Sponsorenradfahrt von Herford nach St. Petersburg

Reisezeit: September / Oktober 2006  |  von Erhard Krull

Mantel des Schweigens (vor Tallinn)

Auszug aus meiner Homepage

Der Mantel des Schweigens

Die Hütte letzte Nacht kostete knapp 40 Euro für jeden. Das Frühstück war in Ordnung.
Wenn man überlegt, dass in der Hütte 4 Schlafplätze vorhanden sind, kann man hier sicherlich einen preiswerten Urlaub mit der Familie verbringen. Die Ostsee grenzt direkt an die Anlage.
Wir starteten um 9:30 Uhr Ortszeit und wollten bis kurz vor Tallinn kommen, um nicht in der Stadt ein teures Quartier nehmen zu müssen.
Nach wenigen Kilometern war wieder die Buckelpiste angesagt. Sand- Kies- und Geröllpisten sollten und dann den ganzen Tag mehr oder weniger begleiten. Die Empfehlung im Reiseführer, sich in Haapsalus mit Proviant einzudecken, war richtig, denn es wurde sehr einsam.
Die ungeteerten Wege waren teilweise gut befahrbar, teilweise war es das reinste Chaos.
Irgendwo bei der Besichtigung eines Klosters hat Harry dann den Vorarbeiter der Restaurierungstruppe kennen gelernt und sich länger mit ihm über die Lebensaufgabe der Restaurierung unterhalten. Was heiß hier Lebensaufgabe? Die 4 Leute brauchen sicherlich 10-20 Leben und der riesige Komplex der Klosterruine (erbaut 1350) sieht immer noch so aus wie heute.
Im nächsten Ort haben wir dann wider Erwarten eine Kneipe entdeckt, und weil wir den ganzen Tag von Staub eingedeckt wurden, haben wir uns ein gezapftes Bier gegönnt (über die hervorragende Braukunst im Baltikum sollte ich ggf. auch noch einen Blog schreiben).
Just in diesem Moment kam der Typ aus dem Kloster vorbei und bestellt sich als Mittagessen auch ein Bier. So kamen wir ins Gespräch. Dieses dauerte sicherlich 2 Stunden, aber wir hatten ja (der Defekt an der Schaltung war erst 30 Minuten später) viel Zeit.

Er erzählte von seinen 4 Berufen (Feuerwehrmann in ständiger Bereitschaft, Lehrer, Restaurator und Zeichner von Tafeln im Wald mit Wegbeschreibungen). Etwas traurig stimmte ihn, dass seine Frau nur einen Beruf hatte und damit mehr verdiente, als er mit seinen 4 Berufen. Weil seine Frau nicht ausgelastet war, war sie zusätzlich noch Bodybuilderin.
Er erzählte von Land und Leuten und dass er die Russen nicht mag. Wir Deutschen seien eigentlich ganz nett und das Bier in Bayern sei absolute Klasse (stimmt zwar nicht, aber ich wollte das Gespräch nicht ausufern lassen).
So wurde uns die Zeit dann doch etwas knapp und dann kam auch noch die weitere Panne - siehe naechsten Blog.
Es wurde immer später und wir wollten heute vor der Dunkelheit unbedingt ein Quartier finden, weil der Verkehr auf der Hauptstraße stark war und eine Weiterfahrt in der Dunkelheit für Radler nicht ungefährlich. Kurz vor 18 Uhr hatten wir 35 km vor Tallinn ein SPA Hotel ausfindig gemacht. Aber der Preis entsprach nicht unseren Vorstellungen. Für über 65 Euro p.P. hätten wir auch Sauna und Schwimmbad mit benutzen können. Aber wir wollten doch nur 1 Nacht schlafen. 500 m weiter haben wir dann in einem Restaurant ganz gut zu Abend gegessen, um bei der Unterkunft flexibler zu sein.
Dann sind wir bei einbrechender Dunkelheit noch so 10 km Richtung Tallinn gefahren. Die erste Möglichkeit für eine Übernachtung mussten wir dann nehmen, weil es zu dunkel wurde.
Also, die Unterkunft kostete 7 Euro für jeden:
Hygiene - da decken wir mal den Mantel des Schweigens drüber - kein Wort!
oder vielleicht doch so viel: Harald traute sich nicht zu Duschen und ist in voller Montur ins Bett gegangen.

Nachdem ich mit einem Vierkant die Dusche aufgemacht hatte, wusste ich auch nicht mehr, ob meine Entscheidung die bessere war. Die Tiere an den Wänden hatte ich noch nie gesehen-na ja, über der Rest decke ich mal 2 Mäntel - auch des Schweigens.
Ich bin dann mit Trainingsanzug ins Bett gegangen und gehe davon aus, dass ich den für den Rest der Reise nicht mehr brauche.
Das passiert mit eigentlich nie, aber ich habe einmal auf das Putzen meiner Zähne verzichtet.
Da es morgen kein Frühstück gibt, hoffe ich, dass ich die Toiletten nicht zu benutzen brauche. Wir müssten ja weit vor Mittag in Tallinn sein und können dann alles nachholen.
Ich habe mit Harry schon so manche Reise unternommen. Diese Nacht nimmt eine Spitzenstellung ein!
Wenn ich so nachrechne, muss ich bei all meinen Radtouren in den letzten 25 Jahren über 300 mal übernachtet haben. So etwas habe ich nicht auch nur annähernd erlebt. Zu meiner Schulzeit waren einige Jugendherbergen auch nicht das Gelbe vom Ei. Die schlechteste Jugendherberge aus damaliger Zeit war im Vergleich zu dieser Unterkunft ein Komforthotel.

Bei den Verhältnissen waren gut 105 km , 16 km/h und 34,9 km/h eigentlich ganz ok.

In einem Sumpfgebiet abertausende von Wildgänsen beobachtet, die sich für ihren Flug nach Süden trafen. Das Geschnatter war fast ohrenbetäubend.

Morgen gibt's ein schönes Hotel! Versprochen!

Zu den Spenden: Es fehlen immer noch zugesagte Spenden. Ich finde es mehr als nervig, dass die Leute, die Spenden zugesagt haben und bei denen der Verein in Vorleistung getreten ist, sich mit dem Bezahlen alle Zeit der Welt lassen. Ich sitze jeden Tag 10 Stunden auf dem Rad und habe überhaupt keine Lust, die Leute immer und immer wieder über diesen Blog an die Zahlung erinnern zu müssen.

Die Sammlung in Magdeburg hat übrigens genau 586,05 Euro eingebracht. Noch einmal ein herzliches Dankeschön an alle Spender. Damit konnte letzte Woche das Bezirkssportkegeln der Geistigbehinderten finanziert werden. Ein Foto von dieser Veranstaltung folgt.

Euer Regenbogenjimmy

Schlimmer wäre wohl nur eine Brücke gewesen!

Schlimmer wäre wohl nur eine Brücke gewesen!

© Erhard Krull, 2006
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Im Frühherbst habe ich eine Fahrradtour über 3000 km von Herford (OWL) bis St.Petersburg (Leningrad) durchgeführt. Gesammelt wurde während der sehr interessanten Tour für Geistigbehinderte in Herford.
Details:
Aufbruch: 06.09.2006
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 06.10.2006
Reiseziele: Deutschland
Polen
Lettland
Estland
Der Autor
 
Erhard Krull berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
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