Tunesien im Winter 2012
... fahre nach Sousse und nach Monastir ...
Vor dem Hotelkomplex stehen Taxen ... ich bevorzuge die Linienbusse und die Eisenbahn und nach Sahline gehe ich zu Fuß.
Der beschwerliche Weg die Treppen hoch zum Turm des Castells in Monastir belohnt mit schöner Aussicht.
Gegenüber vor dem Laden hängt der Kopf einer enthaupteten Kuh, ein wirklich echt aussehendes Zunftzeichen ... noch einmal geschaut ... das ist echt! Soll dann wohl soviel heißen wie "den Rest von dem Tier könnt ihr drinne kaufen"?
In den Randgebieten der Städte wird fleißig gebaut, man brauchte aber wohl Zeitrafferaufnahmen, um ein Voranschreiten der vielen Bauvorhaben sehen zu können. Ich hatte den Eindruck, dass dann gebaut wird, wenn das Geld für einen Sack Zement und für ein paar Mauersteine oder etwaiges anderes Baumaterial zusammen gespart wurde, Sand ist immer haufenweise da, na ja ... und dann ist wieder Pause. Amüsant fand ich die Methode des Sandsiebens. Hat mich an meine früheste Jugend erinnert, als ich meiner Mutter helfen musste, Decken auszustauben oder Laken zu falten.. Zwei Männer stehen sich gegenüber, ein Sieb an jeweils 2 Griffen haltend und schütteln das Sieb, dass die Steine zuletzt auf den Maschen liegen. Wenn fertig, werden die Steine auf einen Haufen geschüttet, neuer Kies auf das feinen Geflecht geschaufelt, angehoben und die Schüttelei beginnt von vorne. Ein dritter Bauarbeiter mischt derweil den gesiebten Sand mit Zement, Kalk und Wasser und ein vierter trägt den fertigen Mörtel hoch zur Baustelle. Wie hoch wäre wohl die Arbeitslosenquote bei effektivem Einsatz der Arbeitskräfte 50%? Mir wurde berichtet, dass die zur Zeit ungefähr bei 30% liegt.
So wirklich gibt es hier in Saline auch nichts zu sehen. Bin ich eigentlich noch in der Stadt? Ich habe den Eindruck, dass da, wo eine Straße lang führt, links und rechts dann auch Gebäude und "Werbeträger" gebaut werden, was ja auch logisch und vernünftig ist.
Wiederholt sich dann auch alles. Wohnhütten, Mini-Geschäfte mit Marsrigeln und Kartoffelchips, Butangasstation, "Freie Tankstelle" mit Pumpschwengel für das Betanken der Minimofas, tunesische Telekom, Handyladen, Vertretung der "orange" Telefongesellschaft, Handyladen, Spielzeug, Mini-Markt, Caffestube ... Handyladen, Auto-Werkstatt, Friseur, "tunesisches Bettenlager", Eier und Geflügel, Obststand ... Friseur, Handyladen, Backstube, Windeldepot, Spielzeug, Kaftane und Jeansladen, Nokia, Samsung, Sharp, "Tinnif und Schnick-Schnack", Getränke mit Handy-auf-Laden, Trainingsanzüge ... dazwischen immer mal wieder Wohnhütten und auch mal ein hübsches aber irgendwie unfertiges Haus mit dem Sandberg davor. Nein, ein System konnte ich dabei nicht erkennen. Als gesicherte Erkenntnis habe ich mitgenommen, dass die Anzahl der Handyläden überproportional zur Anzahl der Gebäudegeschosse steigt.
In dieser baulichen- und Angebots-Einöde konzentriert sich der Blick dann mehr auf Wesentliches, ich schaue, wie die Leute aussehen, sich kleiden und geben, womit sie beschäftigt sind und versuche, Kommen und Gehen zu verstehen.
Mir ist bisher ein einziges kleines Mädchen aufgefallen, das so richtig schick folkloristisch gekleidet war. Leider habe ich gerade in dem Moment nicht daran gedacht, die Kamera zur Hand zu nehmen. Sicherlich gehört sie zur Theatergruppe ihrer Schule.
Ich habe auch ein paar alte Männer, so um die 45 Jahre alt in dem traditionellem Gewand gesehen, die hatten diesen braunen oder schwarzen Wollkaftan mit spitzer Kapuze an. Ansonsten ist Einheitskleidung angesagt. Erinnert ein wenig an China, wobei in meiner Vision zu China mehr khaki-gesteppte Jacken und Hosen zum Erscheinungsbild gehören und hier in Tunesien eher ein offensives Schwarz bevorzugt wird.
Fangen wir mal mit den Kopfbedeckungen an. Frau trägt zartlila bzw. fliederfarbenes luftiges Tuch um den Kopf, besser geeignet sind allerdings fester sitzende gröbere Tücher gemusterter Art. Neben religiösen Gründen hat das straffer sitzende Kopftuch den Vorteil einer Freisprecheinrichtung. Mann, sry Frau kann damit nämlich das Handy am Ohr fixieren und bekommt somit beide Hände frei, z.B. zum Gemüse putzen.
Männliche Tunesier haben in jüngerem Alter meist eine hellblaue Strickmütze auf dem Kopf, in zunehmendem Alter dann allerdings eine schwarze. Eine Altersgrenze für den Übergang von Hellblau zu Schwarz konnte ich nicht feststellen, ja einmal habe ich zwei Jugendliche gesehen, von denen der offensichtlich ältere eine hellblaue Mütze trug und der jüngere eine schwarze?!
Bei Mädchen kann man nicht von Oberbekleidung sprechen, weil der Stoff vom Hals abwärts bis zu den Füssen reicht, Ausnahmen gibt es davon etliche, dann sehen sie aber aus wie Jungen oder wollen sich vermarkten - dazu aber später mehr.
Die männliche Oberbekleidung dagegen ist fixiert auf die schwarze Leder-Imitat-Jacke, wer davon abweicht ist klar als Außenseiter und Abweichler identifiziert.
Als Hosen kommen natürlich nur Jeans infrage, wobei Vorsicht geboten ist. Passen die Jeans, dann steckt mit Sicherheit ein Mädchen darinne!
Ich kann mich an eine Zeit erinnern, da trugen Jungs Jeans, in denen sie aussahen, als wenn sie gerade beim Masturbieren erwischt worden wären, also mit dem Hosenboden in den Kniekehlen.
Hatte auch gelesen, dass das ein Zeichen von Freiheit ehemaliger Sklaven wäre ... habe aber auch schon hirnrissigeren Humbug gehört. Passt aber zumindest zeitlich - offiziell gibt es ja erst seit 1989, als in Mauretanien per Gesetz die Sklaverei verboten wurde, keine Sklaverei mehr auf diesem Planeten.
Die jungen Männer hier tragen Jeans, die nicht die Pobacken umspannen, sondern irgendwie einen Beutel dazwischen bilden ... nun ja, als wenn sie - pardon - eingemacht hätten.
Das kann aber durchaus daran liegen, dass die Leute, die die Schnitte von Diesel, Joob etc. abkupfern, halt nur die Modelle der femininen Serien als Vorlagen nehmen?
Letztlich zur Schuhmode. Zur femininen Seite kann ich absolut nichts sagen, absolut unauffällig und diskret. Mir sind nur ältere Frauen auf der Straße aufgefallen, die in "Puschen" rumliefen, die haben aber offensichtlich nur vergessen, von den Pantoffeln in die Straßenschuhe zu wechseln - ist mir ja auch schon passiert und macht ja auch nichts, wenn man nur mal zum Kiosk geht, um sich die "BILD" zu holen.
Sportschuhe sind wohl immer ok, solange die drei Streifen oder eine geschwungene Augenbraue als Markenzeichen drauf sind. Traditionell wären Schuhe im Stil des Bugs eines Wickinger-Langbootes, dann aber statt des stilisierten Pferdekopfes eine güldene Troddel.
Die Alternative zum Sportschuh in der Realität sieht anders aus. Die Schuhform ähnelt der eines schmalen Spachtels, wie er von Tapezierern benutzt wird und reicht etwa 5 bis 7 Zentimeter über den "Grossen Onkel" hinaus. Bisher ist es mir weder gelungen, eine praktische Bedeutung herauszufinden, noch habe ich eine Symbolik darin gefunden. Das Gefühl ist in dieser Region des menschlichen Körpers doch einfach zu unterentwickelt, als dass dies wirken könnte wie etwa bei den Schnurrhaare einer Katze und man vor Unebenheiten und Hindernissen gewarnt wird. Sowas ist in Bussen und Bahnen wohl sehr hinderlich (ich selbst habe den bedingten Reflex, meine Extremitäten aus dem Weg zu schaffen, sobald jemand durch will) und von der visuellen Esthetik eher ein Schlag in die Magengrube. Fazit: Ich bin jedes Mal verblüfft und starre fasziniert auf solche Treter - möglicherweise ist das ja auch der gewollte Effect.
Die simpelste Strassenbekleidung ist wohl immer noch der Trainingsanzug. Man sieht immer so aus, als wenn man gerade Laufen gehen will oder von sportlicher Aktivität kommt. Mein deutscher Tischnachbar hier im Hotel hat aber auch seit 10 Tagen denselben Trainings-Anzug an ... Grün-Weiss-Blau ... die 100 Meter schafft er mit links in 20 Minuten. "Granddad of Flodders family". Ist also keine typisch tunesische Eigenheit.
Ich bin nun doch etwas gedanklich abgeschweift .
Irgendwann wird mir Saline langweilig und ich beschließe, nach Monastir zu fahren.
Komme auch gerade an die Metro-Station und muss 10 Minuten auf den Zug warten.
Am Bahnsteig ist keine Fahrkarte zu erwerben, also bezahle ich im Zug. Der Fahrpreis ist der gleiche, wie für die gesamte Strecke Monastir - Sousse, genau 1 Dinar.
Mir geht es so, dass die Wertigkeit für Geld im Ausland verloren geht. An einer Stelle fängt man an zu knausern und später fragt man sich, warum dieser "Aufriss" wegen 20 Cent. An anderer Stelle schüttel ich anschließend den Kopf ob der Dämlichkeit, soviel Geld ausgegeben zu haben, denn das finde ich ja nun auch nicht auf der Straße.
Der alte Triebwagen - gekauft aus 2. Hand in Europa natürlich - rüttelt und schüttelt mich durch die Landschaft zwischen Salzseen hindurch, pfeift ständig um Leute zu warnen. Der Straßenverkehr ist an Hindernisse gewöhnt und umfährt auch etwaige Schrankenanlagen. Mir werden Unterschiede zu meinem Heimatland bewusst - in Deutschland hat der Lokführer vor dem Überqueren eines unbeschrankten Bahnüberganges genau 2 Mal die Pfeife zu betätigen und dazu steht sogar ein Schild neben den Schienen, an welcher Stelle er das zu machen hat.
Ich erreiche den Bahnhof von Monastir, der einer der saubersten Plätze in der Stadt ist.
Da ich nun zwar etwas durchgeschüttelt bin, meine Füße und der Rücken aber ausgeruht, schlage ich einen weiten Bogen bis zu meinem eigentlichen Ziel und komme erst weit nördlich noch hinter dem Stützpunkt der Marine an das Meer.
Mein Weg führt mich durch ein "Gewerbegebiet", in der Werkstatt an Werkstatt ist. Kleine Manufakturen, in denen Bettgestelle und Diwane, Kommoden und Kleiderschränke aber auch Zäune und Gitter hergestellt werden. Anders als in Ägypten, wo ich in solchen Manufakturen bis zu 80% arbeitende Kinder im Alter von 6 bis 14 Jahren ausmachen konnte, sehe ich hier nur ältere Jugendliche und Männer werkeln.
Dann kam ich durch eine Straße, in der alles Mögliche mit Autos geschieht. Unfallwagen werde hier wieder repariert oder wenn das dann wirklich nicht mehr möglich ist, bis zur letzten Schraube in Ersatzteile zerlegt. Der Verbrauch an Spachtelmasse für die Karosserien muss immens sein. Anders als bei Plastikverpackung erscheint mir hier das Recycling perfekt. Nur mit dem Altöl scheint es Probleme zu geben.
Es liegt ein beißender Gestank in der Luft, es riecht wie ... säuerlich-krankhafter Durchfall ... und ich bin dann doch froh, das Meer endlich zu erreichen. Es weht eine frische Brise und ich kann frei durch atmen.
Ich treffe zwei Jungen, die mit einem Plastiksack zwischen den Felsen der Brandungswehr nach etwas Brauchbarem suchen. Ich schaue ihnen eine Weile zu, während ich meinem Rücken eine Pause gönne. Die beiden haben es auf Krabben und anderes Seegetier abgesehen - eine auch nicht ganz ungefährliche Angelegenheit, denn ein paar von den Meeresrandbewohnern sind durchaus in der Lage, sich mit Scheren und auch Gift zu verteidigen. Ich vergüte das Posing und das strahlende Lächeln mit zwei 100-Millimes-Münzen und bin dann auch bald wieder auf meiner Parkbank an der Seepromenade von Monastir.
Ein Museum zu Ehren eines Revolutionsführers?
Mein Interesse hält sich in Grenzen aber da ich nun mal hier bin, schaue ich es mir an.
Aufbruch: | Januar 2012 |
Dauer: | circa 5 Wochen |
Heimkehr: | Februar 2012 |