Neue Wege - eine Reportage über Südamerika
Patagonien
Ein Sonntagmorgen wie im Bilderbuch.
Ich sitze an einem weißgedeckten Tisch auf dem Orangensaft, warme Brötchen, Marmelade und Wurstscheiben stehen. Neben der Rose in einer Glasvase dampft und duftet der Kaffee. Ich frühstücke allein und vorzüglich in einem walisischen Haus, höre dabei beruhigende walisische Musik und fühle mich unheimlich heimisch, obwohl ich nicht aus Wales bin. Aber vielleicht liegt das an der schlagenden Standuhr.
In dem Ort Gaiman in der Provinz Chubut, fast 1500 km südlich von Buenos Aires, leben fast nur Waliser. Ihre Möbel haben sie bis an dieses Ende der Welt mitgeschleppt, ihre Mentalität auch. An jeder Ecke des Ortes befindet sich ein Teehaus in feinstem englischen Stil, es gibt überall Denkmäler, die an die Helden der Urbarmachung erinnern sollen. Das Größte, aber nicht unbedingt Schönste habe ich in Puerto Madryn gesehen. Hier sind die ersten 150 Waliser 1865 an Land gegangen, ihre Nachfahren haben ihren Heldentum in Beton und Bronze verewigt. Von den Tehuelcheindianern, die damals hier lebten und nun ausgestorben sind, zeugt nur noch ein Denkmal. Ein Indianer auf hohem Sockel, die Handfläche über die Augen haltend, damit der Blick so weit wie möglich die Ferne erkennen kann. Weder sie noch die Zukunft versprachen den Einheimischen Gutes. In dem Buch "In Patagonien - Reise in ein fernes Land" von Bruce Chatwin, das mit zu meinem Reisegepäck gehört, kann man die Leidens- und Besiedelungsgeschichte Patagoniens nachlesen. Er zog 1978 hier umher, weitergegangen ist inzwischen nur der technische Fortschritt, denn Internetcafes und Copyshops gab es damals noch nicht. Wohl aber sehe ich noch die Gouchos zu Pferde mit ihren roten Halstüchern, die Märkte mit dem ausgelegten frischen Obst und Gemüse, Zeitungsverkäufer, Zigeunerinnen und Schuhputzerjungs.
Die Waliser kamen hierher, weil ihre Unabhängigkeitsbewegung gegenüber den Engländern gescheitert war, ihre Sprache wurde verboten. Einige ihrer Anführer wollten auf keinen Fall unter diesen Bedingungen leben, sie suchten wohl in Gedanken die ganze Welt nach einen Platz ohne Berührungspunkte zu den Engländern ab und als ihre Wahl auf Patagonien fiel, nahmen sie sogar ihre Hunde mit.
Wie tief ihr Glaubenskrieg mit den Engländern noch sitzt, konnte ich daran messen, wie hysterisch sich die Besitzerin meiner Pension gab, als ich ihr erzählte, dass ich in irgendeiner Zeitung mal gelesen habe, dass Prinz William im nächsten Jahr für einige Monate nach Patagonien gehen wird. Irgendwo in diesem Landstrich hat mittlerweile auch die königliche Familien eine Ranch. "We kill him", war ihre kreischende Antwort und ich war erschrocken über soviel Hass. Was kann dieser 16jährige wohl der 41jährigen Frau angetan haben? Nicht umsonst habe ich als Erstes beim Einchecken in die Pension die wahre Geschichte des Prinzen of Wales in die Hand gedrückt bekommen, allerdings auf englisch.
Aber jetzt ist die Stimmung sehr friedlich, es tickt nur die große Standuhr, ich trinke meinen Orangensaft, löffle das weiche Ei aus und freue mich über meine Ausgeschlafenheit und den neuen Tatendrang. Ich bin ganz zielbewusst in dieses kleine Dorf gefahren, 60 km vom Atlantik von einem Urlaubsort der Argentinier entfernt. Dort kann man für 50 Dollar einen Ausflug nach Punta Delgado machen um die Seelöwen bei ihrem Mittagsschlaf zu stören. Ich hatte mich mit meiner Mitbewohnern angefreundet, Eleonora, Journalistin aus Buenos Aires. Sie war sehr interessiert an europäischer und deutscher Politik. Das gemeinsame Erkunden der näheren Umgebung des Ortes zu Fuß und das Genießen des Sonnenunterganges am menschenleeren Strand hat uns zum Glücklichsein gereicht.
Ich habe an der Atlantikküste sehr wenige Flecken gefunden, die noch nicht verbaut, verdreckt oder vermarktet sind. Am Schlimmsten ist mir die Verschmutzung des Wassers aufgefallen. Rio de la Plata, Silberfluss genannt, ist eine Mündung aus rotbrauner Brühe und trotz des wohlklingenden Namens sollte man hierher keine Reise beim Preisausschreiben gewinnen.
Drei Nächte werde ich mir den Luxus in einer B&B-Übernachtung für 60 Dollar leisten. Zum ersten Mal habe ich eine Unterkunft in der es nicht stickig, laut, schnarchend, tropfend, schreiend oder quatschend zugeht - ich kann schlafen!
Ich bin im Moment die Einzige in der Pension namens "Gwesty Tywi". Aber schon für morgen haben sich neue Gäste angekündigt.
Mein erster Abstecher ins Dorf führt mich zum ältesten Haus des Ortes, erbaut 1874 aus großen quadratisch zugehauenen Steinblöcken. Jetzt ist es ein Museum, um hineinzugehen muss ich mich bücken. Nanu, keine Standuhr, nur ein Bett, Tisch, Stühle, Geschirr. So wie in üblichen alten Bauernstuben.
Ich gehe weiter zu einem Park der genau in der Mitte des Ortes neben Kirche und Rathaus mit hohen Bäumen auf sich aufmerksam macht. Er sieht sehr gepflegt aus, ist bepflanzt mit vielen Rosen und Hecken. Ein Springbrunnen steht in der Mitte, alle Wege führen zu ihm. Ich ruhe mich in seiner Nähe auf einer der zahlreichen Bänke aus, es sind 37 Grad. Mein mitgeführtes Wasser erfrischt mich etwas, ich lese ein paar Seiten im Patagonienbuch und beobachte dann die Leute. Aber es sind nicht viele auf den Beinen, Mittagszeit. Aus dem nahegelegenen Municipal kommen die Angestellten hastig heraus, wahrscheinlich gehen sie nach Hause zum Essen. Zwei zerzauste Straßenhunde durchstöbern die zahlreichen Abfalleimer mit mäßigem Erfolg. Von meiner schattigen Parkbank aus habe ich eine Perspektive wie von dem Grund einer Kraters. Rings um mich herum buschige Hügel, die mir den Blick in die Weite versperren. Wie weit reicht von dort oben mein Blick? Meine Neugierde lässt mich aufstehen und einen dieser kleinen Hügel erklimmen. Das ist bei dieser trockenen Hitze und den lockeren Sandalen an meinen Füßen schwieriger als erwartet. Aber dafür werde ich fürstlich belohnt vom Anblick der Weite dieses Tales mit seinem grünen Band zwischendurch. Das ist der Fluss Chubut mit seinen spalierstehenden hohen Pappeln.
Die Eindrücke entfernen sich immer mehr vom Vertrauten. Der Himmel nimmt 2/3 der Landschaft ein und erscheint so tief und klar, das ich glaube, unter einer Glasglocke, die blau angestrichen ist, zu stehen. Zum stahlblauen Himmel stehen die grauen fast weißen Berge im angenehmen Kontrast. Vor den Bergen ergießt sich noch als dritte Farbe ein helles Oliv. Das sind kniehohe Gestrüppe mit ihren stachligen grünen Blättern und gelben Blüten, beide steinhart und gefährlich für hosenfreie Beine. Diese Farbkombination ist so beruhigend und schön, dass mir die besondere Stille, die nur ab und zu von leisem Gekrächze der Vögel unterbrochen wird, erst gar nicht auffällt. Aber wenn sie einem bewusst wird, dann fühlt man sich plötzlich so leicht, als könnte man jeden Moment abheben und über diese schönen Berge fliegen. Wenn ich das könnte, dann würde ich auf den nächsten 2500 km in südlicher Richtung nichts anderes als diese Berge und diese Farben sehen. Bis Feuerland.
Überraschend aber verdunkelt sich der Horizont, eine mächtige Gewitterwolke kommt auf mich zu. Ich suche irgendeinen Schutz, aber unter einen Strauch von 30 cm Höhe kann ich ja wohl kaum kriechen. Unten führt eine Straße aus dem Dorf hinaus ins Unendliche. Am Dorfausgang ist ein kleines Wäldchen und davor glänzt ein großes Schild mit der Aufschrift "Esperanza". Dorthin renne ich, vielleicht ist meine Hoffnung auf ein trockenes Plätzchen ja begründet.
Manchmal zerplatzen aber auch Hoffnungen schneller als zu Ende geträumt. Der Eingang "Esperanza" glitzert deshalb so, weil er aus lauter Dosendeckeln geklebt ist, führt mich in einen Park mit schlammigem Boden. Zuerst sehe ich ein Auto, mit ebensolchen Deckeln zugeklebt und da es gleichzeitig regnet und die Sonne scheint, glitzert das Auto nicht nur, es spiegelt viele Farben wider. Der Weg führt nach rechts und ich sehe ein glänzendes Haus, alt und windschiefes aber funkelnd mit dem Namen " El Desafio" in roter Dosenschrift. Desafio heißt Herausforderung, ja denke ich, das kann beim Anblick dieses Hauses stimmen.
Da kommt auch schon ein alter Mann herausgeschlurft, seine Alte stürzt gleich hinterher. Er zeigt mit ein handgeschriebenes Schild, darauf steht, fünf Dollar Eintritt. Ich bin platt. Ich überlege hin und her, soll ich fünf Dollar bezahlen? Für was? Noch habe ich keine Ahnung was mich erwartet. Der Alte merkt mein zögern und zeigt mir in einem trockenen Unterstand Zeitungsausschnitte. Auf fünf Meter Bretterwand sind hunderte Artikel und Fotos von Herrn Joaquin R. Alonso und seinem "Parque EL DESAFIO" oder "Parque Esperanza", je nachdem, was wohl dem Journalisten besser gefallen hat, angepinnt. Er steht sogar im Guinness Buch der Rekorde im Jahre 1998.
Nun bin ich neugierig. Ich bezahle die fünf Dollar und weil es immer noch regnet, bekomme ich einen Regenschirm dazu. Meine Eintrittskarte ist ein Stück Zigarettenpapier der Marke "Benso & Hedges", als Schmetterling ausgeschnitten. So begebe ich mich allein auf Erkundungstour. Wie in einem recycelten Märchenwald sieht es hier aus, der Rand des Weges ist mit aneinandergereihten leeren grünen Weinflaschen, die mit dem Hals im Boden stecken markiert. Als Zaun dienen alte Kleiderbügel nebeneinander gereiht, alle gelb, dann wieder aufgefädelte blau-weiße Dosen der Marke Quilmes Kristal in genauem Abstand mit - ja wie heißen die Dinger eigentlich, die beim Öffnen einer Dose sehr hilfreich sind, aber nicht abgehen, damit sie nicht herumliegen? Hier hängen sie, fein säuberlich aufgeschnürt, neben den aufgeschnittenen Dosen. Ich fange an zählen, bei 350 habe ich keine Lust mehr. Die Dosen ändern jetzt ihre Marke, sind rot-weiß oder ganz rot, das heißt in geschwungener Schrift steht noch CocaCola drauf. Manchmal sind die Wege auch überdacht, mit aufgeschnittenen und zu Blumen verformten hellgrünen Plastikflaschen. Der Regen tropft von ihnen herunter, einen Schutz bieten sie nicht.
Die Wege führen zu immer neuen Kunstwerken, einem kleinen Schloß, einer flehenden Frau oder springenden Delphinen. Versteht sich, dass alles aus Plastik oder Blechabfall ist und farblich gut kombiniert und mit einfallsreichen Namen versehen ist. Am Schluss meines Rundganges lande ich im "Salon de la recuerdos", dem Raum der Erinnerungen. Hier kann ich Bilder von Miro, Dali und Picasso bewundern. Wahllos sind sie in dem Schuppen aufgehängt, als Bilderrahmen dienen Dosendeckel in silbern. In der Ecke stehen noch halbvolle Farbdosen, Pinsel liegen herum, der Maler ist immer, wie es seine Zeit hergibt, am Werk. Klar, dass der Alte diese Bilder gemalt hat. Ich finde es schade, dass ich alleine durch diesen sogenannten Park der Hoffnung gehen muss. Ein Zwiegespräch über diese Kunstwerke, über Hoffnung und was weiß ich was dabei noch herauskäme, täte mir jetzt sehr gut. Ich gebe den Schirm wieder ab und verlasse diese skurrile Anlage wie im Trance. Es hat aufgehört zu regnen, nur 5 Minuten entfernt ist meine Pension. Ich leg mich auf mein Bett und versuche zu schlafen und hoffe, dass ich zur Erinnerung ein paar gute Fotos von diesem Park gemacht habe, denn merken könnte ich mir kaum eine Einzelheit.
Wieder habe ich ein reichliches Frühstück hinter mir und einen Schwatz mit meinen Herbergsleuten. Sie, eine schlanke rothaarige und wie ich schon gemerkt habe, auch feurige Frau ist aus Gaiman, übermorgen feiert sie ihren 41. Geburtstag und lädt mich ein. Ihr Mann ist aus Wales, hat sie vor 20 Jahren in Argentinien im Urlaub kennengelernt und ist dageblieben. Sie machen einen sehr europäischen Eindruck, geschäftstüchtig, über die wirtschaftliche Lage klagend, aber auch fröhlich und gesellig. Heute kommen die neuen Gäste an, alle aus Wales. Es wäre schön, wenn ich am Abend mit ihnen gemeinsam in ein Restaurant essen gehen würde. Ich sage zu, obwohl ich genau weiß, dass ich mir ein Essen nicht leisten kann.
Ich werde natürlich gefragt, was ich gestern gemacht und was ich heute vor habe. Nach meiner Schilderung der Eindrücke vom Besuch des Esperanzaparkes verzogen beide ihre Gesichter und die Frau tippte sich an die Stirn. Crazy, loco, ich bekam es zweisprachig serviert, dass der Alte wohl nicht richtig tickt. Schade, ich dachte, sie wären stolz auf ihren Guinnessbuchrekordemann. So kann man sich täuschen.
Aber sie haben mir ein Fahrrad ausgeliehen und mit dem bin ich jetzt unterwegs zu den weißen Felsen am äußersten Rand des Tales. 12 km entfernt sind sie und ich decke mich ein mit dem üblichen Zeug aus dem Supermarkt.
Noch im Ort fahre ich an langen Pappelalleen vorbei und ihr Duft erinnerte mich an August zu Hause. Genauso ein Wetter ist auch hier, ein schöner Spätsommer auf dem 42. südlichen Breitengrad. Der Himmel ist wieder blau und glasig.
Rechts und links sind Gärten, zwei Meter hohe Mauern aus Hecken zäumen sie ein. An den Eingängen sind große Schilder, was alles verkauft wird. Äpfel, Kartoffeln, Blumen, das alles kann ich mittlerweile schon lesen. Gaiman ist ein kleines Nest, im Nu bin ich auf der asphaltierten Landstrasse, Schnurgeradehaus verliert sich der schwarzgraue Strich, so als würde es nur noch diese eine Strasse geben. Aber ich biege bald links ab, genau auf die schneeweißen Berge zu. Obwohl es wie Schnee aussieht, ist es natürlich keiner, ich befinde mich höchstens 50 Meter über dem Meeresspiegel und es ist immer noch Sommer mit einer Temperatur um die 30 Grad. Die Strasse ist jetzt ein breiter Sandweg, der langsam immer schmaler wird, olivgrünes Stachelgras rechts und links soweit meine Augen sehen können. Mit der Farbe ist die ganze Landschaft vor mir bis zu den weißen Hängen angestrichen. Alles ist so gleichmäßig, als wäre es von einer Hand mit dem Pinsel überzogen worden.
Am allerletzten Haus des Ortes mache ich eine kleine Rast um meinen Jogurt zu essen. Haus ist untertrieben, es ist eine neue Schule und wie ich entziffern kann bildet sie Landschaftsgärtner aus. Hier sind aber zur Zeit Ferien, so sieht das Gelände ziemlich unbelebt und trostlos aus. Ich stelle mir vor, was hier sonst für ein Trubel ist. Schade das ich nicht beobachten kann, ob die Lehrlinge hier auch rauchend, spuckend, mit Händen in den Taschen herumschlurfen wie unsere Teenies. Aber warum nicht, sie hören hier ja auch die gleiche Musik aus den gleichen japanischen Geräten und haben garantiert auch die gleichen Probleme mit ihren Eltern und der Schule.
Nach kurzer Rast schwinge ich mich wieder auf das 26er Mädchenfahrrad dessen Bremsen nur am Hinterrad funktionieren. Ich hätte nicht gedacht, dass mich das Fahrradfahren so anstrengt. Ich bin total aus der Übung, aber ich habe ja auch keinen Termin und alle Zeit dieser Welt. Ich genieße die sanften Farben und das Alleinsein auf diesem Fleckchen der südlichen Halbkugel. Der Weg ist eine ausgefahrene Schotterpiste und an den Rändern sind die Grasbüschel dick mit weißem Staub bedeckt. Ich habe mein Ziel immer vor Augen, eine weiße Bergkette, es sieht aus, als hätte es dort hinten geschneit. Wie viel Kilometer liegen wohl vor mir? Ich habe keine Ahnung. Bei dieser flachen weiten Landschaft kann ich mich sicher sehr schnell verschätzen.
Plötzlich stehe ich vor einem flachen, in den Berg halb eingebauten Haus mit einem großzügigen Eingang. Durch große Schautafeln erfahre ich, dass hier ein Ausgrabungsgebiet ist. Die 3 km lange Wegstrecke ist genau vorgezeichnet und es ist auch nur dort gestattet, sich die Funde anzusehen. Alte Knochen waren noch nie mein Fall, ich schwinge mich wieder auf den Sattel, wie auf ein feuriges argentinisches Pferd und radle den gleichen Weg zurück.
In der Pension werde ich schon erwartet, die Gäste aus Wales begrüßen mich, drei junge Männer und ein älteres Ehepaar, die beide gleich ein paar Witze über sich selbst reißen. Den abendlichen Restaurantbesuch kann ich nicht ausschlagen, sie könnten den Grund nicht verstehen.
In dem traditionellen Restaurant sind wir die einzigen Gäste. Ich bestelle mir nur eine Vorspeise. Es stört niemanden und wir stoßen bald alle mit argentinischem Wein an und freuen uns - worüber weiß ich nur nicht so richtig. Ich kann der Sprache nicht folgen, sie sprechen alle gälisch miteinander. Aber die ältere Dame mir gegenüber reißt immer mal wieder einen englischen Witz, ihr schwarzer Humor und der prächtige rote Wein verhelfen mir zu einem schönen Abend. Nach dem Essen gehen wir noch in eine andere Kneipe des Dorfes. Die Kneipe ist verwinkelt und vollgestellt mir Möbeln und Gegenständen aus einer Brauerei, einem Pferdestall und Omas guter Stube. Die Meisten kennen sich, begrüßen sich mit großem Hola und diskutieren drauf los. Ich betrinke mich auf Kosten der zwei alten Waliser.
Von der Pampa zu den Anden
Ich habe eine sehr gute Verbindung von Trelow nach Esquel herausgefunden. Morgens um 7 Uhr und 30 Minuten fährt der Bus vom Busbahnhof ab. Zuerst muss ich mit dem Bus von Gaiman nach Trelow fahren, das ist kein Problem, die Fahrt dorthin dauert nur 20 Minuten und ich habe dann gleich Anschluss. Der Bus fährt pünktlich in Trelow ab und nach 20 Minuten bin ich wieder in Gaiman. Ich wusste, dass ich wieder hier vorbeifahren würde, denn es gibt ja nur die eine Straße in Richtung Westen. Ob aber dieser Bus hier in Gaiman auch gehalten hätte, konnte mir niemand sagen.
Ich sitze ganz hinten im Bus, leider neben der Toilette. Aber vorne ist alles besetzt und ich möchte alleine sitzen. Der Grund dafür ist ganz einfach. Wenn jemand neben mir sitzt, werde ich sofort in ein Gespräch verwickelt und dieses ist immer gleich. Nicht nur, dass ich nach zwei Wochen Argentinien nur einen beschränkten spanischen Wortschatz habe, sondern auch, weil die Leute immer das Gleiche von mir wissen wollen. Wo ich herkomme und wie mir ihr Land gefällt. Aber wie soll ich das beurteilen, wenn ich es mir nicht ansehen kann, weil ich mühselig nach Metaphern suche oder gestikuliere oder auf ein Blatt Papier male?
Vor mir sitzen zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, sie reisen allein und packen gleich zu Beginn der Fahrt ihr Essen aus und fangen vergnügt an zu futtern. Die Straße ist asphaltiert und wie ein offener Reißverschluss trennt sie die Landschaft in zwei Teile. Man glaubt nicht, dass irgendwo dahinten etwas anderes kommt als blauer Himmel und grüne Wellen aus Sand und Stachelgewächs. Aber der Blick in dieses scheinbar Monotone beruhigt.
Eigentlich ist es dumm, dass ich schon weiterfahre. Meine Herbergseltern haben mich für heute Abend zur Geburtstagsfeier eingeladen. Gestern hatte ich einen Erholungstag wie lange nicht. Ich bin gewandert, einfach der Nase nach, getreu meinem Lieblingslied, das ich immer singe. Zuerst führte mich der leicht ansteigende Weg aus dem Dorf hinaus wie durch eine hohle Gasse. Dann stand ich wieder mitten in der kargen Landschaft. Typisch für alle Gebiete rund um eine Ortschaft waren die Unmengen von Plastiktüten, die sich im Gestrüpp verheddert haben. Der Wind spielte mit ihnen, sie gaben pfeifende Geräusche von sich, fast klang es wie ein Lied. Aber die Melodie war immer die Gleiche. Manchmal wurde sie überstimmt von Motorlärm, Hundegebell oder kurzen Vogellauten.
Dann ist mir etwas ganz Seltsames passiert. Am Wegesrand standen viele Trichterwinden, zartrosa zappelten sie mit ihren Köpfen zwischen dem Stachelgrad herum. Ich zupfte eine Blüte ab und hielt sie mir an die Nase. Ich atmete tief ein, so dass sie an der Nase kleben blieb. Im selben Moment sah ich mich auf dem sandigen Pflaumenweg stehen, mit dem neuen Puppenwagen, wie ich sehnsüchtig auf die Heimkehr meines Vaters von der Arbeit warte, um ihm mein schönes Geburtstagsgeschenk zu zeigen.
Während ich nun durch Patagonische Wiesen marschierte, ging ich in Gedanken viele verschiedene Wege aus meiner Kindheit und nie sah ich so klar in meine Vergangenheit.
Aufbruch: | 18.10.1999 |
Dauer: | 9 Monate |
Heimkehr: | 06.07.2000 |
Brasilien
Argentinien
Peru