Reise durch Aserbaidschan
Aserbaidschan, dasLand, zwischen Rußland und der islamischen Republik Iran gelegen, geprägt vom Sozialismus der Sovjetunion und der subtilen persischen Kultur der vergangenen Jahrhunderte. Meine Reise soll mich von Baku aus in den Norden nach Xinaliq bringen und über das persisch geprägte Lahic weiter dem Weg der einstig osmanischen Karavanen nach Shaki folgen. Eine Reise durch die Geschichte des Handels, der Völker und der Ideologien.
Baku
Baku, die mit rund 2 Mio Einwohnern größte Stadt Aserbaidschans und damit auch die größte Stadt in der gesamten Kaukasusregion empfängt mich schlaftrunken und lodernd wach zugleich. Es ist gegen 1 Uhr nachts als ich am Flughafen Heyder Alief, benannt nach einem ehemaligen Präsidenten der 1991 entstandenen Republik Aserbaidschan, ankomme. Das lila Taxi im Londoner Stil bringt mich entlang der an mir fackelnd und flackernd vorbeirauschenden, und in jüngster Zeit erbauten Häuserfasaden ins alte Herz der Stadt, dessen Gründung Archäologen auf eine Zeit von ca. 8000 v. Chr. datieren. Im alten Herzen Bakus irren mein Taxifahrer und ich noch eine beträchtliche Zeit durch die verlassenen Gassen ehe wir in einer dunklen Seitengasse nicht fern des Eingangstors zur Altstadt meine Unterkunft ausfindig machen.
Die Sonne entfaltet bereits am frühen Morgen einen Großteil ihrer in der Sommerzeit erbarmunglosen Kraft, als ich vorbei an Tuch- und Kräuterläden durch das ehemaligen Machtzentrum der Shirvanshahs schlendere. Von der Mitte des 9. bis zum 16. Jahrhundert unterlag dieser anfänglich arabisch dann persich gewordenen Dynastie die politische Entscheidungshoheit über die Geschehnisse der noch heute unter dem Namen Shirvan bekannten Region Aserbaidschans, welche im Lauf der Geschichte seine Grenzen immer wieder änderte. Die Anordnung der eng verwinkelten Gassen, die offenen und von außen nicht einsehbaren Plätze sowie die an mehreren Orten angebrachten Späh- und Wachtürme zeugen von der strategischen und bautechnischen Raffinesse seiner Erbauer, welche sich bis in unsere modernen Tage mitzieht. Die beiden, auf einem über der Altstadt trohnenden Hügel erbauten Hochhäuser in der Form lodernder Flammen knüpfen in ihren optischen Reizen an die Größe der einstigen Architekten an und stehen dem detailverliebten Stil der Altstadt auch in Sachen Charme keineswegs nach. Es ist eben dieser Kontrast, der mich besonders beeindruckt als ich vom Qiz Qalasi aus, dem Wehrturm der die Ostflanke der Altstadt gen kaspischen Meer hin verteidigte, hinauf zu den glitzernden und funkelden Glasfasaden der 2007-2012 erbauten drei Flammentürme blicke. Schon wähne ich mich in längst vergangenen Zeiten, habe die bunten Farben der der Seidentücher, die Gerüche der Gewürze und das Klappern der Pferdehufen ankommender Karavanen mit meinen Sinnen vernommen. Vor meinem geistigen Auge male ich mir Bilder im Stile der persichen Kunstmalerei, geschmückt mit Details zum täglichen Leben, geprägt von einer philosophischen Tiefe, in der es keinen Unterschied in der Größe seiner Subjekte abhängig von der Entfernung zu seinem Betrachter gibt. Mein Ohren vernehmen die zarten und weichen Worte aus den Poesien des Nezami Ganjevi, demjenigen persisch-aserbaidschanischen Poeten, der im heutigen Aserbaidschan zur Welt kam und seine Leserschaft mit Liebesgeschichten wie der von Leili und Majnoon auf persich die Tränen in die Augen rührte. Ich erinnere mich an den klassischen iranischen Sänger Mohamad Reza Shajarian, der in vielen seiner Lieder Leili als Synonym für Zwischenmenschliche Liebe verwendet. Aber auch das tragische Ende der nie vollkommenen Liebe der beiden findet in der Poesie Verwendung, so wird das Wort Majnun synonym zur Verrücktheit (z.B. nach Liebe) verwendet. Ich wiege meinen Körper im Rhythmus der Klänge und Emotionen als mich Lautsprecherklänge und das Gelächter vieler Menschen meinem Tagtraum entreißen. Ich war aus dem Zentrum der Shirvanshahs vorbei an der Memorialstatue Nizami Ganjevis ins moderne Zentrum Bakus gelangt und befand mich in mitten einer jubelnden und sichtlich amüsierten Menge an jungen Menschen auf dem Favvareler Meydani Platz, wo heute junge und talentierte Musikanten und Tänzer mit ihren Darstellungen die Zuschauer begeisterten. Zu meiner Freude sprachen mich viele der jungen Zuschauer auf englisch an und erzählten mir von der Tradition des Lezgi Tanzes. Die Lesgier lebten und leben primär in ihrem Hauptsiedlungsgebiet in Kaukasien und in der russischen Republik Dagestan. Der Ursprung ihrer Sprache geht auf Zeiten vor der Einführung indo-europäischer Sprachen zurück, was sich in Stolz und Ausdruck der Tanzeinlagen der meist jungen Männer auch wiederspiegelte. Lange Zeit verbringe ich auf dem Meidan, laß mich durch die Heere freundlicher Menschen treiben, teile ein paar freundliche Worte, ein Lachen ehe ich meinen Erkundungsgang Richtung Meerespromende fortsetze.
Die Mittagssonne sticht nun noch schonungsloser und unbarmherziger vom Himmel, als ich auf der neu errichteten Promenade die schattenspendenden Bäume und den für Baku so typischen Ostwind für eine willkommene Pause bei einem Cai nutze. Die nette russische Familie, die mich von weitem bereits als Touristen ausmachte und mich zu ihnen an den Tisch bat spricht mit etwas melancholischem Unterton über das Leben im heutigen Aserbaidschan. Seit dem Verfall der Sovjetunion 1990 kam es zu großen Siedlungswanderungen russischer Menschen aus den Sovjetrepubliken zurück nach Rußland oder in andere Teile der Welt. Das Erwachen eines nationalen Stolzes und die Renaissance hin zur vorkommunistischen Religiösität statuiert sich vor allem in der Politik der zentralasiatischen und primär muslimisch geprägten Sovjetrepubliken. Viele dieser Republiken versanken nach dem Ende des Kommunismus und auch in jüngster Zeit (Kirgistan 2010) in blutigen Auseinandersetzungen, welche u.a. auch auf rassistischen Ressentiments gründeten. Das Streben der jungen Mutter nach einer guten schulischen Ausbildung mit guten Englischkenntnissen für ihre Tochter und der Wunsche im nicht russischsprachigen Ausland ein Studium aufzunehmen unterstreicht diese Entwicklung, auch wenn ich nicht von offen ausgetragenem Rassismus sprechen möchte oder den generellen Wunsch von Bildung im Sinne von Auslandserfahrung absprechen möchte.
Mein Körper presste die letzten Tropfen Schweiß aus mir heraus, als ich schnaufend und schwitzend meine Wasserflasche im indischen Stil zwei cm vor meinem Mund gen Himmel reckte und das kühle naß in meinen ausgetrockneten Gaumen goß. Ich war fast oben angekommen, war ich doch die 4 km bis zum Ende der Promende zum Treppenaufgang bei den Flammentürmen spaziert und nun dabei den Hügel zu den Hochhäusern zu erklimmen. Mein Schweiß kühlte mich nur kurz, denn die Trockenheit in der Luft lies dem Moment der Efrischung nur wenig Zeit. Also brauch ich wieder auf, immer weiter Richtung oben. Ich war nun angekommen und blickte vom modernen und neuen Teil Bakus herab auf die Altstadt der Shirvanshas, den Wehrturm und die lange Meerespromenade. Noch einmal flogen die Erinnerungen des Tages an mir vorbei, ich blickte zum Meer, an dessen anderen Ufer sich Turkmenistan, Kasachstand und der Iran befinden. Ich war zufrieden, zufrieden mit einem einzigen Tag der so viel neues bot, soviel Erkenntnisse und Verknüpfungen flocht.
Als die Lichterschau auf der Flammentürme entfachte loderten die Fassaden von Bakus Altstadt im gelbroten Feuerglanz und ich ging mit weit geöffneten Augen und Ohren abermals durch die Gassen und wartete auf das was da noch kommen würde.
Aufbruch: | 01.06.2015 |
Dauer: | 15 Tage |
Heimkehr: | 15.06.2015 |