Binnenwasserwege in Polen

Reisezeit: Mai 2008  |  von Manfred Sürig

Wenn man mit einem Boot mit 1,38 m Tiefgang einen Wasserweg mit 1,40 m Solltiefe befahren will, hat man im günstigsten Falle eine Handbreit Wasser unter dem Kiel. Wenn aber nicht - was wird man dann tun, um 2 Tonnen Schiff zu bewegen ? Da ist es das beste, sich die Sache vorher mal vom Fahrrad aus anzusehen.

Konfrontation mit neuer Geschichte

Seit zehn Jahren treffen sich Berliner und polnische Sportbootfahrer auf Oder, Warthe oder Weichsel auf einem deutsch-polnischen Binnenskippertreffen, um einander kennenzulernen und Kontakte zu knüpfen, die es bisher so gut wie gar nicht gegeben hat. Dank der Initiative von Jerzy Hopfer, der als Vorstand des Wassersportvereins in Gorzow Wielkopolski und Eigner des ältesten Flußeisbrechers der Welt, der KUNA, dieses Treffen organisiert, war nun auch meine Neugierde geweckt. Dorthin will ich, um in Erfahrung zu bringen, ob ich auch mit meinem Segelboot über See nach Danzig segeln, dann aber, wenn das Wetter so schlecht werden sollte wie im Sommer 2007, den Rückweg weichselaufwärts bis Bydgoszcz (früher Bromberg) und dann durch Brda, Kanal Bydgoski auf der Netze(Notecia) und der Warthe(Warta) abwärts in die Oder nehmen könnte.

Es geht um zwei Zentimeter: Mit wie wenig Tiefgang kann man diesen Weg gefahrlos wählen ? Dafür ist eine vorherige Radtour nötig

Es geht um zwei Zentimeter: Mit wie wenig Tiefgang kann man diesen Weg gefahrlos wählen ? Dafür ist eine vorherige Radtour nötig

Im Internet hatte ich schon einiges über den Kanal gefunden, hauptsächlich aus der Geschichte: Wenn das Land einmal preußisch gewesen war, hatten die Herrscher alles für die Erschließung und Besiedlung getan, und der Bau einer Wasserstraße zur Weichsel war schon zu Zeiten Friedrichs des Großen eine vordringliche Aufgabe, zumal dabei riesige Sumpfgebiete für die Landwirtschaft erschlossen werden sollten. Gerade das Tal der Netze wechselte mehrfach zwischen Polen und Preußen, später Deutschland, die Arbeiten an der Flußregulierung wurden unterbrochen, Unternehmer gingen daran pleite, erst kurz vor dem ersten Weltkrieg wurde das letzte Stück, der 40 km lange, schnurgerade Kanal Bydgoski fertiggestellt. Und da hatte er für die Schiffahrt eigentlich schon ausgedient, fast, wie ich später höre.

Doch gleich am ersten Tag erlebe ich viel neuere Geschichte, die unter die Haut geht, wenn man das Schlachtfeld sieht. In Seelow am Rand des Oderbruchs komme ich an einer Gedenkstätte für die Gefallenen beim Sturm der Roten Armee auf Berlin im April 1945 vorbei. Wer weiß von uns schon, dass allein hier über 50000 Soldaten, dabei weitaus mehr Russen gefallen sind als deutsche? Das Ehrenmal ist in erster Linie den Sowjetsoldaten gewidmet, in den erklärenden Landkarten wird das Schlachtfeld beschrieben, das man von einer Anhöhe aus überblicken kann. 1945 wurde hier so gut wie alles zerstört und dem Erdboden gleichgemacht.

17 km weiter, am anderen Ufer der Oder, komme ich nach Küstrin. Ich suche die Stadtmitte, aber die gibt es nicht.

Ich fahre durch ein überwuchertes Gelände mit einer Wehrmauer zur Oder hin, in dem man hier und da Straßenpflaster und ein paar Fundamente von Häusern entdecken kann. Weit und breit kein Mensch, am Oderufer ein paar Angler. Und das war vor 65 Jahren noch eine lebhafte Kleinstadt! Als das hier alles zerstört wurde, habe ich mit 7 Jahren in Liegnitz/Schlesien das Kriegsende miterlebt, da gab es ausgebrannte Häuser, Plünderung und Verwüstung, aber hier sieht man die totale Ausrottung durch den Krieg.

Das Ende von Küstrin 1945 - heute, im Jahr 2008

Das Ende von Küstrin 1945 - heute, im Jahr 2008

© Manfred Sürig, 2008
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Die Reise
 
Details:
Aufbruch: 14.05.2008
Dauer: 8 Tage
Heimkehr: 21.05.2008
Reiseziele: Deutschland
Polen
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.