Kamerun - Afrique en minature

Reisezeit: August 2003 - August 2004  |  von Manfred Werdermann

La joie de lire - Die Freude am Lesen

Im Fußraum des Beifahrers liegen zwei Hühner mit zusammengebundenen Beinen. Ziemlich verängstigt gackern sie kurz auf, wenn ich, was auf dieser Strecke häufiger vorkommt, einem größeren Schlagloch nicht ausweichen kann. Zwar versuche ich mit dem Auto eine Ideallinie zu finden, ab einer bestimmten Schlaglochdichte ist ein Ausweichen freilich nicht immer möglich.

In Soest zahlen wir, um durchgeschüttelt zu werden, Eintritt bei den Fahrgeschäften auf der Allerheiligenkirmes. Hier muss für die Benutzung der Straße eine solche Gebühr bezahlt werden. Fairerweise muss ich hinzufügen, dass nicht alle Streckenabschnitte in Nordkamerun so sind wie hier. Zum Beispiel ist die etwa dreihundert Kilometer lange Straße nach Ngaoundéré fast durchgehend in gutem Zustand. Den wenigen Schlaglöchern können die Fahrer dort sehr gut ausweichen. Nur ein paar Kilometer erinnern einen an die achtzig Kilometer Schüttelstrecke zwischen Garoua und der Kreuzung nach Kaélé, auf der wir uns gerade befinden.

In Kaélé, knapp zweihundert Kilometer in nordöstlicher Richtung von Garoua gelegen, haben wir die Dorfbewohner für die Alphabetisierungskurse sensibilisiert. Dies ist eine sehr wichtige Aufgabe bei der Unterstützung der Bevölkerung im Grand Nord. Obwohl Französisch offizielle Landessprache ist und es viele Schulen gibt, können etliche Bewohner dieser Region weder Lesen noch Schreiben. Gerade auf dem Land ist der Weg zur nächstgelegenen Schule oft sehr weit. Und die finanziellen Mittel zur Anschaffung der notwendigen Unterrichtsmaterialien beziehungsweise zur Bezahlung des Schulgeldes, wenn es sich um private oder kirchliche Schulen handelt, können viele Familien nicht aufbringen.

Teilnehmerinnen eines Alphabetisierungskurses in Kaélé, Nordkamerun

Teilnehmerinnen eines Alphabetisierungskurses in Kaélé, Nordkamerun

Zwei Rundhütten und ein Haus, ein Brunnen, eine gefüllte Kalebasse, eine Feuerstelle und die dazugehörigen Bewohner, eine - für kamerunische Verhältnisse - kleine Familie aus Vater, Mutter und zwei Kindern sind auf dieser Zeichnung zu sehen. Mit diesem Bild beginnt "La joie de lire" (Die Freude am Lesen), das erste Heftchen, mit dem die Noch-Analphabeten beginnen, Vokale zu benennen, Silben, Worte und schließlich Sätze zu formen und zu schreiben. Und je weiter sie sich auf diesem wichtigen Weg befinden, desto umfangreicher und interessanter werden die kleinen Geschichten. Handeln die ersten beiden Alphabetisierungskurse vorwiegend vom dörflichen Leben, dem Alltag der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, weitet sich nun der Horizont mit einem Stadtbesuch, der den Gang zum Arzt, zum Postamt oder zur Behörde einschließt. Ganz nebenbei werden nützliche Informationen zu Personalausweis, freien Wahlen, Heirat, Geld, Geburtsurkunden und ähnlichem vermittelt. Rollenspiele und Rechenübungen runden die Alphabetisierungskurse ab.

Der eigentliche Kurs wird von einem "Moniteur" aus dem jeweiligen Dorf durchgeführt. Dieser muss von den potenziellen Teilnehmerinnen und Teilnehmern gefunden und benannt werden, damit er von allen akzeptiert wird. In einem zweiten Schritt werden diese Alphabetisierungshelfer, die nur eine kleine Aufwandsentschädigung erhalten, auf ihre Arbeit im Dorf vorbereitet. Diese Vorbereitung erfolgt zentral in Garoua. Es werden die Arbeitsmaterialien und die Unterrichtsmethoden erklärt, außerdem wird darauf hingewiesen, wie wichtig Disziplin und Pünktlichkeit der Teilnehmer - und der Alphabetisierungshelfer - sind.

Dort in Kaélé konnten wir miterleben, mit welch großer Begeisterung einige Gruppen dieses Angebot der Alphabetisierungskurse annehmen. Eine Gruppe hat ein speziell einstudiertes "Alphabetisierungslied" mit Singen, Tanzen, Klatschen und rhythmischem Pfeifen vorgetragen. Passend dazu trugen sie ein T-Shirt, das mit der französischen Aufschrift "Ich bin alphabetisiert" versehen war. Als Geschenk überreichten uns die Bewohner schließlich die beiden lebenden Hühner.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Während eines Sabbatjahres lebte ich zwölf Monate lang in Kamerun, das sich selbst als "Afrique en miniature" bezeichnet. Der Aufenthalt stand im Rahmen einer Kirchenkreispartnerschaft, die einen sehr intensiven Kontakt mit den Bewohnern Kameruns ermöglichte. Ich tauchte in eine "andere Welt" ein und lernte so Land und Leute kennen und schätzen.
Details:
Aufbruch: August 2003
Dauer: 12 Monate
Heimkehr: August 2004
Reiseziele: Kamerun
Der Autor
 
Manfred Werdermann berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.
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