Railroad Crossing - mit dem Zug quer durch die USA: New York - San Francisco
21.05. -> New Orleans
Es schaukelt, aber es ist keine Hängematte, es rüttelt, aber es ist kein Sieb, es tutet, aber es ist nicht die Feuerwehr, es hoppelt, aber es ist kein Hase, es ist eng, aber es ist keine Telefonzelle, es ist unterwegs zu einer Stadt an einem dort sichelförmig vorüber fließenden Fluss - es muss der Amtrak Zug mit dem Namen Crescent sein.
So weit habe ich meine Lage nun herausgefunden, ich bin im Crescent, aber wo genau? Haben wir große Verspätung und sind noch in South Carolina? Der nächste Bahnhof bringt die Antwort: Gainesville, Georgia. Aber eine halbe Stunde verspätet sind wir trotzdem.
Aber jetzt wird es lustig: Der Crescent verfügt über Viewliner Schlafwagen, die in jedem Abteil über ein Waschbecken und ein WC verfügen. Schon etwas gewöhnungsbedürftig, seine Geschäfte 5cm neben dem Bett zu verrichten und dabei durch die nicht 100%ig dicht abschließende Gardine dem Treiben auf dem Flur zusehen zu können.
Auch das Waschbecken ist sehr gewöhnungsbedürftig. Man kann es herunterklappen, es besitzt aber keinen Abfluss im Boden, sondern leert sich automatisch beim Wegklappen. Viel Wasser darf man allerdings nicht hineinlaufen lassen, denn bei den Fahrtbewegungen kommt die ganze Suppe ins Schwanken und - zu spät. Ich sach doch, et wird lustisch.
Auch Ausspülen von Zahnpastaresten ist ein Problem. Das Zeug schwimmt nicht, sondern setzt sich am Boden ab und beim Wegklappen bleibt es hartnäckig haften. Tja, treibt es eben meinen Papiertuchverbrauch in die Höhe. Auswischen, Zusammenknüllen und das Problem ist gelöst.
Ich sitze noch am Frühstückstisch, da rollen wir in Atlanta ein. Mein Timing muss unbedingt besser werden. Schon gestern habe ich ausgerechnet beim einzigen längeren Halt, in Manassas, Virginia, im Speisewagen gesessen und auch den Sonnenuntergang nur von dort erleben können. Ich will endlich auch außerhalb Fotos vom Zug machen!
Was mir noch leichte Sorgen macht: Mein Hals. Er kratzt. Ich hoffe nur, da bahnt sich nichts Schlimmeres an.
Hinter Atlanta setzt sich die Landschaft fort, mit der wir es bereits gestern zu tun hatten, wohl auch die ganze Nacht hindurch und auch heute früh: Bäume. Wohin man auch blickt, Bäume, Bäume, Bäume. Kleine Bäume, große Bäume, grüne Bäume, Bäume mit Blättern, Blätter mit Bäumen, grüne Blätter an kleinen Bäumen, kleine Blätter an großen Bäumen - bei Baum Nr. 26874 wird es mir zu grün und ich schreibe an meinen Notizen weiter. Außer den Bäumen 26875 - 29156 verpasse ich ja nichts.
Wir erreichen Birmingham, Alabama, dem nächsten so genannten Raucherstop. Alle paar Stunden hält der Zug, in dem Rauchen strikt verboten ist, ein paar Minuten länger am Bahnhof, damit unsere süchtigen Fahrgäste aussteigen und den Bahnsteig zupaffen können. Ideale Gelegenheit für Fotografen wie mich, anderen Wünschen nachzugehen.
Am Ausgang stehen schon zwei Raucher, die es kaum erwarten können und beschweren sich beim Schaffner über die übermäßig große Verspätung von zwei Stunden 15 Minuten. Der Schaffner korrigiert: Wir sind doch nur noch 15 Minuten hinterm Zeitplan. Haben Sie etwa ihre Uhren in die falsche Richtung umgestellt? Köstlich, einfach nur köstlich.
Als wir endlich auf den Bahnsteig können, trifft mich der Schlag. Wow, schon schön heiß hier.
Auf New Orleans freue ich mich schon sehr. Bei der Gelegenheit wollte ich mir auch einen der Sümpfe in der Umgebung ansehen - aber auch eine Plantage wäre reizvoll. Vor der Reise habe ich lange nach Anbietern gesucht, die beides kombiniert zu einem vernünftigen Preis in angemessener Zeit anbieten, denn ich will ja auch noch etwas von New Orleans haben.
Als ich endlich bereit war zu buchen, gab es die Internetseite meines favorisierten Anbieters nicht mehr. Beim zweiten Veranstalter konnte ich keine E-Mail senden. Es kam immer eine Fehlermeldung zurück, das Postfach sei voll. Und am Telefon meldete sich nur der quäkende Anrufbeantworter, obwohl ich auch brav den Zeitunterschied bedacht hatte. Nun steht Anbieter Nummer drei aus, dessen Nummer man aber technisch bedingt nur innerhalb der USA erreichen kann, sagte mir jedenfalls ein Tonband. Jetzt bin ich in den USA - und habe doch glatt vergessen, da anzurufen.
Ich frage also den Schaffner, ob es ein Telefon im Zug gäbe, keine Chance. Und so etwas in einer hochtechnologischen Welt.
Nach einigem Bitten rückt er sein Diensthandy heraus, doch auch mit Hilfe der Auskunft bekommen wir keine Verbindung in die Sümpfe her. Muss ein kleiner Alligator wohl die Telefonkabel durchgebissen haben. Mjam, kleiner Schnack zwischendurch.
Wir passieren Tuscaloosa und irgendwie kommt mir der Name so vertraut vor. Später wird es mir wieder einfallen, hier hat einmal eine gute Bekannte mit ihrer Familie 3 Jahre lang gelebt. In USA leben wäre nicht schlecht, aber in diesem Klima würde ich es nicht lange aushalten können.
Der nächste Smoking-Stop ist in Meridian erreicht. Für mich ist es eher ein Sweating-Stop. Kaum einen Schritt auf dem Bahnsteig gemacht, schon schwitzt man literweise. Die Luftfeuchtigkeit ist extrem und die Sonne am schier wolkenlosen Himmel tut ihr übriges.
Beim Dinner sitzt mir zufällig derselbe Typ gegenüber, der mir auch schon beim Mittagessen Gesellschaft geleistet hatte. Wieder bestellen wir exakt dasselbe und - oh Wunder, er kann ja sogar reden. Plötzlich ist bei ihm das Eis gebrochen und wir führen wieder die typische Speisewagenunterhaltung: Woher, wohin, warum, warum nicht fliegen. Einzig beim Dessert wählen wir dieses Mal etwas Unterschiedliches. Ich kann halt einfach nicht auf meine liebgewordenen Früchte mit Erdbeersauce verzichten.
Insgesamt bin ich mit meiner Ausbeute zufrieden. Der Aufschlag für das Schlafwagenabteil beträgt 131$, in dem sämtliche Mahlzeiten inklusive sind. Für zusammengerechnet 56$ habe ich mich im Speisewagen durchgefuttert, also hat die eigentliche Übernachtung nur noch 66$ gekostet. Man überlege mal: Wohnt man zu zweit im Abteil, bezahlt man praktisch nur noch 10$ Aufpreis für die Übernachtung. Schlafwagenfahren lohnt sich also.
Hinter Slidell, Louisiana wird die Strecke zum ersten Mal so richtig interessant. Die Bäume weichen den immer größer werdenden Wasserflächen und wir fahren auf den Lake Pontchartrain zu, den wir auf einer kilometerlangen Brücke überqueren. So muss man sich wohl auch fühlen, wenn man über die zahlreichen Brücken rüber nach Key West an der Südspitze von Florida fährt. Rechts Wasser, links Wasser und nichts als Wasser bis zum Horizont. Unser Zug kann schwimmen! Im Zug sieht man von der Brücke selbst nämlich gar nichts.
In den Kopfbahnhof von New Orleans fahren wir rückwärts ein, damit der Zug für seine nächste Tour bereits in Fahrtrichtung bereit steht, was bei einigen Fahrgästen auf Unverständnis trifft (Hilfe, wieso fährt der denn jetzt rückwärts?), obwohl das Manöver gerade per Lautsprecher durchgesagt wurde nach dem Motto: "Bitte bleiben Sie noch so lange bequem sitzen, bis wir unsere endgültige Parkposition erreicht haben und die Klimaanlage über ihren Sitzen ausgeschaltet wird."
Die erste Übernachtung in New Orleans wird für mich kostenlos sein. Nein, ich habe keinen Manager bestochen (dann wäre sie ja auch nicht mehr kostenlos), sondern sie ist wirklich kostenlos. Als kleine Entschädigung, weil ich über triprewards.com das Zimmer gebucht hatte. Die Seite verspricht, mit ihren Preisen am günstigsten im Internet zu sein, doch ich habe ein günstigeres Angebot gefunden, bzw. eine nette Bekannte hat das für mich geschafft. Vielen Dank noch mal!
Warum das Hotel freie Nächte zu verschenken hat, wird schnell klar: Das Ding ist eine reine Baustelle. Die Zimmer sind zwar sauber, aber verwohnt, auf den Gängen alles mit Plastik abgedeckt und der Aufzug temporär außer Betrieb. Aber es wird schon irgendwie gehen. Immerhin kann man hier die Klimaanlage selber ausschalten.
Den Abend verbringe ich im berühmten French Quarter, von dem ich schon so vieles gehört habe. Ich stelle mir romantische Gassen vor, aus den Häusern mit den geöffneten Türen und Fenstern dringen Jazz-Klänge an mein Ohr, auf den Balkonen der oberen Etagen steht man bei einem Cocktail und scherzt über seine Sorgen. An den Decken hängen Laternen mit Kerzen bestückt und riesige Ventilatoren versuchen vergebens, der Hitze Herr zu werden.
Ok, der Punkt mit der Hitze stimmt wirklich, nur vom beschriebenen Charme ist wenig geblieben. Die Gassen sind überfüllt, teilweise sogar abgesperrt und zur Fußgängerzone umgewandelt. Aus den offenen Türen dringt laute Musik auf die Straße, einer lauter als der andere, als ob die Lautstärke über die Qualität entscheiden würde, die Balkone sind nicht besucht, sondern von Pflanzen bedeckt bzw. Gäste sollen nicht den Blick auf die überall kitschig blinkenden Neonreklamen verdecken. Hier ist es schlimmer, bunter, schriller als am Times Square. Zwar gibt es selbstverständlich noch Ausnahmen, aber die berühmte Bourbon Street ist für mich das abschreckende Beispiel schlechthin.
Immerhin habe ich auf meiner kleinen Runde ein Visitor Center gefunden und vielleicht können die mir morgen eine Tour in die Sümpfe verkaufen.
Sorgen machen mir aber meine Halsschmerzen, die immer schlimmer zu werden scheinen. Also schnell noch in eine Drogerie gesprungen und Vokabeln lernen. Ja, wie heißen meine Symptome denn nun auf Englisch? Und welches Mittelchen hilft wohl nun am besten?
Als ich den Laden verlasse, bin ich bereit für ein Medizinstudium in Harvard.
Übernachtung: Days Inn - New Orleans, LA
Aufbruch: | 16.05.2007 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 02.06.2007 |