Auf den Spuren von Che und Fidel
DDR-Zeitreise
Mangelwirtschaft
Man stelle sich einmal einen typischen deutschen Supermarkt aus dem Jahre 2014 vor: Ein aus allen Nähten platzendes Sammelsurium von Lebensmitteln aus aller Welt. Man kann für n Appel und n Ei 37 verschiedene Sorten italienische Nudeln kaufen, erstklassigen chinesischen Reis, handmassiertes Kobe-Rindfleisch aus Argentinien, Eier mit aufgeklebten Federn von garantiert glücklichen, freilaufenden und besonders selbstbewussten Hühnern vom regionalen Kleinbauern, amerikanischen Bourbon, irischen Whiskey, neuseeländische Kiwis, brasilianische Mangos, spanische Orangen und sogar im Winter vor Frische triefende Erdbeeren!
Wenn man sich das alles einfach mal wegdenkt und die Regale neu bestückt mit ein paar vergilbten Konservendosen, ein paar Päckchen Reis und einer Reihe ungekühlter PET-Flaschen mit süßlich-grüner Limonade und die restlichen Regale einfach dem EDEKA-Filial-Manager trotzend mal leer stehen und verstauben lässt, dann hat man ein Parade-Beispiel für einen kubanischen Supermarkt vor sich. Es gibt in diesen Läden einfach nichts brauchbares zu kaufen, wenn man als Tourist auf die aberwitzige Idee kommen sollte, mal etwas selbst zu kochen, mal abgesehen davon, dass es in den casa particulares sowieso keine Küche gibt, da diese der dort wohnenden Familie gehört und damit praktisch im 24-Stunden-Rythmus besetzt ist.
Diese sogenannten Supermärkte sind darüber hinaus praktisch völlig ausgestorben, da die Einheimischen sich diesen Luxus nicht leisten können, sondern auf den viel günstigeren Märkten einkaufen gehen (was wir als gewitzte, kultur-verständige Backpacker natürlich auch versucht haben, doch dann schnell an der mickrigen Auswahl und den geschlossenen Ständen scheiterten)
Stattdessen stehen am Eingang drei oder vier zu Tode gelangweilte Mitarbeiter des Supermarktes, die einem zunächst zu verstehen geben, dass man seinen Rucksack am Eingang gegen den Erhalt einer kleinen Marke abgegeben muss (was einen erstaunt, da unser Rucksack weit und breit das einzige Gepäckstück in dem Schrank mit den vielen Fächern ist) und erst danach in die "Verkaufsflächen" eintauchen darf. Wenn man dann der unendlich großen Auswahl erliegt und sich eine Flasche grüne Limonade geschnappt hat, darf man damit zur Kasse gehen, von einem unendlich langsamen und mürrischen Kassierer sich einen convertible abnehmen lassen und nachdem man seinen Rucksack wieder abgeholt hat (wenn man die Marke in der Zwischenzeit nicht verloren hat), die Flasche darin verstaut hat, wird man am Ausgang von einem der drei Türsteher nochmals kontrolliert, ob man auch nur das in der Tasche hat, was auf dem Bon als gekauft ausgezeichnet ist. Wenn alles korrekt ist, reißt der siebte oder achte Mitarbeiter den Kassenbon ein und man darf auch schon wieder ins gleißend helle Sonnenlicht vor die Tür treten.
Ich denke diese interessante Lebensmittelbeschaffungsstrategie darf man getrost als Mangelwirtschaft bezeichnen und so ungefähr stelle ich mir nämlich auch die gute alte kommunistische DDR in ihren Hochzeiten der Mangelwirtschaft vor. Mit dem Unterschied, dass die DDR zeit währen wichtige Lieferungen vom großen sowjetischen Bruder erhielt und so die hemische Wirtschaft einigermaßen über Wasser halten konnte. Kuba dagegen bekam in den 60ern und 70ern regelmäßige Maschinen und Lebensmittellierungen von Stalin und seinen Jungs und im Gegenzug exportierte man Zuckerrohr, Tabak, Zigarren und Rum. Eigentlich ein ganz guter Deal, der auch den Großteil der Zeit funktionierte, bis die UDSSR überraschend irgendwann nicht mehr war und in Kuba schaute man sich auf einmal ganz schön um und überlegte, wie man denn von nun an zum Beispiel an Maschinen für die Landwirtschaft kommen könne. Die Antwort war traurig, aber eindeutig: gar nicht. Es gab schlicht und ergreifend keine neuen Maschinen mehr und so musste man Ende der 80er eben den Retro-Weg gehen und wohl oder übel wieder den alten Ochsenkarren aus dem Schuppen holen und Hand anlegen. Bis heute ist Kuba eines umweltfreundlichsten Länder der Welt, nahezu ausschließlich biologisch angebaute Produkte und extrem umweltverträglich betriebene Landwirtschaft prägen das Hinterland. Und dies nicht etwa aus eitlen kapitalistischen Nachhaltigkeits-Gründen, sondern weil das Land so bitterarm ist und keine Industrie besitzt, mit der man Maschinen produzieren könnte. Aber durch die geschickten kommunistischen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gibt es offiziell in Kuba so gut wie keine Arbeitslosigkeit und wenn man sich so durch die Supermärkte des Landes kauft oder auch mal in staatlichen Restaurants versucht, etwas zu essen zu bekommen, dann versteht man irgendwann, warum niemand arbeitslos ist: Ähnlich wie in den Supermärkten sind die staatlichen Fressbuden hoffnungslos überbesetzt mit gelangweiltem, unterbeschäftigtem, unterbezahltem und vor allem genervtem Personal. Man kommt sich vor wie ein Eindringling, der die klösterliche Ruhe des Verkaufsraums gestört hat, wenn man an den vor Fettresten glänzenden Resopal-Tischen und Metallstühlen vorbei sich zur schwach-beleuchteten Neon-Auslage durchgetankt hat. Dort liegen dann ein paar ranzige Burger-Patties in einer Ecke, während der Rest der Auslage einfach frei bleibt, mehr ist wahrscheinlich eh nicht da. Man kann dann ein in Deutschland untrügliches Zeichen senden, nämlich sich vor die Auslage stellen, den Kopf heben und eine Mitarbeiterin des Restaurants suchen, die die Bestellung aufnehmen könnte. Doch da in Kuba ebenjene Mitarbeiter grundsätzlich erstmal sehr viel Zeit und wenig Bock haben, dauert es locker 2 Minuten, bis jemand einem entgegen schlurft. Missmutig wird die Bestellung abgenickt und man geht ein paar Meter weiter Richtung Kasse, um die wieder drei oder vier Frauen herum stehen, die sich wahrscheinlich einen kurzen Moment später alle gleichzeitig auf die Kasse stürzen werden, um den Betrag einzugeben. Denkste! Machen nämlich nicht alle gleichzeitig, sondern einfach Keine! Nachdem man noch zwei, drei weitere Versuche unternimmt, sein Geld loszuwerden, wird man völlig entnervt angeschaut, als man dann auch noch in der Touristen-Währung bezahlen will und nicht mit heimischen Pesos. Na gut, nach ca. 3 Minuten verhältnismäßig aufgeregten Diskutierens werden unsere convertibles also doch angenommen und nochmal 3 Minuten später wird einem auch schon der "Burger" auf einem weißen Tellerchen auf die Theke geknallt. Man kennt hierzulande einen Burger ja selbst bei der Massenabfertigung bei Mc's nachts um 3 Uhr am Bahnhof wenigstens mit einer Alibi-Beilage wie einer sauren Gurke oder einem Klecks Sauce. Auf solchen Schnick-Schnack wird in Kubas Restaurants verzichtet, da reicht doch wirklich labbriges weißes Brötchen mit sehr sehnigem, kalten Fleischlappen in der Mitte, wozu dieser ganze unnötige Quatsch von wegen, "Das Auge isst mit" und so?!
"WORLD WIDE" Web
Man sollte ja annehmen, dass sich dieses Internet seinem Namen entsprechend WELTWEIT ausgebreitet hat mittlerweile und das es Mark Zuckerberg gelungen ist, sogar in den hintersten Ecken dieses Planeten neue Freunde zu finden, mit denen er dann gemeinsam Fotos liken und wertvolle Dinge posten kann. Doch wenn man im Jahre 2014 nach Kuba kommt, erlebt man einen völligen Backflash, was die neuen Medien angeht: Es gibt im gesamten Land keine nennenswerte Internetverbindung bzw. nicht das, was man bei uns unter Internetverbindung versteht. Natürlich haben wir vor ein paar Jahren auch mal mit dieser herrlich Modem-Wahlmelodie angefangen, der man locker 45 Sekunden lauschen konnte, bis dann der Zähler für die Internetkosten pro Minute zu rattern begann und die erste Seite in schlappen dreieinhalb Minuten dann auch geladen sein würde. Genau so, nein, eigentlich noch viel schlimmer muss man sich das Internet in Kuba vorstellen. Wir entdeckten bei unserem zweiten casa particular in Santiago in der Familienküche einen Trümmer von PC, der laut Beschilderung die Möglichkeit bot, im Internet zu surfen. Da ich unbedingt noch Geld auf meine VISA-Karte überweisen musste, nutzte ich die Chance und wollte mich enthusiastisch auf die DKB-Startseite einloggen. Tja, das Problem bei diesen online-banking-Seiten ist allerdings, dass man nach 8 Minuten, in denen man nichts unternimmt oder neu lädt, einfach wieder rausgeschmissen wird aus dem System Ist ja grundsätzlich ganz vernünftig so aus Sicherheits-Gründen, aber da haben die Herren von der DKB-Sicherheitszentrale die Rechnung wohl ohne kubanische PCs gemacht, denn hier dauert allein das vollständige Laden der DKB-Startseite ca. 12 Minuten, in denen man eigentlich in Ruhe duschen oder eine rauchen gehen kann. Nebenbei versuchte ich noch, einer Freundin bei Facebook zum Geburtstag zu gratulieren, doch wenn man bedenkt, wie viele kleine Bildchen und Posts dort allein schon auf der Profil-Startseite zu laden sind, wird einem schnell klar, wie hoffnungslos dieses Unterfangen ist. Ich schaffte es letztendlich also in 72 Minuten Internetzeit an diesem PC mit Hängen und Würgen ein bisschen Geld auf meine VISA-Karte zu überweisen und einen zweizweiligen Gebrutstagsgruß auf ihrer Pinnwand zu hinterlassen. Bei beidem reichte die Kapazität übrigens nicht mehr aus, um mich auszuloggen, soviel zum Thema Sicherheit
Diese eindrückliche Demonstration der kubanischen Verbindungsmöglichkeiten zur Außenwelt lehrte uns, in den kommenden 2 Wochen unserer Reise unsere Planungen lieber nicht auf das Internet zu schultern, sondern eine neue, alte Variante der Kommunikation zu nutzen, die Kuba am Leben hält: Das Telefon. Bis vor einigen Jahren hatte kaum ein Kubaner ein Handy, weil schlicht und ergreifend kein Netz zur Verfügung stand, in dem man hätte telefonieren können. Mittlerweile haben ca. ein Drittel der Kubaner Handys, allerdings muss man sich diese Modelle ähnlich der Unsrigen in den späten 90er Jahren vorstellen, als man sich noch die Finger Wund tippte, weil T9 noch nicht erfunden war.
Es wird in den meisten kubanischen Haushalten also auf das gute alte Festnetz-Telefon zurückgegriffen und mit Hilfe dessen haben es die Kubaner geschafft, ein unglaublich verzweigtes Telefon-Netz durchs Land aufzubauen, das es ihnen ermöglicht, zwei Backpacker wie uns von einem Freund zum nächsten zu schleusen, so dass man dann auf seiner Reise von einem casa particular zum nächsten einer handgeschriebenen Liste mit Freunden und deren Telefonnummern hinterherreist. Bevor man abreist, bespricht man also mit seinem Host, was das nächste Ziel sein soll und sofort fällt diesem ein Freund mit einem casa particular dort ein, bei dem man übernachten könne. Dieser wird dann auch schnell angerufen (und in 99% der Fälle auch erreicht, weil das Leben der Kubaner ja wie gesagt zum größten Teil Zuhause stattfindet) und es wird ausgemacht, dass mit dem Viazul-Bus um so und so viel Uhr Morgen Nachmittag zwei deutsche Gestalten vorbei kommen, die Ben und Mario oder so ähnlich heißen. Dieses Telefon-Arrangement ist dann auch praktisch in Stein gemeißelt und da man sowieso keine Möglichkeit hat, den nächsten Host zu kontaktieren (weil das eigene Handy in Kuba nicht funktioniert, Roaming ist eben auch noch nicht in allen Teilen dieser Welt angekommen), vertraut man einfach darauf, dass man dann am Viazul-Bahnhof in Dingsbums abgeholt wird. Und man ist jedes Mal wieder erstaunt, dass dann am Ausstieg tatsächlich ein Kubaner steht, der einen kleinen DIN-A-4-Zettel in der Hand hält, auf dem handgeschrieben "Ben y Mario" steht und man fühlt sich sofort sicher aufgehoben und steigt in dessen Auto...
Man lernt also im Laufe seiner Kuba-Reise, ohne große körperliche oder geistige Schäden die Errungenschaften der modernen Technik wie das Internet oder das tragbare Telefon einfach zu ignorieren und sich in eine Retro-Welt versetzen zu lassen, in der das Reisen noch mit so herrlichen Dingen wie "Robertos Freundesliste" oder verbindlichen Festnetz-Verabredungen funktioniert.
Man munkelt, dass Fidel und seine Jungs wohl mittlerweile doch eine recht schnelle Breitband-Verbindung nutzen, um auf dem neuesten Stand zu bleiben und zwar mit Hilfe eines Unterseekabels vom kommunistischen Bruder aus Venezuela, das theoretisch ganz Kuba mit schnellem Internet segnen könnte, doch in so einem autoritären Staat möchte man den Informationsfluss aus dem Ausland und somit aus demokratischen Systemen natürlich in Grenzen halten und enthält diese Verbindung deshalb der breiten Masse vor.
Warum die Deutsche Bahn eigentlich doch ganz toll ist...
Mit Hilfe eines solchen verlässlichen Telefon-Arrangements wollten wir auf einem unserer letzten Teilabschnitte der Reise nach Havanna nun auch mal das kubanische Nahverkehrssystem ausreizen und auf der so ziemlich einzigen Bahnstrecke des Landes triumphal in die Hauptstadt einreisen. Der einzige Elektro-Zug des Landes besitzt den lustigen Namen "Hershey Zug", Hershey wie die englische Schokoladenmarke und genau so ist der kleine Raser auch zu seinem Namen gekommen: Der Hershey-Bestizer wollte irgendwann in den 50ern Zucker möglichst schnell und kostengünstig aus dem Innland in die Hauptstadt schicken und da ihm die aktuellen Transport-Möglichkeiten alle missfielen und er sowieso nicht wusste, wohin mit seinem Geld, baute er einfach eine eigene Bahnstrecke nach Havanna, wer hat der kann, nicht wahr?!
Also schnell noch einen Elektro-Zug besorgt und los ging die wilde Fahrt durch dichten kubanischen Dschungel. Der gute Hershey hat schon länger abgedankt, doch sein Zug wird ähnlich wie die amerikanischen Oldtimer liebevoll gehegt und gepflegt und ächzt sich so noch heute dreimal am Tag die 6 Stunden von Matanzas nach Havanna und zurück. Theoretisch...
Denn als wir voller Zuversicht am Bahnhof ankamen (der den Namen Bahnhof in Deutschland wahrscheinlich nicht bekommen würde), wurde uns und zwei chinesischen Touristinnen freundlich mitgeteilt, dass es ein Gewitter gegeben habe und der Zug deshalb nicht fahren könne, so sei das eben bei Elektro-Zügen und dem Gewitter. Und das, obwohl uns am Morgen des selben Tages am Telefon noch versichert wurde, das der Zug wie geplant fahre! Man sei aber zuversichtlich, dass das Wetter besser werde und am Nachmittag der Zug wieder fahren würde.
"cerrado"? geschlossen? is doch quatsch, bedeutet nur, dass man den dahinter auf dem Boden schlafenden, service-orientierten Mitarbeiter des Monats wach rütteln muss und schon kriegt man eine zufriedenstellende Info...
Naja, kein Problem, als Backpacker in Kuba eignet man sich irgendwann eine gewisse Tiefenentspanntheit an und deshalb eben einfach noch auf ne Runde Schach ins Café und 4 Stunden totschlagen.
Als wir jedoch vom Café wieder zurück zum Bahnhof latschen wollten, erfasste uns ein unerwarteter, extrem heftiger Platzregen, der innerhalb von Minuten die nicht asphaltierten Straßen in ein einziges Schlammbecken verwandelte und uns beim Überqueren der Straße immer wieder die Flip-Flops wegriss, so dass wir irgendwann nur noch barfuß Richtung Bahnhof wateten.
Ab einem gewissen Zeitpunkt hatte der Versuch, die Klamotten möglichst trocken zu halten, einfach keinen Sinn mehr und so lief uns schließlich die nasse Suppe bis in die Unterwäsche und da Benes Rucksack leider Gottes keinen Regenüberzug beinhaltete, eben auch einfach relativ ungebremst in seinen Rucksack und weichte dort auch die restlichen Klamotten durch. Doch von so einem kleinen Schauer lässt sich der tiefenentspannte Backpacker schließlich doch nicht die Laune verderben!
Vamos!
Bis auf die Haut durchnässt, aber glücklich, das der Zug überhaupt fuhr, ging es also gemütlich ruckelnd durch das kubanische Hinterland.
Alle paar hundert Meter wurde die rasante Fahrt durch kurzes Innehalten gestoppt, was uns aber nicht weiter beunruhigte, da der lonely planet uns bereits vor "gelegentlichem, unerwartetem Anhalten auf freier Strecke" gewarnt hatte, weshalb wir auch schnell in ein erbittertes Canasta-Match vertieft waren und gar nicht merkten, wie sich langsam die Dunkelheit über Kubas Nordküste legte.
Mitten in dieser Dämmerungsphase hielten wir mal wieder im Nirgendwo an und als dieses Mal die Fahrt nach ca. 10 Minuten nicht weiter ging, fingen wir an, unser Spiel zu unterbrechen und uns umzuschauen. Und prompt kam auch der Lokführer nach hinten geschlurft und gab bekannt, dass es ein kleines technische Problem gebe, aber das er jetzt mit seinem eigens für solche Fälle mitgeführten Mechaniker mal schauen werde, ob sich da nicht was machen ließe. Unsere Blicke folgten den beiden Männern und ihrem Werkzeugkasten, als sie ans Ende des Zuges gingen. Man sah sie mit Schraubschlüsseln und Hammern herum montieren und als auch das nach ca. 20 Minuten keinen Erfolg brachte, gingen sie wieder nach vorne, um eine Art Notruf abzusetzen. Wir rechneten kurz aus, das wir ca. eine halbe Stunde Zugfahrt von Matanzas entfernt waren und schlappe fünfeinhalb Stunden von Havanna und dazwischen das blanke Nichts. Aus dem Fenster heraus sah man im Halbdunkeln lediglich Bäume, Sträucher und einen sehr matscigen Trampelfahrt, aber nichts, was in irgendeiner Richtung aus Zivilisation (wie zum Beispiel eine Straße oder eine Übernachtungsmöglichkeit) hingedeutet hätte. Als uns langsam klar wurde, dass diese ganze Geschichte sich zeitlich flexibel gestalten könnte, passten wir uns umgehend der neue Situation an, indem wir mit ein paar Sachen unterm Arm ein Stück in den Busch gingen, um uns dort nun endlich mal trockene Sachen anzuziehen und mehr oder weniger auf eine Nacht im Zug einzustellen, also mit der für Kuba recht untypischen Kleiderwahl einer Jogginghose und einem Pullover. Zusätzlich streckten wir in unserem Vierer-Abteil die Beine auf den gegenüberliegenden Sitzen aus und breiteten unsere Leinen-Schlafsäcke darüber aus. Des Weiteren holten wir jeder unser Buch heraus und da es in dem Zug auch keine nennenswerte Beleuchtung gab, lasen wir Grubenarbeiter-mäßig mit der Handytaschenlampe im Mund unsere Schmöcker und kamen uns vor wie bei einem Rentner-Fernsehcouch-Abend, was uns in gemütliche Heiterkeit versetzte und uns außerdem das Staunen der benachbarten Passagiere einbrachte.
Bei der mickrigen Geschwindigkeit entstand leider auch kein kleidungsstück-trocknungswürdiger Fahrtwind
Nach ca. drei Stunden, in denen einfach nur nichts passierte und wir angeblich auf einen Hilfs-Wagon mitsamt Handwerker-Mannschaft warteten, breitetet sich auf einmal hektische Betriebsamkeit unter den Reisenden aus, als uns von vorne ganz langsam ein sehr greller Scheinwerfer entgegenkam. Dieser entpuppte sich tatsächlich als die angekündigte Rettungsmannschaft! Nach einem kurzen Ruckeln waren wir angekoppelt und währenddessen kam ein kleiner Mann mit einem Messingbecher und einer Kanne Kaffee durch unseren Wagen und wir tranken gemeinsam aus diesem Becher einen Schluck Kaffee und schwelgten gemeinsam in einer seeligen wir-wurden-gerettet-Stimmung. Es ging langsam schnaufend durch die pechschwarze Dschungel-Nacht, bis wir ca. 10 Minuten später an einem Bahnhof ankamen, an dem wir dann alle aussteigen sollten. Sehnsüchtig blickten wir draußen unserem Zug hinterher, der weggezogen wurde in die Nacht.
Uns wurde aber versichert, dass ein paar Minuten später ein neuer Zug einträfe. Und dem war auch zum Glück so. Wieder gemütlich eingemummelt in unsere Schlafsäcke ging es also weiter durch die Wildnis, ab und zu unterbrochen von kurzen Stopps an kleinen so genannten Stationen, an denen ein einsamer Passagier im Dunkeln stand und wahrscheinlich schon seit 4 Stunden auf den Zug wartete und man fragte sich noch, von und wie er zu dieser Station im tiefsten Dickicht gekommen war.
Während der schaukelnden und extrem lauten Fahrt blitzte über unserem Zug immer wieder die nasse Oberleitung in gleißend hellem Licht auf, so dass es praktisch unmöglich war, während der Fahrt ein wenig Schlaf zu finden, zumal die Sitze nicht gerade Komfort-Liegen der 1.ICE-Klasse verkörperten.
Dementsprechend durchgerüttelt und hundemüde kamen wir dann gegen 23 Uhr abends an einem Bahnhof außerhalb von Havanna an, nach neun anstatt wie geplant sechs Stunden. Unserer Gastgeberin, die uns ursprünglich vom Bahnhof hätte abholen sollen, war nicht mehr da um diese Zeit, denn wir hatten ihr natürlich auch nicht Bescheid sagen können während der Fahrt. Immerhin besaßen wir eine Adresse ihres Hostels und eine große Vorstellung davon, wo es lag. Wir hatten die Idee, ein Stück der Strecke zu Fuß zu gehen und auf dem Weg ein Taxi anzuhalten. Doch die Laune sackte rasant in den Keller, als es abermals zu regnen begann, wir durch spärlich beleuchtete, zwielichtige Randbezirke von Havanna liefen und weit und breit kein Taxi, geschweige denn überhaupt ein Auto zu sehen war. Wir fragten schließlich an einer Art Kiosk, ob man uns ein Taxi rufen könne, doch der Mann schüttelte nur den Kopf. Wie, er kann kein Taxi rufen? Wo sind wir hier gelandet? Anscheinend sahen wir aber dann doch so abgekämpft und mitleiderregend aus, dass er das nächste Auto für uns anhielt und mit dem Fahrer aushandelte, ob er uns nach Havanna mitnehmen könne für ein paar convertibles. Nach kurzem Überlegen und einem Blick auf uns willigte er ein und wir stiegen nachts in einer kaum beleuchteten Straße irgendwo im nirgendwo in ein fremdes Auto ein, das nicht mal ein Taxi war. Das sein Auto überhaupt noch fuhr war ein Wunder und er musste in dem dichten Regen immer wieder auf einen Knopf drücken, der aussah wie ein Zigaretten-Anzünder, um den Scheibenwischer so manuell zum Wischen zu bringen. Aber er brachte uns tatsächlich nach Havanna, wo unsere Gastgeberin sich schon den ganzen Abend gefragt hatte, wo wir denn blieben und uns dann mitteilte, dass sie leider jetzt kein Bett mehr frei habe, da in der Zwischenzeit drei Russen eingezogen seien und sie dachte, wir kämen nicht mehr. Also rief sie schnell ihre Putzfrau an, die ein paar Blocks weiter im 24.Stock eines Hochhauses wohnte und wir wurden flugs dorthin verfrachtet. Ein wenig wie man sich ein schäbiges Hotel in Manhattan Downtown vorstellt, war unsere Unterkunft in diesem Hochhaus, doch wir waren viel zu müde und sehnten uns nur nach dem großen Doppelbett in der Mitte des Raumes, als dass es uns gestört hätte, dass dann auch noch der Strom ausfiel und uns die Gastgeberin eine Kerze brachte, mit der Erklärung, das passiere öfter in Havanna.
Havanna
Die letzten drei Tage verbrachten wir also in der sagenumwobenen Hauptstadt des Landes, ein Meer von Eindrücken, bunten Farben, hartnäckigen jineteros, die einem lautstark etwas andrehen wollen, riesigen Hochhäusern, kaputten Wohnstraßen direkt neben den Prachtboulevards vor dem Kapitol, einer extrem hässlichen Beton-Strandpromenade und alles in allem ist Havanna ein ganzes verrücktes Land mit seiner speziellen Kultur gebündelt an einem Ort und deshalb faszinierend und anstrengend zugleich.
Gar nicht so einfach, rauszukommen...
Geplant war die Ausreise aus Kuba mit einem Flug der kubanischen Airline "Cubana Aviacion" und zwar um 12 Uhr mittags. Wir gaben also unsere letzten convertibles und kubanischen Pesos aus, nahmen ein Taxi zum Flughafen etwas außerhalb der Stadt und richteten uns auf einen kurzen Flug nach Santo Domingo in der Dominikanischen Republik ein. Da es ohne Internet nicht möglich war, den Flug vorher online zu bestätigen, ließen wir unsere Gastgeberin am Flughafen anrufen, die uns daraufhin bestätigte, dass unser Flug um 12 Uhr los gehen sollte. Da dieser Telefondienst uns soweit gebracht hatte, vertrauten wir auch diesmal wieder auf diese Information, was sich als folgenschwerer Fehler heraus stellen sollte...
Denn als wir am Flughafen ankamen, fiel uns direkt auf, dass unser Flug nicht auf dem Bildschirm aufleuchtete und als wir dann am Info-Schalter nach unserem Flug fragten, wurden wir rüde angeblafft, dass wir das nächste Mal doch bitte drei anstatt wie jetzt nur zwei Stunden vorher am Flughafen zu erscheinn hätten. Nun ja, das nützte uns jetzt auch nicht viel und nach weiterem durchfragen fanden wir einen kleinen Schalter in hinterem Eck des Gebäudes, das zu unserer Airline gehörte. Dort wurde uns mitgeteilt, dass unser Flug gar nicht heute ginge, sondern am nächsten Tag um 8 Uhr morgens und ob uns denn niemand Bescheid gegeben hätte. Als wir dann gefragt wurden, wann wir denn den Flug gebucht hätten und antworteten, vor zwei Monaten, rollte der Mann am Schalter mit den Augen und sagte lächelnd, dass das natürlich auch sehr früh sei für einen kubanischen Flug.
Wir wägten also kurz unsere Optionen ab und kamen zu dem Schluss, dass wir sowieso kein Geld mehr hätten, um nochmal zurück in die Stadt zu fahren, dort ein casa particular zu nehmen und morgen früh wieder herzukommen, noch dazu um 5 Uhr morgens (DREI Stunden vor Abflug) wieder hier sei zu müssen. Also durchkämmten wir das Flughafengebäude, das sich gerade im Umbau befand und suchten nach einem geeigneten Platz, an dem man ungestört die nächsten siebzehn Stunden verbringen könnte. Ein solches Plätzchen fanden wir auf ein paar Bänken neben zahlreichen Souvenir-Shops, die alle dieselben Produkte anboten und alle von den gleichen gelangweilten staatlich angestellten Mitarbeiterinnen besetzt waren. Dieser skurrile Anblick gefiel uns und so ließen wir uns nieder zu einer Partie Schach, die immerhin schon mal die ersten 2 Stunden totschlagen konnte.
Die restliche Zeit verbrachten wir damit, uns die gelangweilten Souvenir-Shops-Mitarbieter anzuschauen, zu lesen oder im flughafeneigenen Café mit den schon bekannten Resopal-Tischen unsere letzten Pennies auf den Kopf zu hauen. Wir hatten zuvor zwei deutsche Backpacker getroffen, die nicht wussten, was sie mit einem trockenen Brot und einer rieseigen Avocado anfangen sollten am Flughafen bzw. diese Lebensmittel auch gar nicht ins Flugzeug gekriegt hätten und so schenkten sie uns die beiden Sachen, die während des langen Abends meine treuesten Begleiter wurden uns ebenso viel Zeit von der Uhr nahmen wie das Schachspiel
Die ganze Aktion mit der Avocado schaffte uns gegen Abend schließlich so sehr, dass wir völlig ermattet auf unsere heimeligen Bänke sanken und mehr oder weniger gemütlich dort unsere letzte Nacht in Kuba verbrachten.
Am nächsten Morgen um 5 Uhr starteten wir einen neuen Versuch und tatsächlich, wir hatten eine Maschine, die uns in die DomRep brachte und als pünktlich um 8 Uhr kubanischer Zeit die Flugzeug-Reifen die Startbahn verließen, war unser sehr aufregendes und spannendes Kuba-Abenteuer zu Ende.
Aufbruch: | 01.11.2013 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 20.11.2013 |