DATELINE - "Über das Wünschen hinaus"
Taiwan
In diesem Text wird an einigen Stellen deutlich, dass die Verhältnisse vor fast 20 Jahren (1986) im Vergleich zu heute doch noch andere waren. Ich lasse den Text und meine damaligen Empfindungen zur Wahrung der Authentizität unverändert !
TAIWAN zeigt sich bei der Ankunft nicht von seiner Sonnenseite und wirkt nur wenig "formosa". Tiefhängende schwarze Wolken verdunkeln den Nachmittagshimmel und auch die strenge Architektur hat etwas Fremdes, Unantastbares. Das Gebäude des CHIANG KAI TSCHEK Airports wirkt monströs, zweckentfremdet - ihm fehlt die zielorientierte Sachlichkeit, die nachvollziehbare Logik. Alles scheint hoheitliche Repräsentanz zu sein und jahrtausende alte chinesische Kultur reibt sich an revolutionärer Energie der noch jungen Befreiung Taiwans vom Mutterland Rotchina. Auch die Menschen strahlen diese unterschwellige Unsicherheit aus, die aus der plötzlich gewonnenen Freiheit und der damit verbundenen Eigenverantwortung erwächst. Was er um sich herum sieht, ist fremd und entzieht sich den gewohnten Mustern seines Alltags. Erstaunt stellt er fest, nichts Vertrautes, Gewohntes, Bekanntes wieder zu erkennen.
Alles um ihn herum ist neu und provoziert seine Aufmerksamkeit. Das chinesische Stimmengewirr aus Lautsprechern und umhereilenden Leuten irritiert ihn und er merkt, dass er jetzt zur Verständigung nur noch auf außersprachliche Reflexe bauen kann. Hinter einer Barriere sieht er eine Reihe schlafender Menschen, die zusammengekauert ihre Köpfe auf die Unterarme gelegt haben. Später erfährt er, dass es Taxifahrer sind, die auf ihren nächsten Einsatz warten. Chinesische Schriftzeichen machen es ihm unmöglich, Hinweisschilder zu lesen, und so muss er sich im "try and error-Verfahren" durchfummeln, bis er den Schalter der Passkontrolle gefunden hat. Eine sehr attraktive junge Zollbeamtin sagt zu ihm - nachdem sie seinen deutschen Pass gesehen hatte - in starker Akzentfärbung: "Guten Tag und Willkommen in Taiwan". Sie muss wohl seine verdutzte Mine gesehen haben, als sie dann sagt: "Ich habe ein bisschen Deutsch gelernt im Goethe-Institut". Ein kurzer "small talk" in Englisch schließt sich an und mit guten Wünschen entlässt sie ihn durch die Sperre. Eigenartig, wie trotz aller amtlichen Strenge ein Funken Menschlichkeit hinübersprang, der ihm in diesem Moment totaler Isolation unheimlich gut tat. Sollte er sich in den nächsten Minuten verlieren, nicht weiterkommen, so weiß er nun, dass man ihn an der Passkontrolle wieder erkennen würde. Die erdrückende Fremde verliert an Gewicht. Mit einem "local bus", den er nach vielen Irrwegen fand, geht es auf die 45-minütige Fahrt nach TAIPEI-City. Das Land ringsherum hat Alpenvorland-Charakter mit weich geschwungenen Hügeln und einem saftigen Grün. Die ersten Siedlungen, Vororte wirken wenig einladend, ungepflegt, vernachlässigt. Zur Stadtmitte hin erkennt er gelegentlich chinesische Bauwerke. Nachmittag ist es und dichter Verkehr macht das Fortkommen schwierig. Begeistert ist er nicht und hofft, bald in seinem Hotel zu sein. Kurz vor dem Erreichen der Dunkelheit begibt er sich für einige Schritte auf die Hauptstraße, die am UNITED-HOTEL vorbeiführt. Auffällig viele Kinder, ganze Scharen von Schülern, die von Lotsen über die Kreuzungen geführt werden. Es scheint ein Fass ohne Boden zu sein. Mit kindlicher Ungezwungenheit und großen Augen sehen sie ihn an, bevor sie kichernd im Pulk weiterlaufen. Alle tragen blaue Uniformen mit Stehkragen. Weit wagt er sich nicht von seinem Hotel weg, denn zurück konnte ihn niemand bringen, würde er sich verlaufen. Den Namen "United" verstünde kein Taxifahrer und eine Visitenkarte des Hotels mit chinesischem Namen hat er noch nicht. Er kann sich also nur auf Sichtweite entfernen und kehrt bald wieder zurück.
Auf der Stadtrundfahrt am nächsten Tag werden ein chinesisches Hotel, der KONFUZIUS-SCHREIN und das NATIONALE PALASTMUSEUM besichtigt. In diesem Museum befindet sich die größte Sammlung altchinesischer Kulturgüter und das für Taiwan typische grüne JADE-Gestein. Nach der Rückkehr heißt es Hotel-check-out und Suche nach einer preisgünstigeren Unterkunft. Was so problemlos erschien - er wohnte schließlich im Zentrum von Taipei -entpuppte sich lange Zeit als schier unlösbar. Der Verzweiflung nahe, irrte er durch den zähen Dezemberregen, nahm Taxen und vefehlte dennoch das "Bureau of Tourism" . Fragen konnte er ja niemanden, denn seine Chinesisch-Kenntnisse reichten nur bis zum "ni hau" (Guten Tag) und "tsai tschien" (Auf Wiedersehen). Mit dem ausgefalteten Stadtplan in der Hand, peinlichst darauf bedacht, die Übersicht nicht zu verlieren, tastete er sich voran. Sollte er sich verirren, so hatte er jetzt zumindest die Visitenkarte des Hotels dabei. Dann endlich fand er - ganz unüblich - ein Schild mit dem Schriftzug "HOTEL", das für die kommende Nacht seine Bleibe wurde. Es ist schon ein entfremdendes Gefühl, wenn einem die Kommunikationsmittel Schrift und Sprache versagt bleiben. Er fühlt sich amputiert, behindert, ja eigentlich wie ein Kind, das führender Hilfe bedarf. Alle Wahrnehmung konzentriert sich auf das Visuelle, auf optische Reflexe, während Menschenstimmen zur inhaltslosen Geräuschkulisse verstümmeln. Er braucht einige Zeit, bis er sich an die Sprachlosigkeit gewöhnt hat, an das erzwungene Reduzieren seiner Sinne. Vor einer Schaufensterscheibe spricht er sein Spiegelbild an, so als wolle er prüfen, ob seine Sprache noch da sei. Die Hauptstraße ist bunt, belebt und jung. Er zieht die Blicke attraktiver Taiwanesinnen an und und erwidert sie mit einem völkerverständigenden Lächeln. Man ist als Europäer schon ein seltenes Exemplar in dieser fernen Welt, besonders weil das Land nicht ein so internationaler Handelsplatz wie etwa Singapore oder Hong Kong ist, an denen man Menschen aller Schattierungen findet. Der Reiz an Taipei ist eben, dass man hier in der asiatischen "Provinz" ist und unverfälschte Kultur vorfindet. Kinder bleiben teilweise stehen, um ihn einen Moment länger ansehen zu können, während die Erwachsenen ihn mit schweifenden Blicken verfolgen. Bei seinen langen Erkundungsgängen auf der Hauptgeschäftsstraße gibt es vereinzelt Schaufenster, die er bereits wieder erkennt und einige Gesichter von Straßenverkäufern hat er sich auch eingeprägt. Am Abend wird hier alles lebendig, wenn Scharen von Menschen die "night-markets" bevölkern und sich das bunte Treiben bis in die tiefe Nacht fortsetzt. Hier wird alles angeboten, was "Made in Taiwan" ist. Interessant und typisch die "Garküchen", kleine Handkarren oder Stände, die mit Herd und Anrichte ausgestattet sind und eine bunte Palette erstklassiger asiatischer Spezialitäten anbieten. Glasierte dunkelbraune "Peking-Enten", Soßen, Suppen, Tunken und viel Undefinierbares, bis hin zu Schlangenfleisch. Das Blut der vor den Augen der Passanten getöteten und enthäuteten Reptilien wird in Trinkbechern zu einem niedrigen Preis angeboten und soll kräftigende Wirkung haben. Es duftet nach Tigerbalsam, Räucherstäbchen und chinesischen Kräutertees. Erst spät kehrt er an diesem Abend in sein Zimmer zurück.
Morgen ist erst um 17.00 Uhr Abholtermin für den Weiterflug und es bleibt noch viel Zeit. Das CHIANG-KAI-TSCHEK Memorial hat er sich vorgenommen und ausgerüstet mit einem Stadtplan, auf dem Sehenswürdigkeiten skizziert und in chinesischer und englischer Sprache beschriftet sind, begibt er sich auf die Straße. Ein junger Taxifahrer signalisiert Einverständnis, nachdem er ihm die Karte hinhielt und den Preis in NT-Dollar (New Taiwan Dollar) draugekritzelt hatte. Nach 15 Minuten Fahrt steht er vor dem größten Kulturdenkmal Taiwanesischer Baukunst. Dimensionen, die mit der Brennweite eines europäischen Auges kaum zu fassen sind. Monumental erhebt sich eine halboffene Halle aus der Erdbefestigung und meterdicke Wände ziehen sich hoch bis unter das hellblaue Dach, das dem Ganzen mit seiner geschwungenen Form das Erdrückende nimmt. Von der Haupttreppe erstreckt sich eine Betonstraße mit den Ausmaßen einer Landepiste fast zwei Kilometer hin bis zum Eingangs-Torbogen, der in sich schon ein Paradestück chinesischer Architektur darstellt. Umsäumt ist alles von weitläufigen Grünanlagen mit filigran-botanischer Ausschmückung. Die Vorderfront des Memorials gibt den Blick frei auf die Statue Chiang Kai Tscheks, dem revolutionären Nationalhelden und Befreier von kommunistischer Knechtschaft und geistigem Niedergang der Kulturrevolution des Maoismus. Man spürt als Besucher sofort diesen Geist der Freiheit, der sich in Nationalstolz, Mode und Denkweise äußert. Im Museumstrakt, tief in den Katakomben des Memorials, hat er Gelegenheit, mit einer jungen, überaus attraktiven Assistentin ein paar Worte in Englisch zu wechseln. Sie ist fasziniert zu erfahren, dass er aus dem fernen Europa kommt und kennt sogar den Status der deutschen Zweiteilung. Durchaus bemerkenswert, denn im "Gespräch" mit Jugendlichen, die ihn kurz zuvor draußen in gebrochenem Englisch ansprachen, konnte er seine Identität und Herkunft nicht mit "Deutschland" preisgeben. Die fragenden Minen erhellten erst, als er seinen "Heimatort" mit EUROPA beschrieb. "Yes, yes, we know" meinten sie. Der jungen Museumswärterin schien es wichtig zu wissen, dass er aus "West Germany" kommt, denn erst jetzt redet sie befreit los. Sie skizzierte die Geschichte ihres Landes mit Stolz und bekräftigte ihre Verantwortung für die Geschicke der Zukunft.
"Taiwan and Germany are similar in history" sagte sie und deutete damit Offenheit und Verbundenheit an. Sehr schnell überschritt das Gespräch die Hindernisse des "Offiziellen" und berührte die Privatsphäre. Beide spürten, dass man sich noch stundenlang hätte unterhalten können und die Tatsache, dass es "im Dienst" nicht möglich war, steigerte noch die Spannung. Für sie schien der Reiz darin zu liegen, sich mit einem hellhaarigen Exoten zu unterhalten, während ihn die pulsierende Weiblichkeit erregte, die der Schlitz ihres strengen Uniformrockes freigab. Vergeblich versuchte er dies zu vertuschen, denn ein bestätigendes Lächeln zeigte ihm, dass sie seine Abschweifungen erkannt hatte. Sie schien ihre Wirkung zu genießen. Mal wieder musste er feststellen, wie entwaffnend ein asiatisches Lächeln auf ihn wirkte. Sein "tsai tschien" beim Abschied musste wohl sehr komisch geklungen haben, denn ihr verschmitztes Lächeln zeigte Ironie und Rührung zugleich. Heute ist Sonntag und draußen auf den Grünflächen finden sich Hunderte von Brautpaaren zum hier scheinbar üblichen Fototermin ein. Die traumwandlerischen Schritte der Bräute in ihren weißen Schleiern, die vom Glücksgefühl verlangsamten Bewegungen, die vor Rührung erweichten Mienen, die haltsuchenden Blicke zum Partner, die durch Unsicherheit überspitzten Gesten, all das bildet einen ergreifenden Kontrast zu der betonierten Starre der Geschichte. Eine Schulklasse junger, etwa zehnjähriger Mädchen nähert sich ihm und vielleicht 30 Augenpaare scheinen an ihm zu kleben - ist er doch ein selten zu bewunderndes Exemplar. Er fühlt sich zu einem freundlichen "hi hau" hingerissen und ahnt noch nicht, was er damit auslöst. Tosend vor Begeisterung grüßt man ihn 30-fach zurück, nähert sich ihm für Fotoposen und umschwärmt ihn mit der Unausweichlichkeit begeisterter Teenager. Das Gespräch mit der Lehrerin bringt Aufklärung und er gibt sich als "Kollege" aus Deutschland zu erkennen. Er kommt ins Nachdenken und bemerkt, wie gleichartig doch die Verhaltensmuster menschlicher Neugierde sind. Die Tatsache, dass das kleinste Raster seiner Herkunft nicht mehr Köln, ja sogar nicht mehr Deutschland, sondern nur Europa ist, macht ihm deutlich, dass er hier ein sehr Fremder ist. Fremd, identitätslos, allein, aber niemals einsam. Er nutzt die wenigen Möglichkeiten zwischenmenschlicher Begegnung und konzentriert sich ansonsten aufs Beobachten und Speichern dieser unwiederbringlichen Momente. In Gedanken ist er dabei oft auch bei seiner Familie, seiner Mutter, die ihm später ein begeisterter Zuhörer sein wird, wenn er von fremden Ländern und gestilltem Fernweh berichtet. Er spürt tief in sich, wie diese Erlebnisse ÜBER DAS WÜNSCHEN HINAUS gehen und ihm eine innigste Befriedigung sind. Er fühlt, wie Entfernung emotionale Bindungen vertieft und Gedankenwege verkürzt.
Am wolkenverhangenen Himmel sieht er, wie sich Flugzeuge in großen Kehren in die Verdunklung hochschrauben und er weiß, dass auch er in wenigen Stunden taiwanesischen Boden verlassen wird, um sich nach dem Durchbrechen des Wolkenwalls auf die lange Reise nach Hawaii zu begeben. Auf der Rückfahrt im Taxi nimmt er ganz bewusst Abschied von Taipei und bevor er zum Packen ins Hotel geht, nimmt er noch einen "Cafe do Brasil" in dem kleinen Kaffeestübchen, wo man ihn schon kennt und grüßt. Es tut ihm gut und er genießt den Kaffee und die Nestwärme.
Die früh einbrechende Dunkelheit lässt Taipei in die Austauschbarkeit versinken, die Großstädten ihren Charakter, ihre kulturelle Eigenart - ja ihre Identität nehmen. Wie durch ein wesenloses Niemandsland bewegt sich der Bus auf das stereotype Lichtergewirr des Airports zu, das der Unüberschaubarkeit des Flugbetriebs ihre Funktionalität gibt. Nichts bleibt übrig von der monumentalen Einfältigkeit chinesischer Baukunst - diesem architektonischen Imperativ - und dem Optimismus der post-revolutionären Zeit, die den Menschen ihre geistige und moralische Prägung ermöglicht. Alles verdichtet sich auf dieses Nadelöhr der "Check-in-Prozedur", das die bevorstehenden Erlebnisse nur vage ahnen lässt. Wissende und unwissende Blicke der Reisenden lassen vermuten, formen Erwartungen zu lebhaften Bildern, zerren einen unaufhaltsam in den Sog des Neuen, Unbekannten, für das man seine ganze Sensibilität aufgespart hat. Da kreuzen sich die nervösen Unsicherheiten der "Fluganfänger", denen ein scheinbar unendliches Abenteuer bevorsteht, mit der vereinzelt demonstrativ vorgeführten Abgeklärtheit der "Vielflieger", für die eine in digitalen Größen messbare Routinehandlung ihren Lauf nimmt. Durch eine stark reflektierende Scheibe reicht der Blick in das formlose Schwarz der Nacht, in die sich langsam größer werdend die weiße Schnauze des Jumbos der SINGAPORE AIRLINES schiebt und in der Fortsetzung die Konturen seiner unglaublichen Größe freigibt. Das abklingende Singen der Triebwerke dringt nur schwach durch die schallschluckende Isolation des Transit-Gebäudes und die hermetische Sterilität des Raumes lässt das Gesehene fast unwahr erscheinen. Erst als die Passagiere aus dem schmalen Schlauch der "Boarding-Gangway" herausquillen, scheint sich Leben breit zu machen und ruckartig zu potenzieren. Blicke streifen ihn, nageln sich an ihm fest, entweichen ihm, bestätigen oder verunsichern ihn.
8000 Kilometer Flugstrecke über die Weite des Pazifiks liegen noch zwischen ihm und Hawaii.
Den 08. Dezember 1985, den er um 21.00 Uhr abends beim Start hinter sich lässt, wird er um 11.30 Uhr vormittags beim Landeanflug auf die ALOHA-Insel zum zweiten Male begrüßen, nachdem er am 180. Breitengrad die Datumsgrenze überflogen hat.
Die Anullierung von Zeit und Raum, das Verwischen von HIER und DORT, von JETZT und SPÄTER, erlebt er als eine Dimension, die ihn emotional auflöst, ihn im Schwanken zwischen Stolz und Demut an den Rand der Tränen führt und ein Lebensgefühl intensivster Wahrnehmung aufkommen lässt.
Der Blick gleitet über die leicht schwingenden Tragflächen, an denen die mächtigen Triebwerke hängen, die ihn mit fast 1000 km/h auf dem Jetstream über die mikronesische Inselgruppe der MARIANEN tragen. Gesetzmäßigkeiten der Physik und Aerodynamik gehen ihm durch den Kopf und geben der Faszination und schwindelerregenden Euphorie einen kleinen Halt - die Ratio kommt als zweites Standbein hinzu. Gebannt drückt er die Nase an die leicht nachgebende Plexiglasscheibe seines Kabinenfensters, um in inniger Versunkenheit jeden Moment zu genießen und in das Gedankengeflecht seiner Phantasien eingehen zu lassen. Da ist das Bewusstsein, auf der "anderen Seite der Erde" zu sein; Worte wie "Passat, Tradewinds und Südsee" schwirren ihm durch den "Kopf, gelegentlich unterbrochen von der Routine des "Inflight-Entertainment-Programms", wenn sich der Kapitän mit Informationen zu Flughöhe, -dauer, -geschwindigkeit, -route sowie Temperatur und Ortszeit von Hawaii meldet.
Noch in tiefer Nacht dehnt sich am Horizont allmählich ein silbrig-grauer Streifen aus und lässt ihm die Erdkrümmung plastisch werden.
Es sind die ersten Anzeichen des Tages (08.12.1985), den er einige tausend Kilometer weiter östlich, am anderen Ende des Pazifiks - jenseits der Datumsgrenze -, schon einmal "gestern" im asiatischen Taiwan als 08. Dezember 1985 erlebt hat. Nur kurz schweifen seine Gedanken in das ferne Europa, das sich gerade anschickt, diesen Tag zu beenden, dem er jetzt entgegenfliegt, um ihn ein zweites Mal zu verleben. Was er schemenhaft vor sich sieht, ist der Morgen über Hawaii. Nie zuvor in seinem Leben ist ihm der Globus, auf dem Grenzen die unterschiedlichsten Interessen voneinander trennen, Verteidigungssysteme die eifersüchtigen Territorialansprüche wahren und sichern, Kulturen und Glaubensbekenntnisse unterschiedliche Wurzeln haben, so plastisch und unausweichlich als Einheit bewusst geworden. Bald hat sich die erste Ahnung vom heraufziehenden Morgen bestätigt. Die metallfarbenen Lichtfetzen haben sich in ein rötliches Farbspektrum verwandelt, das die zuerst flaumweiche Wolkendecke weit unter ihm zu einer kontrastreichen Hügellandschaft werden lässt. Ein leichtes muskulöses Zerren, eine druckempfindliche Stelle am Unterarm, der wachsartig-synthetisch gewordene Tastsinn, die flirrenden Erinnerungen sind wohl die Folgen der niedergetrampelten Müdigkeit.
Der beginnende Sinkflug auf Hawaii versetzt jedoch die Sinne wieder in höchste Aufnahmebereitschaft. Alle Wahrnehmungsebenen scheinen sich in einem Punkt zu bündeln, um das Erlebte auch physisch spürbar zu machen. Die Insel saugt den Düsenriesen wie ein Magnet an sich und selbst der reduzierte Blickwinkel aus dem Fenster lässt ahnen, dass dies ein besonderer Ort sein wird.
Aufbruch: | November 1986 |
Dauer: | circa 4 Wochen |
Heimkehr: | Dezember 1986 |
Taiwan
Vereinigte Staaten