Frankreich - Vogesen 2016 - Teil V

Reisezeit: Oktober 2016  |  von Uschi Agboka

33. Tag - 5. Oktober 2016: Konzentrationslager Natzweiler-Struthof

Verbrecher

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Opfer

Opfer

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Opfer

Informationen Konzentrationslager Natzweiler-Struthof

Das Konzentrationslager Natzweiler-Struthof war zwischen 1. Mai 1941 und 23. November 1944 ein sogenanntes Straf- und Arbeitslager des nationalsozialistischen Deutschland nahe dem Ort Natzweiler im besetzten französischen Elsass, etwa 55 km südwestlich von Straßburg. Es liegt acht Kilometer vom Bahnhof Rothau entfernt am Nordhang eines Vogesengipfels auf etwas 700 m Höhe. Da die Front heranrückte, wurden das Hauptlager und einige Nebenlager auf der westlichen Rheinseite Ende 1944 von der SS aufgelöst.

Im September 1940 machte der Geologe und SS-Obersturmbannführer Karl Blumberg (1889−1948) in den elsässischen Vogesen ein Vorkommen von seltenem rotem Granit ausfindig. Im Auftrag von Albert Speer, der das Steinmaterial für seine NS-Neubauprojekte (Welthauptstadt Germania in Berlin und das Deutsche Stadion in Nürnberg) verwenden wollte, Reichsführer SS Heinrich Himmler und Ostwald Pohl, Leiter des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes, wurde beschlossen, hier ein Konzentrationslager für 4.000 Gefangene einzurichten. Blumberg war bei den Deutschen Erd- und Steinwerken (DEST) angestellt, einem 1938 von Himmler gegründeten SS-Betrieb, der vorrangig Baumaterial für die gigantischen NS-Projekte liefern sollte. Die Firma war auf den Abbau von Steinen spezialisiert und setzte KZ-Häftlinge für die härtesten Arbeiten ein. Die Häftlinge mussten auch im Straßenbau und in Munitionsfirmen arbeiten.

Am 1. Mai 1941 begann der Bau des KZ Natzweiler-Struthof. Am 21. und 23. Mai kamen in zwei Transporten die ersten Deportierten aus dem KZ Sachsenhausen an. In diesem höchst unwirtlichen Klima hatten 900 Gefangene in einem Jahr das Lager zu errichten.

Kommandant war der SS-Sturmbannführer Egon Zill, der erste Lagerführer SS-Hauptsturmführer Josef Kramer, der erste Lagerarzt der vom KZ Buchwald dorthin beorderte Hans Eisele, sein Nachfolger der kaum weniger berüch-tigte SS-Obersturmführer Max Blancke. Von den 900 verstarben 330, weitere 300 mussten als Invalide in das KZ Dachau geschafft werden.

Das schlimmste Kommando arbeitete im Steinbruch des KZ. Von den Insassen waren nur etwa 100 arbeitsfähig. Es war die „grüne Lagerprominenz“, die nicht arbeitete. Da dieses Kommando jedoch mindestens 200 Mann umfassen musste, wurden viele, die nicht mehr gehen konnten, in Schubkarren zur Zwangsarbeit gebracht. 60 % der Häftlinge wogen unter 50 Kilogramm. Der Hunger war so groß, dass die Schwächsten von Mitgefangenen erschlagen wurden, die sich so in den Besitz der kärglichen Tagesration der Toten brachten. Einmal wurden in einer einzigen Nacht 30 Mann erschlagen in das Revier eingeliefert.

Die Behandlung im Häftlings-Krankenbau („Revier“) war oft tödlich.

Am 8. Juli 1942 war einer der Revierpfleger Zeuge: „Im Korridor des Reviers standen sechs aus rohen Brettern zusammengenagelte Kisten übereinander, die als Särge dienten. Aus den Fugen sickerte Blut. Im untersten Sarg war plötzlich ein Klopfen zu hören. Eine schwache Stimme wimmerte: ‚Macht auf, macht auf, ich lebe noch!’

Die Grünen (grüne Stoffdreiecke an Häftlingsuniform = Kriminelle) holten den Sarg hervor und öffneten ihn. Mit zerschlagenen Gliedern und verletztem Kopf starrte uns ein mit einem Toten zusammen-liegender Häftling an. Ich wollte zugreifen, um ihn aus seiner fürchterlichen Lage zu befreien, wurde aber von den BVern (BV = Befristete Vorbeugehaft für Kriminelle) sofort zur Seite gestoßen. Einige dumpfe Schläge, dann war der Sarg wieder zugenagelt und kam in das Krematorium.“

Mit rund 7.000 Gefangenen war das Lager gegen Ende des Jahres 1944 überfüllt. Etwa 52.000 männliche Personen aus Europa sowie den nahe gelegenen Gefängnissen in Epinal, Nancy und Belfort waren hierhin sowie in die angeschlossenen Außenlager eingeliefert worden. Die meisten Deportierten kamen aus Polen (13.000), der UdSSR (7.600), Frankreich (6.800) und Norwegen, meist aus politischen (60 Prozent) und rassistischen (11 Prozent) Gründen. 22.000 Personen starben infolge von Entkräftung, Kälte, Mangelernährung und lagerbedingten Krankheiten oder wurden ermordet.

Etwa 3.000 im Januar 1945 eingelieferte Gefangene wurden nicht mehr von der SS-Verwaltung registriert. Bis Kriegsende zur Zwangsarbeit genötigt, bleibt ihr genaues Schicksal bis heute ungeklärt.

Gegen Kriegsende kam es kurz vor der Befreiung des KZ durch die Westalliierten am 23. November 1944 zu einer Verlagerung der Verwaltung des Stammlagers ins rechtsrheinische Neckartal nach
Guttenbach/Binau. Die Gesamtkommandantur Natzweiler zog von Anfang März 1945 an weiter nach Stuttgart und schließlich nach Dürmentingen bei Ulm.

Heute erinnern ein Museum sowie das 2005 eröffnete Europäische Zentrum des deportierten Widerstandskämpfers an die Geschichte dieses und anderer KZ.

Hier in Natzweiler-Struthof wurden Gefangene auf mehrere Arten ermordet: Durch Genickschuss (praktiziert in eigens dafür gebauten Räumlichkeiten), in der Gaskammer.

Beim Hängen gab es zwei Varianten: Bei geheimer Hinrichtung wurde die Person auf einen Schemel gestellt, der dann weg gestoßen wurde. Das Genick brach und der Betroffene starb sofort. Bei öffentlichen Hinrichtungen, die speziell zur Abschreckung circa einmal im Monat stattfanden, mussten sich die Todeskandidaten auf eine Falltür stellen. Der Strick um den Hals wurde vorher bereits angezogen, so dass das Genick nicht brach. Die sich langsam öffnende Tür verursachte dann einen Erstickungstod, der sich über mehrere Minuten hinziehen konnte. Die so Ermordeten wurden im Krematorium verbrannt.

Besonders bekannt geworden ist der Mord an 86 jüdischen Gefangenen. Mit ihnen wollte August Hirt, Direktor des Anatomischen Instituts der Reichsuniversität Straßburg, eine Skelettsammlung anlegen. Dafür wählte er Anfang August 1943 im KZ Auschwitz Frauen und Männer aus acht europäischen Ländern aus und ließ 86 nach Natzweiler-Struthof bringen. Dort wurden sie in der Gaskammer getötet. Mit der Sammlung, die dann aber nicht umgesetzt wurde, wollte Hirt die NS-Rassentheorie und die „Minderwertigkeit von Juden und Jüdinnen“ nachweisen. Die konservierten Körperteile wurden bei der Befreiung des Elsass vorgefunden.

Die NS-Ärzte Eugen Haagen und Otto Bickenbach nutzten das KZ für so genannte medizinische Experimente und Menschenversuche. Sie injizierten Gefangenen Thyphuserreger und experimentierten mit den Kampfstoffen Senfgas (Lost) und Phosgen. Die Gefangenen starben daran.

Das Lager war auch ein Ort von Massenhinrichtungen. Am 17. Februar 1943 wurden 13 Männer aus Ballersdorf und Umgebung erschossen. Sie waren zuvor von einem Militärgericht in Straßburg zum Tode verurteilt worden, weil sie sich der Einberufung zur Wehrmacht bzw. der Deportation zur Zwangsarbeit durch die gemeinsame Flucht in die Schweiz zu entziehen versucht hatten – drei weitere waren bereits direkt an der Grenze erschossen worden, nur einer konnte entkommen.

Es kamen gefangene Widerstandskämpfer hierher, um hingerichtet zu werden. So wurden im September 1944, kurz vor der Räumung des KZ, 107 Frauen und Männer der Gruppe „Réseau Alliance“ sowie 35 Mitglieder der GMA-Groupe Mobile d’Alsace-Vosges durch Genickschüsse oder den Strang ermordet. Vier britische Frauen, Mitglieder des britischen Geheimdienstes, wurden zur Hinrichtung eigens ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht. Als Angehörige der Special Operations Executive (SOE) enttarnt, wurden sie am 6. Juni 1944 mit Phenolspritzen getötet.

Die Häftlinge wurden immer wieder im lagereigenen Gefängnis unter Druck gesetzt, es wurde dabei zwischen drei Inhaftierungsstufen unterschieden:

Erste Stufe: In einem hellen Raum mit Tageslicht bei Wasser und Brot, bis zu zehn Tage, mit bis zu 18 anderen Häftlingen zusammen auf etwa 2 m × 3 m. Ein Eimer zur Verrichtung der Notdurft pro Zelle.

Zweite Stufe: In einem dunklen Raum mit Tageslicht, bei Wasser und Brot als Nahrung, bis zu 42 Tage, nur alle vier Tage eine größere Mahlzeit, ansonsten ähnliche Bedingungen wie bei Stufe eins.

Stufe drei: Ein Gefangener wurde in eine von fünf kleinen Nischen gesperrt (Höhe etwa 1,50 m, Breite etwa 0,8 m, Tiefe etwa 1 m), in der er bis zu seiner Hinrichtung verharren musste. Es ist kein Gefangener des KZ bekannt, der diese Prozedur überlebte. Es gab keine Möglichkeit, zur Toilette zu gehen, man konnte nicht stehen oder liegen. Vermutlich gab es wenig bis gar kein Essen. Wie alle Räume des Lagers ist diese Nische im Sommer extrem heiß, im Winter erfror man schnell. Diese kleinen Kammern waren stockdunkel. Ursprünglich waren sie für Heizungsanlagen vorgesehen, aber im KZ Natzweiler-Struthof war nie auch nur eine einzige Heizung in Betrieb.

Ein Häftling grub während der Arbeit im Steinbruch unbemerkt ein Loch in die Erde und bedeckte sich mit Gras, um nicht gesehen zu werden. Nachdem die anderen Häftlinge am Abend ins Lager zurückmussten, blieb er die ganze Nacht über in seinem Versteck. Tatsächlich war er der Flucht sehr nahe, denn am nächsten Morgen war noch nichts aufgefallen. Beim Morgenappell jedoch, der immer mit größter Sorgfalt abgehalten wurde, fehlte der Mann und Suchhunde wurden benutzt, um alle möglichen Aufenthaltsorte abzusuchen. Als die Suchhunde den „Ausbrecher“ stellten, wurde er festgenommen. Mit grausamen Bisswunden wurde er tagelang gefangen gehalten, bis er dann ausnahmsweise wieder im Lager arbeiten „durfte“ (normalerweise wurden Fluchtversuche mit dem Tod durch Hängen be-straft). Bei einem späteren Transport in ein anderes KZ gelang ihm ein erneuter Fluchtversuch.

Einem Mann gelang es, sich die Uniform des Lagerkommandanten anzueignen. Mit dessen Wagen konnte er zunächst unbemerkt aus dem Lager entkommen, denn die Wachposten salutierten dem perfekt gekleideten „Kommandanten“. Da im Elsass die Résistance sehr aktiv war, konnte der ehemalige Häftling innerhalb weniger Tage bis nach Algerien gelangen. Dort hatte er nichts mehr zu befürchten. Dies war die einzige bekannte erfolgreiche Flucht aus dem KZ Natzweiler-Struthof.

Nach der Befreiung fanden Prozesse vor französischen Gerichten in Metz, Straßburg und vor deutschen Gerichten statt. Die Lagerkommandaten Josef Kramer und Heinrich Schwartz wurden 1945 bzw. 1947 hingerichtet. Fritz Hartjenstein wurde zum Tode verurteilt und starb in der Haft. Hans Hüttig wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, ebenso Egon Zill, der 1963 frei kam. Die SS-Ärzte Bickenbach und Haagen wurden in Metz zu lebenslanger Haft verurteilt, kamen aber 1955 frei. August Hirt flüchtete und beging im Juni 1945 Selbstmord.

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© Uschi Agboka, 2017
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Reisetagebuch Vogesen Teil V - 2. bis 8. Oktober 2016 Touren durch Elsaß, Lothringen, Champagne, Burgund, Französischer Jura
Details:
Aufbruch: 02.10.2016
Dauer: 7 Tage
Heimkehr: 08.10.2016
Reiseziele: Frankreich
Der Autor
 
Uschi Agboka berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
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