Mit dem Rad bis nach Marseille - Frankreichs herrlicher Südosten
1.200 km von Stuttgart bis Marseille über Freiburg, Besancon, Lyon, Avignon. Entlang der EV 6 und 17, Via Rhôna, durch die Bourgogne-Franche-Comté, Auvergne-Rhônes-Alpes, Provence-Alpes Côte d'Azur
Stuttgart bis Chalon-sur-Saône
"Ich muss in die Ferne, etwas Neues kennenlernen." Da Radreisen mich schon immer begeistert haben und ich beim Draußen sein perfekt abschalten kann, treffe ich die recht spontane Entscheidung, mein Rad zu bepacken und nach Frankreich zu radeln. Der Jakobsweg soll mir als grobe Orientierung dienen und mich bis in die Tiefen Frankreichs nach Marseille führen.
An einem Donnerstagnachmittag beginne ich die Reise kurz vor Stuttgart. Schon nach ein paar Stunden bin ich drin im "Radreisealltag". Das Rad fährt sich gut und ich freue mich auf die kommenden Tage. Der Neckar leitet mich zügig die ersten 100 Kilometer nach Esslingen, Tübingen und schließlich Rottenburg. Irgendwo in der Nähe des Weges verbringe ich meine erste Nacht im Zelt. Ohne Überzelt habe ich einen angenehmen Blick auf den Sternenhimmel.
Dann geht es weiter noch etwa 40 Kilometer am Neckar entlang. Um die gut erhaltene Burgruine Albeck bei Sulz am Neckar zu sehen, nehme ich ein paar Höhenmeter und einen kleinen Umweg in Kauf. Doch dieser lohnt sich wie ich finde.
Bei Aistaig verlasse ich den nun noch kleinen Neckarlauf und fahre nach oben. Unterwegs beobachte ich immer wieder vereinzelt Störche und rote Milane, die am Himmel unentwegt ihre Kreise ziehen.
Ich genieße die Weitsicht zwischen Hochmössingen und Rötenberg auf die umliegende Landschaft und die Felder.
Mit bis zu 60 km/h rase ich dann ins herrliche Schiltach. Die ersten Kilometer im Kinzigtal bin ich von dem hohen Verkehrsaufkommen der nebenan verlaufenden Bundesstraße gernervt. Dennoch gibt es auch viele schöne Abschnitte an der Kinzig. Bei Haslach geht es wieder bergauf. Meine Beine sind schwer und der Schweiß tropft auf den glühenden Asphalt.
Doch irgendwann habe ich den höchsten Punkt der Tagesetappe erreicht. Der letzte Abschnitt bis Denzlingen bei Freiburg vergeht fast wie im Flug, zu groß ist die Vorfreude auf meinen Ankunftsort.
Bei meiner Verwandtschaft verbringe ich zwei Tage und erhole mich mit gutem Essen, Freiburger Stadtspaziergängen und dem badischen Lebensgefühl.
Über Freiburg fahre ich dann zum Rhein. Die Ruhetage waren angenehm, doch die Weiterfahrt fällt mir schwer. Noch weiß ich nicht, ob ich die Strecke bis nach Marseille schaffe, oder ob ich doch nach ein paar Tagen umkehren werde.
Immer wieder habe ich Angst und male mir Szenarien aus, was passieren würde, wenn ich mit einer Situation nicht zurechtkomme. Das Hauptziel dieser Tour war es, meine Angst in Vertrauen zu verwandeln, dass die richtigen Dinge zur richtigen Zeit geschehen. Noch bin ich gespannt, ob es das Schicksal gut mit mir meint.
Gleich hinter dem Rhein fahre ich in Frankreich den erstbesten, jedoch nur wenig einladenden Campingplatz an. Doch für den Moment ist dieser Platz genau richtig für mich, ich habe meine Ruhe und kann alleine die untergehende Abendsonne beobachten.
Die erste Überraschung kommt, als die Inhaberin mich begrüßt und sich länger mit mir unterhält. Ihr Sohn lebt in Lyon, einer wirklich beeindruckenden Stadt, so erzählt sie. Dort unten seien die Franzosen nicht so freundlich wie hier oben. Wenn man weiterfährt, haben sie einen auch schon wieder vergessen schmunzelt sie. Ich fange an, das eingestaubte Schulfranzösisch aus den hintersten Ecken meines Gedächtnis hervorzuholen. Daher wechseln wir schnell wieder ins Deutsche. Die Übernachtung kostet 10 € und da ich nur einen 50 €-Schein zur Hand habe, und sie kein Wechselgeld hat bietet sie mir an, am nächsten Morgen im Tante Emma Laden ums Eck zu bezahlen. Dann kann ich gleichzeitig noch den verbliebenen Nahversorger unterstützen - wenn ich vorbeifahre wäre das auch in Ordnung. So viel Vertrauen und Freundlichkeit bestärkt mich darin, weiterzufahren. Also erst dem Tante Emma Laden einen Besuch abstatten und dann Richtung Besançon.
Da ich für den Abend eine Zusage für eine Warmshowers-Übernachtung in Besançon erhalten habe, muss ich die ambitionierten 160 Kilometer an diesem Tag zurücklegen. Von der französischen Gastfreundschaft und dem traumhaften Wetter beschwingt, scheint mir das jedoch ein mögliches Unterfangen.
Am Canal du Rhône verschlinge ich in den frühen Morgenstunden zunächst einmal ein ganzes Baguette mit einer kompletten Packung Butter und frischer Erdbeerkonfitüre aus Freiburg. Ich genieße die frische Luft und die ausgedehnte Pause und blicke auf den friedlich dahinfließenden Canal du-Rhône au Rhin. Die vorbeifahrenden Rennradler und Radreisenden an dieser Eurovelo-Kreuzung 6 und 15 werfen mir immer wieder freundliche Grüße zu. Das fasse ich als Zeichen auf, mich wieder auf den Sattel zu schwingen und auf dem EV 6 bis Mülhausen zu radeln. Deutschland kehre ich nun immer weiter den Rücken zu.
Vor ein paar Jahren bin ich mit einem Freund den EV 6 bis Saint-Nazaire gefahren, weshalb mir die Strecke bis Chalon-sur-Saône noch in grober Erinnerung ist. Daher fahre ich auch am sehenswerten Mülhausen vorbei, weil ich Strecke zurücklegen möchte.
Begleitet vom Rhône-Kanal passiere ich immer wieder die kleinen Schleusen und bewundere die vorbeifahrenden Boote.
Ein lautes Hupen reißt mich aus den Gedanken. Ich schaue neben mich und erkenne, dass es sich bei dem Hupen um einen gutgemeinten Willkommensgruß des Hausboot-Fahrers handelt, der mir noch zuwinkt.
Endlich bin ich gegen Mittag an der Doubs. Dort genieße ich die Fahrt durch bewaldete Hügel und fühle mich schon etwas wohler bei meinem Vorhaben. Diese Schönheit der Landschaft hilft mir den Moment zu genießen, auch wenn die Zweifel und Ängste immer noch über mir schweben. Vielleicht, so denke ich mir, versuche ich auch deshalb so schnell zu fahren, um dieser Wolke zu entfliehen.
Kurz vor Besançon treffe ich noch auf ein deutsches Paar, das mit dem Kanu unterwegs Richtung Saône ist. Sie sind auf der Suche nach einem Stückchen Land, um dort landwirtschaftlich Fuß zu fassen. Ich bewundere ihre Offenheit und Zuversicht und ihre Art, wie sie mir begegnen. Da mich nach diesem langen Tag die Müdigkeit überkommt, verabschiede ich mich und mache mich auf den Weg zu meiner Warmshowers-Unterkunft. Ich weiß nicht wirklich was mich erwartet, und bin etwas aufgeregt, bei einer „Fremden“ zu übernachten. Direkt am Stadtrand befindet sich das schöne Reihenhaus mit großem Gemüsegarten in leicht mediterranem Stil . L. die Gastgeberin heißt mich herzlich willkommen. Wir sind uns direkt sympathisch. Bei Wein und Aperitif fällt das Gespräch schnell auf Reisen und ich fange an, mich wohlzufühlen. Ein äußerst leckeres regional-vegetarisches Essen wird aufgetischt und ich weiß, warum ich Frankreich so liebe. Ja, sie sind sehr lebensfrohe und genießerische Menschen denke ich mir. L. erzählt mir von dem farbenfrohen Theaterfestival in Avignon, mit Eindrücken vom Vortag. Ich bin begeistert, von so viel Gastfreundschaft und bedingungslosem Geben.
Dass die beiden Städte Lyon und Avignon direkt auf der Route Richtung Marseille liegen sehe ich als Zeichen gen Süden weiterzufahren.
Nach einer erholsamen Nacht in diesem besonderen Haus erblicke ich im Garten in einem Pflanzentopf ein kleines Schildchen mit dem Slogan „Plant your dreams“. Daneben sitzen verspielt zwei Katzen. Einfach traumhaft dieser Ort. Gerne würde ich hier noch länger verweilen, doch mein Zeitplan ist eng. "Plant your dreams" - ein schönes Motto für meine Tour, meinen eigenen Weg zu gehen und meinen Ideen zu vertrauen.
Gestärkt fahre ich am Morgen ins historische Zentrum Besançons. In der Cathedrale Saint-Jean nehme ich mir einen Moment Zeit um innezuhalten und entzünde eine Kerze, um das Neue willkommen zu heißen. Jetzt fühle ich mich angekommen in Frankreich. Entlang der Doubs stechen die kleinen Burgen in der Berglandschaft immer wieder heraus. Da der Blick auf Dole bei strahlend blauem Himmel so bezaubernd ist, statte ich auch der Collegiale Notre-Dame einen Besuch ab.
Für mich haben die Kirchen mehrere Vorteile. Ich kann mich dort für eine Zeit abkühlen, kann dort etwas zur Ruhe kommen und innehalten. Zudem bieten sie einen guten Anhaltspunkt, auf schnellstem Weg in die alten Zentren zu kommen und einen Überblick über die Architektur, die Menschen und die Besonderheiten zu erhalten.
Bei Saint-Symphorien-sur-Saône stoße ich das erste Mal auf die Saône. Hinter einer Brücke blicke ich das erste Mal auf eine endlose Weite aus gelben Farbtupfern, die mir entgegenblicken. Das erste Sonnenblumenfeld auf dieser Tour, auf das noch viele weitere Folgen werden. Etwas Langeweile bleibt auf einem unspektakuläreren Abschnitt nicht aus, die an einer Pferdekoppel schnell verfliegt. Drei Pferde trotten mir entgegen und scheinen die Streicheleinheiten genauso zu genießen, wie ich diese Begegnung.
In Chalon-sur-Saône endet die Tagesetappe. Dort zelte ich neben einem deutschen Ehepaar, das bereits um die Welt geradelt ist, einem Deutschen, der bis nach Taizé pilgert und Li. einer Holländerin, die mehrere Wochen mit ihrem vollbepackten Rennrad unterwegs ist.
Leider habe ich noch nicht die ideale Verpflegungsvariante gefunden, weswegen ich immer wieder in die überdimensionierten Hyper- oder Supermarchés gehen muss. Inmitten dieser endlosen Regale komme ich mir immer verloren vor und vermisse sehnsüchtig die teils nur spärlich vorhandenen heimischen Boulangeries und regionalen Gemüseläden.
Aufbruch: | 04.07.2019 |
Dauer: | 12 Tage |
Heimkehr: | 15.07.2019 |