Eine Radreise allein durch Kuba 1994

Reisezeit: Januar / Februar 1994  |  von Manfred Sürig

westwärts am Fuß der Sierra Maestre

Der erste Tag, ein Sonntag, ließ sich gut an, die Rechnung mit dem Nordostpassat ging voll auf, vom späten Vormittag an schob er mich kräftig von hinten, so daß ich zeitweise schon zu wenig Fahrtwind verspürte, der mir den Schweiß hätte trocknen können. In der Mittagszeit Siesta an der Costa Verde, einer Badestelle mit schattenspendenden Platanen.
In der Nähe begrüßt mich eine Gruppe junger Kubaner und bedeutet mir, ich solle mich zu ihnen setzen. Ich erfahre, daß sie selbständig sind, tagsüber als Betreiber eines Sammeltaxis -sie zeigen auf den uralten Lastwagen, aus dem sie ihre Getränke holen - abends und nachts als Straßenmusiker. Ob ich Deutscher aus federale oder demokratic sei, sie wüßten aber, daß das jetzt alles ein Deutschland sei. Sie machen Musik auf ihren Instrumenten, heisse karibische Rhythmen, dazu ein kühles kubanisches Bier, zu dem sie mich einladen. Man könnte die Zeit vergessen.
Zum Schluß trennen wir uns wie alte Bekannte, sie wünschen mir gute Reise und freuen sich über das Vertrauen, das ich ihnen und ihrem Land entgegenbringe. Sie bieten mir an, mich ein Stück mit ihrem LKW mitzunehmen, respektieren aber meinen Wunsch, die Strecke allein mit dem Fahrrad zurücklegen zu wollen.

Nun geht es am Rand des Gebirges entlang. Fabelhafte Straße, aber nur alle halbe Stunde mal ein Auto. Begegnet man Leuten, die zu Fuß unterwegs sind, winkt man sich zu und hört laute aufmunternde Rufe, darunter sehr viele von bildhübschen jungen Damen.
Wegweiser sind selten, denn es zweigen nur selten Wege ab und wenn, dann führen sie nur in die nächsten Dörfer. Über das Gebirge scheint keine Paßstraße zu führen. Nach meinem Tacho müßte ich längst in Chivrico sein, dort soll es ein Hotel geben, hatte man mir gesagt.

Und tatsächlich, mitten im Wald geht es auf einer nagelneuen Piste links ab zum Hotel Sierra Mar. Ein Resort vom Feinsten, in einer einzigartigen Landschaft gelegen. Für 80 US $ darf ich einkehren, habe dabei "all included" für 24 Stunden inclusive aller drinks an der Bar und aller Mahlzeiten. Und mein Fahrrad trägt man mir ins Hotelzimmer, damit nichts verloren gehe.

Der nächste Tag führt ins Ungewisse: Auf einer Karte endet der Weg an der Küste in einer Sackgasse, auf einer anderen ist er durchgängig hauchdünn eingetragen, ebenso wie einige Wege, die ins Gebirge führen. Doch zunächst stimmen mich die Fakten optimistisch: Gute Asphaltstraße, nur Pferdefuhrwerke und Radfahrer unterwegs, gelegentlich ein Touristenbus.
Die Landschaft steigert sich hinter jeder Landzunge, es duftet nach Kräutern, links unten hört man die Brandung tosen und blickt auf einen blauen Horizont. Von rechts führen weite Täler vom Gebirge zur Küste, Brücken über gewaltige Flußbette mit Geröll, aber wenig Wasser. Was für Wassermassen müssen hier in der Regenzeit herunterstürzen!

Gegen 13 Uhr wird die Hitze unerträglich, Schatten finde ich unter einer Brücke, nachdem ich in einem Tümpel mit glasklarem Süßwasser ein erfrischendes Bad genommen habe.
Als ich etwas eingedöst bin, höre ich neben mir ein Scharren. Ein Kubaner mit seinem Maultier steht neben mir und spricht mich auf deutsch an. Er wolle meine Mittagsruhe nicht stören, aber ich könnte ihm doch sicher sagen, ob Eintracht Frankfurt immer noch an erster Stelle der Bundesliga stehe. Mit einem "soweit ich weiß, ja" kann ich ihn beruhigen, und er verabschiedet sich freudig mit einem "Machs gut". Später höre ich von der Fußballbegeisterung vieler Kubaner, die in der früheren DDR gearbeitet haben. Sie ist so groß, daß in den Sportnachrichten des kubanischen Fernsehens jede Woche auch die Tabelle der deutschen Bundesliga bekanntgegeben wird.

Sobald gegen 14.30 Uhr die Sonne nicht mehr ganz so hoch am Himmel steht, beginnt die angenehmste Zeit zum Radeln. Doch heute beginnt sie mit einer Überraschung.
Ohne Vorwarnung endet die Straße hinter einer Brücke vor einem Straßentunnel an der Grenze zur Provinz Granma. Man kann auf einem Reitpfad zwischen Steilhang und Brandung weiterkommen, dieser Weg wird offenbar im Schrittempo auch von Lastwagen benutzt.
Gott sei Dank finde ich die Straße hinter dem Tunnel wieder und nun wird sie erst richtig schön.
Ich bin völlig allein in einer Bilderbuchlandschaft auf einer Bilderbuchstraße, auf der es richtig Spaß macht, in den Gefällestrecken den Schwung für den nächsten Berg zu holen. Nur schade, daß man dabei nicht ständig fotografieren kann.
Liegengelassene Baustellen, an denen die Straße noch nicht fertiggestellt ist, kommen aber immer häufiger vor, und plötzlich sehe ich nur noch die Trasse, aber keinen Belag mehr. Dann, hinter dem nächsten Berg, endet auch die Trasse und ein Reitpfad geht so steil bergab, daß mir nur Schieben übrigbleibt.
Das erste Mal beginne ich darüber nachzudenken, wie weit es wohl noch zum nächsten Hotel sein mag, aber Zeit darf ich darüber nicht verschwenden. Und bloß Mimosenzweige umfahren, eine Panne darf mich keine weitere Zeit mehr kosten!
Durch einen breiten Talkessel will ich eine Abkürzung querfeldeinfahren, zumal in der Mitte eine Betonbrücke frei in der Landschaft zu sehen ist. Ausgerechnet unter dieser Brücke steht Wasser, in dem ich Kinder schwimmen sehe.
Jetzt noch mal zurück oder einen Umweg machen, kommt nicht infrage, aber durchschwimmen mit Fahrrad geht auch nicht. Doch die Jungen finden sofort einen Weg. Gemeinsam wird das Fahrrad auf die Brücke gewuchtet, ich hinterher und auf der anderen Seite geht es die drei Meter wieder senkrecht herunter.

Mir wackeln zwar die Knie noch, als ich wieder aufsteige, aber die Jungen scheinen das völlig normal zu finden und beschreiben mir genau den Weg zum Hotel - noch 20 km, aber nach 5 km soll eine große Straße kommen. Und tatsächlich, auf dem Hang vor mir sehe ich ein Lastauto mit Scheinwerfer fahren.
Ich trete kräftig in die Pedalen, weil nur noch ein Endspurt durch eine Senke mit Mangroven zu bewältigen ist.
Da erwischt es mich.
Im Mangrovensumpf wimmelt es von Mücken, und schlagartig habe ich beide Augen voll davon. Absteigen macht alles nur noch schlimmer, denn nun fallen sie über meine Haut her, zu spät für eine Autaneinreibung.
Bleibt nur die Flucht auf dem Drahtesel mit fast geschlossenen, tränenden Augen. Wie gut, daß hier kein Verkehr ist.
Nach 115 km Tagesetappe erreiche ich das Hotel und lasse mich als erstes in den Swimming-pool fallen, erst dann gehe ich zur Rezeption.

Aber dort hat man kein einziges Zimmer mehr frei. Ich müsse zum nächsten Hotel, man werde aber ein Telex absetzen, um mich dort anzumelden und um zu erfahren, ob dort etwas frei sei. Freudig kommt die Empfangsdame mit einer Reservierung zurück, bevor ich fragen kann, wie weit es denn dorthin ist. Umständlich beschreibt sie mir den Weg auf spanisch; erst als ich wieder auf dem Rad sitze und mich auf eine Nachttour gefaßt mache, sehe ich 400 m weiter ein nagelneues Haus, piekfein, von einer kanadischen Hotelgruppe frisch eröffnet. Da ich bereits angemeldet bin, empfängt mich der Manager persönlich, sorgt für mein Rad und mein leibliches Wohl (siehe Vortag, den Preis kann ich auf 68 US $ herunterhandeln).

© Manfred Sürig, 2011
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Es gab damals noch keine Digitalkameras, Fotografieren war sowieso nur selten erlaubt, darum keine Bilder. Aber was hat sich in 18 Jahren bis heute in Kuba geändert ? So ist selbst der Nostalgiebericht noch auf aktuellem Stand......
Details:
Aufbruch: 18.01.1994
Dauer: 17 Tage
Heimkehr: 03.02.1994
Reiseziele: Kuba
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.