Andamanen 1999
Das Einzige, was ich über die Andamanen wußte, war, dass sie irgendwo im Golf von Bengalen liegen, weit und breit von jedem Festland entfernt, früher mal Sträflingskolonie von Indien und übersät mit Ur-Einwohnern, die Neuankömmlinge mit Giftpfeilen begrüßen. Mehr war mir bis vor einem halben Jahr nicht über diese Inselchen bekannt. Grund genug, sie einmal näher kennenzulernen. Also, nichts wie hin.
Port Blair und Havelock Island
Interessanter wäre es natürlich gewesen, wenn ich die 3-tägige Schiffsfahrt nach Port Blair - Hauptort der Andamanen, gebucht hätte. Da ich mich aber auf Schiffen üblicherweise mehr mit dem "Füttern der Fische", halb sterbend über der Reling hängend, beschäftige als mit meiner Umgebung, entschloss ich mich dann doch, das große Loch in meine Urlaubskasse zu reißen und den Hin- und Rückflug - immerhin 400 $ für je 2 Std. Flug - zu buchen, in der Hoffnung, dass man mich weder einbuchten würde noch wollte ich von einem Giftpfeil getroffen werden (immer wieder heimlich gehegter, auf mich bezogener Wunschtraum einiger Arbeitskollegen).
Ja, also wo und was sind sie also wirklich - die Andamanen?
Kurz zur Historie: Im frühen 18. Jahrhundert bereitete Admiral Angre auf den Andamanen seine Überfälle auf europäische Seeflotten vor. Dann übernahmen die Briten das Regiment und etablierten 1857 die gefürchteste Sträflingskolonie ganz Indiens. 1947 wurden die Inseln in die Indian Union im Rahmen der Unabhängigkeit von Indien mit eingeschlossen.
Es ist ein Archipel von 572 tropischen Inseln, gestreut über eine Länge von 700 km mitten im Golf von Bengalen zwischen Indien und Myanmar (Burma), 1190 km von Madras entfernt. 280.000 Menschen leben auf nur 38 Inseln; ansonsten prägen einsame weiße Strände und immergrüner Dschungel das unberührte Paradies. Bis in unser Jahrhundert lebten einzig sechs kulturell verschiedene Stämme in der Abgeschiedenheit. Heute machen die Ur-Einwohner noch 20 % der Bevölkerung aus. Der Rest der Bewohner setzt sich aus Einwanderern aus den div. asiatischen Umländern zusammen. Während Indien lange Zeit versuchte, diese "Primitiven" durch die Einwanderung vorwiegend von Tamilen zu zivilisieren, sind die Stämme der Nikobaren und nördlichen Andamanen heute vor dem Zugang von Fremden geschützt. Wer dieses Verbot mißachtet, riskiert es auch heute noch, vom Giftpfeil eines Einheimischen begrüßt zu werden, was, wie mir erzählt wurde, mindestens 2-3 Neugierige pro Jahr betrifft. Gefahrlos besuchen kann man hingegen die südlichen Andamanen mit dem Hauptort Port Blair. Bei der Einreise bekommt man ein 30-Tage-Permit, das erlaubt, nur auf die bestimmten Inseln zu reisen.
Nach dem herrlichen Flug über die vielen einsamen Inseln im grün/blauen Wasser kommt erst einmal der Schock. Ich denke, ich glaub's nicht. Ein Ort wie manche indische Großstädte - stinkend, lärmend, volle Straßen. Warum zum Teufel habe ich bloß so viel Geld für so etwas bezahlt, frage ich mich, verzweifelt auf der Suche nach einer erträglichen Unterkunft. Die auf dem Flughafen gesehenen Backpacker - immerhin doch ca. 10 - 15 Leute - sind alle plötzlich verschwunden. Die Hotels sind voll - it's Christmas time, my lady, wird mir immer wieder gesagt. Na, das fängt ja gut an. Ich ergattere schließlich ein Zimmer, habe dann auch schnell das für mich inzwischen lebensnotwendige Fortbewegungsmittel in Indien - einen Roller. Die ersten Fahrversuche hatte ich bereits auf dem Festland in Indien schon hinter mir inmitten von Rikschas, Lastkarren, stinkenden LKW und hupenden Busruinen, dazwischen ein paar Elefanten und jede Menge Kühe, alles in einem wirren Knäuel ineinander verstrickt. Wer das überlebt, den schafft nichts mehr. Im Gegenteil, nach einer Zeit wagte ich es sogar mit meinem kleinen motorisierten Gefährt, mich mit einem Auto bzw. Bus anzulegen, indem ich den entsprechenden Gegenpart genauso versucht habe wegzuhupen wie umgekehrt. Irritierte Blicke der jeweiligen Fahrer störten mich immer weniger. Frau muß nur selbstbewußt und dreist genug sein. Dies nur ein kleiner Ausflug zum Thema Mopedfahren in Indien.
Irgendwie überstehe ich auch die 2 Tage in Port Blair, bin jedoch völlig niedergeschmettert, denke mit Schrecken an Weihnachten und bedaure mich selber mit dem Gefühl, dass man auch manchmal einsam sein kann auf solchen Reisen. Der Besuch im 150 Jahre alten Gefängnis trägt auch nicht gerade zur Stimmungsverbesserung bei, aber immerhin werde ich nicht eingekerkert, ist ja schon mal was!
Tags darauf buche ich dann trotz diverser Warnungen, dass sämtliche Inseln mit indischen Weihnachtsurlaubern besetzt wären, mein Schiffsticket auf die 45 km entfernte Havelock Island. Es muss ein Wunder sein, dass wir auf dem nach übelsten Klogerüchen stinkenden, verrosteten und schwankenden Klapperkahn - die Fische kommen mal wieder voll auf ihre Kosten - trotz aller Löcher im Deck nicht untergehen. Ich höre Schreckensmeldungen mit vollen Unterkünften, Zeltübernachtungen mitten im Dschungel, Sandflöhen, Schlangen etc. Na, wunderbar.
Doch dann wird's wie immer nach ein paar trüben Tagen wieder super. Treffe auf der 6-stündigen Überfahrt 2 nette deutsche Frauen, die wenigstens eine Übernachtung fest gebucht haben und mich im Notfall dort auch nächtigen lassen wollen. Gespräche mit betuchten Indern folgen, u. a.mit einem süßen indischen Pärchen, sie ca. 15, er ca. 17 Jahre alt, frisch verheiratet. Da sie aussieht wie ein geschmückter Tannenbaum, überlegen wir, ob es ihr Hochzeitskleid ist, ober ob sie sich schon weihnachtlich vorbereitet hat.
Apropos, wir staunen, wieviele Rucksackreisende doch ihren eingepackten Tannenbaum mitschleppen - tja, etwas Konservatives hat doch so mancher an sich, von dem man es nicht vermutet.....
Delphine säumen unseren Weg, glasklares blau/grünes Wasser, einsame Inseln mit kilometerlangen Sandstränden säumen unseren Weg. Sollte unsere Insel wirklich auch so toll sein? Wir können es kaum erwarten. Und tatsächlich! Nur das nördliche Drittel von Havelock Island ist von bengalischen Siedlern bewohnt, postkartenweiße Strände, türkieses Wasser, Korallenriffe, Delphine und Schildkröten leben rund um die Insel. Jedes Dorf hat statt Namen eine Nummer; na, ist mal was anderes. Ich fahre mit dem Jeep auf der einzigen Straße zur beach no. 7. Es ist wirklich wie im Märchen. Eine kilometerlange einsame Sandbucht, Dschungel mit 10 m hohen Bäumen, ein paar Obst und Gemüse-Verkaufsbüdchen, 2 Bretterbuden, die Restaurant's sein sollen - und das Tentresort mitten im Dschungel. Man stellt also ca. 20 verrottete alte Zelte, ausgestattet mit jeweils 2 Gestellen (Betten) zur Verfügung. Hängematten sind an den Bäumen ebenfalls befestigt. Da ich die Umgebung so schön finde, bin ich natürlich auch bereit, in diesen Zelten zu schlafen. Doch Pustekuchen. Alles belegt. Man will mich schon wieder zum Bootsanlegerort No. 1 fahren, als ich darauf bestehe, doch noch einmal tiefer im Dschungel nachzuforschen. Dort treffe ich dann überraschenderweise auf eine nette junge Schweizerin, verheiratet mit einem Inder, die dort eine Bungalowsiedlung gebaut haben. Es gibt ca. 10 Hüttchen, vorne offen, auf Stelzen vor Tieren geschützt, ausgestattet mit 2 Matratzen und einem Moskitonetz, natürlich alles belegt. Aber nach einigem Überreden bekomme ich dann doch noch für eine Nacht einen der Bungalows, der immerhin unglaubliche DM 60,-- die Nacht kostet, jedoch ausgesprochen komfortabel ist. Meine beiden Reisefrauen kommen dann den nächsten Tag und wir teilen uns die Unterkunft für weitere 9 Nächte. Was folgt sind interessante Gespräche mit Leuten aus aller Welt, abends unerwartete tolle Fischmenus und natürlich Sonnenuntergänge am Strand (Sandflöhe werden einfach nicht beachtet, obwohl ich zugeben muss, dass die Stiche manchmal sehr nervig sind). Morgens geht eine von uns erst einmal das Frühstück holen - nämlich Bananen von einem der vielen Bäume rund ums Haus. Einen Tag machen wir eine Session mit Verkleidung. Wir zaubern uns aus den Bananenblättern bzw. -blüten Herzröckchen, schmücken uns mit Taucherbrillen und Hibiskusblüten und machen viele Fotos mit Stativ. Gut, dass uns mitten im Dschungel keiner sehen kann (nach dem Motto: Mein Gott, sind die Deutschen doof!).
Meinen ersten Tauchgang inmitten von Korallen überlebe ich auch unerwarteterweise, was nicht zuletzt an einem schönen, jungen Tauchlehrer aus der Schweiz liegt, der mich so liebevoll unter Wasser betreut, dass schnell der Wunsch nach einer ebenso liebevollen Betreuung über Wasser aufkommt (da ich weiß, dass ihr alle neugierig seid: es blieb bei der Unterwasserbetreuung!!). - Und wen treffe ich noch? Ich überlege, woher kennst du bloß diese Gesichter? Sind das nicht der Norbert und die Sonja aus der dzg? So klein ist die Welt. Da ich noch nicht so lange Mitglied bin, kannten die beiden mich noch nicht persönlich, was ich dann schnell änderte.
Leider mußten sie 1 Tag später den Heimweg wieder antreten. Dennoch hatten wir ein paar Stündchen, um uns auszutauschen.
Die Tage vergehen unmerklich und man kann es sich nicht vorstellen, dass wir den 22. Dezember haben und in 28 ° warmem Wasser baden. Warum kann es nicht immer so paradiesisch sein? Aber vermutlich würde es dann auch mal langweilig werden, oder es müßte mindestens einmal am Tag ein Tiger oder eine Schlange zu Besuch vorbeikommen........................oder ein Tauchlehrer!
Einen Tag vor Weihnachten verlasse ich dieses Paradies, um in Port Blair am 24.12. um 24.00 Uhr eine Open-Air Weihnachtsmesse mit 5.000 Leuten zu verleben, wobei noch zu erwähnen ist, dass die andamanische Bevölkerung überwiegend aus Katholiken besteht. Auf dieses Ereignis hatte ich mich im Vorfeld besonders gefreut, aber, wie alles im Leben, ist auch dieses unkalkulierbar. Die Feier findet auf einer Wiese neben der Kirche statt.
Es wird gefeiert wie bei einem Volksfest einschl. Eisverkauf, Flohmarktartikeln und kitschig-gemalten Christus-Bildern. Wie bei einem deutschen Open-Air-Konzert ist eine Bühne aufgebaut, worauf die "Künstler" (Pastöre) ihre Messe zelebrieren, allerdings mit einem Unterschied, es ist alles indisch-bunt, kitschig - und natürlich wie immer l a u t . Es befinden sich 2 Lautsprecher auf diesem großen Platz, unter einem stehe ich. Für mich ist es heute noch unvorstellbar, wie ich das 2 Stunden überleben konnte. Es werden - so scheint mir - nur die hohen Töne der Tonleiter gesungen, Lautsprecher auf voller Lautstärke , völlig überdreht und natürlich kaputt. Ich hatte wirklich keine deutsche Weihnacht erwartet, jedoch eine wenig stimmungsvollere und vor allem ruhigere Atmosphäre (wie ich dann später noch in anderen Kirchen in Indien erlebt habe) hätte mir an diesem Abend gut getan. Nun gut, ich wollte es nicht anders.
2 Tage später kommt dann der Abschied von diesen paradiesischen Inseln. Einerseits bedauerte ich es, andererseits freute ich mich schon auf mein nächstes Kapitel, etwas vollständig anderes, nämlich auf Auroville - eine internationale, in Südindien gelegene Zukunftsstadt des inneren Wachstums und des Friedens , auf die ich mich schon seit vielen Jahren vorbereitet und gefreut hatte und die mich nicht mehr loslassen sollte. Doch davon erzähle ich euch in meinem nächsten Bericht.
Für alle, die gerne individuell reisen ein kleiner Tipp:
Der 1974 gegründete Club ist die älteste Globetrottervereinigung Deutschlands und der größte Zusammenschluß leidenschaftlich Reisender auf ideeller Basis in Europa
www.globetrotter.org
Aufbruch: | Dezember 1999 |
Dauer: | circa 5 Wochen |
Heimkehr: | Januar 2000 |