Gipfelstürmen in der Tatra und den Karpaten
Den äußersten Osten der Slowakei erkunden
In einem früheren Geschäftshaus aus der Gründerzeit ist das Museum in Kosice untergebracht. Schon das Treppenhaus ist eine Augenweide.
Im Inneren sieht man viel über die Pflanzen- und Tierwelt der Ostslowakei, das frühere Leben der Menschen dort und die Porträts der damals herrschenden, überwiegend ungarischen Adelsfamilien
Das Museum macht uns neugierig, nun auch die Gegend selbst kennenzulernen. Der kürzeste und zugleich bequemste Weg ist die Bahn, die uns in gut zwei Stunden in einem großen Bogen erst nach Süden und dann über Humenne bis zur Endstation nach Stakczin bringt.
Waldkarpaten heißt die Gegend, und große Teile davon sind Nationalpark.
Gleich dahinter eine Talsperre, die die gesamte Ostslowakei mit Trinkwasser versorgt. Sehr schön anzuschauen, aber wegen Wasserschutzes kommt man an keiner Stelle zum Baden ran.
Ein echter Naturpark, der naturgetreu "erschlossen" ist für den Tourismus. Hier wandert man, zeltet oder nächtigt in einfachsten Unterkünften. Und da muß man wissen, wo man die findet und wann die geöffnet sind.
Das schöne Wetter hat uns wieder, wir radeln auf fast verkehrslosen Straßen in eine über 50 km tiefe Sackgasse hinein: Nach Norden begrenzt das Biezcadygebirge die Slowakei Richtung Polen und im Osten verläuft die Grenze zur Ukraine.
Auf über 200 km Länge gibt es keinen Straßengrenzübergang! Das ist für Autotouristen uninteressant, nur Einheimische fahren hier, soweit sie sich ein Auto leisten können.
Für uns das Fahrradland pur !
Dazu geht es nach Überwindung der Wasserscheide zur Uz (die schon in der Ukraine nach Süden fließt) 20 km leicht bergab. Seit Anfang August hat es hier nicht geregnet, der Bach, in dem wir uns abkühlen wollen, führt kaum noch Wasser, aber es gibt auch keine Mücken.
Das Land der Holzkirchen. Hier in Ulic'ke Krive. Man muß sie nur finden, denn sie stehen in kleinen Dörfern abseits der Straßen oder eben in weiteren Sackgassen.
Die kurzen Besichtigungen kosten Zeit. In Ulic, 2 km vor der ukrainischen Grenze erreichen wir den tiefsten Punkt, nun müssen wir nur noch 20 km nach Norden bergauf nach Nova Sedlica.
Unser heutiges Ziel. Es dämmert schon, aber noch haben wir das Vertrauen, hier unsere Unterkunft in der Penzion Kremenec zu finden. Leider haben wir uns nicht angemeldet, und das Haus ist voll.
Andere Unterkünfte gibt es hier nicht, nur in Ulic, 20 km talabwärts. Eilig stürzen wir erst einmal zwei große Biere herunter, eine Wohltat nach dem schweißtreibenden Aufstieg, aber nun müssen wir im Dunklen herunter. Domis Vorderlicht funktioniert, bei mir nur das Rücklicht.
Also übernimmt Domi die Führung und ich fahre seinem Lichtkegel nach. Locker schaffen wir Tempo 30 bis 38, umgehen dabei auftauchende Schlaglöcher mit viel Glück und sind nach einer guten halben Stunde wieder unten. In Ulic hat man noch etwas für uns frei, aber Abendessen gibt es nicht mehr.
Also ernähren wir uns mit mehreren vorzüglichen Bieren und fallen gegen 22 Uhr in unsere Betten, Ende gut, trotzdem alles gut.
Am nächsten Tag geht es auf Entdeckungsfahrt zu den Holzkirchen, hier die Kirche in Rusky Potok. Auf deutsch: russinische Quelle. Hier siedelten zuerst die Russinen, eine russisch sprechende Minderheit, deren Sprache heute noch gepflegt wird. Aber das Ortsschild in kyrillischer Schift, das im Jahr 2000 hier noch stand, gibt es nicht mehr
Der Picknickplatz in Rusky Potok. Trinkwasser gibts aus dem Bach, daneben kann man zelten - zum Nulltarif!
Ein Fahradrevier zum Erkunden mit Mountainbikes. Gut, dass wir ein Standquartier haben und unser Gepäck dort liegt. Da schaffen wir die Berge auch mit unseren Tourenrädern.
In Topol'a steht die wohl größte Holzkirche, die auch noch eine eigene Gemeinde hat und genutzt wird.
Solide Handwerksarbeit aus dicken Holzbohlen. Der Umgang mit den Stützen scheint aber eine Restaurationsmaßnahme zu sein.
Als wir abends in Ulic zurück sind, entdecken wir in einem Park neben der Straßenverzweigung einen Garten, in dem alle Holzkirchen der Ostslowakei als Miniaturen aufgebaut sind. Sofort starte ich eine Fotosafari, bis meine Chipkarte voll ist.
Leider nur auf slowakisch ist angeschrieben, wo die Kirche stand oder steht, wann sie errichtet, wann restauriert wurde und welche Kostbarkeiten sie in ihrem Inneren aufweist.
Zur Innenbesichtigung müßte man telefonisch vorab einen Termin vereinbaren, sicher weiß der jeweilige Küster auch eine Menge zu erklären, nur versteht man es nicht, wenn man die Sprache nicht kann.
In Kosice kaufe ich mir dann dieses Buch ISBN80-89226-15-9, das über alle Holzkirchen berichtet und mich hinterher noch neugieriger macht, die Slowakei erneut zu erkunden
Dieser kleine Führer gibt einen kurzen Überblick über die Kirchen im östlichsten Teil der Slowakei. Er ist nur vor Ort erhältlich.
Unsere Reise nähert sich dem Ende.
Aber Domi wollte doch noch einen Berg besteigen. Das muß heute klappen oder gar nicht mehr.
Kremenec, das Dreiländereck von Polen, der Ukraine und der Slowakei auf 1207 m Höhe ist unser Ziel. Das sind 600 Höhenmeter zu Fuß. Wir nehmen um 6 Uhr früh den ersten Bus nach Nova Sedlica, unsere Räder ohne Gepäck kommen auch mit, damit wir so nahe wir möglich an den Fuß des Wanderwegs herankommen.
Kaum sind wir im Wald, sind wir allein mit der Natur, kein Mensch begegnet uns und niemand überholt uns. Das Gras auf dem Weg sprießt so hoch, dass man sich ausrechnen kann, wie oft der Weg wohl begangen wird.
Knapp 4 Stunden steigen wir auf, zwischendurch müssen wir noch wieder weit runter in ein Tal, das von uralten Buchen gesäumt ist. 400 Jahre alt sollen die ältesten sein, aber die sind wohl Opfer eines der letzten Gewitter geworden.
Wir müssen über gewaltige entwurzelte Baumriesen klettern, deren Stämme schon von allerlei Getier angefressen sind. Nur mit Mühe finden wir anschließend unseren Pfad wieder. Gut, dass wir immer im Schatten gehen müssen, es ist nicht so kräftezehrend wie im Rohace vor wenigen Tagen.
Plötzlich ein Warnschild: Vorsicht, Grenze. Da müssen wir uns entweder verlaufen haben oder wir sind kurz vor dem Ziel. Rechts in einer Schneise blau-gelbe ukrainische Grenzpfähle, links weiß-blau-rote mit slowakischem Emblem, wir genau dazwischen.
Noch 400 Meter steil bergauf, und wir sind oben, schon kurz nach 12 Uhr.
Nach 12 Jahren bin ich mal wieder hier oben. Was hat sich die Gegend da verändert!
Den weiten Blick in drei Länder kann man nicht mehr genießen, weil das Unterholz, das früher den Grenzposten freien Überblick verschaffte, zu mittelgroßen Bäumchen hochgewachsen ist.
Dafür sind auf polnischer Seite viele ausgetretene Pfade, und heute ist auch ein lebhaftes Verkehrsaufkommen hier, aber nur von polnischer Seite.
Wir setzen uns in den Schatten und verzehren unsere Brote.
Für den Abstieg haben wir nun viel Zeit.
Wir entschließen uns noch für eine Kammwanderung nach Westen und bekommen so wenigstens an einigen freien Stellen mal einen Blick nach Norden auf den San-Stausee in Polen, mal nach Süden in die waldigen Täler der Waldkarpaten auf slowakischer Seite.
Nach 8 Kilometern geht es steil links ab zurück in die Slowakei.
Wieder sind wir die einzigen Wanderer. Aber es gibt nur diesen einen Weg, also können wir uns nicht verirren.
Wir glauben es kaum, wie hoch wir gewesen sein müssen, denn der endlose Abstieg auf steinigem Gelände mit losem Geröll macht uns zu schaffen. Ich strauchele einmal und bin hinterher ziemlich wackelig auf den Beinen.
Zuletzt ist auch die Brücke über den Bach nach Nova Sedlica kaput, wir müssen durch den Bach von Stein zu Stein springen, um rüberzukommen.
Dabei passiert es dann, ich rutsche ab und fühle mit dem Hintern, wieviel lehmiges Sediment der Bach hier führt. Und ein Finger spürt, dass es Leute gibt, die in so einen schönen Gebirgsbach alte Flaschen geworfen haben.
Wir erreichen unsere Fahrräder wieder, und um trocken zu werden, schlage ich vor, statt des Busses mit den Rädern nach Ulic zurückzurollen.
Nun rasen wir bei Tageslicht und ohne Gepäck herunter und sind in sage und schreibe 25 Minuten in unserer Unterkunft.
Ende gut, doch noch gut, darauf gönnen wir uns ein schönes Abendessen. Aber das gibt es hier nicht a la carte. Wir fragen unsere Wirtin, was sie uns denn machen könnte, dann lassen wir uns überraschen.
Wir werden nicht enttäuscht: Eigens für uns frisch zubereitet ein schönes Naturschnitzel mit frischen Gemüsen, die eben noch im Garten standen. Dazu herrliches kühles Bier vom Faß, diesmal literweise, wir haben viel Durst!
Leider habe ich keine Fotos machen können, denn ich bekomme hier nirgends eine neue Flashcard.
In Ulic sind wir an der tiefsten Stelle der großen Sackgasse in der nordöstlichen Slowakei. Aber für uns Radler gibt es ein Schlupfloch nach Südsüdwesten, auf dem wir 40 km Umweg sparen können und fast in Ub'la herauskommen können. Die Fahrradkarte weist die Strecke sogar als Mountainbikepfad aus.
Diesen Weg nehmen wir uns für morgen vor, damit wir abends Michalovce erreichen können, um von dort aus per Nachtzug die Rückreise nach Bratislava zu schaffen. Fast 80 km und maximale Urlaubsausnutzung, nun darf es keine Panne geben!
Der Weg führt zunächst ganz dicht an die ukrainische Grenze heran.
Bis dahin ist er sogar tadellos asphaltiert.
Natürlich, fällt mir ein, alle Wege an den Grenzen entlang waren zur kommunistischen Zeit ja ausgebaut und ständig überwacht, nur schwer verständlich, warum so ein Weg heute gesperrt ist. Nach 2 Kilometern ist die Sache klar: Der Hang ist zur ukrainischen Seite abgerutscht und seit 1990 nicht wieder hergerichtet worden.
Wir schieben die Räder mühsam durch und müssen dann in der prallen Sonne am Hang bergauf schieben. Der Asphalt kommt nicht wieder und der Weg ist immer mehr verfallen. An einer Gabelung gibt es weder Wegweiser noch Markierungen, wir folgen der am besten befahrbaren Strecke, die dann auch sanft bergab führt.
Äußerste Aufmerksamkeit ist angesagt, um Schlaglöchern und losem Geröll auszuweichen. Gut, dass es wochenlang nicht geregnet hat, so rutschen wir auf dem Lehmsaum der abschüssigen Strecke nicht ab. Weit und breit ist niemand zu sehen, von ferne hören wir nur eine Motorsäge. Auf dieses Geräusch fahren wir zu und treffen eine Brigade Holzfäller. Ja, wird uns bestätigt, ihr seid auf dem richtigen Weg nach U'bla.
Noch 2 weitere Kilometer auf einer von Waldtreckern total zerfurchten Strecke, dann kommt, wie eine Erlösung, ein Ortsschild auf uns zu und von da an fahren wir wieder auf Asphaltstraße.
Wir strampeln noch bis U'bla, machen auf der Bachbrücke kurz Halt, um unsere Fahrräder durchzuchecken.
Es ist alles noch heil, ja, an Hand der Entferungsschilder nach Sobrance können wir sogar errechnen, dass wir gut in der Zeit sind.
Doch davor ist noch ein Paß.
In der prallen Sonne scheint uns der Aufstieg endlos, ich fahre weit vor, um oben auf Domi zu warten und um eine Quelle zu finden. Aber das Wasser ist überall versiegt, wir zapfen unsere letzten Reserven an, dann kommen 25 Kilometer Gefälle bis Sobrance, die zu einem weiteren Höhepunkt unserer Radtour werden. Viel zu schade, dass wir so eine Bilderbuchlandschaft so schnell absolvieren müssen!
Hier kommen wir auf die Europastraße mit viel Verkehr, den wir schon gar nicht mehr gewöhnt sind. Wir steuern einen Lidl-Markt an und kaufen uns eine zünftige Brotzeit zusammen, die gleich im Schatten des Marktes verzehrt wird.
Wir sind so gut in der Zeit, dass wir uns noch den Umweg über den Staudamm des Sirava-Stausee leisten können und wir finden in dem Ferienrevier am Nordrand des Sees sogar noch eine Badegelegenheit im Swimmingpool eines Hotels, das gerade umgebaut wird. Zum Nulltarif!
Da wird das letzte Stück bis Michalovce noch zur Spazierfahrt, die uns schnurgerade zum Bahnhof führt.
Auf der Abfahrttafel entdecke ich einen Nachtzug mit Liegewagen nach Bratislava, für den es noch Karten gibt, also sofort zugeschlagen!
In Kosice besteigen wir den Zug und sind überrascht: ein fast neuer Waggon mit Dreibettabteil und Waschgelegenheit für 8,50 €. Einziger Nachteil: Im Inneren sind 33 Grad, wir reißen die Fenster auf und fahren die ersten 100 km im Durchzug der lauen Nacht. Von gelegentlichem Dieselauspuffduft abgesehen, schlafen wir einigermaßen, haben auf diese Weise aber noch einen weiteren Tag für die Besichtigung von Bratislava gewonnen.
In der Jugendherberge Possonium hat man noch Platz für uns.
Wir holen vormittags noch ein Schläfchen nach und machen nachmittags noch eine Radtour zum Zusammenfluß von March und Donau an der Grenze zu Österreich. Und endlich kaufe ich mir eine Flashcard, um wieder Fotos auf meiner weiteren Reise machen zu können.
Domi besteigt seinen Zug zurück am folgenden Vormittag mit dem Gefühl, fast nichts ausgelassen zu haben.
Doch, etwas, was man nächstes Jahr noch nachholen könnte: Die Mala Fatra und die Vel'ka Fatra, ein noch nicht erkundetes Wanderrevier mitten in der Slowakei, für das wir schon einmal Wanderkarten gekauft haben......
Aufbruch: | 28.08.2012 |
Dauer: | 17 Tage |
Heimkehr: | 13.09.2012 |