Argentinien/Súdamerika
3-monatiger Aufenthalt in Buenos Aires
Buenos Aires
Hi,
ich habe gerade diese Seite entdeckt und mir gedacht, erzähl der Welt doch mal von Deinen Erfahrungen.
Ich bin für 3 Monate in Buenos Aires, mache hier ein Praktikum. Erzählen will ich aber nicht von der Arbeit, sondern Bs As.
Ich bin Anfang September aus Montevideo mit dem Bus gekommen, das ist billiger als mit dem Boot. Und da die Busse hier sehr komfortabel sind und die Reise über Nacht ging, man also die ganze Zeit schlafen konnte, echt empfehlenswert.
Als ich ankam, habe ich erstmal aus Respekt vor den ach so bösen Taxifahrern hier, die laut Erzählungen alle Schwerstverbrecher sind und jeden Touristen ausrauben, eines der "teueren" Remis-Taxen genommen. Die bezahlt man vor der Reise und sind als sicher bekannt. Teuerer bedeutet, für eine 15-min Fahrt zahlt man statt 2 Euro 4 Euro.
Diese Vorsicht vor Verbrechen hat sich dann so ca. 2-3 Wochen gehalten, irgendwann habe ich dann gemerkt, alles übertrieben. Mittlerweile fühle ich mich hier so sicher wie in Deutschland, Taxen winken wir auch nachts von der Straße aus, die Digi-Cam wird auch nachts mitgenommen. Interessant ist, dass jeder Ausländer hier sagt, Bs As sei supersicher, während jeder Porteño (so heißen die Leute von hier) sich beklagt und meint, man müsse unheimlich aufpassen. Aber das liegt sicher auch an der Grundeinstellung der Porteños, gerne über das eigene Land schlecht zu reden.
Bs As ist mit Sicherheit eine der interessantesten Städte überhaupt. Zum einen hat das Stadtbild wirklich viel zu bieten, mehr als nur breite und lange Straßen, für die Bs As bekannt ist (bei der Länge aber nicht durch die Hausnummern täuschen lassen, jeder Block beginnt wieder bei der nächsten Hunderterziffer, also z.B. 341-400). So sind der Plaza de Mayo mit dem Casa Roja, dem Gegenstück zum Weißen Haus oder der Kongress echte Hingucker. Zudem gibt es viele spektakuläre Gebäude zwischendrin. Daneben findet man hier aber auch extrem schöne Parks, vor allem in Palermo, dem französichen Viertel hier. Ausserdem ist natürlich der Friedhof in Recoleta zu nennen, auf dem die Reichen sowie Evita begraben sind in unglaublichen Gräbern.
Das Stadtbild prägen zudem die -wirklich unzähligen- Cafes, Bars und kleinen Restaurants. Die finden sich an jeder Ecke sowieso, aber auch zwischen den Ecken... Hier kann man für sehr wenig Geld einfach einen Kaffee trinken oder auch essen. Klassische Mahlzeiten sind hier mittags die Milanesas (Schnitzel), Hamburger/Sandwiches und Pizzen mit sehr viel Käse drauf. Dazu genießt man am besten einen frisch gepressetn O-Saft. Das berühmte Steak wird dann eher abends in einem der kleinen Restaurants gegessen. Beim Fleisch gilt: es ist in der Tat unheimlich gut, nur sollte man nicht unbedingt das billigste suchen. So ab 3,5 EUR kann man aber schon ein tolles Steak bekommen.
Prägend ist natürlich auch immer der Straßenverkehr, schließlich ist man von dem immer umgeben. Dass ausserhalb Deutschlands rote Ampeln für Fussgänger nicht viel bedeuten, ist ja bekannt. Neu ist in Bs As aber, dass es oft ungefährlicher ist, bei rot rüberzugehen. Bei grün können einen schon mal leicht die abbiegenden Autos umfahren, hier hat nämlich im Zweifel immer das Auto Vorfahrt. Ansonsten wird hier nicht wahnsinnig viel Wert auf Vor- und Rücksicht im Straßenverkehr gelegt, es ist aber nicht so schlimm wie in anderen südamerikanischen Ländern, wie man mir berichtete.
Vielleicht am interessantesten ist immer der Bericht über die Leute. Mein prägenster Eindruck im Vergleich zu Deutschland: deutlich aufgeschlossener, aber auch unverbindlicher/unzuverlässiger. Einerseits geht es fast gar nicht, hier abends wegzugehen ohne Leute kennenzulernen. Man muss nur kurz alleine rumstehen (und so europäisch aussehen wie ich), schon kommt jemand mit "de donde sos?" (argent. Spanisch für woher kommst Du). Sofort kennt man eine ganze Gruppe von Leuten und hat viel Spaß. Will man dann wie verabredet nochmal sich treffen, klappt das dann aber nicht immer, daher oft alles etwas unverbindlicher. Aufgrund der hohen Zahl an Leuten, die man abends kennenlernt (leider hier sehr viel bei Elektromusik, gerade sehr in Mode), bleiben aber immer noch genügend übrig, mit denen man sich anfreunden kann.
Hierzu sind aber Spanischkenntnisse von Vorteil, da das Englisch hier nicht auf sehr hohem Niveau gesprochen wird. Man kann sich auf Englisch wohl durchschlagen, aber zum Kennenlernen kann das schwierig werden. Auch, da hier engl. Wörter oft spanisch ausgesprochen werden (also z.B. good nicht g-u-d, sondern eben g-o-o-d, bad nicht b-ä-d sondern b-a-d, schlimmer z.B. but nicht b-a-t sondern b-u-t) Da muss ich oft nachfragen, welche Sprache derjenige gerade spricht. Obwohl mein Englisch etwas besser ist als mein Spanisch, verstehe ich Spanisch hier oft besser. Aber auch Spanisch ist hier nicht so leicht, zum einen reden die hier echt undeutlich, zum anderen hat das arg. Spanisch recht fundamentale Eigenheiten, an die man sich gewöhnen muss.
Die Leute hier, wie ich auch in Chile und Uruguay erlebt habe, sind sehr europabezogen. Das bezieht sich zum einen auf unheimliche Kenntnisse über Europa. Ich kann mir kaum vorstellen, dass irgendwo auf der Welt größere Kenntnisse über einen fremden Kontinent herrschen als hier über Europa. Selbst kleine Städte sind bekannt, und in Sachen europäischer Geschichte kann ich hier z.T. noch was lernen von den Leuten.
Zum anderen -das hängt natürlich zusammen- gibt es hier ein unglaubliches Interesse an Europa, ob Kultur, Politik oder Sport. So hört man hier sehr oft: "ich würde gerne in x oder y in Europa leben, weil mich dieses Land und seine Kultur besonders interessieren." Ich will mal einen in Deutschland zwischen den Ländern in Südamerika differenzieren hören. Auf die Frage, lieber Paraguay, Chile oder Peru wird man wohl eher ein "gibt es da einen Unterschied?" hören.
Anderes Beispiel ist Sport: ich habe noch nie soviel europäischen Sport (also Fußball hier) im Fernsehen gesehen. An Champions-League-Tagen immer 2 Spiele live, danach den ganzen Tag (Zeitverschiebung bedenken) noch andere Spiele in voller Länge sowie Sendungen mit Gesprächen und Zusammenfassungen. Am WE dann live aus Spanien, England, Italien und manchmal Deutschland. Zudem auch Uefa-Cup und nationale Pokalwettbewerbe und ganz groß Länderspiele (Euro-Quali). Daneben die Spiele aus Südamerika, so dass durchschnittlich ca. 5 Spiele pro Tag gezeigt werden.
Zu den Verkehrsmitteln: es gibt unzählige Buslinien, etwas schwierig durchzublicken. Es gibt keinen Fahrplan, man stellt sich einfach an die Haltestelle. Tagsüber muss man dann zwischen 0 und 3 Minuten warten, nachts schon mal 20 Min, wenn man Pech hat. Allerdings ist es sehr wahrscheinlich, dass man vorher schon eine andere Buslinie hätte nehmen können, ohne es zu wissen. Den Bus muss man heranwinken, manchmal hält er wegen -wirklicher- Überfüllung nicht. Kosten: 20 Cent, damit kann man ganz Bs As bereisen.
Einmal bin ich mit der U-Bahn zur Rushhour gefahren. Echt nicht empfehlenswert. Die Leute drängen in eine so was von überfüllte Bahn, die völlig veralterte Tür schließt nicht ganz und Du bangst, dass niemand, auch Du nicht, während der Fahrt rausgepresst wird.
Was die Züge hier angeht, sind die recht verschieden, je nach Strecke. Ich habe den billigsten erwischt, kein Kommentar, insbesondere zur Sicherheit der Übergänge der Waggons.
Was hier über Deutschland gedacht wird:
grds wird einem hier sehr vorurteilsfrei begegnet. Fragt man dann aber nach dem Deutschlandbild nach, kommt schon raus, dass wir als sehr unterkühlt gelten. Aber keine Bange, niemand behandelt Dich zunächst auf Grundlage dieses Vorurteils. Auch die Hitler-Zeit ist natürlich eine der ersten Sachen, an die hier gedacht wird, was aus Höflichkeit aber erst auf Nachfrage zugegeben wird.
Was ganz anderes, wieder Fußball, aber ich schreibe halt uber Argentinien: die dt. Nationalmannschaft gilt hier als neben der brasilianischen als beste der Welt, kaum schlagbar, höchstens die eigene könne mit den beiden Teans noch mithalten. Das Bild hat zwar etwas gelitten in der Vergangenheit, aber zumindest bei der WM im eigenen Land hielt man Deutschland hier für den Topfavoriten. Ich habe selten so verdutzte Gesichter erlebt, wie wenn ich erzähle, bei uns sind alle sehr zufrieden mit Platz 3.
Was sonst noch erwähnenswert ist:
Kleidung ist hier sehr billig, wenn man keine europ. oder us-amerik. Marken kauft. Wer einen Anzug braucht: inklusive Ändern überall 70 bis 100 EUR, z.T. billiger, ordentliche Qualität.
Auch anderes ist billig, z.B. CDs, der Normalpreis, 6 EUR.
Auf keinen Fall zu Hause vergessen darf man aber Elektrogeräte wie Fotokamera, die sind hier z.T. teurer,z.T. deutlich.
Der Tango war zwischenzeitlich fast tot, erlebt aber auch unter den Jüngeren eine Wiedergeburt, z.T. als Elektroversion.
Noch 3 Sachen über die Leute:
-leider erscheint die Oberschicht ab und an etwas versnobbt, überheblich. Sie will sich europäisch geben und vom Rest von Südamerika abheben, landet dabei aber im Europa vergangener Jahre.
- es herrscht hier ein unglaubliches, etwas antiquiertes und verkomplizierendes Kavalierstum. Es ist vollkommen undenkbar, dass ein Mann den Lift betritt, bevor er alle Frauen vorgelassen hat. Aber auch unter den Männern wird sich gegenseitig so sehr der Vortritt gelassen, dass manchmal niemand geht. Nichts gegen Höflichkeit und Gentlemen, aber z.T. verkompliziert das alles ein wenig ohne Not. Zudem führt das bei wenigen, aber doch ein paar, Frauen dazu, dass sie etwas fordernd wirken und vom Mann alles erwarten und dabei etwas überheblich selbst nichts zum Gelingen des Augenblicks beitragen. Von so Leuten verabschiedet man sich dann halt schnell, wie gesagt, das nächste Kennenlernen folgt mit Sicherheit bald.
- man gibt sich bei der Begrüßung immer einen Kuss (bei uns doch eher 2) Entscheidender aber: auch bei Fremden, sogar dem Zahnarzt oder z.T. unter Geschäftsleuten, und noch entscheidender: auch unter Männern. (immer auf die Wange natürlich)
Ich hoffe, es findet sich der ein oder andere Leser, vielleicht hat es ja sogar jemanden interessiert, was ich geschrieben habe. Ich freue mich auch über feedback im Gästebuch.
Grüße aus Bs As
Simon
Aufbruch: | August 2006 |
Dauer: | 3 Monate |
Heimkehr: | November 2006 |
Chile
Uruguay