Neue Wege - eine Reportage über Südamerika
Pepe - eine Hundegeschichte
Pepe kommt nach mir im Heim "Esperanza" an. Eines Tages ist er da, hockt vor der Tür und wartet auf fette Brocken. Die bekommt er auch. Die Chefin höchst persönlich wirft ihm altbackenes Brot hin. Nach einer Woche lungern schon fünf streunende Hunde vor dem Tor herum. Sie warten den lieben langen Tag geduldig auf ihre Brotration. Nicht so Pepe. Der verschafft sich jetzt bei jeder Gelegenheit Einlass in das Haus und hüpft dann mit wedelndem Schwanz um die Kinder herum. Die meisten kreischen und fliehen in die Ecken. Ist Pepe außer Reichweite werden sie wieder mutig und rufen Perro, Perro. Die Unerschrockenen jagen ihn im Garten und man kann sehen, dass alle Beteiligten ihren Spaß haben. Pepe wird erfinderisch beim Einschleichen ins Haus. Unbemerkt kauert er in einer Ecke vor der Tür, wird sie geöffnet, schwupp, ist er im Flur und auch gleich im Garten. Seine Gier nach dem Spektakel mit den Kindern geht soweit, dass er dem Schulbus bis zur Schule hinterherläuft. Ein Taxi Kolektivo bringt ihn zurück - umsonst. Komme ich abends nach Hause, sehe ich schon sein helles Fell wie einen Fußabtreter vor der Tür liegen. Er ist einer geduldiger Warter aufs Glück.
An einem Vormittag gehe ich mit drei kleinen Heimkindern spazieren und Pepe begleitet uns. Er hält einen gewissen Abstand, da die Kinder vor ihm Angst haben, immerhin ist er eine Nasenlänge größer als sie. Unser Weg führt an vielen Hunden vorbei, da hinter jedem Zaun rechts und links mindestens ein oder zwei Kläffer das Haus bewachen und sich aufführen wie Raubtiere in der Wildnis, Pepe entpuppt sich als Großwildjäger, er scheint der Chef der Straße zu sein. Wir können ungehindert unseren Weg fortsetzen. Nicht mal Menschen lässt er an uns heran, sofort fällt er sie an. Es muss putzig aussehen, wie ich mit drei Kindern und einem Hund ganz langsam die steile Straße hochkrieche. Von unserer kleinen Gruppe geht ein Höllenlärm aus. Die Kinder freuen sich lautstark, dass sie draußen sind, das kommt nur alle paar Wochen vor. Jeder Stein wird bewundert, jedes weggeworfene Stück Bonbonpapier aufgehoben, als Schatz präsentiert und dann in der Hosentasche verstaut.
Um Pepes eventuellen Läuse zu verscheuchen, wird er gebadet und geschrubbt. Es reicht ja auch, dass sich die Kinder ständig mit Läusen abplagen müssen. Nach dem Bad wälzt er sich ordentlich im Dreck. Nun sieht er fast so aus wie die Millionen anderen herrenlosen Hunde auf diesem Kontinent.
Ich habe beobachtet, dass die Straßenhunde immer irgendwie zu dem Land passen, dessen Wege sie unsicher, manchmal auch sicher machen.
In Brasilien sind die Hunderassen so unterschiedlich wie die Bevölkerung. Alle haben bei den Einwanderungen ihre Lieblinge mitgebracht- außer den Afrikanern. Bis heute finden sie keinen Gefallen an diesem Tier, das immer nur auf sie gehetzt wurde. "Private Hunde" gibt es in Brasilien mehr als Straßenhunde und ich führe das mal auf eine ganz einfache Erklärung zurück - die natürlich nicht wissenschaftlich belegt ist. In Brasilien beherrscht das Auto die Straße, nicht der Hund. Es ist unmöglich, als Fußgänger die Straße zu überqueren. Ampeln helfen manchmal, aber nicht immer. Auf die Dauer sinkt da natürlich jede Hundepopulation, da ich nicht glaube, dass ein Hund mit dem grünen Signal etwas anfangen kann.
Ganz anders in Argentinien und Chile. Da ist auf den Straßen das Fußgängerparadies und logischerweise dann auch das Hundeparadies.
Stark und organisiert sehen sie in Chile aus. Es gibt nicht viele Rassen, in jedem Hund steckt etwas von einem Schäferhund.
Trotz der vielen herrenlosen Köter haben viele Familien einen Haushund, vor allem die Hausbesitzer. Reiche Leute gehen sogar mit ihnen spazieren, bei ihnen sind weiße Pudel beliebt und bei 17 Grad Außentemperatur bekommen diese ein Kleid angezogen.
Die Straßen und Plätze Santiagos sind überfüllt von Straßenhunden, aber niemand empfindet sie als störend, sie stören auch nicht. Sie sind bei allen Gelegenheiten dabei, sogar bei der Amtseinführung des Präsidenten, da diese auf der Straße stattfand. Andererseits begegnet mir nie Hundedreck. Dafür ist der Sauberkeitsfanatismus des Bürgermeisters von Santiago verantwortlich. Wenn nicht gerade Müllabfuhrtag ist, sieht man kein Fitzelchen auf den Straßen liegen. Vom Boden der U-Bahnstationen könnte man essen, die Jugendlichen sitzen in der Bahn auf dem Fußboden - was einen Brasilianer in meiner Anwesenheit aus der Fassung gebracht hat. Freitag 18 Uhr, Hauptberufsverkehr, alles fährt nach Hause. Gelbe Busse donnern mit 90 km/h über die Alameda, einer hinter dem anderen wie ein langer Zug.
Keine zehn Meter entfernt ist ein Platz mit einem Springbrunnen, einer Wiese, Blumen und Blasmusik. Menschen, die nicht nach Hause eilen, sondern sich die Muse gönnen, stehen vor dem Orchester und natürlich, wieder liegen viele Hunde da, alle Viere ausgestreckt und genießen den Freitag Nachmittag.
Ein sorgloser Hund in Montevideo, der Hauptstadt Uruguays, ist mir unvorstellbar. Dort gibt es die hässlichsten Vierbeiner unter der Sonne. Aber auch sie passen zu der Stadt, die zu beschreiben es schon außerordentlicher Metaphern bedarf. Die Fußwege sind wie von Landminen aufgerissen. Alle fünf Schritte glaubt man sich im Nahkampf und erwartet die nächste Detonation. Um jeden Platanenbaum liegen wie ein Mandala platzierte Müllsäcke, die von Hunden aufgerissen und der besten Inhaltsstücke schon beraubt sind.
Diese hundert Jahre alten Bäume sind die einzigen Prachtstücke der Stadt, sie alle berühren sich mit ihrem Blätterwerk, als müßten sie wie die letzten Augenzeugen einer grandiosen Zeit zusammenhalten. Die Fassaden der einstmals herrlichen Gründerzeithäuser sind aschgrau, verschlissen, abgebröckelt.
So etwas habe in den 80gern in Prag, Ostberlin und Bukarest gesehen. Nur wenige Häuser sind in einem guten Zustand, ragen aus dem Stadtbild heraus. Die Atmosphäre macht traurig.
Die aus den 50ger Jahren stammenden Busse legen einen dunklen bleiernen Auswurf auf alles, wo sie vorüberfahren.
Sie trüben das Licht und die Luft und machen alles noch trister. In der Stadt sind 38 Grad, die Luft ist zum Schneiden, ich will soviel wie möglich sehen, stolpere aber über den Müll, gehe angeekelt an einer Art Strand vorbei, der mehr einer Kloake ähnelt. Erwachsene, Kinder und Hunde rennen in das Wasser.
Ich verschnaufe in einem Park, beobachte die vorbeilaufenden Menschen. Sie sehen aus, wie aus einer anderen Zeit. Die Männer haben Anzüge an, tragen einen Schlips, die Frauen flanieren in kurzen bunten Kleidern, aber alles erinnert mich wieder an die Siebziger. Die Leute sehen nicht so schäbig aus wie ihre Hunde, scheinen aber die gleiche Zeit zu haben. Die Nasen sind gegen die Sonne gestreckt, es sieht aus, als stünden alle unter Hypnose.
Argentiniens Hunde sind groß und dunkel. Sie stromern selbstbewusst durch die Städte, das Einzige was sie nicht beherrschen, ist der Tango.
Zu den elenden Hütten in den Dörfern gehören mindestens 4 Hunde pro Familie und doppelt soviel Kinder. Alles springt und bellt und schreit durcheinander. Das Leben sieht so leicht aus. Doch ich frage mich, bei allem Lebensfrohsinn, womit füttern diese Leute ihre Hunde, sie haben doch selbst kaum genug zu essen. Arbeitsplätze sind rar, die Not zwingt viele Kinder zum betteln.
Ihre verrotzten Gesichter und verschlissenen Klamotten sind Zeugen der Armut. Aber von dem Spaß, den sie haben, wenn sie mit einem Hund um die Wette rennen, zehre ich noch lange.
Aufbruch: | 18.10.1999 |
Dauer: | 9 Monate |
Heimkehr: | 06.07.2000 |
Brasilien
Argentinien
Peru