Italien im Sommer

Reisezeit: Juli 2010  |  von Beatrice Feldbauer

Eine Woche Rimini in der Hochsaison. Eigentlich gar kein typisches Ziel für mich, aber trotzdem einen Versuch wert. Ich habe ein Zimmer in einem kleinen Dörfchen im Hinterland von Rimini gebucht und werde da eine ruhige Woche verbringen. Ein wenig lesen, ausspannen, schreiben und die Gegend erkunden. Keine Abenteuer, ausser dem, dass ich kein Italienisch spreche, sondern nur meinem Spanisch einen italienischen Anstrich gebe und hoffe, dass man mich versteht.

Autobahn

Mein Zimmer ist ab Samstag gebucht. Letzten Samstag gab es am Gotthard kilometerlange Staus in denen die Autos stundenlang steckten, darum entschliesse ich mich, schon am Freitag-Mittag zu fahren. Einfach mal losfahren und sehen, wie weit ich komme.

Den Gotthardstau umfahre ich, indem ich über den Pass fahre. Es regnet und es ist ungemütlich. Tief liegende Wolken wabern über den Bergen und begleiten mich durch die Schöllenen-Schlucht. Auch oben auf dem Pass das gleiche Bild. Nebelfetzen und Nieselregen. Dazu zeigt meine Temperaturanzeige draussen 10 Grad an. Bei Airolo schwenke ich wieder in die Autobahn. Es herrscht starker Verkehr, aber es geht vorwärts.

ungemütlich kaltfeuchte Schöllenen

ungemütlich kaltfeuchte Schöllenen

Ich sehe mir die Italienkarte an, überlege, wo ich heute übernachten könnte. Welche Stadt würde mich interessieren, wo war ich noch nie? Parma liegt auf der Strecke. Die Stadt mit dem berühmten Schinken. Mein GPS meint, dass ich um sieben dort sein könnte. Das scheint mir ein gutes Ziel zu sein. Die Temperatur draussen ist auf 32 Grad gestiegen und im Tessin zeigt sich die Sonne ein wenig.

Auf der italienischen Autobahn gibt es Stop and go. Ein paar hundert Meter im Schritt-Tempo, dann läuft es flüssig und gleich darauf sehe ich wieder rote Bremslichter vor mir. Vor allem auf der mailänder Tangenziale wird es schwierig. Ich zähle die Schweizer Autos. Da ein St. Galler und dort der Solothurner, der schon die ganze Zeit vor mir fährt. Jetzt überholt mich ein Luzerner, aber die meisten Nummernschilder sind Italiener. Da fällt mir ein uraltes Spiel ein, das wir Mädchen in der Schule gespielt hatten. "100 rote Autos, drei Männer mit Schnauz und einen Kaminfeger musst du sehen, und der nächste, dem du die Hand gibt, wird dein Freund". Wir hatten leidenschaftlich rote Autos gezählt. "Mir fehlt nur noch ein Mann mit Schnauz und der Kaminfeger", solche Aussagen waren damals das Tagesthema. Ich kann mich nicht erinnern, ob es eine von uns je bis zum Kaminfeger geschafft hatte, aber das Spiel könnte ich heute wieder einmal starten. Autos hat es jedenfalls genug auf der Autobahn. Ob ich hier in Italien einen Kaminfeger finde?

Ich fange an zu zählen. Das heisst ich versuche es, aber es scheint, dass plötzlich keine roten Autos mehr auf der Strasse wären. Alles ist schwarz, silbern, dunkelblau. Sogar einen knallgelben Römer sehe ich, aber von roten Autos fehlt plötzlich jede Spur. Ob Lastwagen auch zählen? Autos sind Autos entscheide ich und fange mit den beiden roten Lastwagen an. Sie sind mit Globetrotter angeschrieben und ich kann sie schon deswegen nicht ignorieren. Der Verkehr läuft noch immer ziemlich zähflüssig, aber ich habe jetzt eine Beschäftigung, sehe mich nach roten Autos um. Parma kommt nur sehr langsam näher und bereits mache ich mit mir eine Abmachung. Um acht muss ich ein Zimmer haben, egal wo.

Kurz vor acht verlasse ich die Autobahn bei Parma. Ich fahre in die Zahlstelle, stecke mein Ticket hinein und schiebe die Kreditkarte nach. 'non valido' sagt die Anzeige. Ich versuche es mit einer zweiten Karte mit dem gleichen Resultat. Was jetzt? Zurück an einen bedienten Schalter. Was sich mein Hintermann denkt, weiss ich nicht. 'Frau! Ausländerin!' Fast hätte ich übersehen, dass er einen roten Wagen fährt. Mein neunundzwanzigster. Er setzt zurück und ich schwenke zum nächsten Schalter ein. Aber jetzt habe ich kein Ticket mehr. Ich komme mir vor, als ob ich zum ersten Mal an einer Zahlstelle wäre. Dabei habe ich früher auf den spanischen Autobahnen immer heimliche Rennen mit anderen Fahrern gemacht, wer zuerst wieder aus dem Boxenstopp kommt.

Zum Glück habe ich noch ein paar Euros im Ferienportemonnaie. Ich versuche dem Mann hinter dem Fenster zu erklären, dass mein Ticket noch in der Säule nebenan steckt. Er fragt mich etwas aber ich verstehe nur 'dove' und interpretiere 'woher' "Di Milano". Er nickt, rechnet etwas und kassiert sieben Euros. Geschafft, ich fahre in Parma ein. Jetzt also ein Zimmer und ein feines Nachtessen, dann ist der Tag gerettet. Ich stelle mein Auto in die blaue Zone, es ist fünf Minuten nach acht.

Zugegeben, das Hotel ist teurer, als ich mir vorgestellt habe, aber es ist ruhig, sauber und kühl, es hat Internetanschluss im Zimmer und ist im Stadtzentrum. Zehn Minuten später bin ich ausgerüstet mit Zimmerschlüssel, Parkkarte und Stadtplan. Bevor mir der Angestellte die Karte fürs Parkhaus gab, fragte er mich: "Ist ihr Auto klein?" "Rot" hätte ich ihm fast gesagt, aber ich glaube, das hätte er nicht verstanden.

Wahrscheinlich hat er mich nach der Grösse des Autos gefragt weil die Zufahrt zum Parkhaus ziemlich eng ist. Mein Auto ist zwar kein Cinquecento, aber ich schaffe die Einfahrt. Ich parkiere, bringe die kleine Tasche mit dem wichtigsten für eine Nacht ins Zimmer und mache mich auf, die Stadt zu erobern.

Die Kathedrale, deren Kuppel ich zwischen den Häusern erkenne, zieht mich an. Ich komme an einem grosen Rasenplatz vorbei. Da sitzen und liegen junge Leute und auf einer Bühne wird etwas aufgebaut. Ob wohl heute noch die Musik aufspielt? Ich sollte mich jetzt allerdings zuerst auf das wichtigste konzentrieren und das heisst Bargeld. Beim Automaten in der Altstadt zeigt sich, dass meine Kreditkarte sehr wohl noch valido ist und imstande, mich mit Euros auszustatten und so kann ich beruhigt meinen Stadtbummel weiterführen.

Das Battisterio

Das Battisterio

Beim Glockenturm, der in keiner italienischen Stadt fehlen darf, schwenke ich ab. Bald bin ich auf einem grossen quadratischen Platz. Neben dem Dom und dem eingerüsteten Turm steht das Battisterio. Ein achteckiger Bau aus rosarotem Marmor. Was ein Battisterio ist, werde ich später im Internet nachsehen, dass es so heisst, verrät mir mein Stadtplan. Davor spielt einer Cello. Ob es wohl an seinen Künsten oder an meiner Kenntnis von modernen Klassik liegt, dass ich das Gefühl habe, er würde die Etuden üben, die er heute in der Cellostunde gelernt hat? Wahrscheinlich fehlt mir das richtige Verständnis für seine Kunst, jedenfalls bietet er CD's an, also müssen seine Cellostunden schon etwas länger zurück liegen.

Der Domplatz ist gepflastert mit runden naturbelassenen Steinen. Gerade das richtige für meine hohen Keilsohlen. Mich lockt das Restaurant auf der anderen Seite des Platzes. Einladend stehen die beiden Kellner davor. "Sind sie allein" an diese Frage in der italienischen Version werde ich mich wohl auch noch gewöhnen.

Ich möchte Prosciutto und frage den Kellner, was dazu serviert werde. Leider versteht er aus meiner Frage nur, dass ich kaum Italienisch spreche und versucht es mit englisch. Der Versuch ist gut gemeint, aber jetzt erklärt er mir auf Italienisch, was Prosciutto ist. "Thin slices of ham" Ja, das habe ich schon verstanden, aber was steht da auf der Speisekarte neben dem Prosciutto? Er empfiehlt mir einen Teller mit zwei Varianten des berühmten Rohschinkens und als zweiten Gang bestelle ich einen Fisch. Dazu einen weissen Chardonnay aus Parma.

die Piazza del duomo

die Piazza del duomo

sieht doch seh einladend aus

sieht doch seh einladend aus

thin sliced of ham...

thin sliced of ham...

Bestimmt geniesse ich das Essen mehr, als das verliebte junge Paar ein paar Tische weiter, das kaum dazu kommt, etwas ausser den Augen des anderen zu sehen. Vielleicht sind die beiden älteren Tischnachbarn zu meiner Rechten dafür umso mehr dem Genuss verfallen. Denn seit sie beim Kellner die Bestellung aufgegeben haben, haben sie kein Wort mehr miteinander gesprochen. Wenn man so allein sitzt, hat man jede Menge Zeit, anderen zuzusehen. Und so bemerke ich natürlich auch, dass der junge Mann nicht sehr erfreut ist, dass seine Freundin vom Telefon abgelenkt jetzt bereits seit fünf Minuten vor dem Restaurant telefoniert, während er etwas irritiert in seinem Teller herumstochert.

Vielleicht kann der Rosenverkäufer, der kurz darauf hereinkommt, noch etwas an der Situation ändern. Er hat kein Glück, wird überall abgewiesen. Auch bei der gemischten Gruppe in der Ecke bringt er keine Rose los und bei mir hat er es nicht einmal versucht. Ist ja auch nicht jeder ein Bligg, der es mit einem romantischen Rosalie-Trick versucht.

Für Leser, die sich in der Schweizer Popszene nicht so auskennen, hier die Kurzfassung der Geschichte. Nachdem sich der Rosenverkäufer nach dem Namen der einsamen Dame erkundigt hat, übergibt er ihr den Strauss Rosen mit den Worten: "Die Rosen sind für dich Rosalie, mi Amor, weil du so traurig aussiehst...." Der Irrtum stellt sich erst heraus, als er den Preis für die Rosen nennt. Und während Rosalie jäh aus ihrem romantischen Traum erwacht, bezirzt der Rosenverkäufer bereits die nächste einsame Dame.

Hier gibt es keine weitere allein speisende Dame, aber ein zweiter Rosenverkäufer kommt kurz darauf herein. Auch er hat keinen Erfolg und das junge Paar ist bereits weggegangen.

Beim älteren Paar unterbrach nicht einmal ein Telefonanruf die Stille und so verlangt der Mann nach dem Dessert die Rechnung. Auch für mich ist es Zeit, zum Hotel zurück zu gehen.

Ich komme an einer Buchhandlung vorbei. Weil ich kaum je an einer Buchhandlung vorbei gehen kann, trete ich ein, denn sie ist zu meinem Erstaunen eine Stunde vor Mitternacht noch immer offen. Ich suche Bücher über den Amazonas, Regenwälder oder ganz allgemein über Peru. Leider gibt es keine Fotobücher über die Natur, sondern vor allem Architektur, Kunst, Literatur. Einzig einen Reiseführer über Peru finde ich in der Abteilung 'turistico'. Und so eröffne ich heute die italienische Abteilung der Bibliothek in meiner Lodge.

Auf dem Heimweg orientiere ich mich am Campanile und komme wieder am grossen Rasen vorbei. Hier haben sich inzwischen noch mehr Leute eingefunden. Die Bühne ist leer aber irgendwo spielt eine kleine Bluesband. Beim Verlassen lese ich auf einem Schild den Namen des Platzes: Piazza de pace. Friedensplatz.

campanile en notte

campanile en notte

Du bist hier : Startseite Europa Italien Italien: Autobahn
Die Reise
 
Details:
Aufbruch: 23.07.2010
Dauer: 9 Tage
Heimkehr: 31.07.2010
Reiseziele: Italien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
Bild des Autors