Mit Fahrrad durchs Ermland und Masuren

Reisezeit: September 2009  |  von Manfred Sürig

Durch die Dünen der Frischen Nehrung

Nach 6 Kilometern - es gibt inzwischen sogar einen Fahrradweg neben der Autobahn - können wir abzweigen. Und schon sind wir wieder in beschaulicher Marschlandschaft. Wir kommen nach Sobieszewo über eine Pontonbrücke über die tote Weichsel und sind von nun an auf einer Sandinsel, dem schönsten Danziger Naherholungsgebiet.

Und weil unsere Karte auch einen Radweg durch die Dünen ausweist, wollen wir lieber abseits der Straße fahren.

Ab und zu werfen wir an den Zugängen zum Strand einen Blick auf die Ostsee. Traumstrände gibt es hier, und nirgends Kurtaxe! Der Radweg durch die bewaldeten Dünen gerät allerdings immer mehr zum Abenteuerpfad. Es wird stellenweise immer steiler, Sandabbrüche müssen überwunden werden, das Auf- und Absteigen vom Rad mit Gepäck geht uns ganz schön in die Knochen, so sind wir froh, als wir die Straße wieder erreichen und bald zur Fähre über den Weichseldurchstich kommen.

1895 wurde hier der Weichsel ein direkter Weg in die Ostsee gegraben. Ein Großschiffahrtsweg ist nie entstanden, umso idyllischer die Anlegestellen der Fischer

1895 wurde hier der Weichsel ein direkter Weg in die Ostsee gegraben. Ein Großschiffahrtsweg ist nie entstanden, umso idyllischer die Anlegestellen der Fischer

Die Straße führt nun ostwärts immer am Südrand der Dünen entlang mit Blick auf die Marschen im Süden. Badeort reiht sich an Badeort, aber es ist Nebensaison, es ist fast nichts mehr los.
Wir kommen noch bis Sztutovo, früher Stutthof. Hier war zur Nazizeit in berüchtigtes Konzentrationslager, heute ist es noch eine Gedenkstätte. Sie besteht aus den ehemaligen Lagergebäuden und Baracken, in denen Hunderttausende polnische und jüdische Häftlinge von der SS gefangen gehalten wurden.

Man muß sofort an Auschwitz denken, wenn man das Lagergelände betritt.

Man muß sofort an Auschwitz denken, wenn man das Lagergelände betritt.

In polnisch, englisch und deutsch werden Originaldokumente der Inhaftierung gezeigt. Inhaftiert wurde jeder, der nicht deutschstämmig war, und die "Herrenmenschen" der SS quälten die Gefangenen mit dem Ziel, sie zu erniedrigen und zu vernichten.

nur eins von vielen Schicksalen der wenigen Überlebenden

nur eins von vielen Schicksalen der wenigen Überlebenden

An 100 Tafeln kann man Einzelschicksale der wenigen Überlebenden des Lagers lesen, erschütternde Dokumente, die uns sehr betroffen machen. Alle diese Menschen haben für den Rest ihres Lebens schwere Gesundheitsschäden davongetragen.

Eine Vernichtungsmaschinerie  wie in Auschwitz

Eine Vernichtungsmaschinerie wie in Auschwitz

Heute ist diese Generation fast ausgestorben, aber Schulklassen besichtigen die Gedenkstätte täglich. Kann man sich da wundern, dass man uns Deutschen mit Zurückhaltung begegnet.?
Wir beginnen zu verstehen, welche Bedeutung es für die Polen gehabt haben muß, als der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt 1980 in Warschau niederkniete und die Polen um Vergebung bat, 35 Jahre nach Beendigung der Unterdrückung durch die Deutschen.
In Warschau hat man diesem Ereignis mit einer Statue "Brandta" gedacht, und immer wieder wurden wir bei Begegnungen mit Polen gefragt, ob wir die Statue gesehen hätten, wenn wir schon mal in Warschau waren. Man möchte die Greueltaten des Krieges auch bei der Generation der Heutigen wachhalten, zugleich aber deutlich machen, dass man das Kapitel des Völkerhasses als abgeschlossen betrachtet.

Brücke über die Königsberger Weichsel, früher einmal Hauptbinnenschiffahrtsweg zwischen Danzig und Königsberg, heute lauschiger Wassserwanderweg für Bootsfahrer

Brücke über die Königsberger Weichsel, früher einmal Hauptbinnenschiffahrtsweg zwischen Danzig und Königsberg, heute lauschiger Wassserwanderweg für Bootsfahrer

Tags drauf erreichen wir das Frische Haff. Storchennester beinahe auf jedem Pfahl, aber die Saison ist vorbei, auch die Störche sind schon weg. Dafür können wir aber auf mancher Wiese Kraniche landen sehen. Sehr fischreich müssen die Gewässer hier sein, denn Räucherfisch wird überall angeboten. Wir gönnen uns eine Riesenportion kaltgeräucherten Lachs (das Kilo für 14 €), fahren einmal quer über die Nehrung

und picknicken mit Seeblick.
In Krynica Morska gibt es die letzte Fährverbindung vor der russischen Grenze nach Frombork. Einmal täglich fährt sie noch mit dem Vorbehalt, dass mindestens 20 Passagiere fahren wollen. Heute geht also nichts mehr, so bleiben wir hier.
Wir nehmen uns eine Unterkunft, um anschließend ohne Gepäck die restlichen 22 km noch weiter Richtung Grenze zu radeln. Das wird noch einmal Fahrradland pur, kaum noch Autos, aber eine gut asfaltierte Straße, die bergauf und bergab durch Kieferngehölz führt.

In den Häfen am Haff scheint die Zeit still zu stehen.

In den Häfen am Haff scheint die Zeit still zu stehen.

Doch die Straße endet im letzten polnischen Örtchen Piaski. Es gibt keine Wegweiser mehr, nur noch Trampelpfade. 4 km müßten es noch bis zur Grenze sein, da muß man doch hinkommen können ?
Kommt man auch, aber sehr mühsam.
Ein Sandweg führt auf der "Kammhöhe" der Nehrung bis zu einem Radarturm, der mit Technik vollgestopft und hermetisch abgeriegelt ist, danach geht es querfeldein, wir verlassen und nur darauf, dass irgendwann wohl ein Zaun auftauchen muß. Der kommt dann auch, sogar eine Schranke finden wir und ein Verbotsschild in drei Sprachen, dass man hier die EG verlasse und es bei Gefängnisstrafe verboten sei, die Grenze zu überschreiten. Ein paar hundert Meter weiter steht im Wald ein Wachtturm auf russischer Seite, statt vollgepfropft mit Technik scheint er mit zwei Soldaten besetzt zu sein.

Wir gehen am Grenzzaun bis an die Seeseite. Auf polnischer Seite ist der Sand voller Fußspuren wie an einem belebten Kurstrand, jenseits davon ist buchstäblich nichts. Wir nehmen noch ein Bad in der Abendsonne in sicherem Abstand vom Grenzzaun . Dann ist es höchste Zeit für die Rückfahrt. Doch von Fahren kann bei dem sandigen Gelände keine Rede sein, wir müssen schieben und sacken dabei mit den Füßen noch im Sand weg. Wie beneiden wir da zwei Grenzsoldaten, die mit Geländemotorrädern an uns vorbeipreschen und dabei den Sandweg noch mehr aufwühlen! Als wir endlich die Straße wieder erreichen, bleiben uns gerade noch 45 Minuten bis es dunkel wird.

Da wird es Zeit, wild in die Pedalen zu treten, um Krynica Morska noch bei Tageslicht zu erreichen. das schaffen wir gerade noch, aber in unserer Unterkunft fragen wir nach Abendessen vergebens, und das, wo wir uns doch so einen Hunger angestrampelt haben !
So machen wir uns zu Fuß auf die Suche nach etwas besserem als nur einer Imbißbude. Und wir haben Glück! In einem neu eröffneten Lokal finden wir ein tolles Ambiente und von der Speisekarte wählen wir Heilbutt gedünstet auf kaschubische Art. Es wird ein Schlemmermahl, das den kulinarischen Höhepunkt unserer Reise bildet: frischen Möhren- und Selleriesalat und eine raffinierte Kapernsauce dazu. Aber der Clou sind die Kartoffeln: Stampfkartoffeln mit purer Sahne übergossen, kaschubisch eben.....

© Manfred Sürig, 2009
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Trockenes Wetter ist schon der halbe Erfolg einer Radtour. Wenn man dann auch noch das Seenland im ehemaligen Ostpreussen mückenfrei vorfindet, hat man das ganz große Los gezogen. So wird uns der Spätsommer 2009 in schönster Erinnerung bleiben.
Details:
Aufbruch: 06.09.2009
Dauer: 17 Tage
Heimkehr: 22.09.2009
Reiseziele: Polen
Der Autor
 
Manfred Sürig berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.