DATELINE - "Über das Wünschen hinaus"
USA - Hawaii
Vielleicht ist es nur die Vorstellung, sich auf einer Insel mitten im größten Ozean der Erde zu befinden, die ihm - der in den Dimensionen eines Europäers denkt - das Besondere vorgaukelt. Hat er nicht oft genug in seinen Tagträumen die Vision von Südsee, Ferne und Paradies mit dem Namen HAWAII verbunden ? Ja, auch ihm bedeutet dieses vulkanische Archipel, das im Schutz der pazifischen Wassermassen ein konfliktfreies Vakuum zu bilden scheint, dem alle klimatischen Komponenten im Optimum zugetragen sind, der Inbegriff seiner erfüllten Sehnsüchte. Der philosophische Begriff der "FERNE" löst sich für ihn hier auf, denn jetzt ist er am Endpunkt. Seine lokalen und temporalen Parameter verschieben sich, müssen neue Achsen bekommen und im anderen Maßstab gezeichnet werden.
Während das Flugzeug den optischen Signalen der Bodenkontrolle folgend auf seinen Standplatz zurollt, macht er erste Beobachtungen, versucht er diesen Pathos des Paradieses "ad absurdum" zu führen, indem er Gewohntes, Althergebrachtes, Weltliches zu erkennen sucht. Natürlich gibt es viel Normales, Bekanntes, zum alltäglichen Leben Gehörendes. Was sich jedoch sofort abhebt, sind der Geruch und das Licht. Die Hybris der insularen Vegetation läßt eine Duftglocke entstehen, die selbst den inzwischen so vertraut gewordenen Kerosindunst des Flughafens eliminiert; und die maritim-solaren Lichtreflexionen tauchen die Sinne in ein kontrastreich chloriertes Spektrum.
Der Airport-Transfer führt ihn über den NIMITZ-Highway, vorbei an Downtown-Honolulu direkt ins Zentrum von WAIKKIKI, wo er nach dem üblichen Hotel "Check-in" sein luxuriöses 2-Zimmer Appartement im 11. Stock des Hotels MIRAMAR bezieht. Ihm wird plötzlich deutlich, wie stereotyp Hotelzimmer überall auf der Welt sind, ungeachtet der landesüblichen Besonderheiten und charakteristischen Merkmale. Sie scheinen kulturelle Eigenarten und unverwechselbar Spezifisches verwischen zu wollen. Der Blick vom Balkon jedoch eröffnet ihm ein Panorama, das die sanft ansteigenden Berge zur einen und den spiegelglatten Pazifik zur anderen Seite erfasst. Mit seinem ersten Spaziergang erschließt er den überraschend kleinen WAIKKIKI-Beach und die KALAKAUA-Avenue, die von Palmen und Boutiquen gleichermaßen gesäumt ist.
Die Dialektfärbungen der aufgeschnappten Satzfragmente in der Straße machen ihm deutlich, dass die Touristen hauptsächlich aus dem amerikanischen Mittelwesten oder den Südstaaten kommen. Noch ist er zu erschöpft, um wirklich alles aufzunehmen, was um ihn herum geschieht. Noch kann er nicht, blockiert durch seine pelzige Müdigkeit, den ALOHA-Geist spüren. Geistesabwesend, mit leerem Blick, verbraucht von der emotionalen Flut der vergangenen Nacht, schiebt er sich - wie ein molekularer Fremdkörper - durch die Reihen bunt gekleideter Menschen, die ihm in ihrer Fröhlichkeit so vieles voraus zu haben scheinen. Aus einem Lokal dringt die Stimme von "Bruce Springsteen" und der Refrain seines "My Hometown" läßt fast etwas Sentimentales in ihm hochkommen. Noch einige Schritte und er ist bereit, sich und das Kapitel HAWAII für einige Stunden ruhen zu lassen. Erschöpft sinkt er in sein Bett, um den ersten Nachmittag auf der Insel seiner Träume zu verschlafen.
Zum Glück erwacht er noch vor dem Sonnenuntergang, um dieses pazifische Schauspiel von seinem Balkon aus mitzuerleben. Durch die halb geöffnete Front der Balkon-Schiebetüre dringt der Wort- und Redeschwall des amerikanischen Fernsehens. Nachrichten werden im Dialog verlesen, lokale Werbespots des hawaiianischen Kanals lösen sich ab im Wettstreit mit "Live-Schaltungen" in die Polit-Zentrale Washingtons, oder dem Interview mit einem texanischen Farmer. Alles ist bunt, schnell und aufdringlich. Auf den gegenüberliegenden Balkonen bezieht man ebenfalls Stellung für den hereinbrechenden Abend. Etwas Besonderes scheint bevorzustehen. Seitlich, tief unter ihm auf der Straße erkennt er die gelben Busse, mit denen man für 60 Cents die ganze Insel OAHU umrunden kann. Schon bei seinen Reisevorbereitungen in Saudi Arabien hatte er davon gelesen und weiß, daß die Insel ca. 65 km lang und 40 km breit ist, eine Sonnen- und eine Wetterseite - die sog. "windward-side" - hat, an der sich die Passatwolken ausregnen, ehe sie Honolulu und W a i k k i k i den ewigen Sonnenschein nehmen k ö n n e n . Eine etwa 300 m hohe vulkanische Gebirgsformation erstreckt sich längsseits über die Mitte der Insel. Er holt sich ein "Budweiser-Bier" aus dem Kühlschrank und nimmt mit allen Prospekten und seinem Kurztagebuch - in das er nur Daten
eintraegt - auf dem wackligen Klappstuhl des Balkons Platz, atmet tief durch und bereitet sich vor aufs Sehen und Wahrnehmen. Diesen Augenblick, so nimmt er sich vor, will er für sein ganzes Leben abrufbar einspeichern, einmalig und unvergesslich machen. Berge und Meer scheinen ineinander überzugehen, Die Sonne filtert durch die Wolken am Horizont ihre letzten Strahlen. Die Insel spiegelt mit ihren steilen Hängen, ihrer tropischen Vegetation und Wärme den ganzen Zauber einer Pazifik-Insel wider. Er erlebt zum ersten Mal das zauberhafte Schauspiel, wie ein Südsee-Tag in die Nacht versinkt. Schon oft beobachtete er es ganz bewusst, - so wie an der "Manila-Bay" auf den Philippinen, ein halbes Jahr zuvor - aber wie eben kein Tag in Wirklichkeit eine Wiederholung des vorigen ist, so gleicht auch kein Sonnenuntergang dem vorangegangenen. Das Spiel der Farben ist leuchtend, wild, berauschend. Er knipst ein paar Bilder, denn seine Sprache wird nie ausreichen, diese prächtigen südlichen Farben am Himmel, diese Töne und ihre samtweichen Spiegelungen zu beschreiben. Alles ist von einem unglaublichen Farbenreichtum und klaren Schattierungen: hauchzarte Pastelltöne, ein weiches Blau, luftige Grüntöne und dieses sich stufenlos verändernde Purpur-Spektrum. In ihm scheinen sich in diesem Moment Traum und Wirklichkeit synchronisiert zu haben.
- Warum fällt es nur so schwer, etwas zu schildern, das so restlos froh macht ?
Am nächsten Morgen geht es mit dem Tour-Bus als einziger Passagier auf erste Erkundungsfahrt. Waikkiki, Diamond Head , Downtown Honolulu und nähere Umgebung werden gezeigt. Mit dem Fahrer, einem etwa gleichaltrigen Polynesier kommt es zu einem interessanten Gespräch über Dinge, die in keinem Reiseführer stehen. Er holt sich wichtige Tips von einem "insider", um die verbleibenden drei Tage optimal zu nutzen. Kritiker würden natürlich sagen: Viel zu kurz alles, man bekommt ja garnichts mit". Natürlich haben sie da teilweise Recht, aber aus der (Zeit)-Not heraus hat er sich inzwischen ein System geschaffen und dieses zu seiner "Reisephilosophie" erkoren. Was er bekommt, ist jeweils eine "Grobraster-Aufnahme", wobei er Prioritäten setzt.
1. Erster Eindruck
2. Geographische Lage
3. Vergleiche zu vorherigen Stationen
4. Erkundung der lokalen Infrastruktur
5. OptimalesTiming bei Besichtigungen
6. Erkennen von Typischem, Eigenartigem Ausgefallenem
7. Ausstrahlung und Wirkung von Menschen und Umgebung
8. Erkennen und Definieren der eigenen Bedürfnisse
Auf all diese Dinge ist er hervorragend eingestellt und handelt instinktiv richtig. In kürzester Zeit ist er in der Lage, Stadtpläne auf die Realität zu übertragen und Kontakte zu unterschiedlichsten Personen aufzunehmen. Er weiß inzwischen, dass man an der Kasse eines kleinen Supermarktes bessere Auskünfte bekommt, als in einem Souvenierladen oder Restaurant; dass Hinweise von Touristen immer subjektiv und meistens unbrauchbar sind. Man fragt sie allenfalls über ihren eigenen Heimatort aus, um vielleicht Tips für das nächste Ziel zu bekommen. Beim Beobachten und Erleben von Dingen berücksichtigt er, dass sich Schönheit mit der Zeit relativiert und je nach eigener Stimmungslage unterschiedlich wirkt. Es ist nie etwas Einzigartiges oder Absolutes.
Sein Plan für die nächsten Tage liegt fest: Inselrundfahrt mit dem Linienbus; Surfweltmeisterschaften WAIMEA BAY; PEARL HARBOR, HONOLULU CITY; WAIKKIKI BEACH.
Vieles hat er gelesen über die Entstehungsgeschichte der Hawaii-Inseln, ihren vulkanischen Ursprung aus der pazifischen Platte, kennt erdgeschichtliche Daten, meteorologische Phänomene, historische und kulturelle Hintergründe. Er weiß um die Eroberungs-Kriege auf den Inseln und kennt Kunst, sowie Wertvorstellungen der Polynesier aus Büchern. Er stellt sich vor, wie 1944 die japanischen Bomber an jenem frühen Sonntagmorgen die amerikanischen Matrosen aus ihrer Lethargie riß, den Hafen von PEARL CITY zu einem flammenden Inferno machten und in einer Blitzaktion, einen Großteil der US-Pazifikflotte versenkte
MS Utah - Kriegsdenkmal in Pearl Harbour
Wie unbegreiflich -heute-, bei einem Spaziergang unter Palmen, die sich in der leichten Passatbrise wiegen und dem Duft von Orchideen und tropischen Gewächsen. Ihm wird die Vergänglichkeit auch seines Lebens bewusst und er genießt ganz intensiv den Moment. Er atmet Hawaii in tiefen Zügen, ist allein und fühlt sich doch so umsorgt. Könnte er nur jetzt das rieselnde Glücksgefühl weitergeben, es irgendwem mitteilen - er denkt an seine Familie zu Hause - . Nur schwer kann er sich vorstellen, wie Deutschland jetzt, im Dezember, von einer schlierigen Wolkendecke in ein tonloses Grau gehüllt wird und die Jahreszeit den Tag nur für gerade 8 Stunden duldet. All dem soll er einfach enteilt sein, um Winter und Nacht zu Sommer und Tag zu machen ? Ja, er beginnt allmählich das Gesehene zu glauben. Wie soll er seine jetzige Situation werten ? Ist es eine Entschädigung für irgendetwas ? Ist es eine Kraftquelle für bevorstehnde Aufgaben?
Am nächsten Morgen gehört er zu den "ganz Frühen" im Bus. Da sind die Sichtkartenfahrer, von Gleichmut getragen oder Unrast getrieben, alle aber noch die Mischung aus Müdigkeit und Unbehagen im Gesicht, auf dem Weg zur Arbeit. Er gehört zu der kleineren Gruppe der Aufnahmebereiten, die alle so etwas von einer durchgeladenen Pistole an sich haben und von dieser Sekunde an nichts mehr versäumen wollen. Erst als der Bus das Stadtgebiet von Honolulu in Richtung Süden verläßt, wird er leer. Die Blicke der noch verbliebenen Passagiere kreuzen sich und man versteht sich als begünstigte Interessengemeinschaft, ja fast als Kleinfamilie, scheint sehnlichen Gedanken nachzuhängen, denn hier bildet die Faszination den Hauptnenner, Der knochige, hochaufgeschossene Alte schräg neben ihm, der doch eigentlich schon so vieles in seinem Leben erlebt haben muß, - blicken seine Augen doch so w i s s e n d. Narben und Falten im Gesicht erzählen von Vergangenheit -. Es wirkt so, als würde er diesen Tag an alten Erinnerungen messen, Vergleiche ziehen und irgendwie strahlt er Zufriedenheit aus.
In der hintersten Sitzreihe ein Typ so knapp unter 30, macht einen sympathischen Eindruck und wirkt unheimlich locker, ohne Gekünzeltes. Er scheint schon länger auf der Insel zu sein, denn nur gelegentlich blickt er auf aus seiner Zeitung, dem HONOLULU ADVERTISER. Noch ahnt er nicht, dass diese Person im Laufe des Tages zu einem vertrauten Gesprächspartner wird.
Einige Meter vor ihm auf der Querbank ein älteres Ehepaar mit erwachsener Tochter. Alle drei sind bepackt mit dieser muskellosen Masse, die ihren Leibern ein Äußeres geben, das so wenig in die europäisehen Vorstellungen von Körperästhetik passt. Dieses leicht wellige, sülzige Fleisch, die grobporige Haut, die dicken, rostroten Lippen, das weit ausladende Gesäß, - mehr einer Plattform gleich - . Eigentlich passen dazu gar nicht dieser verschmitzte Blick, die urwüchsige Fröhlichkeit, die Selbstironie und das Selbstverständnis. Aber genau dies macht wohl den Polynesier aus, ist seine Eigenart. Hätten sie ihn nicht angesprochen, aufgetaut, wäre es wohl zu keinem Gespräch gekommen. Es begann eigentlich mit einer Frotzelei an seine Adresse, die er als Deutscher beinahe ernst genommen hätte, jedoch halfen sie ihm, seine Befangenheit abzulegen. Seine Vermutung bestätigte sich, als sie seine Frage nach deren Herkunft beantworteten. Nein, wir sind keine einheimischen Hawaiianer, sondern maorischer Abstammung und kommen aus Auckland in Neuseeland. Lehrer, Hausfrau und Tochter auf Weltreise. Sie kamen erst Anfang der Woche von Los Angeles rüber. Das Gespräch hatte sofort dieses übergreifend Verbindende, - wie immer wenn sich Menschen aus so verschiedenen Ländern begegnen. Man gibt sich großzügig, anerkennend, diszipliniert sich zum zuhören.
Wegen der vielen Haltestellen bewegt sich der Bus nur langsam durch die Siedlungen außerhalb des Stadtgebietes. Kleines Haus, Vorgarten, Palmen, Sonne und Meer. Welch ein Familienidyll fernab der "großen Ereignisse". Wer hat nicht schon einmal davon geträumt? Als der Bus hochfährt in die Berge stellt er überrascht fest, dass er sich einer Wolkenschicht nähert und alsbald erste Regentropfen an der Scheibe herunterlaufen sieht. -WINDWARD OAHU -. Die Szenerie wechselt, und wären da nicht vorgelagert im Meer die kleinen vulkanischen Eilande und die steil abfallenden Hänge neben ihm, die tropfnasse, üppig-satte Vegetation, so könnte man sich in Nordfriesland wähnen. Die Fahrt führt hinunter und wieder zurück ans Meer, durch malerische Buchten und vorbei an den unvermeidlichen Touristik-Oasen wie "Sea Life Park" und "Polynesien Cultural Center", bevor der Bus sich in der Endlosigkeit der Ananasfelder des amerikanischen "Frucht-Multis" DOLE-Company verliert. Oben am Nordende der Insel will er aussteigen, um sich das Naturschauspiel der auflaufenden Pazifikbrandung in der WAIMEA-BAY nochmals anzusehen.
Gestern sah er es nur im Vorbeifahren. Der Winter beginnt nun auf Hawaii und kuendigt sich mit dem hohen "SURF" an. Wellen, die an keinem Fleck der Erde solche Ausmaße erreichen. An den Temperaturen kann man es nicht merken, denn die bleiben das ganze Jahr über konstant und bewegen sich nur minimal zwischen 26 und 30 Grad Celsius bei Hochdruck und niedriger Luftfeuchtigkeit. Das eskalierende Donnern der heranrollenden Wellen ist furchterregend, die Kämme brechen sich zischend und schäumend auf einer Höhe von 8-10 Metern. Beim Aufprall an Land entlädt sich der Druck in scharfkantigen Fontänen, ehe ihre Spitzen vom Wind in Sprühwolken aufgelöst werden. Mit ihm steigt auch der junge Mann aus und im Vorbeigehen fragt dieser ihn, ob er auch zu den "Surfweltmeisterschaften" ginge. Das er davon überhaupt nichts wisse, löst Verwunderung aus, doch sein reges Interesse ist Auftakt zu einer weiteren Unterhaltung. Natürlich will er das auch sehen; man stellt sich vor, gibt sich die Hand und hat für einen Tag ein gemeinsames Ziel: - SURFCHMPIONCHIPS HAWAII, 1985 -.
"The first heat is on"
Die "Beach Boys" hört er in Gedanken singen, sieht Bilder aus Zeitungen und TV vor sich, wie ein aalglatter, gelenkiger Körper die "tube" oder "pipeline" abreitet. Noch ein Stück müssen sie zu Fuß gehen und dann gleich in der nächsten Bucht sieht er das bunte Spektakel, die in langen Karawanen anrollenden Zuschauer. Welch ein Augenblick für ihn, sein Herz klopft stärker. Der Kalifornier" er ist 29 Jahre alt, ein Fliesenleger aus San Franzisko in der Winterpause. Schon oft war er hier zu diesem Ereignis im Dezember und kennt die Namen der Athleten, ist ein Kenner der Szene. Aus dem noch weit entfernten Lautsprecher fliegen Wortfetzen zu ihm herüber, er hört Namen und Nationalitäten der Teilnehmer. Nur die Besten der Welt, - Profis - geben sich hier ein Stelldichein, messen Mut und Stehvermögen. Sie kommen aus Neuseeland, Australien, Brasilien, Südafrika, Kuba, Kalifornien und natürlich Hawaii. Für Europäer ist hier kein Platz. Einen Deutschen hat er auch unter den Zuschauern noch nicht getroffen. Wie weit ist er nur weg von zu Hause ? Vertritt er hier sein Land ganz allein ?
Die bunten Surfbretter liegen weit verstreut auf einer Wiese, am Strand. Zuschauer und Teilnehmer sind nicht getrennt. Neben dem Punktrichterstand ist eine kleine Stahlrohrtribüne aufgebaut und am Strand sprechen Verbotsschilder eine klare Sprache: NO SWIMMING - DANGER OF LIFE - HIGH SURF AREA , Draußen vor der kleinen Bucht türmen sich die Wellenberge auf und es erscheint unvorstellbar, dass sich dort jemand hin wagen wird. Die meisten Zuschauer sind mit Ferngläsern ausgerüstet und Fotografen mit Kanonenrohrlangen Objektiven haben Stellung bezogen. Hier entstehen die Filme und Fotos, die man im europäischen Fernsehen mit "Pink-Floyd-Musik" untermalt, als Impressionen aus einer fernen Welt präsentiert, oder die in den Magazinen der Modemacher den Innbegriff des "Sportiven" repräsentieren.
Eine Vision wird heute für ihn Wirklichkeit. Ehrfurcht eines Augenblicks vor dieser monumentalen Kulisse. Einige Meter weg vom Strand, wo das Toben der Brandung leiser wird, hört er das sanfte Klicken der Palmen unter der tropischen Sonne.
Das eigenartige an der Begegnung mit seinem Begleiter, - Namen hat man nicht ausgetauscht - ist, dass sich keiner unter Zwang fühlt, Nutzloses dahersagen zu müssen. Das Verhältnis hat nichts Belastendes, Künstliches, Verpflichtendes. Es gibt Phasen, in denen man überhaupt nichts spricht nur auf Sichtweite in Kontakt bleibt und sich dennoch verbunden fühlt. Jeder genießt das, was um ihn herum geschieht und nimmt ein Gespräch erst dann wieder auf, wenn man einen Gedanken teilen will. Diese zeitlose Unbekümmertheit, diese grenzenlose Gegenwart, das Gefühl, sich an nichts mehr messen zu müssen, diese schwerelose Zufriedenheit. Es muss wohl der vielzitierte ALOHA-Geist sein. HANG LOOSE , wie der Hawaiianer sagt! Er ist bedürfnißlos und wünscht sich nur, diesen Zustand unveränderlich werden zu lassen. "The First Heat Is On", so heißt es bei den Surfern, wenn eine Gruppe von sechs Wasserartisten weit draußen im Startbereich zusammenkommt, dort wo sich die Dünung zu brechen beginnt. Jetzt gilt es, die Welle besonders hoch zu erwischen, sie in einer seitlichen Drift so lange wie möglich abzureiten und sich im günstigsten Fall sogar in die "TUBE" zu manövrieren, den Teil der Welle, der durch das überkippende Wasser ein röhrenförmiges Dach bildet. Die Personen sind in dem entfesselten Toben der Naturgewalten nur noch Stecknadelkopfgroß auszumachen und lassen dadurch erst die wirklichen Dimensionen dieser rollenden Wassergebirge deutlich werden. Vom Kamm bis ins Wellental sind es oft mehr als 10 fast senkrecht abfallende Meter. Wird ein Surfer frühzeitig von der tonnenschweren, herabstürzenden Brandung erfasst, verschwindet er für lange Zeit in den gurgelnden Strudeln der kochenden See. Nach einer kurzen Pause und der Bekanntgabe der Wertungen wird eine neue "HEAT" angesetzt. Der Austragungsmodus erfolgt nach dem K.O. - System bis zum Finale und zieht sich über zwei Tage hin. Ein braungebrannter, blonder Naturbursche wachst gerade sein Brett ein, als Schutz gegen das Salzwasser. Er trägt ein gelbes T-shirt mit der Aufschrift KEPPEL ISLANDS. Noch vor einem Jahr hätte ihm dieser Name nichts gesagt. Heute jedoch erinnert er ihn an Australien und das "Great Barrier Reef" vor der Küste Queenslands, wo er vor knapp 6 Monaten auf seinem ersten Trip war. Fernweh konnte er deshalb in diesem Moment nicht mehr bekommen. Wie er später erfährt, ist es TOM GURREN, einer der besten Surfer Australiens. Etwas weiter hinten, unter den Palmen entspannt der Südafrikaner SHAWN TOMPSON, seit über 10 Jahren der schillernde Stern unter den Brettfahrern.
Auch er sitzt manchmal nur da, beobachtet die Umgebung und die Menschen und macht sich immer wieder bewusst, dass er in diesem Dezember mitten im Pazifik unter tropischer Sonne sitzt. Nach der Rückfahrt beschließt er den Tag mit dem Kalifornier in Waikkiki bei einem gemeinsamen Abendessen. In der Wärme des Restaurants beginnt die von Sonne und Wind geriebene Gesichtshaut zu spannen, die Lippen prickeln wohlig warm. Der ganze Körper scheint unglaublich viel Kraft getankt zu haben und vermittelt sich positiv aggressiv. Er spürt Verlangen nach Zärtlichkeit, so richtig geradliniger Erotik aus reiner Freude an der Sache. Er möchte sich mitteilen und merkt, dass er mehr zu sagen hat, als seine Worte hergeben. Ist das der ALOHA-Geist, diese physische und seelische Ausgeglichenheit ?
Der folgende Tag führt Ihn an einen Ort, der 44 Jahre zuvor die Welt verändert hat und für immer in den Geschichtsbüchern als historisches Datum verewigt bleibt. Mit dem.Angriff der japanischen Luftwaffe auf das bis dahin vom Kriegsgeschehen verschont gebliebene Hawaii nimmt eine entscheidende Wende ihren Lauf. Die Amerikaner treten in den 2. Weltkrieg ein und läuten die territoriale Neuordnung Europas für den Rest dieses Jahrhunderts ein. Mit einem Rundfahrtboot der "Pearl Harbour Cruise" geht es um 14.oo Uhr ab Honolulu-Kai auf Fahrt. In Deutschland ist es jetzt gerade 2.00 Uhr nachts. Zuerst zieht das Schiff in weit gespanntem Bogen hinaus in die Gewässer vor der Küste OAHUS und aus der Entfernung bietet die Bucht mit der Silhouette von Honolulu, Waikkiki und Diamond Head ein atemberaubendes Bild. Die Hochhäuser bilden zwischen dem stahlblauen Pazifik und den dichtbewachsenen Hängen der Vulkane eine Trennlinie, die sich in Form und Farbe kontrastreich aus seiner Umgebung abhebt. Auf dem Boot schließt man schnell - wohl nur für diesen Tag - Freundschaft. Bemerkenswert, wie familiär und bürgerlich die Amerikaner untereinander sind. Nichts ist da von Arroganz oder Weltoffenheit zu spüren, sondern man erzählt eher hausbacken aus seiner heimatlichen Provinz, dem ganz normalen Alltag, öffnet Schuhe und Blusen, und ist mittelmäßig informativ. Er steht an der Reling und hofft, nur Zuhörer bleiben zu können. Allmählich nähert sich die Fahrt dem Flughafen, der seine äußere Landebahn direkt am Wasser hat. Während das kleine Schiffchen unter den Planquadraten der internationalen Luftkorridore dahindümpelt, zieht gerade ein Jumbo der NORTHWEST ORIENT majestätisch in die Höhe und 150 Tonnen Leergewicht scheinen unter dem Dröhnen der Triebwerke in der Luft zu stehen, während man noch deutlich die Aufschrift erkennt. Zur anderen Seite, in der Einflugschneise reihen sich die Kurzstreckenmaschinen der HAWAIIAN und ALOHA AIRLINES zum "final approach und touch-down" - nach Höhe gestaffelt - ein. Die Bojen der Hafeneinfahrt kommen in Sichtweite und durch den Lautsprecher an Bord werden Zahlen, Daten und Fakten zum Hafen und seinem Schicksal durchgegeben. Ein Marinefriedhof, ein Massengrab ohne Stein und Inschrift. Er denkt an MANILA, als er auch in diesem Jahr einen amerikanischen Soldatenfriedhof besuchte. Ihn überkommt immer so ein unausweichliches Schaudern, wenn er die Symmetrie der endlosen Grabreihen sieht, die nach Quadraten geordneten Schicksale, diese heuchlerische Sauberkeit, mit der eine kollektive Vergewaltigung verwischt werden soll. Die weißen Kreuze, die in ihrer unschuldigen Steril- ität ablenken von den zerrissenen Menschenleibern, den quillenden Bauchschüssen und den zerfetzten Eingeweiden. Er schwankt zwischen Hass und Ehrfurcht. Zeugen der Geschichte, Mahnmal für die Nachkriegsgenerationen und schlichte Pietät sind in PEARL HARBOR die zerbombten Wracks der Schiffe, die rostig und unförmig aus dem Wasser des Hafenbeckens ragen. Hier wird die Hinterhältigkeit des Krieges besonders deutlich, denn weder Flucht noch Gegenwehr waren möglich. Von der eigenen Munition in Feuerbälle getaucht und in Stücke gerissen, versank die östliche Pazifikflotte im eigenen Heimathafen. Beim Passieren der USS-ARIZQNA verlangsamt das Schiff seine Fahrt und in den Bordlautsprechern erklingt die amerikanische Nationalhymne. Man erhebt sich, wird andächtig; die Szene hat etwas Ergreifendes. Er gibt sich unauffällig und lässt nicht erkennen, dass er Deutscher ist, weil er weiß, dass in solchen Situationen die Gespräche meist einseitig werden und er nicht als Advocat seiner Geschichte auftreten will. Er kennt diese Situation aus dem Klassenzimmer, wenn er von etwa 15 ausländischen Stipendiaten aus den verschiedensten Ländern als Staatsbürger zur Verantwortung gezogen wird. Hier weicht er den Fragen natürlich nicht aus oder beschränkt seine Argumentation auf den Satz: "Damals war ich noch gar nicht geboren", sondern unterstreicht seine Verantwortung für die Politik der Gegenwart als seine Aufgabe.
Das Wrack der ARIZONA gilt heute als Kriegsdenkmal und an ihrer Mastspitze, die noch aus dem Wasser ragt, ist die amerikanische Flagge gehisst. Ein nasses Grab gleichzeitig für jene Matrosen, die bei dem plötzlich hereinbrechenden Inferno nicht mal mehr ihre Kojen verlassen konnten, ehe sie zerrissen wurden von der Wucht der Explosionen, geschluckt vom fauchenden Feuer, oder einfach den billigen Tod des Ertrinkens erleiden mussten.
Es war kurz nach 8 Uhr Sonntagsmorgens und vielleicht lagen sie gerade noch im Halbschlaf mit seinem meist schönen Traum. Hoffentlich konnten sie wenigstens diesen mitnehmen, hinüberretten in den Tod. Das Schiff passiert noch mehrere Wracks, bevor es wieder in Richtung Ausfahrt steuert. PEARL HARBOR heute, ist ein schöner Naturhafen, der mäßig betriebsam in der Weite des Pazifiks liegt, aber seine rostigen Narben niemals verwischen kann und für immer eine angekratzte Perle bleiben wird. Auch heute ist er Stützpunkt der östlichen Pazifikflotte und strategischer Nabelknoten amerikanischer Verteidigungsbereitschaft. Als er den Tag an der Pier in Honolulu beendet, muss er auch noch mal kurz zurückdenken an Thailand und das heutzutage friedliche Tal am RIVER KWAI, das die Japaner auf ihrem Vormarsch nach Burma zu einer menschenfressenden Falle machten. Beide Orte haben heute eines gemeinsam: Ihre Unschuld ! Am nächsten Vormittag heißt es Abschied nehmen von HAWAII; noch einmal kurz auf die KALAKAUA-AVENUE, noch mal am WAIKKIKI-BEACH sitzen und den Gedanken nachhängen. Beim Packen seiner Reisetaschen wird er maßlos traurig; hat er doch soviel Herz auf dieser Insel gelassen. Auf dem Transport zum Flughafen führt ihn die Fahrt zum letzten Mal vorbei am Jachthafen, ALOHA-TOWER, ALA MOANA CENTER, DOWNTOWN HONOLULU, UNIVERSITY OF HAWAII in Richtung NIMITZ-HIGHWAY, der nach PEARL CITY führt und auf halber Strecke die Abzweigung zum HONOLULU INTERNATIONAL AIRPORT nimmt. Fast wird der Beton der Landebahnen von der tropischen Vegetation geschluckt und auch das architektonisch verspielte Hauptgebäude fügt sich unauffällig in die Umgebung ein. Innen sind die Gebäude sauber und repräsentativ. In der Schalterhalle werden zum letzten Mal Ananas und LEI-Kränze angeboten, Draußen auf der Warteposition steht schon die weiße BOEING 747 BIG TOP der SINGAPORE AIRLINES in der gleißenden Sonne. Sie war gerade von Hong Kong rübergekommen und wird nun aufgetankt zum Weiterflug nach San Francisco. Stolz sieht sie aus wie immer, doch hier unter den sich wiegenden Palmen bekommt sie etwas Edles, Kunstvolles mit ihren geschwungenen Formen. Die Bordatmosphäre hat wieder dieses sanft-süsslich asiatische, einen Schleier von Exotik, den die"Singaporean Girls" ausstrahlen, als sie zum Empfang die gekühlten Erfrischungstücher verteilen.
Er belegt seinen Fensterplatz und kalkuliert gerade, ob er im Steigflug in Richtung Küste sehen kann. Ja, er hat Glück, sitzt auf der linken, der Insel zugewandten Seite. Das leise Vibrieren der Motoren setzt ein und beim Hinausrollen auf die Startbahn der übliche Sicherheits-Check, Schwimmwesten, Notausgänge, Rauchverbot, Sicherheitsgurte usw. Als sich die Kraft in den Turbinen verdichtet und die Triebwerke ihren vollen Schub hergeben, wird er sanft, aber mit steigender Geschwindigkeit stärker in die Polster seines Sitzes gedrückt. Büsche, Gesträuch, Gras, Orchideen, Autos des Bodenservice, Positionslampen, Hinweisschilder verzerren immer mehr, bilden eine verschwommene Einheit, verlieren durch die Geschwindigkeit an Kontur und Kontrast. Der tonnenschwere Flugzeugrumpf wirkt schon leichter, scheint Auftrieb zu haben. Er sitzt ganz weit hinten -im Raucherbereich- fast am Ende der Fensterreihe, dort wo die Tragflächen nicht die freie Sicht nach unten versperren. Als das Flugzeug beim Abheben die Nase in den Himmel streckt, sackt der Schwanzbereich des Rumpfes zuerst sogar noch ein wenig ab, kommt der Rollbahn bedrohlich nah, ehe auch die Räder die Bodenhaftung verlieren. Jetzt ist die Materialbelastung am stärksten, der kritische Augenblick in dem der kleinste Materialfehler, ein Haarriss zur Katastrophe führen kann. Die gewaltigen Tragflächen mit ihren ausgefahrenen Startklappen biegen sich weit durch, geben dem Wind genügend Widerstand, um dieses Ungetüm mit seiner Fracht von über 300 Personen in die Lüfte zu haben. Unter ihm jetzt die vielen kleinen Boote, der weiße Schaumkragen, der sich durch die auflaufende Brandung um die Insel bildet. Wie auf einer Postkarte liegt nun die Skyline unter ihm und wird mit jedem Dutzend von Herzschlägen kleiner. Um die Südspitze der Insel sammeln sich gleichmäßig aufgereiht -Sahnetörtchen ähnelnd- kleine Wölkchen und wirken wie eine Perforierung zwischen dem Blau des Meeres und dem Grün der Landmasse. Ein letzter Gruß noch nach hinten und dann entschwindet Hawaii seinem Blickfeld, als die Maschine in einer leichten Rechtskurve den Kurs ändert. In den nächsten 10 Minuten des Steigfluges durchsiebt der Airliner eine Schicht von Zirruswolken und stabilisiert sich auf ca. 11.500 Metern Höhe im schwarz-blauen Passathimmel. Die " Fasten-Seat-Belts"-Leuchten erlöschen, Raucher werden erlöst aus ihrer Abstinenz-Pflicht und der "run" auf die Toiletten setzt ein. Schräg vor ihm im Gang steht eine Stewardess, die sich scheinbar für einen Moment unbeobachtet fühlt. Wie alle Asiatinnen, eine schlanke Figur, wohlgeformt, was der eng anliegende Sarong, - die Uniform der SINGAPORE AIRLINES- noch hervorhebt. Gerade strich sie mit einer raschen Bewegung ihren Rock glatt. Es war eine weibliche Geste!
Einen Moment später muss sie einem Passagier auf der anderen Seite des Gangs ihre Aufmerksamkeit widmen. Ein älterer Herr hat Schwierigkeiten, seine Sitzlehne zu verstellen. Jetzt sind es noch 5 Stunden Flug bis zum kalifornischen Festland.
Aufbruch: | November 1986 |
Dauer: | circa 4 Wochen |
Heimkehr: | Dezember 1986 |
Taiwan
Vereinigte Staaten