Unterwegs im südlichen Kalabrien

Reisezeit: Juni 2005  |  von Angelika Gutsche

Die Westküste: am Tyrrhenischen Meer

An die Halbinsel des Monte Poro, an deren Spitze das malerische Capo Vaticano liegt, schließen im Norden der Golfo di Santa Eufemia und im Süden der Golfo di Gioia mit Sandstränden und Badebuchten an.

Im folgenden beschreiben wir die an der Tyrrhenischen Küste gelegenen Orte, die wir auf unserer Fahrt in Nord-Süd-Richtung besucht haben.

Pizzo: Das Städtchen liegt etwas nördlich der Monte-Poro-Halbinsel. Wir suchen zuerst die nördlich des Städtchens am Strand gelegene Chiesetta di Piedigrotta auf. Ein Fußweg führt hinunter ans Meer, zum Eingang der geräumigen Grotte mit den zwei Marienaltären und den großen Seitennischen, ausgeschmückt mit aus Sandstein gearbeiteten Figurengruppen von Heiligen. Daneben finden sich auch Medaillons von Papst Johannes XXIII. und John F. Kennedy sowie ein bärtiger Fidel Castro.

Figurengruppen aus Sandstein in der Chiesetta di Piedigrotta

Figurengruppen aus Sandstein in der Chiesetta di Piedigrotta

Durch Pizzos Altstadt, die steil auf einem Felsplateau liegt, folgen wir der engen, von Autos und Fußgängern stark frequentierten Hauptstraße, bis wir endlich den parcheggio finden und anschließend die malerischen Altstadtgassen zu Fuß durchwandern können. Auf der hübschen Piazza Garibaldi können wir nicht mehr widerstehen und geben uns hemmungslos dem Genuss von tartuffo bianco e tartuffo nero hin, einer Eisspezialität, die hier in Pizzo kreiert wurde und für die in allen Eiscafés geworben wird.

Auf dem Weg zum gut erhaltenen Staufer-Kastell können wir beobachten, wie ein Schwerlastwagen versucht, sich auf der engen Hauptstraße die Ausfahrt durch das Stadttor zu erkämpfen. Es bilden sich beidseitig lange Staus, die Fahrer hupen wild, der Lkw-Fahrer rangiert vor- und rückwärts, ein Carabinieri gestikuliert wild, ein im Halteverbot parkender Kleinwagen wird demoliert, und kaum ist eine halbe Stunde verstrichen, ist der Laster zur Freude aller Schaulustigen durch das Tor hindurch und kann seine Fahrt fortsetzen.

Die Altstadt von Pizzo

Die Altstadt von Pizzo

Auf unserer Weiterfahrt Richtung Süden kommen wir durch Vibo Marina mit einem großen Yacht- und einem noch größeren Industriehafen, durch Bivona mit seinem Fabrikgelände und dessen aufgelassenen Gebäuden. Oft lässt es sich nicht sagen, ob ein Gebäude sich noch im Bau befindet oder schon wieder im Zerfall begriffen ist. Es ist nach Kalabrien viel Geld geflossen, um Firmen und Fabriken anzusiedeln. Die Gebäude wurden auch errichtet, aber nur, um nach ihrer Fertigstellung als Ruinen die Landschaft zu verschandeln; sie in Betrieb zu nehmen, war von den mafiösen Bauherren nie geplant.

Ab Briatico - Zambrone beginnt die "Club-Küste" mit Sandstränden, Hotels, Pools und Tennisplätzen. Am Straßenrand bieten Bauern an Verskaufsständen ihre Waren feil. Eine ganze Steige Erdbeeren kostet drei Euro. Von nun an vertilgen wir pro Tag und pro Person mindestens ein Kilo dieser köstlich-süßen fragole.

Tropea: Das auf der Halbinsel des Monte Poro oberhalb steiler Klippen auf einem Felsenplateau errichtete malerische Städtchen ist dank seiner schönen Sandstrände und intakten Altstadt mit beachtlichem Tourismus gesegnet.

Wir parken unten am Meer und erklimmen über einen steilen Fußweg zuerst den der Stadt vorgelagerten Felsen, auf dem die Wallfahrtskirche Santa Maria dell'Isola errichtet ist und genießen die wunderbaren Ausblicke. Danach muten wir uns den strapaziösen Aufstieg in die Altstadt zu. Die Hauptstraße Tropeas ist gesäumt ist von Restaurants, Bar, Souvenirläden. Der Blick von der Aussichtsterrazza geht 30 Meter diritto hinab zum Meer. Wir spazieren zur mittelalterlichen Kathedrale, vor der sich eine Piazza mit lauschigen Restaurants und einer weiteren Aussichtsterrasse - nach rechts führt der Blick in die wilden Berge, nach links über das azurblaue Meer - ausbreitet.

Tropea

Tropea

Nicotera: Mittwoch nachmittag sind sowohl das Museo Archeologico als auch das Museo Civico, beide im halb zerfallenen Castello untergebracht, geschlossen. Eigentlich hat auch das Museo Provinciale di Minerologia e Petrografia geschlossen. Doch auf mein Läuten öffnet sich tatsächlich die Tür und ein älterer Herr lässt mich ein. Das Museum befindet sich in einem erbärmlichen Zustand und riecht sehr unfein. Der Herr weist sich als Archäologe aus und führt durch die drei kleinen Räume. Er versucht mein Interesse für Teile eines Dinosaurier-Skeletts zu wecken, doch ich kann meine Augen nicht vom Fußboden bzw. der Zimmerdecke wenden, deren desolater Zustand jeden Augenblick einen Einbruch befürchten lässt. In zwei gut gesicherten Kammern werden einige wohl einen gewissen Wert darstellende kleine Edelsteine aufbewahrt. Ich bin beeindruckt und bedanke mich mit einem kleinen Trinkgeld für die Führung.
Bei einem ausgezeichneten Capu auf der entzückenden Piazza Garibaldi erhole ich mich von diesem Museumsbesuch.

Nicotera

Nicotera

Gioio Tauro: In einem Reiseführer wird Gioio Tauro als eine Stadt von "unglaublicher Hässlichkeit" beschrieben. Abgesehen davon, dass diese Formulierung eine unglaubliche Beleidigung seiner Bewohner darstellt, präsentiert sich uns das Städtchen von einer freundlicheren Seite. Es gibt hier wirklich keine romantische Altstadt in diesem von einem schweren Erdbeben zerstörten und anschließend funktional wieder aufgebauten Ort. Doch fährt man nachmittags um fünf durch die Straßen von Gioia Tauro, erlebt man ein quirliges und lebendiges süditalienisches Städtchen. Der hier angesiedelte größte Containerhafen Italiens spielt im Überseehandel eine wichtige Rolle und bildet die Lebensader des Ortes. Gioia Tauro, vielleicht keine Stadt für Sightseeing, aber für Shopping allemal.

Palmi: Hier besuchen wir das zu den bedeutendsten Volkskunde-Museen Italiens zählende Museo Civico di Etnografia e Folclore. Nachdem wir uns mühsam zum modernen Casa della Cultur durchgefragt haben, erkundigt sich in der großen Eingangshalle ein Angestellter nach unseren Wünschen. Als wir ihm sagen, dass wir das Museum besuchen möchten, kramt er nach den Schlüsseln, sperrt die Zugangstüren auf, schaltet das Licht an und drückt uns eine Broschüre des Museums in die Hand. Freundlich führt er uns durch die Räume: im Untergeschoss alt-griechische Funde, im Obergeschoss eine Pinakothek und hier im Erdgeschoss das Herzstück des Museums: die volkskundliche Sammlung. Zuerst bewundern wir Teufelsmasken aus Ton, die zur Abwehr von Unglück außen an den Häusern angebracht wurden. Anschließend beeindrucken uns die Tausende an Holz-Spindeln, die hier zu einer Sammlung zusammen getragen wurden. Jede Spindel weist unterschiedliche Schnitzmuster, Verzierungen, Köpfe auf. Ein weiterer Beweis für die großartige kalabresische Schnitzkunst findet sich in der Sammlung von Krippenfiguren. In weiteren Räumen werden Musikinstrumente, Haushalts- und Arbeitsgeräte ausgestellt. Das Museum ist modern gestaltet und der Eintritt kostenlos.

Volkskundemuseum in Palmi

Volkskundemuseum in Palmi

Tonnara di Palmi: Durch Zufall sind wir in diesen sehr ursprünglichen Fischerort gekommen. Nur ein ganz kleines Fleckchen des großen Sandstrandes ist dem Badevergnügen vorbehalten, die weitaus größere Strandfläche gehört den Fischern und ihren an Land gezogenen Booten. Jetzt am frühen Abend sitzen die Fischer zwischen den Booten in Grüppchen im Sand zusammen, rauchen, ratschen, spielen Karten, flicken Netze. Zum Schutz gegen die Sonne sind kleine Holzunterstände aufgebaut... und draußen versinkt die rote Sonne im Meer. Denkt man sich die vereinzelt am Straßenrand geparkten Autos weg, könnte sich diese Szene vor Urzeiten genauso abgespielt haben.
Ganz am Ende des Strandes, nahe eines imposanten, ins Meer ragenden Felsens, gibt es zwei Fischrestaurants.

Scilla:
"Ich bin", sang sie, "die liebliche Sirene,
Die den Matrosen lockt auf hoher See
Und ihn verführt, meinem Gesang zu lauschen.
Ulysses zog mein Lied an mich und ab
Von seinem Weg. Wer immer mir genaht,
der trennt sich schwer, so sehr wird er betört."

Mit diesen Worten beschreibt Dante in seiner Göttlichen Komödie die Versuchung, die der Gesang der Sirenen von Scilla auf den Seefahrer ausübte und der Odysseus und seine Mannschaft nur entgingen, indem er sich am Mast festbinden ließ und seinen Gefährten Wachs in die Gehörgänge träufelte. Diese magnetisch anziehende Wirkung kann man Scilla heute nicht mehr nachsagen, und zum Verhängnis wird es als Zentrum des Schwertfischfangs nur noch den Fischen.
Beherrscht wird der Ort durch das mächtige, auf einem Felsen gelegene Castello di Ruffo.

Reggio di Calabria: Wir waren wirklich neugierig, ob die beiden zwei Meter großen, alten, weltberühmten Männer, die griechischen Bronzekrieger aus dem 5. Jahrhundert v.Chr., wirklich so sexy sind wie behauptet. Si, si, sie sind es! Rundum, von allen Seiten, einfach knackig in ihren perfekten Posen!

1972 fanden Taucher die beiden Figuren nicht weit vom Strand von Riace im Meer. Eine archäologische Sensation! Die Krieger wurden zur fachgerechten Restauration nach Florenz gebracht, wo man sie nicht mehr herausrücken wollte. Erst nach langem Kampf gelang es Kalabrien, die beiden Bronzemänner in das Archäologische Nationalmuseum von Reggio zurück zu holen, wo sie heute die Schmuckstücke bilden. Auch wir interessieren uns für die sonstigen Ausstellungsgegenstände in der vorgeschichtlichen Abteilung oder für die Münzsammlung nur flüchtig. Übrigens kostet der Eintritt in das Museum 6,00 Euro, wer unter 18 oder über 60 Jahre alt ist, für den ist der Eintritt wie in allen italienischen Museen frei.

Krieger von Riace

Krieger von Riace

Um den Kunstgenuss noch etwas nachklingen zu lassen, bummeln wir am Lungo Mare entlang, gönnen uns Panini und Coke in einer schattigen Bar. Man kann es sich kaum vorstellen, dass dieses quirlige, hell, freundlich und modern wirkende Reggio, das nach dem schweren Erdbeben von 1908 vollständig neu aufgebaut wurde, der Sitz einer starken und rücksichtslosen Mafia sein soll, die von hier aus das ganze Land im Würgegriff hält. Der Tourist bleibt hiervon glücklicher Weise unbehelligt.

© Angelika Gutsche, 2006
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Vor einiger Zeit hatten wir bereits den Norden und die Mitte Kalabriens bereist. Dieses Jahr sollte unsere Reise in den Süden Kalabriens führen, in die wilde Bergwelt des Aspromonte.
Details:
Aufbruch: 03.06.2005
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 20.06.2005
Reiseziele: Italien
Der Autor
 
Angelika Gutsche berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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