Mit der Skatrunde nach Lemberg und Kiew 2006
Kiew hin und zurück für 10 Euro
Mittwoch, den 13.September 2006
Nun gestaltet sich unsere weitere Terminplanung kompliziert. Denn nach dem Frühstück müssen wir Josef klarmachen, dass wir vielleicht heute abend nicht zurückkommen, weil wir nach Kiev fahren, wenn wir Tickets bekommen, wenn nicht, dann wären wir abends wieder bei ihm. Als wir ihn fragen, was wir denn zu bezahlen hätten, kann er uns keinen Betrag nennen. Als ich ihm 1000 Griwna überreiche, das sind 157 Euro für 3 Nächte mit 4 Mann, leuchten seine Augen. Dass darin ein Investitionsbeitrag für die Herrichtung seines Bades enthalten sein soll, können wir ihm auf deutsch leider nicht erklären, immerhin dürfte er sich bis Weihnachten Zigaretten dafür kaufen können.
Heute soll es aufs Land, in die schöne Umgebung Lembergs gehen. Sergej hat einen Kleinbus besorgt, mit dem wir zunächst noch zu einem Elektronik-Schwarzmarkt fahren, der im dritten Stock eines verwahrlosten Industiegebäudes stattfindet. Hier bekommt man alles, vom ausgeschlachteten Kühlschrank aus dem deutschen Sperrmüll bis zu originalverpackten Handys und Satellitenanlagen zu Preisen, von denen man nur träumen kann. Es herrscht Hochbetrieb und Sergej warnt uns vor Taschendieben im Gedränge. Peter deckt sich mit Batterien für seine Digitalkamera ein. Sie machen wenige Minuten nach dem Einbau schlapp - ein Ablaufdatum steht nicht drauf.......
Unser Fahrer fährt zunächst nach Osten Richtung Ternopil. In Zloczow zeigt uns Sergej das Haus seiner Schwester, die in Georgien als Privatpilotin des Staatspräsidenten tätig ist und die demnächst mit ihrem Mann hierher zurückkehren wird, um in einem sichereren Land ihren Ruhestand zu genießen. Mitten in der Ebene besuchen wir die Festung Zloczow, die in vielen Jahrhunderten gegen die eindringenden Mongolen errichtet wurde. Hier sind die Restaurationsarbeiten schon weit fortgeschritten. Leider sind alle Kommentierungen nur in kyrillischer Schrift, so dass wir nicht viel verstehen. Der Ort muß wohl für die ukrainische Identität eine herausragende Bedeutung haben, nach der Wende haben hier schon Staatempfänge stattgefunden. Dann geht es nach Norden und wir bekommen einen Eindruck von der Weite und der Schönheit der Landschaft, ich denke an die langen Gefällestrecken, die man hier mit dem Fahrrad machen könnte. Am Schloß Podhorce machen wir wieder einen Halt. Einst ein großes Herrenhaus, ist es jetzt dem Verfall preisgegeben, wenn sich nicht noch ein Investor findet. Das Haus steht auf einem Hang, von dem aus man weit nach Norden in eine Ebene blickt. Leider kommen wir durch den Bauzaun nicht durch und müssen uns mit der Hauskapelle zufrieden geben, die als gewaltiger Kuppelbau etwa zweihundert Meter vor der Zugangsallee des Herrenhauses steht. Wenn schon die Kirche des Anwesens so prachtvoll ist, wie prachtvoll muss es da erst im Herrenhaus ausgesehen haben - oder heute noch aussehen ?
Sobald wir auf die Hauptstraße Kiev-Lemberg stoßen, ist uns zu Beginn unseres Rückwegs ein Imbiß mit Grill versprochen. Wir kommen an eine Tankstelle, um die herum sich Imbißbuden angesiedelt haben und wo dralle Bäuerinnen vor ihren rauchenden Holzgrills Schaschlik satt anbieten. Attraktion ist eine kräftige Quelle, an der sich die Brummifahrer kanisterweise das Trinkwasser holen. Wir langen kräftig zu und sind erneut erstaunt über das schmackhafte saftige Fleisch, das wir hier bekommen. Muß doch wohl daran liegen, dass das Vieh hier frei in der Natur herumlaufen kann und nicht mit Hormonen hochgezüchtet wird. Keine der Kneipen und Buden hier hat eine Toilette, wir werden auf schlichte Scheißhäuser hinterm Straßenrand verwiesen, von denen ich nur auf Distanz eine Aufnahme mache. Toni ist dortgewesen und berichtet später davon, es muß sich um ein weiteres Abenteuer gehandelt haben.
In Olesko steht die dritte Attraktion auf dem Programm: Eine Burg aus dem 14.Jahrhundert, deren Schutzanlagen aus Sumpf bestehen, die jetzt zum Teil als Parkanlagen gestaltet sind. Nun nimmt Bertold die Zügel in die Hand. Eine hübsche Ukrainerin in Landestracht bietet eine Kutschfahrt durch den Park an, bei der Berthold neben ihr Platz nehmen darf und die Pferde zügeln darf. Eine echte Führungsaufgabe, die wir ihm überlassen müssen, denn wir brauchen jede freie Hand zum Mückenjagen. Von der Burg selbst hat man wieder einen weiten Blick über die Ländereien, dieses Mal nach Osten.
Die Zeit drängt, denn um 18 Uhr beginnt im Opernhaus in Lemberg unsere Operette. Wir schaffen es noch knapp nach der Ouvertüre, unsere Plätze müssen wir uns selbst im Dunkel suchen. Zigeunerbaron auf ukrainisch, von der Handlung bekommen wir nicht viel mit, aber die Musik kommt uns sehr bekannt vor. Vor allem aber genießen wir in der Pause und am Schluß die pompösen Ball- und Flaniersäle, in deren Mitte die Skulptur einer weltberühmten Lemberger Sopranistin aus dem Ende des 19 Jahrhunderts steht, der Blütezeit des k.u.k Reiches, in der Lemberg die drittgrößte Stadt des Reiches war. Diese Pracht des Opernhauses ist seit 1989 wunderbar restauriert, eine absolute Perle im damals grauen Lemberg. Mindest ebenso sehenswert ist aber auch der Hauptbahnhof, ebenfalls ein Prachtstück der k.u.k. Architektur und ebenso sauber restauriert und piekfein saubergehalten wie kein deutscher Bahnhof. Dorthin zieht es uns nach unserem obligaten Abendessen im Cafe an der Universität. Denn wir wollen noch Karten nach Kiev bekommen. Es klappt eine halbe Stunde vor Abfahrt um 23.30 Uhr, wir bekommen ein Abteil genau über den Achsen des Zugwagens, Bettwäsche wird für ein kleines Entgelt gestellt, und dann können wir versuchen, uns vom Takt der Stoßkanten der Schienen in den Schlaf wiegen zu lassen. Das klappt leider nicht ganz gut, weil der Zug sein Tempo mal verlangsamt, mal wieder beschleunigt, da kommt man aus dem Schlaftakt.
Donnerstag, 14.September 2006
Nach einer Katzenwäsche im Waschabteil des Zuges rollen wir nach ca. 800 Kilometern Fahrt gegen 10 Uhr in den Hauptbahnhof von Kiev ein. Unser Gepäck geben wir in der "Konsignation" ab, dann zeigt uns Sergej den Weg zu einem Imbiß, an dem man sich frisches Fleisch verschiedenster Sorten in einer Glasschale zusammensuchen kann, um es dann an einer großen Bratplatte von Profihand braten zu lassen. Da man pro Schalenfüllung bezahlt, kommt es auf die richtige Stapeltechnik an, um für möglichst wenig Geld sich ein Maximum an Fleisch an Land zu ziehen. Hier zeigt sich Sergejs jahrelange Erfahrung, ich hatte mich mit viel zu viel Salatbeilagen aufgehalten. Wieder erstaunt uns der saftige Geschmack des Fleisches, das für unsere Verhältnisse recht preiswert ist.
Frisch gestärkt treten wir den Spaziergang in die Stadt an. Nur aus Neugierde, die Kiever Metro mal kennenzulernen, wollen wir 2 Stationen mit der U-Bahn bis in die Stadtmitte fahren. Beim Einsteigen in den letzten Wagen kommt es wieder zu Gedränge, dieses Mal ist Peter das Opfer, ihm wird die Geldbörse aus einer Oberschenkeltasche mit Reißverschluß geklaut, er merkt es sofort, aber es ist schon zu spät. Wir steigen bei der nächsten Station sofort aus und Sergej handelt blitzschnell: Er fährt mit Peter zurück zum Hauptbahnhof zur Polizei und dringt darauf, dass man alle Bahnhöfe sofort auf weggeworfene Geldbörsen absucht. Währenddessen bleiben Berthold, Toni und ich zurück und warten. Dabei stelle ich fest, dass auch mir der Reißverschluß meiner Gürteltasche aufgerissen wurde, die Kamera und die Brille liegen offen, aber das Portemonnaie war Gott sei Dank in der Brusttasche um den Hals, ist aber unerklärlicherweise schon in eine höhere Position verrutscht. Als ich die ein- und ausfahrenden U-Bahn-Züge beobachte, kann ich mit ansehen, wie die Taschendieb-Gangs arbeiten. Wieder bildet sich nur vor einem Einstieg eine Menschentraube, nach dem Öffnen der Tür haben die vorderen Männer keine Eile beim Einsteigen, die hinteren drängen nach, in der Mitte irgendwo das Opfer. Im letzten Moment sehe ich noch, wie einer der letzten sich von der Gruppe trennt und eine auf eine Gürteltasche hinweisende Handbewegung macht, einem Kumpan zunickt und dann schnell eine Tür weiter vorn einsteigt, genau, als sich die Türen schließen. Im Zug sehe ich ihn hastig nach hinten gehen, dann verschwindet der Zug im Tunnel. Hätte ich doch sofort ein paar Digitalfotos machen können! Aber wer weiß, wer mir dann die Kamera aus der Hand geschlagen hätte.....
40 Minuten später endet der Spuk wie in Krakau: Portemonnnaie mit Ausweisen und Karten da, Geld weg. Dieses Mal 250 Euro.
Wir sollten lieber das schöne Wetter nutzen und Menschenansammlungen meiden. Das ist in den Straßen Kievs durchaus möglich. Wir bummeln durch breite Straßen, in denen Altbauten aus dem Anfang des 20.Jahrhunderts überwiegen, Glaspaläste sind eher selten, die meisten Häuser sehr fein restauriert und Sergej erzählt uns, dass die Mieten hier sehr hoch seien. Verkehr wie in jeder anderen Hauptstadt, allerdings wirkt alles nicht so hektisch. Am Straßenrand werden Unmengen Bücher angeboten, für die offenbar auch großes Interesse besteht. Sergej trifft einen alten Bekannten, Professor für Geschichte, er bietet auch Bücher an, weil er von seinem Gehalt nicht leben kann. An der Universität vorbei, passieren wir einige Ministerien, um dann auf einer kleinen Anhöhe zum Sophienkloster zu kommen. Eine große gepflegte Anlage, deren Hof und Garten man nur gegen Zahlung eines Eintrittsgeldes betreten darf und mitten drin die Sophienkathedrale, ein monumentaler Bau, der immer wieder zerstört und auf den Ruinen wieder aufgebaut wurde. Ursprünglich sollte es eine Kopie der Hagia Sophia in Istanbul werden. Was wir danach noch sehen werden, erklärt uns Sergej, sei alles erst in neuerer Zeit entstanden oder wiederaufgebaut, aber hier in der Sophienkathedrale kann man an vielen Stellen des Baus im Gebäude selbst ältere Ausgrabungen sehen. Nach einer notwendigen Kaffeepause geht es dann noch etwas höher zum Gebäude des Außenministeriums, das wir alle schon aus Fernsehbildern kennen.
Etwas oberhalb kommt man in einen Park am Steinhang zum Dnjepr. Und hier haben wir nun den Blick weit über das Tal, das die Metropole mittendurch schneidet. Der Dnjepr bildet mehrere Inseln und teilt sich in zahlreiche Arme, deren größter schiffbar ist. Über das Ganze wird eine lange neue Brücke gebaut, die die Satellitenstädte im Osten mit der Weststadt verbinden wird, dieses Panorama halten wir fotografisch fest, den östlichsten Punkt unserer Reise werden wir so in Erinnerung behalten, wir befinden uns hier etwa 1100 km Luftlinie nördlich von Istanbul und 1200 km südlich von St.Petersburg, 600 km südwestlich von Moskau und nur 550 km ostnordöstlich von Lemberg, 450 km nördlich von Odessa. Sergej zeigt uns noch den Platz und das Gebäude, in dem die orangefarbene Revolution 2004 ihren Anfang nahm. Bis jetzt hat man noch keine Gedenktafel hier errichtet. Dann schlendern wir durch die Einkaufsmeile Kievs, in der man alles angeboten bekommt, und es muß auch Leute geben, die sich des Einkaufen hier leisten können.
Unsere Kondition scheint etwas gelitten zu haben, trotz der Sicherheitsbedenken nehmen wir das letzte Stück zurück zum Bahnhof einen Bus und kommen dieses Mal ohne Gedränge heil wieder dorthin zurück. Der Abendimbiß steht schon etwas unter Zeitdruck, und zum Zug, der um 19.15 Uhr startet, hasten wir schon etwas hektisch. Mir bekommt dabei eine Schwelle zur Bahnhofstreppe schlecht, ich stolpere über meinen ohnehin schon oft mißhandelten großen Zeh, das stömende Blut muß der Strumpf erst einmal aufsaugen. Nachdem wir auf dem Bahnsteig fast alle Restbestände an Bier aufgekauft haben, ertönt ein Ständchen auf dem Nachbarbahnsteig durch die Lautsprecher - der Zug nach Moskau startet. Eine Minute später rollen wir, unser 22-Wagen Zug kann nur ganz langsam beschleunigen -da bliebe Zeit für Taschendiebe, noch schnell abzuspringen. Aber wir haben alles heil beisammen und folgen gern Sergejs Empfehlung, erst einmal dem Schlafwagenkellner, der die Bettwäsche austeilt und dem Schaffner eine Flasche Bier zu bringen. Sergej findet auch gleich Kontakt zu einem Tischler, der zu einer Baustelle nach Ivano-Frankivsk unterwegs ist. Als der hört, dass wir Deutsche sind, drängt er zu uns ins Abteil, um uns ein Anliegen vorzutragen, das uns doch erstaunt: Er möchte endlich sich im Namen seiner verstorbenen Großeltern bedanken über die gute Behandlung seiner Familie durch deutsche Offziere im Zweiten Weltkrieg. Sie hätten alle ihre Lebensmittel mit den ukrainischen Familien geteilt, seine Eltern hätten sie noch in guter Erinnerung. Als er Blut aus meinem Strumpf tropfen sieht, besorgt er vom Schlafwagenkellner sofort einen Verbandskasten und bringt zur Desinfektion meiner Wunde ein großes Glas Wodka mit. Desinfizieren soll ich mir die Wunde damit besser selbst, bedeutet er mir, und als ich das mit wenigen Tropfen geschafft habe, empfiehlt er mir zwecks innerer Desinfektion den Rest des Bechers auszutrinken. Ich habe selten einen so guten, milden Wodka getrunken, und dann gleich eine solche Menge! Danach verbindet er meinen Fuß professionell. So gut, dass ich ohne Schmerzen damit bis nach Warschau kommen werde. Um unser Wohl bleibt er anschließend liebevoll besorgt und warnt uns noch, nicht zu vergessen, unser Abteil von innen zu verriegeln, wenn wir schlafen.
Von reichem Landadel einst erbaut, im Kommunismus verfallen, jetzt wird ein Investor gesucht, der das Herrenhaus restauriert und einem Verwendungszweck zuführt, als Tagungsstätte, Hotel oder Sanatorium
Die Zufahrtsallee - 60 Jahre nicht mehr von Pferdekutschen befahren!
Blick in die Kuppel der Kirche des Herrenhauses
Die Festung Zloczow
Frisches saftiges Fleisch nach Wahl wird professionell gebraten! In Kiew eine Überraschung!
Die Sophienkathedrale in Kiew
Blick über den Dnjepr nach Nordosten
Auf dem Platz dort unten nahm die orangefarbene Revolution ihren Anfang
Abschied in Kiew Hauptbahnhof
Aufbruch: | 09.09.2006 |
Dauer: | 9 Tage |
Heimkehr: | 17.09.2006 |
Ukraine