Bootsüberführung von Holland nach Portugal

Reisezeit: Juni / Juli 1996  |  von Manfred Sürig

Flaute auf der Biskaya- mit dickem Ende

5 Tage und Nächte auf der Biskaya

Sogar Wind aus Ost haben wir, so daß wir raumschots uns durch den Dunst tasten können, immer auf das GPS vertrauend, wobei mitunter haarstäubende Kurse entstehen, die man auf der Seekarte gar nicht einzeichnen kann, ohne dass man nervös würde. Aber noch können wir jeden Felsen und jede Tonne eindeutig identifizieren, manchmal erst, wenn wir sie schon passiert haben. Erst abends um 19.30 Uhr passieren wir Chaussee de Sein, die letzte Untiefentonne, bevor die "offene" Biskaya vor uns liegt. Bis dahin schläft der Wind längst wieder, Routine kehrt ein, das übliche.

Mit der Abweichung, daß wegen der Dünung das Abendessen von nun an grundsätzlich auf dem Fußboden zubereitet wird. Sei es die akrobatische Art der Zubereitung, sei es der Appetit der Crew, es wird jedenfalls richtig zugeschlagen, nie reicht der Kartoffelbrei oder die Zwiebeln oder die Paprikaschoten, obwohl ich die Portionen jeden Tag vergrößere. Nur der Bierkonsum hält sich deutlich in Grenzen.

Nach zwei Tagen Routine und dreimaliger Erlaubnis zum Nachtanken (und Mischen) verkündet Jürgen, daß wir am nächsten Tag die Biskaya hinter uns haben müssten, jedenfalls, wenn wir die spanische Küste sehen könnten. Dass uns BBC Tag für Tag an der Nordwestspitze Spaniens gale warnings präsentiert, können wir gar nicht glauben. Tolle Abwechslung bieten von Zeit zu Zeit die Delphingruppen, die mit uns um die Wette fahren und bei weitem schneller sind als unsere konstanten 4,6 Knoten, aber der Höhepunkt ist die Begegnung mit einem Rudel Wale, die vor und neben uns in ungefähr 50 Meter Entfernung mit ihren markanten Rückenflossen schwerfällig aus dem Wasser kommen und gelegentliche Fontänen in die Höhe spritzen. Das Fotografieren solcher Schauspiele gestaltet sich schwieriger als wir annehmen, nie reicht die Zeit zum Auslösen, bis man sie im Bild hat.

Am vierten Tag mittags (Sonnabend, 29.Juni) stellt sich eine leichte achterliche Brise aus Nordost ein, die so richtig zum Schmetterlingsegeln einlädt. Wir setzen die Passatsegel (Beide Normalfocks Schmetterling ohne das Groß) und weihen dabei die beiden Teleskop-Spinnakerbäume ein. Endlich zeigt das GPS und das Log mal höhere Zahlen: 4,5, 5 ,5,5, 6,5 Knoten, 7 werden auch schon mal erreicht, und Handsteuerung ist angesagt. Nebenbei taucht die spanische Küste auf. Ist die Biskaya gelaufen ?

Darüber nachzudenken haben wir keine Gelegenheit, denn es wird höchste Zeit, die Spinnakerbäume einzuholen und eine Fock wegzunehmen. Das erfordert gekonnte Seemannschaft, denn der Kahn surft und giert schon gewaltig. Wie fängt man einen Spinnakerbaum, ohne sich die Knochen zu brechen und ohne über Bord zu gehen? Zu meinem Schrecken entdecke ich, daß ich die Spinnakerbäume mit der festen Seite am Mast und mit der Teleskopgleitseite an den Segeln befestigt hatte. Jetzt sitzt so viel Druck auf den Bäumen, daß ich sie am Mast nicht ausklinken kann. Also das Segel erwischen - aber wie im Fahrstuhl ohne Netz und doppelten Boden?
Es kann nur gehen, wenn Fockfall und Schot genau gleichzeitig gelöst werden und ich die Fock und den Baum im Fallen auffange und ausklinke. Gesagt, getan, das Manöver klappt wie geschmiert, aber nur, weil wir zu dritt sind und sich jeder auf eine Sache konzentrieren konnte.

Wie wäre ein Einhandsegler vorgegangen? Wir rätseln noch eine Zeitlang, dann erfordert der Wind die volle Aufmerksamkeit. Jörn holt den Windmesser aus dem Schapp und mißt immer wieder. Es ist kaum zu glauben, aber raumschots bis zu halbem Wind haben wir 7 volle Windstärken, und die See steigt immer höher. Noch macht das Wellenreiten einen höllischen Spaß, aber wie lange wird das so weitergehen ? Wolkenloser Himmel, glasklare Sicht, aber ab und zu Böen von 30 Minuten und länger. Sie kündigen sich mit einem immer höheren Aufheulen des Windgenerators an, bis mich irgendwann eine Welle von achtern packt und wir aus dem Ruder laufen. Dabei heult der Windgenerator nochmals durch das Anluven auf und scheint unter Deck leichtes Unbehagen hervorzurufen.

Jürgen jedenfalls verzichtet auf seine bevorstehende Wache und ich gehe auch nicht gern von der Pinne weg. Jörn nutzt die nächste Bö zum Windmessen: Unzweifelhaft 8 Bft. An Backbord eine großartige Kulisse: in 4 bis 5 Meilen Entfernung die schroffe Felsenküste Spaniens und BB voraus ein Kap, das wohl Finisterre sein könnte. Log und GPS signalisieren zeitweise über 9 Meilen, aber dennoch vergeht Stunde um Stunde, in der ich mir die Länge der Reststunden meiner Wache ausrechne.
Jörn und ich bestätigen uns gegenseitig, daß wir hinter Kap Finisterre in Abdeckung kommen müssen und so ein Sturm nicht bleiben könne. Um Mitternacht, zwei Stunden vor dem sonst üblichen Wachwechsel, löst er mich ab. Ich falle in die Koje und muß wohl sofort eingeschlafen sein. Als ich aufwache, schlagen die Segel, der Motor wird angeworfen, Flaute.

Aber als ich um 5 Uhr wieder übernehme, geht es noch mal los. Hinter einem offenen Tal (Ria) scheint der Wind wie durch eine Düse herauszukommen, es müssen wieder 7 Windstärken abgeritten werden, dieses Mal aber höher anliegend, so dass der Windgenerator nur noch in höchsten Tönen dröhnt. Hochrechnungen ergeben eine Ankunft in Bayona schon um 8 Uhr. Aber da spielt der Wind nicht mit, und kurz, nachdem wir den Motor angelassen haben, spielt auch der nicht mehr mit.
Nun bleibt nur noch hoffen auf Fallböen. Je näher wir kommen, desto schlechter unsere Hochrechnung, aber segeln können wir wenigstens noch. Die Ansteuerung ist problemlos, wäre da nicht die absolute Flaute hinter der Mole von Bayona und dann die spanische Vormittagssonne.
Jürgen jedenfalls nimmt es auf sich, mit dem Schlauchbootpaddel uns an einen freien Stegplatz zu paddeln. Anschließend ist er der erste, der vom Baden redet, obwohl auf dem Hafenwasser Ölflecke schwimmen.

Der "Monte Real Club Nautico Bayona" übertrifft die kühnsten Erwartungen. In den Badekatakomben genießen wir die Gastfreundschaft mit genüßlichem Duschen, das Liegegeld ist human, das Restaurant exklusiv für Mitglieder, der Service hervorragend.

Zwei Marineros inspizieren unseren Motor.
Diagnose klar: Luft in der Treibstoffleitung. Nur, auf spanisch läuft die Entlüftung anders: Einer pustet unten ins Rohr, der andere saugt oben. Der obere spuckt in den Hafen, dass die Oberfläche ganz bunt wird und setzt das Rohrstück wieder ans Filter. Der Rest sind die üblichen wundersamen Handgriffe, mal mit, mal ohne Kompression und nach einem längeren Quälen der Batterie läuft der Motor.
So einfach ist das.
Nur: Selber haben wir das noch nie geschafft, und wie die Luft reinkommt, wo die Mannschaft doch so pünktlich Treibstoff nachgetankt hatte, bleibt weiterhin unklar. Aber allein schon die Freude über die bezwungene Biskaya und den wieder laufenden Motor und dann so schön sauber geduscht erzeugt Hochstimmung.

So hoch, daß Jürgen uns zu einem Festessen an Land einlädt, nicht ohne vorher zu erwähnen, daß die Bordküche zwar hervorragend sei, aber außergewöhnliche Stimmung erfordere außergewöhnliche Maßnahmen. Danke vielmals, überdies lernen wir dabei auch noch einen hervorragenden spanischen Wein von der Nordwestregion kennen. Dass anschließend die Deutschen auch noch den Europacup im Fußball erringen, macht Jörn dann vollends zufrieden. Ist eine Überführung eigentlich anstrengend ? Jetzt ist keine Rede davon.

© Manfred Sürig, 2010
Du bist hier : Startseite Europa Spanien Flaute auf der Biskaya- mit dickem Ende
Die Reise
 
Worum geht's?:
Der Eigner Horst möchte einhand über den Atlantik. Aber dazu muß das Boot erst in die richtige Startposition gebracht werden, nämlich nach Gran Canaria, wo er im Januar 1997 starten will. Für uns eine Herausforderung, den ersten Abschnitt mit dem KNURRHAHN, einer ETAP 28, soweit zu segeln, wie wir nach Süden kommen können.
Details:
Aufbruch: 18.06.1996
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 14.07.1996
Reiseziele: Niederlande
Frankreich
Spanien
Portugal
Marokko
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.