Santa Marta
Im Januar 2007 war ich für einige Wochen in Santa Marta und Umgebung an der Karibikküste Kolumbiens. Die Stadt ist vom Massentourismus noch einigermaßen verschont geblieben und eine Insel relativer Stabilität im sonst eher unruhigen Land mit tollen,liebenswerten Menschen!
Santa Marta
Santa Marta
Santa Marta, gegründet 1525 von dem Spanier Rodrigo De Bastidas, gilt als die älteste Stadt Kolumbiens und ist heute Hauptstadt der Provinz Magdalena. Die Geografie der Stadt wird bestimmt durch die felsigen Ausläufer der Sierra Nevada,deren Bergketten sich hier bis ans Meer schieben und die Stadt förmlich zerschneiden. So besteht Santa Marta aus dem historischen Zentrum mit Verwaltungsgebäuden, Märkten, Banken und zahllosen kleinen Geschäften, das im Westen von der Bahia begrenzt wird. Hier findet sich ein belebter Sandstrand dessen Promenade, der Paseo de Bastidas ein wenig mediterranes Flair versprüht. Hier liegen auch die größeren Hotels mit vereinzelt internationalem Publikum an bleichen Europäern und Amerikanern, die sich krampfhaft vor der sengenden Sonne zu schützen versuchen und abends die Bars und Tiendas bevölkern.
Nach zehn-minütiger Autofahrt über eine kurvenreiche Pass-Strasse, die eindrucksvolle Aussichten über die Stadt und das Umland offenbart, erreicht man den Rodadero, das kommerzielle Touristenzentrum Santa Martas. Auch hier findet man einen feinsandigen Strand und Hotels, Bars und Geschäfte direkt an der Uferpromenade. Von hier aus erreicht man per Boot das so genannte Aquarium, eine naturkundliche maritime Ausstellung und Zwangsheimat von Seehunden, Haien und Delfinen, von denen letztere in mehreren täglichen Shows den Touristen andressierte Kunststücke vorführen. Wie so viele Touristenattraktionen in diesem Gebiet, kann auch das Aquarium keine europäischen Standards bieten, sowohl was den baulichen Zustand als auch die Darbietungen anbelangt.
Das Aquarium dient aber auch als Zwischenstopp der lanchas, der kleinen Motorboote, zum benachbarten Playa Blanca, einem beliebten kleinen Naturstrand, der sonst nur auf abenteuerlichen Kletterpfaden entlang der zerklüfteten Felsenküste zu erreichen wäre.
Immer weiter wächst die Stadt ins Hinterland und die Armut ist allgegenwärtig. Wer Glück und Arbeit hat, bewohnt ein kleines gemauertes Haus mit Wohn- und Schlafbereich. Die ärmsten der Armen haben die Ausläufer der Fels- und Hügellandschaft in Besitz genommen und dort einfachste Bretterverschläge für ihre Familien errichtet.
Der Libertador
Ein Muss für jeden Besucher Santa Martas und für Kolumbianer speziell fast eine staatsbürgerliche Pflicht ist der Besuch der Quinta San Pedro Alejandrino. Auf dieser Finca, die über Generationen zur Verarbeitung von Zuckerrohr genutzt wurde, verbrachte der Nationalheld und Befreier (Libertador) Simon Bolivar die letzten Tage seines Lebens und starb hier am 17. Dezember 1830, dramatisch beschrieben im Roman "Der General in seinem Labyrinth" von Gabriel Garcia Marquez. Eingebettet in eine urwüchsige Parklandschaft mit alten Bäumen gigantischen Umfangs lassen sich hier noch einige Gebäude besichtigen, von denen allerdings nur das ehemalige Wohnhaus sehenswert ist. Hier wurden der Wohn- und Schlafbereich, Küche und Bäder sowie eine kleine Kapelle im Originalzustand belassen. Das Sterbebett Bolivars wurde mit unverhohlenem Pathos in die kolumbianischen Nationalfarben gehüllt. Gleich nebenan wurde in jüngerer Vergangenheit ein gigantisches Monument geschaffen, der "Altar des Vaterlandes", der entfernt an das Lincoln Memorial in Washington DC erinnert. Ebenfalls nachträglich wurde auf dem Gelände das Museo Arte Bolivariano errichtet, eine durchaus sehenswerte Sammlung zeitgenössischer lateinamerikanischer Kunst im nationalen Kontext.
Sicherheit in Santa Marta
Vielleicht trifft die Behauptung zu, Kolumbien sei ein Meer aus Gewalt und Kriminalität, doch sicher ist: hier gibt es Inseln relativer Ruhe und Stabilität und eine dieser Inseln ist zweifellos Santa Marta. So behaupten die Kolumbianer gerne selber, Santa Marta sei die sicherste Stadt des Landes und diese Aussage hat einen wahren Kern, wenn man das Leben in der Stadt genauer betrachtet. Kaum jemand fährt hier im Auto mit verriegelten Türen und geschlossenen Fenstern - und das nicht nur wegen der tropischen Hitze. Die Gewaltkriminalität hat ein vergleichsweise niedriges Niveau und selbst Taxifahrer - allgemein sehr gut über die örtliche Sicherheitslage informiert - können sich kaum an gewalttätige Übergriffe erinnern. Fragt man nach, warum sich die Lage hier so entspannt darstellt, erhält man hinter vorgehaltener Hand und mit vielsagendem Blick die Antwort: Paras - die Paramilitärs sorgen hier für Ordnung. Fast scheint es,als habe diese unsichtbare Macht einen Teil der Polizei- und Justizaufgaben übernommen, zumindest was die Verfolgung und Bestrafung von Kriminellen angeht. Diebe, Drogenhändler und Betrüger, kurz jeder, der kriminelle Aktivitäten entwickelt und so den Tourismus stört, muss damit rechnen, hart bestraft zu werden. Natürlich zahlen Bewohner und Geschäftsleute hierfür einen Preis - und zwar in bar. Doch von alledem bekommt der Tourist nichts mit...
Menschen in Santa Marta
Santa Marta ist die Heimat des Fussballers Carlos Valderrama, genannt "El Pibe", neben Shakira, Juanes oder Garcia Marquez vielleicht einer der bekanntesten Kolumbianer. Seine Bronzestatue steht etwas verloren vor dem Fussballstadion und sein Vater lebt noch immer im Armenviertel der Stadt, weil er angeblich keine Luxusvilla von seinem millionenschweren Sohn annehmen wollte. Aber auch das ist Santa Marta: Die Dame um die 50, auffallend gepflegt, attraktiv und stolz, die an einer Strassenecke Suppe verkauft. Zwei Töpfe pro Tag seit 25 Jahren mit denen sie drei Kinder durchgebracht hat.
Oder der Fahrer des Collectivo, einer der Kleinbusse, die den öffentlichen Nahverkehr in der Stadt sicherstellen. Die Regeln im Collectivo sind einfach: Es gibt festgelegte Routen durch die Stadt, gehalten wird, wann immer jemand zu- oder aussteigen will und der Fahrpreis beträgt einheitlich nur etwa 50 Cent -egal wie weit man mitfährt. Der Fahrer ist voll konzentriert: Auf Zuruf halten, Fahrgeld annehmen, Wechselgeld ausgeben und nebenbei das mörderische Verkehrschaos bewältigen - alles gleichzeitig, bei hohem Tempo, Gluthitze und dröhnenden Salsa -Rhytmen aus dem Radio.
Von Santa Marta nach Riohacha
Wer Santa Marta mit dem Auto Richtung Cabo de la Vela verlässt, wird erstmal vom Urwald verschluckt. Die Berge, die Ausläufer der über 5000m hohen Sierra Nevada de Santa Marta sind, wirken wie mit einer dicken grünen Masse überzogen, die seltsamerweise eine gewisse Gemütlichkeit ausstrahlt. Durch die üppige Flora hindurch führen Maultierpfade hinauf in die Sierra, die überwiegend von Trekking-Touristen und Arhuaco-Indios genutzt werden. Zwischendurch immer wieder Straßensperren und Kontrollen durch Uniformierte, wobei nicht immer ganz klar ist, wer hier kontrolliert: Eine der zahlreichen Armeeeinheiten, Polizei, Paramilitärs oder möglicherweise die Kuba-treuen ELN-Guerilleros. Unbehaglich sind diese Kontrollen allemal, denn das Land befindet sich im Bürgerkrieg. Die Waffen sind geladen, die Stimmung ist angespannt und jeder im Wagen tut gut daran, den Anweisungen der mal finster dreinblickenden, manchmal aber auch selbstbewusst kokettierenden jungen Männern und Frauen zu folgen. Falls jemandem doch die Nerven durchgehen und er gibt Gas, kommt er garantiert nicht weit. Nach wenigen Metern steht üblicherweise der Kamerad mit der kürzesten Reaktionszeit am Strassenrand und hält eine harmlose Schnur in er Hand. Auf Kommando zieht er blitzschnell ein mit Nägeln gespicktes Brett über die Fahrbahn, das jeden Wagen mit zerfetzten Reifen zum Halten zwingt.
Nach ein paar Kilometern erster Zwischenstopp in einem Pueblo. Eine eindrucksvoll große, behaarte Spinne läuft über den heißen Asphalt der Strasse. Was der Durchgangsverkehr nicht schafft, besorgt die Dorfjugend: Die Spinne wird ein wenig gequält und dann unter großem Gejohle zerquetscht. Ein Stückchen weiter steht ein Pick-Up auf dem Dorfplatz, auf der Ladefläche ein riesiger Verstärker. "El Mariacho" gibt als mexikanische Ein-Mann-Show schmalzige Liebeslieder zum Besten und begeistert sein überschaubares Publikum. Mariachi sind an der kolumbianischen Karibikküste ungefähr so exotisch wie Kärntner Volksmusiker auf der Kieler Woche.
Handel in Riohacha
Die Fahrt geht weiter, die Landschaft ändert sich ziemlich abrupt: Dem dampfenden tropischen Regenwald folgt Steppenlandschaft, dann Wüste.
Je näher man Riohacha kommt, desto deutlicher wird, wie das Städtchen seinen bescheidenen Wohlstand erlangt hat: Contrabanda - der Schmuggel, und zwar überwiegend von Benzin aus Venezuela. An jeder Strassenecke stehen Benzinverkäufer mit Fässern und einfachen Handpumpen in der prallen Sonne und bieten Treibstoff zu Dumpingpreisen feil. Doch nicht nur Benzin - einfach alles gibt es hier zu Sonderpreisen: Vom Akkordeon für die Vallenato Kapelle bis zum Kühlschrank - in diesem universellen Supermarkt wird jeder fündig. Und noch eine skurrile Besonderheit resultiert aus dem "kleinen Grenzverkehr" mit Venezuela: Schätzungsweise 50% der Fahrzeuge in der Provinz La Guajira wurden vormals in Venezuela gestohlen und mit neuen Papieren und Nummernschildern versehen. Das bedeutet, dass die neuen Eigentümer die Provinz praktisch nie mit dem Auto verlassen, aus Angst vor den zahlreichen Polizeikontrollen im Rest des Landes. In der Heimatprovinz ist das Verhältnis zwischen Autobesitzern und Polizei entspannt - man kennt sich halt...
In den 70er und 80er Jahren wurde über Riohacha und die Halbinsel Guajira das berühmte Santa Marta Gold "exportiert", Marihuana von hoher Qualität. Damals gab es kaum eine Familie, die nicht in irgendeiner Form von dem florierenden Geschäft profitiert hätte. So konnte es schon mal vorkommen, dass nichts ahnende Strandurlauber zum Sonnenuntergang von elegant gekleideten Herren freundlich aber unmissverständlich gebeten wurden, den Heimweg anzutreten. Wer nicht allzu naiv war, wusste dass wenig später an diesem Strand die nächste Ladung Santa Marta Gold per Motorboot auf die Reise gehen würde. Augenzeugen waren dabei nicht erwünscht.
Heute zeugt von dieser Zeit der guten Geschäfte unter anderem die hübsche Strandpromenade von Riohacha. Doch auch jetzt wird man mitunter daran erinnert, dass man sich in einem der gewalttätigsten Länder der Erde aufhält: Grimmige Burschen, die die am Körper getragene Uzi oder den grosskalibrigen Revolver nur nachlässig verbergen und ganz offensichtlich ihren einflussreichen Boss auf Schritt und Tritt schützen, rufen einem ins Bewusstsein, wie schnell man hier zur falschen Zeit am falschen Ort sein kann.
Von Uribia geht es Richtung Cabo de la Vela nur noch auf groben Schotterpisten weiter. Erstaunlich, dass sich auch zahlreiche Mutige mit "normalen", sprich: nicht geländegängigen Fahrzeugen auf die Strecke wagen. Die Belastungen für Reifen, Stoßdämpfer, Unterboden und Windschutzscheibe sind dabei enorm, und man kann erahnen, wie die Insassen bei einer derartigen Tour über 50km und mehr gemartert werden. Aber wer Kolumbien ein wenig kennt, weiss: Das Auto dient hier dem Menschen und nicht umgekehrt. Und es gibt kaum etwas, das nicht repariert werden kann. Parallel zur Straße verläuft über weite Strecken die Eisenbahnlinie, auf der die Steinkohle aus Guajira an die Küste transportiert wird. Hier lassen sich schier endlose Züge mit 100 und mehr Waggons beobachten, die scheinbar ohne Eile und mit gleichförmigem Rattern durch die karge Landschaft ziehen.
Cabo de la Vela
Unvermittelt tauchen am Strassenrand immer wieder Wayuu-Indios auf, Angehörige jener indigenen Volksgruppe, die vom Rest der Gesellschaft vergessen in unglaublicher Armut leben. Biegt man von der Schotterstraße ab, geht es über Sandpisten in Richtung Küste, wo de Wayuu-Frauen und Kinder auf ihre eigene Art versuchen, ihr kärgliches Einkommen aufzubessern: Quer über die Fahrpiste spannen sie Bänder mit bunten Stofffetzen und hoffen, dass die Touristen an diesen Straßensperren halten und etwas Kleingeld aus dem Autofenster reichen. Natürlich ist diese Hoffnung in den allermeisten Fällen vergeblich, aber dennoch scheinen die Indios bei ihrem Treiben einen Riesenspass zu haben und stürzen sich auf jede Münze, die aus dem Autofenster fällt und im glühend-heißen Sand verschwindet. An der Küste angelangt bieten sich einfachste Restaurants zur Rast an. Serviert wird Fisch, im Ganzen gegrillt mit Reis, Platano (Kochbanane), Roten Beeten und Limetten. Kaum ist die Mahlzeit beendet, fragen ausgemergelte Kinder nach den Resten und machen sich dann über die abgenagten Fischgräten her. Ein befremdlicher Moment, der das unglaubliche Wohlstandsgefälle zwischen Mitteleuropa und dieser entlegenen Provinz Kolumbiens einmal mehr verdeutlicht. Wer mag kann hier auch in einer der zahlreichen Hängematten übernachten, die dicht an dicht unmittelbar am Wasser unter einem Sonnendach aufgespannt sind. Doch ein Federkernmatratzen gewöhnter Zivilisationskörper würde hier wohl kaum erholsamen Schlaf finden und so entschließen wir uns zur Rückkehr nach Riohacha. Auf der Schotterpiste ereilt uns dann ein vorhersehbares Schicksal: der 20 Jahre alte Land Cruiser versagt den Dienst mit defekter Lichtmaschine. Das ist durchaus prekär, denn in diesem abgelegenen Teil des Landes findet das Mobiltelefon keine rechte Verbindung, die Dämmerung naht und vorbeirauschende Autofahrer sind hier aus gutem Grund nicht besonders hilfsbereit gegenüber vermeintlichen oder tatsächlichen Pannenopfern. Durch eine glückliche Fügung erbarmt sich der Fahrer eines Tankwagens und bietet Abschlepphilfe bis ins nahe gelegene Uribia an. Zielstrebig geht es dort zu einer kleinen Werkstatt, und tatsächlich gibt es dort auch das passende Ersatzteil. Die Zeit der Reparatur wird mit Kreativität und dem landestypischen Bestreben, aus jeder Situation das Beste zu machen überbrückt: Während die Männer im gegenüberliegenden Haus Bier und Plastikstühle angeboten bekommen, drehen die Frauen eine Runde im Bicytaxi - der Fahrradrikscha, deren bedauernswerter Fahrer bei über 30 Grad Wärme die wenigen Sehenswürdigkeiten des Ortes ansteuert.ENDESanta Marta