den Altweibersommer im Osten suchen

Reisezeit: September / Oktober 2001  |  von Manfred Sürig

Der schönste Tag des Jahres

Der erste Blick aus dem Fenster morgens zeigt mir Nebel. Aber das ist nur der Dampf, der aus der Thermalquelle steigt und sich flach auf die Wiesen legt, 5 Minuten später geht die Sonne auf und soll nun den ganzen Tag strahlen. Heute liegt die Hohe Tatra vor uns, da haben wir genau das richtige Wetter. Wir fahren nördlich um den Liptauer Stausee nach Liptowsky Hradok, dabei entdecken wir zahlreiche malerische Badestellen; Ferienhäuser und Privatunterkünfte werden hier massenhaft angeboten. In einer Buchhandlung decken wir uns mit Straßen- und Wanderkarten ein, es gibt sogar deutschsprachige Wanderführer hier. Der Krivan, der "heilige Berg der Slowaken", der westlichste Zweitausender der Hohen Tatra, liegt vor uns und über uns, die Tatramagistrale scheint so gebaut zu sein, dass man immer wieder auf den Berg zufährt und ihn immer unter neuen Blickwinkeln sieht, bis hoch über uns das Hotel Patria in Strbske pleso aus dem Wald ragt. Wir erklimmen eine Abzweigung in den höchsten Luftkurort der Slowakei (1300 m ü.M), parken für einen saftigen Tarif und gehen in strahlendem Sonnenschein weiter bergauf. Edzard entdeckt die Talstation eines Sessellifts, der auf irgendeinen Berg hinauffährt und sogar in Betrieb ist. Dann schweben wir weiter hoch bis auf 1830 m ü. M. Je höher wir kommen, desto klarer wird die Luft und die Sicht reicht über das gesamte Liptauer Land bis zu der Niederen Tatra im Süden, der Mala Fatra im Westen und dem Slowakischen Paradies im Südosten.
Von der Bergstation führt ein Pfad durch felsiges Gelände noch weiter hoch, über der Baumgrenze sind wir hier schon, dort oben scheint nur noch Fels und Geröll zu sein. Es ist 12 Uhr mittags, windstill und mindestens 20 Grad warm, gerade richtig, um mit nacktem Oberkörper weiter hinaufzusteigen. Das erfordert aber mehr Kondition als auf der Schneekoppe, denn es geht weitere 500 Höhenmeter nach oben bis auf den Strbske Solisko (2301 m ü.M.) , je höher ich komme, desto jünger sind die Leute, die ich hier noch antreffe, eine junge Engländerin schafft es sogar in holländischen Holzpantinen, zumindest den Aufstieg hat sie geschafft....

Jede Atempause nutze ich zum Knipsen mit der Digitalkamera, Edzard ruht sich inzwischen auf einem waagerechten Felsen aus, den die Sonne für ihn körpergerecht vorgewärmt hat, und hält ein Mittagsschläfchen.
Von oben sieht man in verschiedenen Berghöhen immer wieder kleine Seen, die einmal Gletscherseen gewesen sind. Jede Eiszeit hat mit ihren Gletschern einen neuen Geröllwall aufgeschoben und einen See hinterlassen. Auch Strbske Pleso mit seinem See ist so entstanden, von hier oben kann man die Barre mit dem See mitten drin gut erkennen. Nach Nordosten fällt der Fels fast senkrecht ab, man blickt in Abgründe, in die der Schatten der Felsen fällt. Der Abstieg ist nicht minder anstrengend, zum Balancieren brauche ich beide Hände, die Kamera kann ich dazu nicht in der Hand behalten. Im unteren Drittel treffe ich Edzard gut ausgeruht, wir kehren zur Bergstation zurück und fahren herunter, bevor der große Andrang einsetzt.

In der Nachmittagssonne schieße ich noch ein paar Vorzeigefotos vom goldenen Oktober, bis es Edzard nervt, dann rollen wir 35 km bergab nach Osten auf der Tatramagistrale. Leider reicht die Zeit nicht mehr zum Fotografieren in all den schönen Gebirgsorten.
Das Pieniny, den Durchbruch des Flusses Dunajec durch das nördliche Kalkgebirge, will ich Edzard noch zeigen. Das sind noch mal 40 km über einen Paß, den ich voriges Jahr mit dem Fahrrad gefahren bin. Bei letztem Tageslicht erreichen wir Cerveny Klastor am Westeingang der Schlucht. Das einzige Hotel ist angeblich voll, man will uns wohl nicht haben, eine Pension hat auch kein Zimmer frei, aber eine Frau in der Küche meldet sich, sie hätte gerade noch ein Zimmer für uns frei, für eine Nacht. Wir richten uns ein, genießen ein riesiges Badezimmer mit einer dreieckigen Luxusbadewanne. Nun hätten wir ein Abendessen verdient. Gegenüber des Flusses, auf der polnischen Seite, gibt es Gaststätten genug, aber hier finden wir absolut nichts, auch nicht nach 6 km Fußmarsch am Kloster vorbei. Außer einem Flaschenbier in einer primitiven Kneipe gehen wir leer aus. Als wir in unsere Pension zurückkommen, wird dort gefeiert, Bauarbeiter begießen wohl irgendeinen Baufortschritt mit selbstgemachtem Apfelschnaps, Frau Wirtin ist machtlos gegen soviel Lebensfreude, wir werden zum Schnaps eingeladen, ich revanchiere mich mit einer Dose mitgebrachtem Haake-Beck aus Bremen. Die Wirkung auf meinen leeren Magen ist recht deutlich, es wird höchste Zeit ins Bett, bevor sie uns weiteren Schnaps anbieten. Das Nachtlager ist hart und laut bis Mitternacht. Um 4 Uhr morgens wird es wieder laut, ein Auto wird angelassen (nicht unseres) und dann wird weitergesoffen. Irgendwann zwischen 6 und 7 Uhr gelingt es uns, das Bad zu erobern und uns zu duschen, trotz des lauten Klopfens an der Tür. Um 8 Uhr haben wir schon bezahlt - 5 DM pro Bett - und fahren ohne Frühstück ins Blaue. Es herrscht nässender Nebel und nur mit Mühe kann ich Edzard dazu überreden, doch noch einen Spaziergang in die Schlucht zu machen, vielleicht kann man ja auch auf der polnischen Seite, in Szcawnica, noch ein paar Mineralien bekommen. Ein Gasthaus am unteren Eingang der Schlucht lädt erst einmal zu einem Käsefrühstück mit geräuchertem Liptauer ein, wir bestellen immer wieder Getränke nach, bis wir aufgewärmt sind, dann geht es zu Fuß in die Schlucht. Gelegentlich kommt sogar die Sonne durch, zumindest kann man bis weit nach oben bis zu den Felsspitzen sehen, die die Schlucht überragen.

21 Grad auf 1740 m Meereshöhe, windstill und über 120 km Fernsicht!

21 Grad auf 1740 m Meereshöhe, windstill und über 120 km Fernsicht!

Das kleinste Hochgebirge der Welt: die Hohe Tatra

Das kleinste Hochgebirge der Welt: die Hohe Tatra

Blick über Strbske Pleso nach Südosten

Blick über Strbske Pleso nach Südosten

© Manfred Sürig, 2006
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Statt einem herbstlichen Sturmtief entgegenzusegeln, machen wir zu zweit eine spontane Autofahrt nach Osten, dem Altweibersommer 2001 nachzueilen. Den Kern des spätsommerlichen Hochdruckgebietes vermuten wir in der Hohen Tatra in der Slowakei und erleben traumhafte Tage...
Details:
Aufbruch: 29.09.2001
Dauer: 8 Tage
Heimkehr: 06.10.2001
Reiseziele: Polen
Tschechische Republik
Slowakei
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.