den Altweibersommer im Osten suchen

Reisezeit: September / Oktober 2001  |  von Manfred Sürig

Auch ein Schönwetterhoch altert...

Edzard hält es doch für sehenswert, was in seinen Kommentierungen zu meiner digitalen Fotowut zum Ausdruck kommt: "Sieh Dir das alles ganz genau an, denn hier wirst Du nie wieder herkommen". Der Mineralieneinkauf fällt wegen geschlossener Geschäfte jedoch aus. Müssen wir also doch noch mal wiederkommen ?

Beim Gasthaus zurück, müssen wir uns das erste Mal Gedanken über die Rückfahrt machen. Noch weiter nach Osten, in die Karpaten, würde eine noch längere Autostrecke zurück bedeuten. Also beschließen wir zunächst einmal, Kultur im Zipser Land zu schlürfen und dann nach Süden durchs Slowakische Paradies vielleicht noch in die Weinbaugegend bei Nitra zu fahren. Auf einer Neben-Nebenstraße fahren wir direkt auf Kezmarok zu, eine spätmittelalterliche Stadt mit großen Burganlagen. Dort empfängt uns spätsommerliche Hitze beim Bummel durch die Stadt, das historische Stadtbild ist vollständig erhalten, aber zu restaurieren gibt es noch eine Menge. Auf eine Besichtigung der Burg von innen verzichten wir, die Hitze lähmt das Interesse. Statt dessen streben wir dem Slowakischen Paradies (slovensky raj) zu, einem geschlossenen Waldgebiet mit heiler Natur. Nur eine einzige Autostraße führt hindurch, die nehmen wir. Hier ist es noch einsamer als auf der eigentlich nicht existenten Straße im Oravagebiet, so einsam, dass wir in der Schleife einer Serpentine parken, picknicken und anschließend ein Nickerchen im Schatten halten können, bei dem uns nur ein einziges durchfahrendes Auto stört. Der weitere Aufstieg führt immer wieder durch Wald, bis man wieder auf eine Hauptstraße in Ost-West-Richtung kommt. Wir scheinen hier in einem Wintersportgebiet gelandet zu sein, Einrichtungen dafür sieht man überall. Hier soll es auch die größte Eishöhle Europas geben, die Dobsinska làdova. Wir sind das einzige Auto auf dem Riesenparkplatz davor. Natürlich ist die Höhle geschlossen. Nebensaison. Noch weiter nach Süden über Roznava weiterzufahren, etwa 60 km bis zur ungarischen Grenze ins Aggleteki-Karszt, erscheint Edzard zu maßlos, also fahren wir nach Westen bergab, südlich der Niederen Tatra entlang, auf Heimatkurs, leider genau gegen die Sonne. Die auf der Karte groß eingetragenen Orte sind so klein, dass wir in kürzester Zeit schon wieder durch sie durchgefahren sind. Die Hotels liegen wahrscheinlich in den Seitentälern rechts, unsere Quartiersuche jedenfalls verzögert sich bis zum Einbruch der Dunkelheit, wir landen in Banska Bystrica, der zweitgrößten Stadt der Slowakei. Dort finden wir in der Pension Bella eine brauchbare Übernachtung, und nebenan gibt es eine Pizza mit reichlichem Bierangebot, Edzard neigt mehr zu Wein. Ein letzter Blick aus dem Fenster mit DDR-Einheitsscharnieren zeigt wieder wolkenlosen Himmel, aber Bodennebel. Wenn wir morgen noch Sonne haben wollen, wird es besser sein, in größere Höhen zu fahren und nicht in die Weinbaugebiete in der Ebene. Mit meiner Theorie der föhnigen Aufheiterung auf der Leeseite der Berge nerve ich Edzard noch, weil ich die Windrichtung für morgen nicht bestimmen kann. Und damit auch noch nicht die Route.

Am Freitagmorgen ist es draußen recht herbstlich, aber immer noch warm, die Sonne ist im Dunst verborgen, die Windrichtung war nur im Wetterbericht zu erfahren: Südwest. Um noch eine Wanderung tagsüber machen zu können, suchen wir uns die nördliche Tourvariante durch die Niedere Tatra nach Ruzomberok aus. Dieses mal geht meine Föhnrechnung auf: Kaum sind wir über den Paß, reißen die Wolken auf und wir haben wieder unseren goldenen Oktober. Wir steuern in ein Seitental zu einem Mineralbad Korytnica kupele und finden dort auch wieder einen schönen Wanderweg bergauf in die Niedere Tatra mit gelegentlichen Durchblicken auf steile Anhöhen mit immer anderen Färbungen des Herbstlaubes. Edzard hat heute wohl nicht die richtige Tablettenkombination genommen, er kehrt auf halbem Weg um und geht zurück zum Auto, um darin etwas zu schlafen. Als ich mit reicher Fotoausbeute zurück bin, machen wir noch einen neuen Versuch, einen Abstecher in ein anderes Seitental zu machen, dieses Mal finden wir eine bunte Wiese mit seltenen Blumen, die sogar trocken genug ist, um sich darauf in die Sonne zu legen. Datschen und Ferienhäuschen verstecken sich hinter den Bäumen am Bach, ein richtiges Idyll, und niemand stört uns, obwohl wir vielleicht auf privatem Grund rasten. Bis zur Grenze nach Tschechien sollten wir heute noch kommen, denn unsere Slowakenkronen werden knapp und morgen liegt eine lange Strecke von 550 Kilometern vor uns, also weiter. In Ruzomberok biege ich schnell mal eben auf den Parkplatz eines Supermarktes, um Butter einzukaufen. Heraus kommen wir schwer bepackt mit Bier (Slaty Bazant) und herrlichem slowakischem Wein, als Ersatz für die nicht erreichte Weingegend bei Nitra. Und noch einmal überrascht uns die Schönheit der Autostrecke nach Westen über Martin und Zilina. Der Durchbruch des Vah (Waag) durch die Mala Fatra vor Zilina ist fast so dramatisch wie das Pieniny, nur leider sehr viel Verkehr auf der Straße. Und schon wieder droht die Dunkelheit, aber hinter Zilina schaffen wir noch 42 km und finden auf der Paßhöhe des Javornikigebriges in Korytne ein Hotel Pancava für 900 skr (=41 DM), das trotz nur zwei Sternen keine Wünsche offen läßt. Nach einem eigens für uns zubereiteten Abendessen mit lokalen Spezialitäten zahlen wir die Zeche mit unseren letzten Slowakenkronen, legen noch tschechische dazu und bezahlen das letzte Bier in DM.

Die Nacht wird das erste Mal herbstlich kalt, aber der Blick über die im Nebel liegenden Täler unter uns ist unvergeßlich und wird im Morgengrauen gleich mehrfach fotografiert.

Sonnabend, 6.Oktober 2001. Frühstück gibt es hier nicht, also brechen wir früh auf und starten gleich über die Grenze. Die liegt auf einem weiteren Paß (Bumbalka), den wir erst noch erklimmen müssen in den Beskiden. Hier ist die Wasserscheide zwischen Donauzuflüssen und Oderzuflüssen. Man hat einen schönen Blick auf die Mährischen Beskiden in Tschechien, die fast Riesengebirgshöhe erreichen. Aus der schönen Landschaft sind wir also noch nicht heraus, in Horni Becva kaufen wir uns ein Frühstück, um es wie gewohnt in Grünen zu verzehren. Grünes finden wir auch, aber nur in stark besiedelter Gegend vor einem Dorf, immerhin aber wieder bei schöner Morgensonne. Sicher wäre es hier noch interessant gewesen, nach Norden, nach Frenstrat über die Mährischen Beskiden zu fahren, aber für Nebenstraßen langt nun die Zeit nicht mehr, Edzard will Sonntag abend wieder in Tarmstedt zuhause sein. Nur eine Pause in Königgrätz gönnen wir uns nun noch, zur Mittagszeit reicht es für einen kurzen Stadtrundgang und einen Kaffee. Prag umfahren wir auf gut ausgebauten Autobahnen, gelegentlich haben wir einen schönen Seitenblick auf die Silhouette der Stadt, dann geht es westwärts bis nach Karlsbad. Hier wimmelt es schon von deutschen Touristen, das Parken wird fast unmöglich gemacht und die Stadt ist eine große Baustelle. Kurstimmung kommt nicht auf. Das Zimmer in der Pension soll 84 DM kosten. Also noch weiter bis Eger. Mitten in der Stadt bekommen wir im Hotel Hvezda ein Doppelzimmer ohne Dusche für 61,50 DM und der abendliche Spaziergang durch die City wird noch wie ein Gang durch ein Museum. Wären da nicht überall die Nutten, die uns dreist anquatschen und kaum abzuschütteln sind. In einer Weinstube gönnen wir uns ein letztes Abendessen aus böhmischer Küche. Beim Aufbruch stehen auch an einem benachbarten Tisch drei Damen auf und kaum sind wir draußen, quatschen sie uns an und bedrängeln uns. Wir geben uns als Schwule aus, aber nicht einmal das kann sie beeindrucken. Dann betteln sie und werden agressiv, als ich nichts herausrücken will. Auf einen Hinweis der ältesten verschwinden sie plötzlich auffällig schnell. Im Hotel will Edzard sein Restgeld zählen. Er ist schnell damit fertig, die Weiber haben ihm die Geldscheine aus dem Portemonnaie geklaut, ohne dass ers gemerkt hat. Wir rekonstuieren den Vorgang: die beiden Jungen waren zum Klauen angesetzt, und kaum hatte eine etwas aus den Taschen gefischt, gab sie es der Alten, um das Beweismaterial loszusein, ein eingespieltes Trio, wobei die dritte wohl nur gebraucht wurde, mich abzulenken. Oder sie wollte mit dem Betteln rausbekommen, wo ich mein Bargeld verstaut hatte. Nun ist Edzards Reise um 250 DM teurer geworden, dafür hätte man eine ganze Woche länger in der Slowakei bleiben können.

Blinder Eifer schadet nur. Am nächsten Morgen fahre ich aus Eger im Nebel heraus auf der Suche nach irgendeinem Wegweiser nach Deutschland. Leider gibt es hier drei Übergänge in drei verschiedene Bundesländer: Bayern, Thüringen und Sachsen. Waldsassen/Bay lese ich erst kurz vor dem Grenzübergang, also zurück, fast fahren wieder noch nach Asch, bis wir den Weg durch Franzensbad nach Schönberg finden. Am Grenzübergang ist ein riesiger Asiamarkt, betrieben von der vietnamesischen Mafia. 20 Socken für 20 DM, Schmuggelzigaretten, Schnaps und Bier zu Schleuderpreisen. Aber man kann nicht um einen Pfennig runterhandeln. Meine letzten 330 Kronen will ich in eine Kiste Budweiser umsetzen, die 340 Kronen kosten soll. Schließlich hat der Vietnamese eine Idee: Er tauscht die Plastikbierkiste in einen Pappkarton um, dann darf ich die 24 Halbliterflaschen darin für 330 Kr mitnehmen.
Auch das Vogtland, durch das wir jetzt nach Deutschland hinunterfahren, ist sehr schön, aber selbst am Sonntagvormittag bewegt man sich hier nur in Autoschlangen. Wir nehmen noch eine Abkürzung über die "Deutsche Alleenstraße" zur Autobahn nach Berlin-Leipzig, dann ordnen wir uns in den Verkehr ein und rasen mit. Der Regen nimmt weiter zu, die Rückkehr fällt bei solchem Wetter leichter, aber das Fahren ist keine Freude. Ab Magdeburg wird es trocken, und wir liegen so gut in der Zeit, dass wir bei Braunschweig noch eine Rast einlegen, bevor der Endspurt nach Tarmstedt kommt, wo ich Edzard absetze. Als ich in Neumünster abends mein erstes Bier trinke, liegen genau zweimal 550 km hinter mir, die ersten durch Tschechien, die zweiten durch Deutschland. Kurz wars, aber schön.

Im Südwestren wird es dunstiger. Wie lange wird das schöne Wetter noch halten ?

Im Südwestren wird es dunstiger. Wie lange wird das schöne Wetter noch halten ?

Rast auf privatem Gelände, ein ganzes Seitental führt nur zu privaten Datschas !

Rast auf privatem Gelände, ein ganzes Seitental führt nur zu privaten Datschas !

Die Hauptstraße in Kezmarok. Die Zips war früher eine deutsche Sprachinsel mit Leutschau, Kezmarok und Spiska Nova Ves.

Die Hauptstraße in Kezmarok. Die Zips war früher eine deutsche Sprachinsel mit Leutschau, Kezmarok und Spiska Nova Ves.

Bei Sonnenaufgang am letzten Morgen in der Slowakei

Bei Sonnenaufgang am letzten Morgen in der Slowakei

Da fällt der Abschied schwer.....

Da fällt der Abschied schwer.....

© Manfred Sürig, 2006
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Statt einem herbstlichen Sturmtief entgegenzusegeln, machen wir zu zweit eine spontane Autofahrt nach Osten, dem Altweibersommer 2001 nachzueilen. Den Kern des spätsommerlichen Hochdruckgebietes vermuten wir in der Hohen Tatra in der Slowakei und erleben traumhafte Tage...
Details:
Aufbruch: 29.09.2001
Dauer: 8 Tage
Heimkehr: 06.10.2001
Reiseziele: Polen
Tschechische Republik
Slowakei
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.