Zanskar 2005

Reisezeit: Juli / August 2005  |  von Annette W.

Im Land der Klöster und Gelbmützen

Durch die wilden Schluchten des Zanskar

Ich schrecke im Bett in Srinagar, Kaschmir, hoch. Es ist 5.00 Uhr morgens. Was war heute? Ach ja, richtig, es geht weiter Richtung Zanskar, in den Himalaya. Mein Entdeckergeist meldet sich und ich bin hellwach. Habe mich entschlossen, alleine weiterzureisen, ist für mich immer noch die beste Art der "Entdeckertour" anderer Länder.

Ich lasse mich zuerst mit meiner kleinen "hauseigenen Gondel", einer Shikara, ans Ufer und dann mit Jeep zum Busbahnhof bringen.
Die vor einigen Jahrhunderten 14-tägige Karawanenreise nach Zanskar ist inzwischen eine schon fast bequeme Reise von 48 Stunden geworden, unterbrochen von einer Übernachtung im moslemischen Kargil, 2.650 m hoch.
An die Stelle der Esel und Packpferde sind öffentliche Busse, buntbemalte Lastautos und grün gestrichene Fahrzeuge der Armee getreten. Unser Bus schlängelt sich über eine mehr oder weniger asphaltierte Straße, die sich über hohe Pässe, enge Schluchten und trockene Steinebenen unbeschreiblichen Ausmaßes schlängelt. Über teilweise noch alte Holzbrücken, dem Flusslauf folgend, führt die Straße durch enge Täler. Kleine Dörfer mit sattgrünen Wiesen, Pfirsich-, Birn- und Apfelbäumen säumen den Weg. Schneebedeckte Berge, Nadelwälder und Weideland oberhalb der Baumgrenze werden sichtbar. Der Militärposten gibt die Passstraße für den Zivilverkehr frei, es beginnt der steile, kurvenreiche Anstieg auf einer engen Schotterstraße, die bereits von manchem Reisenden vergangener Zeiten gefürchtet wurde. Der Dras-Fluss wird zum ständigen Begleiter. Wilder Rhabarber wächst im ganzen Tal. Ponies, Kühe, Schafe und Ziegen finden ausgezeichnetes Weideland. Kleine Ortschaften sowie das Militärlager sind die einzige Unterbrechung bis sich 2 Flüsse vereinen und die Straße nunmehr am reißenden Suru-Fluss entlanggeht.

Wir sind in Kargil, endlich. Mir ist dieser Ort unheimlich. Ein knappes Viertel dieses Distrikts wurde von Pakistan besetzt, dessen Grenze nur 30 km entfernt ist. In den vergangenen Jahren wurde dieser Ort oftmals beschossen und es schleicht sich ein beklemmendes Gefühl bei mir ein. Abends wird mir nach plötzlichem Stromausfall im Fotoladen zugeflüstert, mich doch schnell in mein Hotel zu verziehen. Dies trägt natürlich nicht gerade zu einem ruhigen Schlaf bei... Um 3.00 Uhr morgens schleiche ich mich mit Sack und Pack zum stockdunklen Busplatz. Mir ist schlecht - wie immer bei solch nächtlichen Busfahrten, mich nervt einfach alles und jeder. Irgendwie steige ich dann doch in den richtigen Bus nach Padum, "Hauptstadt" der südlich des Indus gelegenen Provinz Zanskar ein.

Dann beginnt sie: die wundervollste und interessanteste, aber auch anstrengendste und schlimmste 16-stündige, 240 km lange Busfahrt meines Lebens:

Im Sommer 1978 legte das erste motorisierte Fahrzeug diesen ehemals zehntägigen Fußmarsch unzähliger Karawanenzüge auf der neuen, bislang unasphaltierten Straße zurück. Seit diesem Bau bricht in die Kultur des Mangels die Barbarei des Überflusses ein. Der Alltag wird beeinflusst von Handel, Tourismus und indischen Bürokraten, die auch diese Täler modernisieren möchten. Die Technik beeinflusst nunmehr Leben und Mentalität der Bevölkerung, die Jahrhunderte lang den eigenen Kräften und Tieren als Mittel der Fortbewegung vertraute. Infolge der Motorisierung wird sich der bisherige Rhythmus um ein Vielfaches beschleunigen und die jahrhundertealte tibetische Kultur verändern. Zweifellos wird die neue Straße die Zanskaris dem erwünschten Fortschritt nach westlichem Muster näher bringen, doch wie viel Nutzen das Land daraus zieht, bleibt offen....Es ist ihnen zu wünschen, dass sie keinen Schaden an ihrer Seele nehmen. (Näheres dazu in meinem Bericht über Ladakh)

Es fängt an mit immer wiederkommenden indischen Kontrollpunkten: kleine Zeltstädte mit "Militärhonorationen", in denen ich mich als Ausländer melden und in ein Buch eintragen muss. Dieses soll sich nun die nächsten Hunderte von Kilometern unaufhörlich wiederholen.

Eigentlich ist die "Straße" nur ein halbtrockener Flusslauf mit riesigen Gesteinsbrocken darin, an einigen Stellen knöcheltiefem Wasser und vielen anderen Gemeinheiten. Aber es beginnt auch ein Märchen. Ich erreiche nämlich das Auenland der Hobbits. Ja, ihr habt richtig gehört. Doch der Reihe nach:

Der islamische Einfluss der Srinagar/Kargil-Gegend nimmt allmählich ab.
Nach und nach tauchen auf der linken Straßenseite die ersten Steinskulpturen buddhistischer Herkunft auf. Die Inschrift, aus der Zeit zwischen 700 und 1200 n. Chr. stammend, ist ein Beweis für die einst starke Verbreitung der buddhistischen Lehre in diesem gesamten Talabschnitt.

Unsere "Straße" durchquert eine lange enge Schlucht, die von hohen Felswänden aus Granit- und Vulkansgestein umgeben ist. Jetzt im Sommer entwickelt sich in dieser kargen Landschaft eine ungeahnte Farbenpracht, wenn rosa und gelbe Rosenbüsche den Wegrand säumen. Ich sehe Nomadenstämme, die ihre Zelte auf einem Rundbau übereinander gelegter Steine befestigt haben. Man sieht überall Chörten (tibetisches Wort für Stupa), Sakralbauwerke, deren Architektur eine komplizierte Symbolik beinhalten. Sie sind Gedenkstätten für bedeutende Leute wie Lamas, Sektengründer, Regenten, Heilige und andere. Lange Gebetsmauern mit den mystischen, aus Stein gehauenen Formeln "Om mani padme hum" (gesegnet sei das Juwel im Herzen des Lotus) säumen den Weg. Gebetsfahnen wehen im Winde.

Ich denke an Hesse's Siddharta und an seine Lehre. Sie ist keine Religion, sondern eher eine Philosophie. In der Lehre kommen die Vergänglichkeit der Welt und das Leiden in ihr besonders stark zum Ausdruck, aber auch das leuchtende Ziel, das Heil zu erlangen, das über allem stehende Nirwana. Um dieses Ziel zu erreichen, spricht Buddha (also Siddharta) der Erleuchtete von den vier edlen Wahrheiten über das Leiden, die Ursache des Leidens, die Auflösung des Leidens und den achtfachen Pfad, der zur Aufhebung des Leidens führt. Dieser tugendhafte Pfad ist gekennzeichnet durch rechtes Leben; rechtes Handeln, rechtes Verstehen, rechtes Denken, rechtes Sprechen, rechte Bemühungen, rechte Gesinnung und rechte Meditation. Siddharta hat den rechten Weg nicht nur gefunden und gepredigt, sondern er hat ihn auch vorbildlich vorgelebt.

Schafe und Ziegen grasen überall - und natürlich Yaks. Es ist das wichtigste Tier, das zum Überleben der Bewohner entscheidend beiträgt. Es verträgt nur das Klima über 2.500 m auf den Hochweiden. Es dient nicht nur als Reittier und Transporteur von bis zu zwei Zentner schweren Lasten, sondern auch als Lieferant von Milch, Butter, Käse, Haaren, Fleisch und Leder. Getrockneter Yak-, Kuh und Dzo-Dung (Kreuzung zwischen Yak und Rind) ist oft das einzige Brennmaterial in den baumlosen Gebieten und auf den nährstoffarmen Böden. Kleine Wasserläufe kommen mir entgegen und ab und an liegt ein zerstörter Lastwagen im Abgrund.
Ich finde kaum Worte für diese grandiose Landschaft (und das will schon was heißen bei mir), sie ist atemberaubend, majestätisch. Die Straße windet sich höher und höher, immer an dem rauschenden Fluss, dem Zanskar, entlang. Die Luft ist klar und die Aussicht auf die umliegenden 7000er Berge ist grandios. Ein Glücksgefühl überkommt mich und ich werde ehrfürchtig in Anbetracht dieser Landschaft.

© Annette W., 2006
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Die Reise
 
Details:
Aufbruch: Juli 2005
Dauer: circa 5 Wochen
Heimkehr: August 2005
Reiseziele: Indien
Der Autor
 
Annette W. berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.
Reiseberichte von Annette sind von der umdiewelt-Redaktion als besonders lesenswert ausgezeichnet worden!
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