Durch den Mittleren Westen der USA
Kapitel Drei, Endlich auf dem Moped unterwegs
Montag, 16. Oktober 2006 Waterloo - Kirksville, 360 km
Nass und kalt, aber es ist trotzdem schön.
Schon früh am Morgen bin ich wach, denn heute geht es endlich richtig los! Ich ordne schon mal mein Gepäck für nachher. Es regnet. Craig holt mich wieder ab. Er wohnt zwar nur um die Ecke, aber er lässt mich nicht laufen. Jetzt heißt es Abschiednehmen von einem sehr guten Freund. Es fällt mir schwer und ich würde am liebsten hier bleiben, doch die Harley ruft laut und deutlich nach mir. Craig bietet mir noch an, wegen des Regens einen Tag länger zu bleiben und stattdessen lieber mit dem Auto seiner Tochter Katarina ein bisschen in der Gegend herumzufahren, aber die Harley war mit 800 $ ganz schön teuer, also muss und will ich sie jetzt auch endlich fahren. Ich schiebe sie rasch aus Craigs Shop, nehme endgültig Abschied von einem wahren Freund und fahre rüber ins Motel. Dort quetsche ich meine Siebensachen in die beiden Koffer und ins Topcase und... gehe erstmal bei McDonalds frühstücken. Es ist elf Uhr vorbei, als ich endlich abfahre. Es nieselt jetzt nur noch, aber es ist immer noch sehr kalt.
Ein komisches Gefühl beschleicht mich: Jetzt bin ich tatsächlich die nächsten vier Tage zum ersten Mal ganz allein auf amerikanischen Landstraßen unterwegs, ohne rechtes Ziel, das Wetter ist schlecht und ich weiß nicht, was da noch alles auf mich zukommt.
Die Straße ist schnurgerade.
Ab und zu ein Versetzer nach rechts oder nach links, ich muss auch schon mal richtig abbiegen, jedoch grundsätzlich immer geradeaus, genau nach Süden runter. Ich fahre einfach mal in diese Richtung. Meine ursprüngliche von Craig ausgearbeitete Tour in den Norden habe ich auf nächstes Jahr verschoben. Ein paar Mal sehe ich eine Amish-Kutsche am Straßenrand herumfahren.
Hier auf dem Land sind über die Hälfte aller Fahrzeuge bullige "Trucks", vorne eine meist viertürige Doppelkabine und hinten eine offene flache Ladefläche. Allermeistens Diesel mit Allradantrieb.
Weil mir der Name so gut gefällt, fahre ich Richtung Oskaloosa
und immer weiter südlich. An einer Tankstelle kann ich zum ersten Mal meine Kreditkarte nicht an der Tanksäule benutzen, sondern muss (genau wie bei uns) tanken und dann ganz normal innen bezahlen. Das ging so noch nie, ich musste sonst immer vorher erstmal einen Geldbetrag hinterlegen. Hier im Mittleren Westen ist man offenbar sehr vertrauensvoll.
Auf einem der wenigen Wegweiser lese ich den Ortsnamen
Montezuma
und muss da natürlich unbedingt gleich mal durchfahren. Er war mir bisher immer gewogen und hat mir nie gezürnt; deswegen erweise ich ihm hier gerne meine Reverenz. An einem Bahnübergang komme ich ein paar Sekunden zu spät an und darf zehn Minuten warten, bis ein endlos langer Güterzug durchgefahren ist.
Nachmittags regnet es noch immer leicht,
die Straße glänzt wie eine Eisbahn. Inzwischen habe ich jede Menge Wasser in den Stiefeln, das vom Vorderrad aufgewirbelt wird und oben an der Lederhose in die Stiefel hinein läuft. (Ja, ein Wunder, auf dieser Tour habe ich tatsächlich dicke Jacke, Lederhose und Stiefel an! Wer mich von meinen USA-Reisen her kennt, weiß, dass ich sonst immer nur mit T-Shirt, Jeans und Sandalen fahre...) Hätte ich vorhin doch nur nach dem Tanken meine Regenhose übergezogen! Alles an mir ist nass und kalt.
Vor einer Stunde habe ich die Grenze nach Missouri passiert.
Ich suche dringend nach einem Unterschlupf und endlich, endlich, kommt Kirksville mit jeder Menge Motels. Warum jetzt lange suchen, ich fahre gleich das erste an.
Im Zimmer nehme ich erstmal eine ausgiebige lange heiße Dusche.
(Ich bin ja immer sehr energiebewusst, aber hier müssen es einfach mal ein paar Minuten mehr sein.) Dann Stiefel und alle nassen Klamotten etwas anföhnen und an Lampen, Stühlen, Bügelbrett und einfach überall zum Trocknen aufhängen. In strömendem Regen (gut, dass ich meine Regenjacke auf der Tour dabei habe) gehe ich rüber zu Wal-Mart auf der anderen Straßenseite, um etwas zu essen einzukaufen. Doch das ist hier für einen einzelnen Mopedfahrer gar nicht so einfach, denn hier gibt es von allem nur Großpackungen. Nach einer Stunde wird mir klar, das wird hier nichts und ich gehe nebenan nach Aldi. Dort kriege ich endlich ein paar gute Sachen in kleinen Größen für mein Abendessen. Bier allerdings nicht, auch hier nur Six-Packs.
Das Wetter für morgen wird vom Weather Chanel als durchwachsen angekündigt. Na, das wird ja noch lustig werden.
Dienstag, 17. Oktober 2006
Kirksville - Camdenton, 320 km
Auf und nieder, immer wieder, ach was ist das schön!
Erstaunlicherweise sind alle Sachen am nächsten Morgen wieder trocken. Ich packe rasch, nehme das vom Hotel angebotene Continental Breakfast zu mir (und das hält dann bis zum Abend) und fahre los. Die Straße ist feucht, aber es regnet wenigstens nicht mehr und bald wird es sogar mit bis zu 40° F etwas wärmer und erträglicher. Unterwegs versuche ich, endlich die total falsche Uhrzeit am Radio-Display umzustellen; als Erfolg habe ich bis zur Moped-Rückgabe gar keine Anzeige mehr im Display. Gut, dass ich ausnahmsweise mal eine Armbanduhr mitgenommen habe.
Und jetzt beginnt mein Motorrad-Urlaub, denn endlich ändert sich auch die Straße!!
Jede Menge schöner Kurven
und Auf und Abs, wie ich sie so sehr liebe. Unten in den Wellen werde ich in den Sattel gepresst und oben etwas aus dem Sitz herausgehoben, ich muss nur immer etwas Gas dazugeben. Hui, das macht Spaß! Und es hört gar nicht auf damit. Ich freue mich über so viel Glück, zufällig eine so schöne Straße gefunden zu haben. Auf der Karte konnte ich es jedenfalls nicht erkennen, alle Straßen sehen da gleich langweilig aus.
Und so schön bleibt die Straße auch den ganzen Tag. Ich habe unendlich viel Fahrspaß. Ich fahre immer recht flott aber auch so, dass es mir immer noch Spaß macht. An solch eine Fahrweise ist bei uns gar nicht zu denken.
Leider gibt es hier fast nichts zu überholen. So leer ist die Straße.
Nur das gewohnte Fotografieren während der Fahrt ist jetzt nicht mehr so einfach wie sonst auf der GoldWing. Da der Tempomat fehlt, muss ich mit links und dann auch noch mit Handschuhen, die so dick sind, dass sie für eine Mt. Everest-Besteigung geeignet sind. Da ist es schwierig, den Auslöser zu finden und zu drücken.
Unterwegs in Boonville überquere ich den Missouri-River, (der übrigens in St. Louis in den Mississippi mündet - ich wusste das jedenfalls nicht) und finde es ganz interessant, weil es mein erstes Mal ist.
Das Navi hilft mir prima, meinen Weg zu finden.
Ein paar Mal muss ich zwar mein Ziel und die Zwischenziele ändern, doch es führt mich prima. Da, schon wieder eine Brücke über den Missouri. Halt, die kenn ich doch! Ach du Sch..., jetzt führt mich das Navi doch den selben Weg zurück! Irgendwie muss ich vorhin ein falsches Zwischenziel eingegeben haben. Na ja, kann ja mal vorkommen, ist nicht so schlimm, die Straße macht ja so viel Spaß, der Weg ist schließlich das Ziel, schnell ändern, und schon geht es auf der gewohnten Weise weiter durch Missouri. Nachmittags kommt sogar die Sonne etwas heraus. Ich will schon die dicke Jacke gegen die Jeansjacke tauschen, lasse es aber dann doch lieber.
Abends nehme ich mir ein Zimmer in einem Motel in Camdenton am Lake of the Ozarks, einem riesigen romantischen und sehr verästelten Seengebiet. Ich habe dieses Motel ausgesucht, weil ich hier
Sitzplätze vor den Zimmern
erspäht habe und weil ich dann endlich mal wieder in Ruhe eine Zigarre rauchen kann. Ich bekomme ein nettes sauberes Zimmer und ein riesiges Bett mit geblümter, gut duftender Bettwäsche. Gegenüber kann ich an einer Tankstelle ein paar Sachen fürs Abendessen einkaufen, dazu auch eine große Flasche Corona-Bier und so wird es ein ganz gemütlicher Abend mit Sonnenuntergang, Zigarre und einem Pläuschchen mit einem stolzen BMW GS 1100-Fahrer nach einem wunderschönen Tag mit riesig viel Freude am Fahren. Wird es so bleiben? Das Wetter soll morgen tatsächlich etwas besser werden...
Mittwoch, 18. Oktober 2006
Camdenton - Mt. Olive, 510 km
Mein schönster Tag. Ich lerne Popeye persönlich kennen. Und eine schreckliche Unterkunft.
Morgens kramt die Motelchefin die leeren Aluminium-Dosen der Gäste aus dem Müllcontainer und ich erfahre dann von ihr etwas vernuschelt, dass man hier in Missouri offenbar 5 Cent für leere Aludosen zurück bekommt, was aber wohl (noch) nicht einheitlich in allen US-Staaten so gehandhabt werde. Die Sonne scheint und die Straße bleibt wunderbarerweise weiter horizontal und vertikal so schön kurvig wie gestern. Unterwegs finde ich an der State Road 7 ein schönes Café mit dem wundersamen Namen "Simple Pleasures Ice Cream Parlor" (Einfache Freuden mit Eiscreme im Wohnzimmer...) und erhalte da ein ausgesprochen gutes Frühstück. Und weil ich so schön drum bitte, werden mir ausnahmsweise (gibt es hier sonst nicht zum Frühstück) auch noch
grüne frittierte Tomaten
zubereitet, die ich so gerne esse.
Und dann geht es wohlgesättigt weiter auf sonnigen wunderschönen einsamen Straßen, durch romantisch bunte Laubwälder und
an kleinen verwunschenen glasklaren Seen vorbei,
die schönste Etappe auf meiner Tour, immer weiter runter nach Süden. Der Himmel ist wieder einmal so wunderschön blau, wie er es eigentlich nur in Amerika ist. Nur ganz wenige Autos, höchstens fünf, begegnen mir am ganzen Vormittag! Also purer Fahrspaß! Dazu relativ warm, nach wie vor wunderschöne Kurven und eine sehr gute Straße. Wenn es für mich ein Paradies auf Erden gibt, hier ist es! Die gelbe Mittellinie und das glatte Band der Straße, dazu unzählige Kurven und so wenig Verkehr, mehr brauche ich nicht, um glücklich zu sein.
Und dann, ich muss die Schleife ja rundmachen, geht es weiter in östlicher Richtung. Immerhin muss ich morgen Abend das Moped in Chicago zurückgeben. Es geht immer noch durch endlose bunte Laubwälder über sehr gute Straßen durch Salem bis zum Mississippi nach Chester. Tipp: Direkt hinter der Brücke ist ein kleiner Parkplatz, an dem ich zufällig anhalte und verschiedene interessante Dinge sehe. Einmal ist in diesem Ort Elzie Crisler Segar am 8. Dezember 1894 geboren und er ist der Schöpfer von Popeye. Leider ist er viel zu früh am 13. Oktober 1938 in Santa Monica/California verstorben.
Und Lewis & Clark schlugen hier ihr Lager auf
ihrer Suche nach einem Weg zum Pazifik am 27.11.1803 auf, bevor sie den Fluss überquerten. Dazu eine sehenswerte imposante Fachwerk-Brücke über den Mississippi aus Stahl. Und dann noch ein Warnschild, dass der Zigarettenschmuggel über die Grenze nach Illinois hinein streng verboten ist. Damit man weiß, worauf man sich einlässt, stehen auch gleich die Strafen mit drauf (25.000 $ Geldstrafe, Gefängnis, Beschlagnahme des Fahrzeugs - lohnt sich also nicht für mich). Insgesamt eine sehr interessante Stelle zum Rasten.
Ab hier bin ich wieder in Illinois und jetzt fangen wieder langweilige Straßen an. Der schönste Teil meiner Reise liegt hinter mir. Ich fahre heute noch hundertfünfzig Kilometer immer geradeaus zurück nach Norden. Abends regnet es wieder mal. Ich bin schon längere Zeit auf der Route 66, als ich endlich ein
Motel in Mt. Olive
entdecke. Im Halbdunkel sieht es zwar etwas heruntergekommen aus, aber es wird schon gehen. Ich bin müde, kalt und nass.
Bei meinem abendlichen Anruf zuhause frage ich, ob ich noch eine Woche verlängern darf. Ich darf nicht. Also muss ich morgen wie geplant weiter nach Chicago. Zigarre geht hier nicht, ist viel zu kalt und viel zu nass draußen. Es gibt auch gar keine Stühle im Freien. Nach einem Blick in die Dusche möchte ich hier lieber nicht duschen, mache stattdessen lieber ganz schnell das Licht aus und versuche zu schlafen. Hätte ich mir das Zimmer vorhin doch nur mal erst angesehen, ich hatte doch gleich bei der Anmeldung so ein merkwürdiges Gefühl...
Donnerstag, 19. Oktober 2006
Mt. Olive - Chicago, 510 km
Es liegt was in der Luft, Luft, Luft, nämlich Schnee, Schnee, Schnee. Kann ein Navi spinnen? Ich soll mein Hotelzimmer nicht kriegen. Gut, dass ich deswegen nicht explodiere.
Am nächsten Morgen stehe ich ganz früh auf und mit dem ersten Tageslicht mache ich mich ganz rasch von dannen. Natürlich ist es wieder saukalt und sehr trüb. Ich bin immer noch auf der "66". Nach nur wenigen Meilen bin ich in
Litchfield
mit (natürlich) unheimlich vielen wunderschönen blitzsauberen modernen einladenden Motels in allen Preislagen, bestimmt alle mit gerade frisch bezogenen Betten, glitzernden Fliesen, blinkenden Waschbecken, einladenden Toiletten und blitzblanken Duschen! Ich hätte gestern Abend nur noch kurz durchhalten müssen. Na ja, wenigstens finde ich hier ein Café, das "Route 66 Café". Das Frühstück ist, wie nicht anders zu erwarten, wieder prima und reichlich und die Leute hier haben auch genügend Interesse für einen einsamen Reiter aus Good Old Germany. Sie wünschen mir viel Glück, leider sieht das Wetter nicht allzu gut aus, Schnee ist angesagt. Zum Spaß sage ich, ich müsste mich vielleicht noch nach
Schneeketten
umsehen. Doch die Leute beruhigen mich und meinen, dass die Jahreszeit noch zu früh für Schnee sei. Trotzdem mach ich mir Sorgen, ob ich mein Moped heute Abend rechtzeitig in Chicago zurückgeben kann.
Erstmal geht es zu Niehaus, einem der größten GoldWing-Händler in den USA. Er ist nur ein, zwei km entfernt und liegt direkt an meiner Straße, der "Historic Route 66". Ich erstehe ein paar Teile für meine GoldWing zu Hause. Die Leute hier sind freundlich und hilfsbereit und es ist alles noch genauso wie schon 2002. Die 2007er GoldWing-Modelle stehen natürlich auch schon herum. Zum ersten Mal sehe ich GoldWings, die mit Navi und Airbag ausgestattet sind. Aber es gibt keine schönen Farben, nur ein ganz dunkles einfarbiges Rot, das mir nun gar nicht gefällt, Silber und Schwarz. Ich weiß nicht, ob ich mich da zum Kauf einer neuen GoldWing entschließen kann.
Mein TomTom-Navi hat zuvor nach dem Rausfahren am Motel schon rumgezickt und keine Satelliten empfangen. Das ist jetzt immer noch so. Anscheinend ist hier auch ein GPS-unterversorgtes Gebiet, was ich mir überhaupt nicht erklären kann. Warum sollen hier nicht wenigstens ein paar Satelliten empfangen werden können? Im Umkreis von hunderten Meilen kein Baum, kein Hochhaus, kein Berg, alles nur flaches Land! Na ja, ich kann es nicht ändern, ich bin zu faul, die Karte rauszukramen und fahre daher erstmal auf die neben der Landstraße liegende Autobahn, in der Hoffnung, dass das Navi bald wieder Empfang bekommt und mich zurück auf die gewohnten Landstraßen führt. Hier in der Nähe von Litchfield sehe ich nacheinander
mindestens fünf blinkende Polizeiautos
am Autobahnrand stehen und zu schnelle Fahrer abkassieren. Ich drehe daher vorerst lieber etwas zarter als sonst am Gasgriff. Bis Springfield, fast 90 km, fällt das Navi komplett aus, bis es dann ab und zu endlich mal wieder kurz geruht zu arbeiten. Es reicht aber immerhin, um mich nach und durch Decatur auf die Landstraßen Richtung Chicago zu führen. Immer wieder setzt es aus, doch ich weiß ja, ich muss einfach nur Straßen in Richtung Norden suchen, dann komm ich schon nach Chicago. Doch wo ist Norden, wenn sich die Sonne hinter bzw. über den dicken dunklen Wolken versteckt?
Die Straßen bleiben einsam und absolut gerade. Wieder rechts und links nur Mais, zum großen Teil geerntet. Inzwischen weiß ich, dass der Mais zu
Bioethanol
verarbeitet und dem Benzin beigegeben wird. An einer Tankstelle ist das mit diesem Äthylalkohol versetzte Benzin der mittleren Qualität wahrscheinlich deswegen auch billiger als das einfache, sonst immer billigere Normal-Benzin.
An einer weiteren Tankstelle wundert sich die Angestellte an der Kasse, dass ich jetzt in dieser Kälte mit einem Motorrad unterwegs bin. Ich bin hier das einzige Motorrad am ganzen Tag und überhaupt seit Tagen. Na ja, mein Kakao schmeckt mir trotzdem.
Mal arbeitet das Navi, mal nicht, obwohl ich es natürlich auch immer wieder mal ausschalte und neu hochfahre. Nach wie vor alles
total ebene Landschaft,
keinerlei Hindernisse, die den Satellitenempfang vielleicht stören könnten. Fast sämtliche Straßen bleiben hier in Illinois, wie auch kürzlich in Iowa, leer, schachbrettartig schnurgerade und deswegen langweilig. So ohne Karte weiß ich nicht, wie weit ich es noch habe und mache mir etwas Sorgen, ob ich es wirklich bis zum Abend noch rechtzeitig nach Chicago schaffe.
Dann plötzlich ein seltenes Richtungsschild mit zwei Ortsnamen, einer davon ist Chicago. Chicago nur noch 76 Meilen! Ich bin also richtig und es ist auch nicht mehr weit! Super, ich bin sehr erleichtert und freue mich, obwohl es wieder saukalt ist und die Luft immer mehr nach Schnee riecht. Einzelne wenige Schneeflöckchen tanzen schon in der Luft. Jeder Schneesturm fängt so an. Doch ich habe das Glück des Tüchtigen, es hört bald wieder auf zu schneien. Hoffentlich passiert mir jetzt zum Schluss nichts mehr...
Die letzten 40 Meilen vor der Stadt fahre ich dann auf der Interstate, das geht schneller und erspart mir den ganzen Vorstadt-Verkehr. Das Navi hat sich dazu durchgerungen, mal wieder zu arbeiten und zeigt geradeaus. Der Verkehr nimmt zu, bald sind es vier und fünf Spuren. Und dann, ich sehe schon länger die Skyline von Chicago, fällt das Navi wieder öfter aus.
Irgendwie komme ich aber auf die richtige Autobahn Eisenhower Expressway 290, an der die Harlem Avenue liegt, wo EagleRider zu Hause ist. Jetzt habe ich auch noch Stau mit endlosem Stopp and Go-Verkehr, viele Kilometer lang. Aber, ich mache mir jetzt keine großen Sorgen mehr, es ist erst halb vier Uhr nachmittags, EagleRider hat bis 8 Uhr auf. Also alles im grünen Bereich. Da muss ich auch schon runter, meine Ausfahrt geht in der Mitte zwischen den beiden Richtungs-Fahrbahnen hoch, ich muss also links rausfahren, jetzt sind es nur noch 400 Meter. Ich halte zuvor noch rasch an der Tankstelle, fülle den Tank ziemlich auf, entferne die Klebebänder an Topcase und am Tank, wische die übrig gebliebenen Klebestreifenreste mit einem Benzinlappen weg und rolle lässig um halb fünf nachmittags auf den Hof von EagleRider. Wieder guckt kein Schwein - niemand steht da und applaudiert mir...
Die Rückgabe erfolgt rasch und problemlos um 4.38 pm, keine Beanstandungen! Ich habe insgesamt 1.464 Meilen = ca. 2.350 km gefahren. Rasch packe ich meine Sachen in die beiden Taschen und lasse mir ein
Blue Cab-Taxi
bestellen. Das ist dann auch viel besser als das Taxi vom ersten Tag, sehr sauber, sehr ordentlich, ohne Trennscheibe. Der schwarze Fahrer, Dwight, spricht deutsch, spanisch und russisch und was weiß ich noch alles. Englisch spricht er sehr deutlich und geradezu wunderbar melodisch. Er erzählt mir, dass er in jungen Jahren seine Sprache mit Hilfe eines Tonbandgerätes verbessert hat. (Ja, ich weiß, hätte ich auch machen müssen...) Ich habe eine überaus angenehme Unterhaltung mit ihm, er spricht deutsch mit mir, ich so gut ich kann englisch mit ihm, und so bin ich "leider" viel zu schnell am meinem Hotel. Das Trinkgeld lasse ich in einem solchen Fall natürlich gerne und mit Freude rüberwachsen.
Das Allerton Crowne Plaza
ist ein altes Backstein-Hochhaus und sieht inmitten der modernen, doppelt so hohen Hochhäuser mit seinen "nur" 23 Etagen recht klein und unauffällig aus. Ich muss in den 3. Stock zur Registration.
Am Schalter sagt mir die Hotelmitarbeiterin, dass mein Voucher für das im voraus gebuchte Zimmer nicht mehr gültig sei und dass er überhaupt nur acht Tage gültig gewesen wäre. Ich will mich schon aufregen, aber frage die dumme Kuh erstmal nach einem deutschsprechenden Kollegen, der auch bald kommt und die Sache rasch zu meiner Zufriedenheit klärt.
Zum Ausgleich bitte ich sie um ein etwas besseres Zimmer mit schöner Aussicht und werde von ihr in die 22. Etage geschickt. Und, ich ziehe die Vorhänge zurück und sehe genau in eine tiefe Häuserschlucht und die direkt vor dem Hotel liegende Michigan Avenue hinunter! Ein phantastischer Super-Ausblick! Dazu ein großes Marmorbadezimmer. Es kommt ja nicht oft vor (und ich muss ja auch oft tauschen), aber hier bin ich mit meinem Zimmer mal auf Anhieb sehr zufrieden; es ist zweifellos das schönste und luxuriöseste der Reise. War offenbar ganz gut, dass ich die blöde Tussi vorhin nicht allzu sehr angeschnauzt habe.
Erstmal muss ich mein vorhin in die Taschen gestopftes Gepäck umpacken und ordentlich verstauen.
Dann bügle ich meine Jeansjacke,
(jetzt muss ich doch zum ersten Mal in meinem Leben auch noch bügeln!), mache mich stadtfein und fahre runter auf die Straße. Wohin? Ich weiß es nicht. Ich lasse mich einfach im Menschenstrom mittreiben. Auch heute sehe ich wieder sehr viele arme Leute an den Häuserwänden sitzen und betteln. Ich habe ihnen schon mehrmals etwas gegeben, aber ich kann doch nicht jedem etwas geben. Es ist wieder oder immer noch saukalt. Auch deswegen tun mir die armen Leute so leid.
Ich trinke erstmal etwas in einer Bar und dann überlege ich, was ich heute essen soll, finde aber nichts Geeignetes. Auf dem Rückweg zum Hotel sehe ich in einer Seitenstraße ein paar Leute vor einer Pizzeria rumstehen und auf Einlass warten. Da muss es ganz gut sein, denke ich mir und sehe mir die Speisekarte an. Leider stehen keine Preise darauf. Es gibt Spaghetti, mehr brauche ich nicht, um halbwegs glücklich zu sein. Also hinein, ich kriege als einzelner natürlich sofort einen Platz an der Bar. Die Spaghetti Pesto schmecken zwar etwas lasch und trocken, aber ich bin nach dem halben Teller angenehm satt. Der Typ neben mir, Peter, spricht mich an und so entwickelt sich mal wieder ein interessantes Gespräch.
Ich bin müde und so fahre ich bald wieder in mein Zimmer rauf und lege mich schlafen. Und weil ich hier noch alle Fenster zum Öffnen sogar bis zur Hälfte hochschieben kann, eines reicht mir dann aber auch bei der Kälte, habe ich endlich mal ausreichend frische Luft zum Atmen. Ich habe sieben Kissen um mich herum und schlafe himmlisch gut.
Aufbruch: | 10.10.2006 |
Dauer: | 12 Tage |
Heimkehr: | 21.10.2006 |