Bhutan - mit dem Fahrrad durch das Land des Donnerdrachens
Finale
Die letzten drei Tage waren lang und anstrengend. Es sind noch einmal viele Kilometer und viele Höhenmeter dazu gekommen, bis wir heute in Samdrup Jogkhar, einem kleinen Grenzort zu Indien, der am Rand der Berge aber bereits in der Brahmaputra-Ebene liegt. Der Eindruck des Ortes ist schon ganz anders als die vielen Dörfer und Kleinstädt in den Bergen. Es ist heiß und nicht nur angenehme Grüche steigen in die Nase, die Geschäfte sehen anders aus und die Menschen stammen offenbar zu einem Großteil aus Indien, mit ihrem anderen Aussehen, ihrer anderen Kleidung und ihren anderen Sitten und Gebräuchen. In den letzten beiden Wochen habe ich die sehr ruhige und zurückhaltende Art der Bhutaner schätzen gelernt. Niemand bettelt, niemand ist laut oder aufdringlich und überall wird einem freundlich begegnet. Das ist hier auch nicht anders, aber der Ort ist schon deutlich quirrliger.
Nima, Norbu und ich haben uns inzwischen ganz gut arragiert. Norbu versteht zwar vieles auf Englisch, weigert sich aber ziemlich beharrlich mehr als nur einzelne Worte zu sprechen. Ansonsten ist er immer bei guter Laune, auch wenn das Auto mal wieder streikt. In Mongar war er morgens schon früh verschwunden, um mal wieder eine Werkstatt zu suchen, die die Lichtmaschine ersetzen konnte. Freudestrahlend kehrte er mit einer handvoll defekter Sicherungen zurück und von nun an lief der Wagen ohne größere Probleme.
Norbu ist Dauerkonsument wie viele seiner Landsleute. Ständig kaut er auf seiner Doma herum: Ein Stück Betelnuss mit Branntkalk in ein Blatt des Betelnussbaums eingewickelt. Nachdem er geraume Zeit auf der Portion herumgekaut hat, spuckt er - wie allen anderen auch - den roten Saft auf die Straße. Vielen Bhutanern sieht man den ständigen Konsum dieser leicht berauschenden Droge an den schwarzen Zähnen und den roten Mundwinkeln sofort an.
Ein Stück Betelnuss, ein bisschen Branntkalk und das Ganze in ein Blatt gewickelt verschwindet in der Wange und wird dann lange gekaut, bis der rote Saft schießlich auf der Straße landet
Ich habe keine Ahnung, wie sich diese leichte Droge auf die Fahrtauglichkeit auswirkt, zumindest fördert sie offenbar noch einmal die den Bhutanern eigene Gelassenheit. Norbu hatte seinen Spaß daran, wenn ich mich den Berg hochquälte, was für ihn wohl überhaupt keinen Sinn ergab. Nima stieg spätestens am nächsten dem Lunch folgenden Berg auf den Pickup um, und ich hatte meine Ruhe und konnte zuverlässig alle paar Kilometer auf ein Versorgungsfahrzeug zugreifen. Bei längeren Abfahrten ist Norbu auch schon mal vorangefahren und hat mir den Weg in den Kurven frei gehupt. Nima hatte nach dem dritten Tag keine einzige Etappe mit mir gemeinsam bis zum Ende durchgestanden - wir haben es mehr und mehr mit Humor genommen. Für ihn war es schließlich die erste längere Radtour und er hat viel Neues in seinem Heimatland entdeckt.
Einen gemeinsamen Nenner haben wir dann doch noch gefunden. Die Beiden konnten sich offenbar nur schwer vorstellen, dass ein Europäer genau das dort essen möchte, was und wo die Bhutaner essen. Als das erst einmal geklärt war, gab es zumindest mittags immer leckeres bhutanisches Essen, wenn auch gelegentlich in Lokalen, die bei uns das Gesundheitsamt geschlossen hätte, ohne sie zu betreten.
Keine Ahnung, wie dieses Zeug heißt, ist jedenfalls reiner, frittierter Zucker - kann man unmöglich essen...
Wie schon erwähnt, waren die letzten Tage sehr hart. Das hing auch damit zusammen, dass anscheinend niemand vor mir diese Tour nach dieser Beschreibung gefahren war. Dazu waren zu viele Fehler hinsichtlich der Entfernungen und der Höhenangaben enthalten. Und wer die genannten Fahrzeiten erreichen soll, ist mir schleierhaft. Jedenfalls blieb am Ende der Tage kaum Zeit, sich noch in den Ortschaften umzusehen, was gerade in Trashigang schade war, da dieser Ort viel für das Auge zu bieten hatte.
Erschwert wurde die Fahrt zudem durch einige sehr lange Baustellenbereiche, wo die vorhandene Straße auf zwei echte Fahrstreifen verbreitert wird. Wo der neue Asphalt aufgetragen war, wurde die Fahrt zum Genuß, wo nicht, war es eine staubige Tortur.
Was mich allerdings in diesen Baustellenbereichen nachhaltig beeindruckt und auch bedrückt hat, waren die Arbeitsbedingungen der Menschen. Baumaschinen sind die Ausnahme. Sehr viel wird von zahllosen Menschen buchstäblich in Handarbeit erledigt. Vom Zerkleinern der Steine mit teilweise wirklich kleinen Hämmern zu Schotter bis zum Planieren der Strecke mit den bloßen Händen. Und dabei werden zwischen Männern und Frauen keine Unterschiede gemacht.
Zwei Frauen, eine Schaufel: Füllmaterial wird auf der neue Trasse verteilt, wobei die eine Arbeiterin mit einem Seil an der schweren Schaufel zieht
Hier wird fast alles von Hand erledigt. Erst einmal müssen die großen Steine zu Schotter zerkleinert werden
Weil die Wege weit sind und die Arbeiten lange dauern, errichten sich die Bauarbeiter aus dem Blech von Teer- und Ölfässern Hütten direkt am Straßenrand
Zur Straßenverbreiterung wird der Hang abgetragen, dadurch wird dieser instabil, rutscht auf die neue Fahrbahn und verschüttet oder zerstört sie wieder. Dutzende Erdrusche lassen keine Ende der Arbeiten absehen. Oft wird wie Fahrbahn nur für eine Fahrzeugbreite wieder frei geräumt.
Heute dann, nach der letzten Baustelle konnte wir das Ergebnis dieser Arbeiten noch einmal in vollen Zügen genießen. Aus fast 2500m Höhe kommend rollten wir die letzten 40 km durchgehend auf einer neue, relativ ebenen, breiten Fahrbahn bis auf 200m Höhe nach Samdrup Jongkhar ein - das ließ sich Nima auch nicht nehmen!
In Samdrup Jongkhar tut sich ein kleines Problem auf, das Nima schon angedeutet hatte, ich aber für den Versuch hielt, mich von Fahren der letzten Etappe abzuhalten. Die Hindus feiern in diesen Tagen Diwali, das hinduistische Lichterfest. Vor den Fenstern meines Hotelzimmers und in der ganzen Stadt hängen bunte Lichterketten, überall sind kleine Öllampen verteilt und es wird gesungen und getanzt. Zu einem Problem kann das fröhlich Treiben morgen für mich werden, wenn in Indien für mehrere Stunden die Straßen deswegen gesperrt werden und ich ich nicht zum Flughafen in Guwahati, der Hauptstadt des Bundesstaates Assam, kommen sollte. Also: Start um 07.00 Uhr, obwohl der Abflug erst für 17.00 Uhr geplant ist - alles wird gut. Gelassenheit kann man hier sehr gut lernen - und davon möchte ich mir für den heimischen Alltag ein Stück bewahren!!!
Aufbruch: | 06.10.2014 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 26.10.2014 |