Railroad Crossing - mit dem Zug quer durch die USA: New York - San Francisco

Reisezeit: Mai / Juni 2007  |  von Markus Keune

23.05. New Orleans ->

Diese Nacht habe ich sehr lange geschlafen. Zwischenzeitlich immer wieder aufgewacht, aber unter der warmen Bettdecke immer wieder eingeschlafen: Dennoch fällt es mir auch heute früh schwer, die müden und angeschlagenen Glieder zu bewegen. Die Erkältung hat sich noch immer nicht in Wohlgefallen aufgelöst. Das kann ja heiter werden.
Ich freue mich schon sehr auf die heutige Zugfahrt, brauche ich da doch nichts anderes zu tun als mich zurück zu lehnen und eben gar nichts zu tun. Einfach nur ausruhen und nichts dabei verpassen.

Doch bevor es soweit ist, will ich mir wenigstens einmal das French Quarter im Hellen ansehen. Es gibt genügend Punkte, die ich wegen meinem Einbruch gestern Abend endgültig streichen kann, aber das Herzstück von New Orleans soll nicht darunter leider müssen.
Draußen vor dem Hotel das alte Ritual: Kaum zwei Schritte gelaufen, schon spürt man wieder die Feuchtigkeit. Doch halt! Alles Gute kommt von oben, das ist ja Regen. Zwar ganz leicht nur, aber es ist Regen.

Kreuz und quer geht es durch die Gassen, wobei ich darauf bedacht bin, die Bourbon Street zu meiden und den anderen Straßen eine Chance zu geben. Das erhoffte Jazz-Party Flair suche ich zwar noch immer vergebens, aber das liegt wahrscheinlich an der Tageszeit. In den Straßen sind jetzt nur abreisende Touristen und Lieferanten unterwegs, letztere parken die schönen Fassaden hoffnungslos zu, aber ab und an kann man doch noch einen Blick auf die Häuser mit ihren schönen Schmiedeeisernen Balkonen werfen.
Die Türen stehen offen und der ganze Dreck, an dem hoffentlich auch die heiße Luft hängt, wird herausgekehrt. Aus dem Inneren kommt die Musik nun meist aus dem Radio, dafür ist die Lautstärke auf ein erträgliches Maß reduziert. So macht es doch gleich viel mehr Spaß, durch die Straßen zu laufen.

Auch unter den Balkonen regnet es. Eine wissenschaftliche Studie würde zu dem Ergebnis kommen, dass vielleicht gerade die Blumen gegossen werden. Viele Pflanzen hängen weit über die Brüstung und man kommt sich vor wie im Regenwald. Alle Anzeichen sprechen jedenfalls dafür.
In der Luft liegt so ein schöner Geruchsmix aus Regen, Pflanzen und neu angelieferten Speisen. Es ist der Geruch eines vollkommen normalen Arbeitstages. Ich mag das, besonders, wenn man selbst zumindest auf Zeit nicht zu der schaffenden Bevölkerung zählt.

Was mich aber wirklich stört sind viele kleine Details. Niemand scheint sich so richtig um die Schönheit der Stadt zu kümmern. Bei vielen Balkone, Geländer und Häuser ist, sagen wir es milde, die Farbe wohl gerade auf Urlaub.
Und viele Geländer sind auch schon ziemlich verbogen, so als ob sie nachts mit den Laternen und Verkehrszeichen um den Meisterschaftspokal im Limbo kämpfen. Einer schiefer und krummer als der andere.

Das French Quarter wird im Westen von der Canal Street begrenzt, dahinter ragen hohe Bürotürme in den Himmel. Blickt man im French Quarter in genau diese Richtung, wirkt die Altstadt fast wie ein Fremdkörper. Ein Stadtteil aus einer anderen Zeit, der hier nicht hingehört und schön in seinem abgeschlossenen Bereich zu bleiben hat, umgeben von hohen Mauern. Ich empfinde es irgendwie erdrückend.
Nächste Enttäuschung ist der French Market. Der größte Teil ist zu Renovierungszwecken abgesperrt, der kümmerliche Rest ein Kitsch- und Plunderhandel, wie es kaum noch zu übertreffen sein könnte.

Wende ich mich lieber der guten alten Straßenbahn zu. Am French Market beginnen drei Linien, die bis zur Canal Street gemeinsam unterhalb der Uferpromenade des Mississippis entlangfahren und sich danach aufteilen.
Auch hier stören mich wieder einige Details. Die Gleise werden z.B. durch Fußgängerampeln gesichert, die bei Herannahen einer Bahn auf rot springen und bis zum Eintreffen dann noch zig Mal die Farbe ganz spontan ändern wie ein Scheinwerfer beim Konzert. Warum wird so etwas nicht repariert? Will man es erst zum Unfall oder Klage kommen lassen? Auch die Laternen geben mir ein Rätsel auf. Warum sind ihre Köpfe teilweise abgebrochen? Und warum fühlt sich niemand verantwortlich, diese kleinen Schäden mal zu beseitigen?

Als ich am Mississippi entlang laufe, kommt die Sonne heraus und von Westen zieht eine mächtig dunkle Gewitterfront auf die Stadt zu. Der Anblick ist genial. Die Stadt erstrahlt in hellem Glanz vor dem immer bedrohlicher wirkenden Hintergrund. Kurz bevor ich die nächste Straßenbahnhaltestelle erreiche, öffnen sich die himmlischen Wasserhähne und mit einem Platsch kommt alles runter. Und durch die Wassermassen soll ich gleich mit dem Koffer zum Bahnhof?

So schnell der Regen gekommen ist, so schnell ist er auch schon wieder vorbei und ich muss meinen Koffer nur um riesige Pfützen navigieren. Oder können Koffer schwimmen? Ich habe es nie ausprobiert.
Den Bahnhof erreiche ich mit ausreichend Pufferzeit, so dass ich mich auch um Tickets für den eventuell geplanten Schlenker nach St. Louis kümmern kann. Wie bereits erwähnt, der Rail Pass ist keine Fahrkarte im eigentlichen Sinne, sondern berechtigt nur innerhalb einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Region kostenlos Reservierungen zu bekommen.

Nun besitze ich also Tickets für zwei mögliche Reisewege: Im Schlafwagen nach Chicago oder im Sitzklassewagen bis Carbondale, wo wir die Nacht um 3:15 erwartet werden, weiter 2 Stunden im Bus nach St. Louis und abends von St. Louis direkt nach Chicago. Ich kann mich also in der nächsten Zeit noch spontan entscheiden, wie es weiter gehen soll.

Eine halbe Stunde vor Abfahrt werden die Passagiere der ersten Klasse aufgerufen, sie dürften es sich bereits an Bord bequem machen. Schon ganz routiniert warte ich wieder darauf, dass man sich wundert, warum ich mich in die Schlange der Mehrzahler einreihe und da ist sie auch schon prompt, diesmal aber etwas förmlicher, aber noch immer erstaunt: "Sir, haben Sie einen Fahrschein der ersten Klasse?"

Stolz wie der König des Ortes meiner Modellbahnanlage zeige ich ihm die angeforderten Papiere, die es mir mal wieder erlauben, exklusiv zu reisen und einen Ausdruck der Verblüffung auf manches Gesicht zaubert.
Ich setze mich exklusiv in mein Abteil und genieße es, mich exklusiv nicht mehr bewegen zu können. Aus Kissen wird eine kleine exklusive Burg gebaut, damit ich es auch schön warm und kuschelig habe und die Schaffnerin schicke ich los, etwas heißes Wasser zu holen, damit ich mir einen Tee machen kann. Der Erkältung machen wir jetzt Beine!

Als wir New Orleans verlassen, wundere ich mich über die abnehmende Anzahl Bäume. So hatte ich mir die Südstaaten gewünscht und vorgestellt. Grüne feuchte Wiesen, durchzogen mit tausenden Wasserläufen, grünen Inseln und ein paar Bäumen, alle paar Minuten wunderschöne Plantagen und alte Herrenhäuser. Zwar sehe ich alles nur im Vorbeifahren, aber hier gefällt es mir. Wie ich anfangs schon sagte, jetzt beginnt der gemütliche Teil, ohne etwas verpassen zu müssen.

Der Speisewagenschaffner klopft an meine Tür und wünscht zu wissen, wann ich zum Dinner in sein Reich herüberkommen möchte. Ich schaue in den Fahrplan, addiere ein wenig zu erwartende Verspätung ein und nenne eine Zeit zwischen Jackson und Memphis. So muss ich mich nicht wieder ärgern, stundenlang im Zug zu sitzen und genau, wenn man zu Tisch ist, hält der Zug längere Zeit und raubt mir jegliche Möglichkeit, mich zu den Rauchern auf den Bahnsteig zu stellen, um statt einen Lungenzug einen richtigen Zug in fototechnischer Art genießen zu dürfen.

In Jackson haben wir dann Ewigkeiten Aufenthalt. Der Himmel ist inzwischen wieder aufgerissen und die letzten Sonnenstrahlen des Tages strahlen das Capitol an, das man sehr gut vom Bahnsteig aus sehen kann.

Nach dem Abendessen im Abteil macht sich das Fieber wieder leicht bemerkbar. Nach einer weiteren Tasse heißen Tee beschließe ich, auf die nächtlichen Strapazen in Carbondale/St. Louis zu verzichten und lieber entspannt und ausgeschlafen nach Chicago weiter zu reisen.

Übernachtung: Nachtzug 'City of New Orleans' der Amtrak

© Markus Keune, 2007
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Die Zugfahrt einer guten Bekannten musste storniert werden. Heraus kam ein Gutschein, den sie auf meinen Namen ausschreiben ließ - eine nette Geste, doch musste ich so eine Tour finden, die teuer genug ist, den ganzen Gutscheinwert abzufahren. Dann erfülle ich mir halt einfach den Traum und fahre einmal quer durch die ganze USA - mit dem Zug!
Details:
Aufbruch: 16.05.2007
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 02.06.2007
Reiseziele: Vereinigte Staaten
Der Autor
 
Markus Keune berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
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