Marokko - ein Land zwischen Moderne und Tradition
Durch den Mittleren und Hohen Atlas
Als wir morgens bei schlechtem Wetter Fes Richtung Süden verlassen, bietet sich uns vor der Stadtmauer ein unvergessliches Bild: auf einer Wiese stehen mindestens vierzig Störche einfüßig im Regen.
Die gut beschilderte Ausfallstraße führt vorbei an den großen Trabantenstädten, am Sportstadion und am Internationalen Campingplatz.
Wir erreichen Sefrou, wo sich um die hübsche Medina eine recht moderne Stadt gebildet hat. Es ist die Stadt der Kirschen und jetzt im Mai blühen die vielen Bäume rosarot.
Vorbei am See Dayet Afourgah fahren wir Richtung Ifrane. Wir kommen in dieser bergigen Felslandschaft durch wunderbare Zedernwälder, die sich mit Eichenwäldern abwechseln. Im sehr wohlhabenden Kurort Ifrane, der in 1650 m Höhe liegt, sieht es wie im Harz aus: gepflegte Häuser mit roten Giebeldächern, allerdings hat es im Harz keine königliche Sommerresidenz. Auf der Weiterfahrt fahren wir vorbei an großen Schafherden, die von wunderschönen, hell gefleckten Schäferhunden bewacht werden.
Bei Azrou: Bergpaviane
Vor dem Städtchen Azrou haben Händler am Straßenrand kleine Verkaufsbuden aufgebaut, in denen sie Mineralien und Versteinerungen anbieten. Die Käufer werden mit Bergpavianen angelockt, die hier in den Zedernwäldern zuhause sind und von denen wir später auch noch wild lebenden begegnen. Azrou selbst ist ein hübsches Städtchen mit Hotels, Restaurants, einem Souk und dem pittoresken Felsen, der dem Ort seinen Namen gab. Nur sieben Kilometer außerhalb des Ortes geht es zum Circuit Touristique des Cedres ab.
Bei Azrou: Zedernwälder
Timadhite: Holztransport
Weiter führt uns der Weg in den netten Ort Timahdite mit seinen Restaurants und Cafés. Doch wir machen heute Mittag Picknick - bei frösteligen 9° Celsius. In 2000 m Höhe beim Kratersee Aguelmame des Sidi Ali wird es noch frischer und windiger. An der Straße treffen wir auf eine Schulklasse, die mit Hämmerchen in den Bergen unterwegs ist: hier ist Fossilienland. Vor Zeida durchfährt man eine bizarre Felslandschaft. Hier findet bereits der Übergang von den grünen Hochebenen des Mittleren Atlas in den karstig-trockenen Hohen Atlas statt. Zeida selbst ist ein sehr geschäftiges Bergbaustädtchen an einem Straßenkreuzungspunkt. Die in den Restaurants am Spieß gebratenen Lämmer duften lecker. Leider sind die Äpfel, die wir an einem Stand kaufen, recht überteuert.
Kratersee Aguelmame des Sidi Ali
Weiter geht es nach Midelt, das mit einigen Hotels aufwartet, dann erreichen wir den Pass Col du Talghamt mit 1907 m Höhe, dem eine karge Hochebene folgt.
Nach Hammat Moulay Ali Cherif beginnt der von den Franzosen erbaute Tunnel der Legionäre und die Straße führt entlang des Ouet Ziz durch die Ziz Schlucht mit wunderbaren Palmenoasen und steil aufsteigenden Felswänden. Es regnet etwas. Dann erreichen wir die Auberge Kasbah. Es ist ein einfaches, aus den landesüblichen Materialien Lehm und Stroh erbautes Hotel, aber mit modernem Bad und einem hübschen, als Garten gestalteten Innenhof mit Springbrunnen. Der junge Mann, der Hotel leitet, ist überaus freundlich und zuvorkommend. Neben dem Gebäude wird gerade von schwarzen Arbeitern aus dem Süden ein Swimmingpool erbaut. Es gibt von Nord nach Süd immer noch Ärmere, die sich anbieten, für immer noch geringeren Lohn zu arbeiten. Und Mindestlöhne lassen sich anscheinend ja nicht einmal in Deutschland durchsetzen...
Oued Ziz
Bei einem kleinen Spaziergang am Fluss ertappe ich mich dabei, mich über eine Minimüllkippe mit Plastikabfall aufzuregen und das hier fehlende Umweltbewusstsein anzuprangern. Dabei habe ich gestern noch in den Nachrichten gehört, es bleiben nur noch acht Jahre, um die Erde vor dem totalen Klimakollaps - ausgelöst durch die ach so sauberen, brav Müll trennenden Industrieländer - zu retten. Also pack ich den schulmeisterlichen Zeigefinger gleich wieder ein und lass das lächerliche bisschen Plastikmüll einfach Plastikmüll sein.
Oued Ziz: Im Hotel Kasbah
Wir sind die einzigen Gäste im Hotel; die Jungs - Frauen bekommt man im Hotelgewerbe kaum zu sehen - kochen uns eine Tajine mit Huhn und Gemüse, dann spielen sie auf ihren Instrumenten - Geige und Trommel - etwas vor. Ein schöner Abend.
Am nächsten Morgen stellt uns der nette junge Mann vom Hotel beim reichhaltigen Frühstück Hamad Ibrahim vor, einen jungen Berber-Musiker. Wir verstehen uns auf Anhieb und bekommen umgehend ein richtiges Konzert geboten. Hamad singt und begleitet sich selbst auf der Gitarre: Afrique-Berber-Sound. Er imitiert auch gekonnt Joe Cocker und Bob Marley und freut sich riesig, als wir die Songs sofort erkennen. Hamad war schon in Dubai und in Spanien auf Musikfestivals zu Gast. Seine Stimme ist phänomenal und auch der Rhythmus sitzt. Wir sind begeistert und kaufen ihm eine CD ab. Dafür bekommen wir auch noch ein Trommel-Solo geboten. Dieser junge Musiker, den wir hier mitten im Hohen Atlas treffen, ist ebenso begabt wie sympathisch. Die CD von Hamad Ibrahim und seiner Group El Meskaoui wird unser musikalischer Begleiter auf der restlichen Reise.
Der Musiker Hamad Ibrahim
Unsere Fahrt führt weiter entlang des Oued Ziz durch Oasen und vorbei an malerischen, aus Lehmziegeln erbauten Berberdörfern. Die Landschaft ist großartig. Plötzlich taucht vor uns eine gigantische Wasserfläche auf: der Hassan-Abdakkil-Stausee.
Dann erreichen wir die hübsche, rosa Stadt Er Rachidia mit vielen Hotels und Restaurants. Hier decken wir uns mit Lebensmitteln ein und besorgen noch einen Wasserkessel. Wir verlassen die Stadt vorbei an dem großen moslemischen Friedhof und fahren zur Source bleu von Meski. Die Quellen sind in Becken gefasst und Kinder genießen hier ein großes Badevergnügen. In den Souvenirläden tauschen wir unsere Hemden und Pullis gegen einen Teppich. So geht das also hier: zuerst ein Pfefferminztee, dann ein unverbindliches Schwätzchen, dann wird ein Tausch angeboten und plötzlich hat man einen Teppich gekauft, den man eigentlich gar nicht wollte. Aber egal: der Teppich ist hübsch, und außerdem regnet es schon wieder.
Source bleu von Meski
Wir müssen zurück nach Er Rachidia und von dort geht es weiter in die große Oase Goulmima. Den großen Markt Ensemble Artisand können wir aus Geldmangel leider nicht besuchen, denn schon wieder funktionieren unsere Kreditkarten nicht.
Er Rachidia Metzgerei
Von hier aus fahren wir gegen Norden Richtung Amellago durch wunderschöne Oasenlandschaften mit Dörfern entlang des Flusses bis Tadirhoust und weiter nach Tahemdount. Am Ufer blühen im herrlichsten Rosa unzählige Oleanderbüsche, in den Furten baden Kinder. Als wir zur Schlucht im Oued Gheris kommen, stellt sich heraus, dass die Straße noch nicht ganz fertig gestellt ist und provisorisch flussaufwärts im Flussbett verläuft. Mit unserem Peugeot ist es machbar, für einen normalen Pkw dürfte es schwierig werden. Zwischen steilen Felswänden ergeben sich Ausblicke in phantastische Landschaften. Dort, wo sich die Möglichkeit bietet, wird auf kleinsten Flächen Weizen angebaut. Die Menschen sind hier überall im Land so fleißig und müssen so hart arbeiten für ihr bisschen Brot, egal ob in den Medinas der großen Städte als Handwerker oder hier auf dem Land als Bauern.
Oued Ziz
Nachdem wir den Ort Amelago durchfahren haben, kommen wir auf eine gute Teerstraße, der wir über Imilchil (von hier geht es wieder Richtung Süden), Agoudal, Ait-Hani bis nach Ksar Ikdmane folgen. Hier hat jeder Ort auch eine Kasbah, die zum Teil zerfallen sind, zum Teil noch bewohnt werden. Die Landschaften sind traumhaft schön. Zwischen mächtigen Schluchten breiten sich Oasen wie grüne Teppiche über das Land aus. Wir sind von all diesen Anblicken so überwältigt, dass wir die Schönheiten gar nicht mehr richtig aufnehmen können.
Bei Ifri
Kurz vor Tamtattouche übernachten wir in der einfachen Auberge Panorama. Wir wollten eigentlich zelten, doch bei minus 3° Celsius haben wir uns das anders überlegt. Das Hotel trägt seinen Namen zu recht: der Panoramablick von hier ist wirklich phänomenal. Papa Hadu und sein dreizehnjähriger Sohn Hamid bewirtschaften das Hotel. Heute überlassen sie allerdings mir die Küche und ich koche Pasta für alle. Hamid übernimmt anschließend den Abwasch. Außerdem gibt es hier zwei sehr hübsche Hunde, die auch auf Pasta stehen. Sie wirken wie alle fast Hunde, auf die wir in Marokko getroffen sind, gesund und selbstbewusst.
Hadu und Hamid
Abends sitzen wir vier bei Pfefferminztee um eine Gaslampe und Hadu zeigt uns Fotos von seiner Familie. Er erzählt, dass es im Winter so viel Schnee gehabt hätte, dass das Dorf acht Tage von der Außenwelt abgeschnitten war. Durch das Transistorradio erfahren wir, dass in Frankreich Sarkozy die Präsidentschaftswahlen gewonnen hat. Wir nehmen unsere warmen Schlafsäcke mit in die Betten und schlafen so gut wie schon lange nicht mehr. Das muss an der traditionellen Bauweise liegen, in der hier die Gebäude errichtet sind. Der Lehm-Stroh-Verputz hält wunderbar die Wärme und gibt ein überaus angenehmes Raumklima, bei Hitze und Kälte. Da kann kein Beton-Mörtel-Gemisch mithalten.
Blick in den Hohen Atlas von der Auberge Bellevue aus
Tamatattouate ist sehr touristisch und bietet den Besuchern der Todra-Schlucht Campesides und Hotels aller Kategorien. Die Straße führt weiter entlang des Ouets durch die malerischen Felslandschaften. Zum Teil ist die Fahrbahn weg gebrochen, dann wird die Straße ganz zur Piste. Es muss hier im Frühjahr sehr starke Regenfälle gegeben haben. Jetzt am Morgen ist es kalt, aber sonnig, die Luft trocken-klar, die Farben besonders intensiv, ebenso wie die Licht-Schatten-Spiele eine ungeahnte Tiefenschärfe erzeugen.
Todra-Schlucht
Wie schon so oft muss ich auch hier feststellen, dass sich Armut und Schönheit bei weitem nicht ausschließen! Wie wunderbar ist dieses Land und doch wie arm seine Menschen - zumindest an unseren europäischen Maßstäben gemessen. Doch vielleicht spielt das gar keine so große Rolle, denn ist man hier nicht auf dem besten Wege, sowieso seiner individuellen Bedeutung verlustig zu gehen? Der Mensch - wie ein Fisch im Schwarm, eine Ameise im Haufen, ein Schaf in der Herde - als Einzelwesen unwichtig, nur ein Mosaiksteinchen eingebettet in den Kreislauf von Werden und Vergehen. Die Aura der individuellen Bedeutung löst sich in der Weite der Berge und Wüsten in Nichts auf. Wirkt dies vielleicht zunächst bedrohlich, so ist diese Relativierung des eigenen Ichs doch schon bald sehr tröstlich und entlässt einen in die Leichtigkeit des Seins.
An ihrem Ende verengt sich die Todra-Schlucht zu einem engen, schmalen Canyon, aus dem gewaltige Felswände steil empor steigen. Doch wird dieses Naturereingis durch Hotels und Verkaufsstände so komplett verschandelt, dass es an Blasphemie grenzt.
Todra-Schlucht
Danach führt die Straße weiterhin durch wunderschöne Fluss-Landschaften, zwischen den Felswänden finden sich Lehmbauten, Palmenoasen und blühender Oleander.
Bereits vor Tinerhir, das inmitten großer Palmenhaine liegt, die übrigens ihrerseits Obstbäume und Gemüsegärten beschatten, biegen wir wieder nach Osten ab und fahren Richtung Tinejdad - Touroug - Erfoud.
Ungefähr zwanzig Kilometer vor Tinejdad treffen wir auf die ersten Kamelherden. Auch die Häuser von Tinejdad sind in dem so typischen wüstenrosa gehalten; es wird Kunsthandwerk angeboten, es gibt Restaurants und wie in jedem noch so abgelegenen Ort Cyber-Cafés. Für eine Stunde serven bezahlt man wie überall in Marokko 6 Dirham.
Die ersten Kamelkarawanen
Langsam löst sich das europäische Zeitgefühl auf und man gleitet hinein in den Rhythmus dieses Landes, der einer Fast-Trägheit gleicht. Ohne es zu bemerken, haben wir die Seiten gewechselt und die touristische Außenbetrachtung aufgegeben. Nun fühlen wir uns dem Land und den Menschen zugehörig, betrachten unsererseits Touristenbusse und teure Hotels mit Distanz.
Bei Tineijdad
Aufbruch: | 28.04.2007 |
Dauer: | 4 Wochen |
Heimkehr: | 26.05.2007 |