Bolivien - über alle Berge
Die Estancia Kattuaya, Rand der Zivilisation
Den folgenden Tag marschieren wir durch lichteren Dschungel, der uns nicht mehr das letzte abfordert, wir queren etliche Bäche, in denen wir unseren Durst stillen können, die Macheten gebrauchen wir nur noch selten. Nach Tagesmitte ermöglicht uns ein halb zugewachsener Trampelpfad aufrecht zu gehen. Paolino und ich hören hoch oben im Geäst einen Chorro-Affen schnattern, bevor wir ihn sehen können wirft er uns erschrocken eine angeknabberte Frucht vor die Füße und haut ab. Hier wird gejagt, deshalb das Mißtrauen! Bald werden wir Menschen treffen, Neuigkeiten erfahren, andere Gesichter sehen. Wir sind richtig aufgeregt.
30 Minuten später bestaune ich einen hohen, in Reih und Glied gepflanzten Bambuswald. In der Wildnis wächst alles scheinbar zufällig durcheinander, jede von Menschenhand geschaffene Ordnung fällt dem sensibel gewordenen Auge sofort auf. Gleich hinter dem Bambus betreten wir eine Bananenpflanzung und sehen eine von Moskitos umschwärmte Muttersau mit drei Ferkeln. Wir sind in Kattuaya, einer kleinen Farm am Waldrand. Die 70-jährige Frau Yanaguaya begrüßt uns ohne Furcht, sie kennt mich. Ihr Sohn José ist zum Arbeiten in die weit entfernte Goldmine Loricani gegangen. Außer der alten Frau und ihrem 19-jährigen Sohn wohnt hier niemand. Für einen jungen Burschen wie José, der auf Kattuaya lebt wie Robinson, muß Loricani schlimm sein. Aber Gold zu schürfen ist für ihn und viele andere die einzige Möglichkeit, sich Geld zu verdienen, Fluch und Segen in einem. Ohne daß sie mich darum bittet, drücke ich der kleinen, alten Frau 20 Bolivianos in die riesigen verarbeiteten Bratpfannenhände. Mit wieselflinkem Raubtierblick blitzen mich ihre braunen Mandelaugen an, ein kurzes, überraschtes Lächeln huscht über ihr Gesicht. "Für die Benutzung deiner Wege", erkläre ich ihr meine Geldspende, die wirklich kein großes Opfer für mich ist. Mit einer Flinkheit, die man einer alten Frau nicht zutraut, verschwindet sie im Haus und kommt mit einer großen Schüssel voll Obst und sättigenden Valusa-Wurzeln heraus, die sie wortlos vor uns hinstellt. Wir schlagen uns den Bauch voll bis wir nicht mehr können.
In Kattuaya.
Wir essen was reingeht!
Von Frau Yanaguaya erfahren wir, daß von dem Goldgräberort Chussi wegen mangelnder Ergiebigkeit der Minen keine regelmäßigen Jeepkonvois mehr in die Minenmetropole Guanay fahren. Der einzige sichere Transport sei Sonntags um acht Uhr morgens. Wir rechnen nach, Sonntag, ist das nicht morgen? Ja, tatsächlich. Nach Chussi habe ich von Kattuaya aus noch zwei Tage gemütliche Gehzeit veranschlagt. Ich entschließe mich kurzerhand zu einem nächtlichen Sprint, über 80 km, um den Jeep nicht zu verpassen.
Aufbruch: | 01.12.2003 |
Dauer: | 5 Wochen |
Heimkehr: | 01.01.2004 |