gefüllten Tellern sitzen und mit großem Appetit an den Knochen herumnagen, die Pommes mit den Fingern in den Mund schieben, sich Geschichten erzählen, von einem zum andern Ohr grinsen und überhaupt eine ausgesprochen ansteckende Zufriedenheit ausstrahlen.
Ron am Geflügel
Aufbruch: | 22.01.2002 |
Dauer: | 4 Monate |
Heimkehr: | 25.05.2002 |
Japan