TÜRKEI - Durchs wilde Kurdistan

Reisezeit: August 2006  |  von Thomas K.

Adana - Diyarbakir - Van - Hakkari - Dogubayazit

Bis an die Zähne bewaffnete Soldaten kontrollieren die Straßen im Grenzgebiet zum Iraq
und Iran

Diyarbakir

3.08/4.08

Meine Maschine ist gerade in Adana gelandet. Schwülwarme Luft schlägt uns beim Aussteigen entgegen. Die Klimaanlagen in der Ankunftshalle laufen auf Hochtouren und schon bald kommen die ersten Gepäckstücke auf dem Laufband. Zwei Männer ziehen mühevoll Installationsrohr, dick in Plastikfolie verpackt, herunter und eine alte, breithüftige Frau mit langem Schlumperrock und blumengemustertem Kopftuch packt sich einen großen, schweren Schalenkoffer. Mit viel Wiedersehensfreude und zahlreichen Umarmungen begrüßt ein älterer Herr mit Pumphose seine Kinder und Enkelkinder. Erst vor einer Woche habe ich Ümit, ein alter Freund, den ich noch vom Kindergarten kenne, der später wieder in die Türkei zurück gegangen ist, angerufen und ihn gebeten, mir für heute Abend einen Bus nach Diyarbakir zu reservieren, dass ich nicht plötzlich eine böse Überraschung erlebe, keinen Platz mehr bekomme und womöglich noch eine unfreiwillige Nacht in Adana verbringen muß. Selbstverständlich hat er angeboten, mich abzuholen, aber ich kann ihn nicht finden. "Der kommt nicht mehr, er hats vergessen." meint ein Taxifahrer abfällig, der vielleicht ganz gerne noch einen Fahrgast begrüßt hätte, aber ich will noch warten. Doch dann kommt hupend ein gelber Renault, Ümit und seine Frau sitzen darin, sie haben sich nur etwas verspätet, da sie noch unverhofft Besuch bekommen hatten. Flüssig geht es durch den abendlichen Verkehr zum Busbahnhof. Dort sprechen wir über alte und neue Zeiten. "Warum Diyarbakir?" will er wissen, "Ich habe, als du angerufen hast, gar nicht daran gedacht, das ist nicht ungefährlich." Ich weiß, dass Diyarbakir vielleicht sogar die gefährlichste Stadt der Türkei ist, weil sie die Kurden als ihre heimliche Hauptstadt sehen und nicht selten kommt es wegen der gewünschten Unabhängigkeit zu Demonstrationen und Aufständen, die von der Polizei niedergeschlagen werden und oft blutig mit zahlreichen Verhaftungen enden. In Ausnahmefällen kann es sogar zu Bombenatentaten oder Schießereien kommen. (Das ist aber wirklich nur ganz selten, das Militär ist im Osten allgegenwärtig und hat meistens alles gut im Griff) Die zwei Stunden sind wie im Flug vergangen und Ümit gibt mir noch ein paar Tips:"Sprich mit niemandem! Teil dein Geld in verschiedene, sichere Verstecke auf, und nimm mindestens ein Drei-Sterne-Hotel!"

Der Bus biegt auf die Stadtautobahn. Kilometerlang geht es vorbei an eng aneinander gebauten Hochhäusern. Es ist schon fast Mitternacht und viele Fenster sind schon dunkel.
Bald haben wir die Stadt hinter uns gelassen. Nur noch wenige Fahrzeuge sind unterwegs und auch im Bus kehrt langsam Ruhe ein. Die Landschaft, die bei Tageslicht in seltenen, komischen, aber schönen Farben scheint, zieht jetzt dunkelgrau und unscheinbar an den Fenstern vorbei. Je nach Fahrtrichtung ist am finsteren Nachthimmel das ein oder andere bekannte Sternbild zu sehen. Irgendwo, Mitten im Nichts, steht ein PKW mit Warnblinkanlage am Fahrbahnand. Der Bus bremst jäh ab und hält an. Eine Familie mit drei Kindern steigt aus. Hastig schleppt der Busbegleiter ein paar Gepäckstücke aus der Ladeluke und verstaut sie im Kofferraum des Autos. Wir erreichen Birecik, eine kleine Stadt am Eufrat. Hier wird eine halbstündige Pause eingelegt. Zwei Arbeiter schleppen einen langen Schlauch mit Schrubber vorne dran herbei und waschen mit viel Schaum die Scheiben des Busses. "Were, were, were!" ruft der Kebapverkäufer mit gerolltem "r" und fast verschlucktem "e", was auf Kurdisch nichts anderes als "Komm her!" bedeutet. Herrlicher Duft verbreitet sich, wenn er ein Adana-Kebap-Spieß auf den heißen Grill legt.

Es ist schon nach vier, als wir durch Urfa fahren. Die Stadt ist tot, keine Menschenseele, kein Auto lässt sich blicken. Urfa kenn ich schon von letztem Jahr, als ich vom Mittelmeer aus, schnell ein Wochenendausflug hierher gemacht habe. Der Abrahamsteich mit seinen heiligen Karpfen zieht alljährlich zahlreiche Pilger in die Stadt. Der Prophet Abraham sollte hier auf dem Scheiterhaufen landen. Man schürte ein besonders großes Feuer, was so heiß war, dass man gar nicht in seine Nähe gehen konnte. Also baute man ein Katapult, um Abraham hineinzuschießen. Da verwandelte sich das Feuer zu Wasser und die Holzscheite zu Fischen. Wer einen stiehlt heißt es, wird mit sofortiger Blindheit bestraft. Fütterer hingegen sind Willkommen. Überall in der Umgebung wird in kleinen Tüten Fischfutter verkauft, die Karpfen kommen in ganzen Pulken und drängen sich gegenseitig fort, jeder will etwas bekommen. Außer dem Balikli göl gibt es noch die Burg auf einem Berg zu sehen. Man erreicht sie entweder über die Straße oder über einen schmalen, unterirdischen Gang. Von oben hat man einen Blick über die ganze Stadt und die kahlen Berge im Umland. Alte Häuser, in denen sehr arme Leute wohnen gehören genauso zum Stadtbild wie die herausgeputzten Häuser im Zentrum und moderne Hochhäuser. Da ich noch recht viel Zeit hatte, hab ich gleich noch einen Abstecher ins zweihundert Kilometer weiter östlich gelegene Mardin unternommen. Die Fahrt dorthin war leicht aufregend. Außer mir waren nur zwei Fahrgäste im Kleinbus. Der eine saß ganz hinten,der andere hatte neben dem Fahrer Platz genommen. Die beiden unterhielten sich auf Kurdisch und brüllten dabei, als würden sie streiten. Der Beifahrer drehte die Musik ganz laut, der Fahrer machte sie wieder leise, da ihn das störte. Der Mann neben ihm drehte sie wieder laut auf, als wolle er den Fahrer damit ärgern. Schöne kurdische Musik mit Saz und Zurna. Wir fuhren vorbei an abgeernteten Feldern und durch heruntergekommene Städte wie Viransehir und Kiziltepe. Alle dreißig Kilometer standen fünf Soldaten in Uniform mit Maschinengewehr im Anschlag und führten Fahrzeugkontollen durch. Hoffentlich halten sie uns nicht an, denn ich habe meinen Ausweis im Hotel gelassen. Mardin ist eine sehr schöne Stadt. Malerisch ziehen sich die alten kurdischen Häuser mit ihren spiztbogigen Fenstern und Verszierungen dicht an dicht den steilen Berg hinauf. Von oben reicht der Blick über die ganze fruchtbare Ebene bis ins nahe Syrien. Die alten Minarette sind nicht spitz wie Bleistifte, sondern abgerundet. Zum Glück hatten sich auf der Rückfahrt die Soldaten getrollt. Kurdistan hat mir so gefallen, dass ich dieses Jahr gleich nochmal kommen musste.

Hinter Urfa wird die Straße ganz schmal. Im Osten beginnt der Himmel bald heller zu schimmern und bringt allmählich mit sanften Grautönen das erste Tageslicht mit sich. Aus der Dunkelheit werden nach und nach die ausgedörrten Felder Ostanatoliens erkennbar. Wir streifen einen Ausläufer des Atatürk-Stausees, der grau und ruhig wie ein Spiegel, eingerahmt von sanften Hügeln, daliegt. Ziegen- oder Schafherden erwachen auf Feldern in der Nähe kleinerer Dörfer, die nur aus einfachen Hütten bestehen. Gegen Acht Uhr kommen wir in Diyarbakir an. Kinder warten schon auf den Bus und wollen den Reisenden beim Koffertragen helfen oder Schuhe putzen, aber keiner will deren Dienste annehmen. Ein Taxi bringt mich in ein zentrumsnahes Hotel. Der Fahrer kann den Preis für eine Übernachtung sogar noch von 40 auf 35 Lire drücken. Das ist billig, aber das Zimmer hat alles, Klima, Fernseher, Kühlschrank und Bad.

Diyarbakir ist für seine gewaltigen Stadtmauern bekannt. Sie sind aus schwarzem Basaltgestein gebaut und noch heute sehr gut erhalten. Nach der chinesischen Mauer sind sie die zweitgrößte noch erhaltene Befestigungsanlage der Welt. Sie sind so hoch wie ein fünf- bis sechsstöckiges Gebäude und einige Meter dick. An manchen Stellen kann man sogar auf alten, ausgetretenen Treppen hinaufsteigen und über die Altstadt und das grüne Tigristal blicken. Zwei spitzdachige Brunnen stehen im Hof der Ulucamii, die aus dem gleichen dunkelgrauen Basaltgestein gebaut ist, wie fast die ganze Stadt. Um Abwechslung in das düstere Einheitsgrau zu bringen, haben die Bauherren vielen Gebäuden oder Minaretten immerwieder eine Reihe weißer Steine eifügen lassen. Die Sonne steht schon hoch am Himmel und lässt schnell die Temperaturen steigen. Braungebrannte Straßenarbeiter in blauer Arbeitskleidung pickern mühsam und schweißgebadet mit schweren Spitzhacken den harten Boden auf. Lärmende Maschinen rattern ohrenbetäubend und wirbeln jede Menge Staub auf. Bunte Kleider und Schilder mit Türkischen Namen hängen in einem Bazar herab. Ein junges Pärchen, lässig in Jeans, macht auf einem Plakat vor einem Laden Werbung, ganz im Gegensatz dazu watschelt eine tief verschleierte Fau mit einer schweren Einkaufstasche vorbei und ein Ventilator weht dem Händler eine kühle Brise zu. Ein älterer Kurde mit grau-weißem Arafat-Tuch kommt und fragt mich, wo die Busse in irgendein Kaff, welches ich nicht kenne, abfahren. Ich habe die ganze Nacht kaum oder gar nicht geschlafen und gehe ins Hotel, um während der Mittagshitze eine kleine Siesta zu machen. Aber das währt nicht lange, bald bin ich wieder unterwegs hinunter zum Tigris, über die Brücke zum anderen Ufer. Zwei junge Kurden mit weißen Hemden haben sich es dort unter einem Baum, dessen Äste weidenartig nach unten hängen, im kühleren Schatten auf einer Decke bei Wassermelone und Cola gemütlich gemacht. Sie freuen sich, dass ich ihre Stadt besuche und fordern mich ständig auf zu essen und schenken immerwieder Cola in einen Plastikbecher. Die süße, saftige Melone tut wohl und ist erfrischend bei der Hitze. Ein paar Kinder kommen, um im Tigris zu baden. Der Fluß ist tief und reißend, nicht ungefährlich, schon einen Schritt neben dem Ufer steht der eine Junge bis zum Bauch im Wasser.

Das Thermometer in einer der schattigen Altstadtgassen zeig 41 Grad. Immerwieder höhrt man das Klingeln der traditionellen Wasserverkäufer, die in lustigen Kleidern mit silbrigen Kesseln auf dem Rücken auf Kunden warten. Ihre genaue Funktion kann ich nicht erkennen, da zu selten jemand bei ihnen kauft, als daß sie davon leben könnten, und als Touristenatraktion können sie nicht dienen, da es keine Touristen gibt. Bauern warten am Straßenrand mit Handkarren, beladen mit Bergen riesiger Wassermelonen auf Käufer. Hier auf den Feldern in der Umgebung wachsen die größten Wassermelonen. Wie können in so einem heißen, trockenen Land Früchte, die zu fast 100% aus Wasser bestehen, so groß werden? Sicher graben sich ihre Wurzeln bis tief in den Erdboden. Rasensprenger bewässern die Grünanlagen entlang der gigantischen Mauern. Ein paar kleine Jungs jagen sich durch den rotierenden Wasserstrahl und werfen sich gegenseitig in die Pfützen, die auf den unebenen Schotterwegen zurückbleiben. Vor einem Straßencaffee sitzen alte Männer in weiten Hosen und Hemden, trinken Cay und spielen gemütlich eine Runde Karten oder Tavla dabei. Frauen sind auf den Straßen deutlich in der Unterzahl und tragen fast alle Kopftuch.

Es wird dunkel. In einer engen, finsteren Gasse liegt ein stinkender Müllberg zwischen zwei Häusern. Mauend und fauchend zanken zwei Katzen um Essensreste. In einem kleinen Straßenrestaurant esse ich Adana-Kebap, schmackhafte Hackfleischspieße, die frisch vom Holzkohlegrill besonders gut schmecken. Dazu gibt es einen Berg dünnes Fladenbrot, Salat aus Zwiebeln und Tomaten mit Petersilie und eine lange, sehr scharfe, grüne Peperoni vom Grill. In den kleinen Parks entlang der Mauern haben sich Familien auf Decken niedergelassen, erzählen und knabbern was. Kinder rennen um die sitzenden Gruppen herum und spielen. Sicher handelt es sich um Familien, die sich nur eine kleine Behausung, vielleicht ohne Balkon leisten können und den Abend lieber drausen als in einer stickigen Hochhauswohnung, ohne Abkühlung und frischer Luft, verbringen wollen.

Urfa

Balikli Göl

Balikli Göl

Kale (Burg)

Kale (Burg)

Mardin

Diyarbakir

Stadtmauer mit Tor

Stadtmauer mit Tor

Ulu Camii

Ulu Camii

in der Altstadt

in der Altstadt

Dicle nehri (Tigris)

Dicle nehri (Tigris)

© Thomas K., 2015
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Die Reise
 
Details:
Aufbruch: 03.08.2006
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 24.08.2006
Reiseziele: Türkei
Der Autor
 
Thomas K. berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.