Entlang der antiken Via Egnatia durch den südlichen Balkan

Reisezeit: April / Mai 2009  |  von Angelika Gutsche

Entlang der Via Egnatia durch Albanien

Verlauf der Via Egnatia durch Albanien, Mazedonien, Griechenland und Türkei bis nach Istanbul

Verlauf der Via Egnatia durch Albanien, Mazedonien, Griechenland und Türkei bis nach Istanbul

Mit etwas Verspätung legt das Schiff kurz nach 23 Uhr ab. Die nächtliche Überfahrt verläuft ruhig und am Morgen kommt die albanische Küste in Sicht. Es verspricht ein wunderbar sonnig-warmer Apriltag zu werden. Im Hafen von Vlora ist richtig viel los, trotzdem gehen Passabfertigung und Zoll zügig vonstatten. Der erste Eindruck, den Vlora vermittelt, ist der einer modernen Stadt, in der ein irrwitziger Bauboom ausgebrochen ist. Gleich am Hafen findet sich das "Hotel Vlora International", im dem wir uns ein kräftiges Frühstück gönnen, bevor wir zur Stadtbesichtigung aufbrechen.

Schön ist die Muradie Moschee (16. Jh.) und der bunte Markt. Wir kaufen etwas Obst ein und machen uns auf die Weiterfahrt.

Die Bucht von Vlora

Die Bucht von Vlora

Am Ortsende von Vlora zweigen wir links ab und folgen bald der Ausschilderung Richtung Narte. Dort ist vor der Kirche das orthodoxe Osterfest in vollem Gange. Eine Musikgruppe spielt auf, schmissiger Balkan Brass mit Blechblasinstrumenten, dazu wird getanzt. Auf einer Wiese am Ortsrand findet ein Volksfest statt, ein Maskenumzug kommt uns entgegen. Alle sind gut drauf und haben offensichtlich Freude daran, Touris an ihren Festivitäten teilhaben zu lassen. Ein Junge radelt uns voraus und zeigt den Weg durch ein Pinienwäldchen. Wir erreichen das Meer. An der rechts gelegenen Polizeistation fragen wir noch einmal nach dem Weg. Der Polizeichef, Commandante Afzul, lässt es sich nehmen, uns selbst mit seinem Geländewagen den weiteren Weg zu weisen: Es geht am Strand entlang, durch einen Pinienwald, über Wiesen, entlang kleiner Pisten, vorbei an den unvermeidlichen alten militärischen Betonbunkern zu einer in wunderbarer Landschaft gelegenen Lagune.

Österlicher Maskenumzug bei Narte

Österlicher Maskenumzug bei Narte

Die Straße endet an einem Steg, der auf ein Inselchen mit dem byzantinischen Kirchlein Shen Meria führt, das von Pinien und Zypressen umrahmt ist. Direkt am Steg gibt es einen kleinen Imbissstand. Als wir mit unserem Handy telefonieren wollen, bemerken wir, dass es noch nicht funktioniert. Eine junge Frau, die gut englisch spricht, gesellt sich mit ihrem kleinen Bruder zu uns. Sie heißt Ionida und ist Lehrerin. Sofort hilft sie uns leihweise mit ihrem Handy aus. Anschließend besuchen wir zusammen das Inselchen mit der Kirche. Am 14. August wird hier die Jungfrau Maria gefeiert.

Ionida mit ihrem Bruder bei der Kirche Shen Meria

Ionida mit ihrem Bruder bei der Kirche Shen Meria

Ionida erzählt, es gäbe hier einen großen Fischreichtum. Ihr Vater tauche nach Fischen, auch im Winter ohne Neoprenanzug. Danach benötige er aber etliche Grappa, um sich wieder zu wärmen.

Weiter fahren wir an der Lagune entlang. Hier lag wohl einst das antike Aulona, das etwa ab dem Jahr 300 als Hafen für das im Hinterland gelegene Byllis diente. Durch das einstige Absinken des Meeresspiegels um etwa vier Meter ist Aulona im Meer versunken.

Zurück auf der Hauptstraße fahren wir nach Norden Richtung Fier, um von dort der Ausschilderung nach Ballsh zu folgen. In Ballsh biegen wir links ab. Etwa drei Kilometer außerhalb der Stadt zweigt rechter Hand bei einigen Häusern eine Sandstraße ab, die zu der antiken illyrischen Siedlung Byllis führt.

Die Piste ist wirklich schlecht, mit großen Schlaglöchern, doch nichtsdestotrotz lohnt der Weg! Byllis war die Hauptstadt des illyrischen Stammes der Byllionen und wurde im 1. Jahrhundert v.Chr. römische Kolonie. Von dem weitläufigen Ausgrabungsgelände bieten sich grandiose landschaftliche Ausblicke auf das Vjosa-Tal und seinen Geröllfluss.

Blick von Byllis auf das Vjosa-Tal

Blick von Byllis auf das Vjosa-Tal

Nachdem wir einigen Archäologen bei ihrer Arbeit mit der Freilegung wunderbarer Fußbodenmosaike der Großen Basilika B (6. Jh.) zugesehen haben, besichtigen wir das gesamte Ausgrabungsgelände mit Agora, Stoa und Theater (3. Jh. v.Chr.). Immer noch gut erhalten sind die Umfassungsmauern der antiken Stadt. Gerade wird hier gefilmt: Der albanische Archäologieprofessor Neritan Ceka erläutert für die Zuschauer eines albanischen Fernsehsenders die Bedeutung der illyrischen Kultur auch für das heutige Albanien.

Byllis: Fußbodenmosaik der frühchristlichen Basilika

Byllis: Fußbodenmosaik der frühchristlichen Basilika

Am Eingang zur Ausgrabungsstätte gibt es ein kleines Restaurant mit wenigen Gästezimmern. Nachdem wir dort einen Imbiss genommen und mit Skënder Muçai, einem ebenfalls in Byllis tätigen albanischen Archäologen, mit einem Glas Raki angestoßen haben, lassen wir es für heute gut sein und übernachten gleich in einem der Gästezimmer.

Am nächsten Morgen geht es zur nächsten Ausgrabungsstätte, nach Apollonia. Wir müssen zurück zur Stadt Fier und von dort nach Dermenas. Dort ist wirklich was los und wir fragen uns mühsam zur Straße nach Apollonia durch.

Schon 588 v.Chr. von griechischen Siedlern gegründet, schloss sich Apollonia der römischen Provinz Macedonia an und kam als Ausgangspunkt des südlichen Strangs der Via Egnatia zu großem Reichtum. Innerhalb der Ausgrabungen ist das Bouleterion (Rathaus), dessen Fassade wieder aufgerichtet wurde, sicher das am meisten beeindruckende Bauwerk. Daneben kann man ein gut erhaltenes römisches Odeon, die Große Stoa und weitere Überreste antiker Bauwerke besichtigen.
Gleich neben der antiken Stätte befindet sich das Kloster Shen Meria (13. Jh.), dessen Merkmal ein komplett verzogener Grundriss ohne jeden rechten Winkel ist. Im Speisesaal des Klosters finden sich Fresken aus dem 13. Jahrhundert.

Apollonia mit Bouleterion

Apollonia mit Bouleterion

Über Fier und Lushnja geht nun die Fahrt auf gut ausgebauter Schnellstraße nach Durrës. Wir beziehen in der Altstadt nahe der Großen Moschee in dem kleinen "Hotel Naïs" Quartier. Vor dem Hotel kommen wir ins Gespräch mit einem jungen Albaner, der gerade seinen Pick-up geparkt hat und ganz stolz erzählt, dieser sei aus chinesischer Produktion und hätte nur 12.000 EUR inklusive Versicherung gekostet und hätte drei Jahre Garantie.

Die Altstadt von Durrës ist hübsch. Wir besuchen die Reste einer spätantiken Rundanlage (um 500), der römischen Stadtmauer, eines römischen Amphitheaters (2. Jh.) mit einer im 6. Jh. eingebauten Kapelle sowie einen venezianischen Turm, in dem heute ein Café untergebracht ist. Wir legen eine Rast ein und lassen das bunte Stadtleben an uns vorbeiziehen, bevor wir das äußerst sehenswerte Archäologische Museum, das auch einen Meilenstein von der antiken Via Egnatia beherbergt, besuchen.

Reste einer spätantiken Rundanlage in Durrës

Reste einer spätantiken Rundanlage in Durrës

Zum Abendessen verlassen wir die Altstadt mit dem Auto Richtung Süden. Wir fahren durch den neuen Teil der Stadt, der sich neben den Sandstränden entlang der Straße zieht, mit den vielen erst kürzlich gebauten, zum Teil chaotisch angeordneten Hotels. Rechter Hand finden wir das gemütliche "Restaurant Adriatika". Die reichhaltigen Vorspeiseteller und der anschließende Fischgang sind vorzüglich, ebenso die hier kredenzten albanischen Weiß- und Rotweine. Ein Restaurant, das man weiter empfehlen kann!

In der Altstadt von Durrës

In der Altstadt von Durrës

Am nächsten Morgen verlassen wir Durrës in Richtung Elbasan. Nicht weit und wir müssen ins Landesinnere links abbiegen. Zunächst geht es über eine recht restaurierungsbedürftig wirkende Brücke, dann fahren wir durch eine immer hügeliger werdende Landschaft auf einer nicht sehr guten Straße von Rroghozan nach Elbasan, entlang des Flusses Shkumbin.

In dem Ort Bradadesh, an dessen Zufahrt sich aufgelassene, verfallende Industrieanlagen finden, fragen wir nach den Überresten der Mutatio Ad Quintum. Ein älterer Herr lädt uns gleich neben der Moschee zu einem Kaffee ein. Wir können uns etwas auf Italienisch verständigen und so begleitet er uns zur Ausgrabung der ehemaligen römischen Pferdewechselstation. Als wir noch in einem kleinen Laden bei einer jungen Frau Äpfel kaufen, nehmen alle Umstehenden großen Anteil. Die Frau gibt uns mit freundlicher Sorgfalt das Wechselgeld zurück. Die Menschen sind sehr bemüht, uns gastfreundlich zu begegnen; es ist ihnen anzumerken, dass für sie die Begegnung mit Touristen nicht alltäglich ist.

Mutatio Ad Quintum - Reste einer römischen Pferdewechselstation

Mutatio Ad Quintum - Reste einer römischen Pferdewechselstation

Dann geht's weiter nach Elbasan, eine Stadt mit vielen Parks und Cafés. Heute ist ein schwül-heißer Tag und bevor wir mit der Besichtigung der von hohen Mauern umgebenen Altstadt, genannt Scampa, beginnen, gönnen wir uns in dem noblen Café/Restaurant nahe dem Südostturm eine Erfrischung. Draußen herrscht viel Verkehr und unzählige Menschen sind geschäftig unterwegs, doch innerhalb der Stadtmauern geht es entspannt-beschaulich zu.

Mit Peugeot Partner unterwegs in Albanien

Mit Peugeot Partner unterwegs in Albanien

Elbasan war zur Römerzeit wichtige Station an der Via Egnatia, später wurde die Festung von den Osmanen erneuert. Wir machen einen Spaziergang durch die Stadt mit ihren Basiliken und besuchen auch die Krönungsmoschee, in der uns der Imam freundlich willkommen heißt und zur Besichtigung bittet, obwohl gerade Gebetszeit ist. Aus der Türkenzeit stammt auch ein Hamam am Hauptplatz, das zu einem Café umgewandelt wurde. Um die einstigen Wasserbecken des Badehauses gruppieren sich Barhocker.

Die Nacht verbringen wir in dem sehr netten "Hotel Universe", das nicht weit von Elbasan entfernt an der Straße nach Ohrid liegt, und ein hübsches Gartenrestaurant hat. Zum Abendessen gibt es ein Fläschchen Rotwein der Marke "Via Egnatia".

Am nächsten Morgen stoßen wir am Ende des Ortes Labinot auf eine kleine osmanische Brücke. Daneben befindet sich das "Restaurant Egnatia". Auf unserem Weg kreuzen wir immer wieder die Bahngleise. Kurz nach der letzten Bahnunterführung, vor einem Tunnel, führt rechts eine Brücke zu einem Ort und dann in die Berge. Wir folgen dieser alten Straße, der einstigen Via-Egnatia-Trasse, ein Stück weit hinauf in die Berge und werden mit wunderbaren Ausblicken auf das Flusstal des mäandernden Shkumbin belohnt.

Alte osmanische Brücke und das Restaurant "Egnatia" am Ortsende von Labinot

Alte osmanische Brücke und das Restaurant "Egnatia" am Ortsende von Labinot

Dann geht es zurück zur Landstraße. Vor Qukës halten wir am Fluss, um altrömische Brückenpfeiler im Wasser zu begutachten. In Qukës fahren wir rechts ab über eine Brücke. Wir wissen nicht genau, wo sich die Abzweigung zu den illyrischen Königsgräbern von Selca e Poshtme befindet. Eine junge Frau auf einem Spaziergang mit ihren zwei entzückenden Kindern - das Mädchen in Rosa wie ein Prinzesschen gekleidet und der kleine Junge im feinen Anzug - gibt Auskunft. Noch vor einer zweiten Brücke geht eine Piste nach links ab. Durch das starke Gewitter von gestern Abend ist die Straße verschlammt und das letzte Stück bei der Dorfeinfahrt sogar weggebrochen. Wir gehen zu Fuß weiter. Ein junger Mann aus dem Dorf bietet seine Hilfe an. Gerne engagieren wir ihn als Fremdenführer. Die illyrischen Königsgräber können wir am Berghang ausmachen. Wie wir auf unserem Rundgang feststellen, sind sie wirklich beeindruckend und noch gut erhalten. Unseren Führer entlohnen wir mit etwas Geld, Keksen und einen Apfel. Er stopft alles unter sein zerschlissenes Hemd und in seine Hosentaschen. Bestimmt will er diese Gaben mit nach Hause nehmen und dort seiner Familie präsentieren.

Albanerin mit ihren Kindern am Ufer des Shkumbin

Albanerin mit ihren Kindern am Ufer des Shkumbin

Detail an einem illyrischen Königsgrab von Selca e Poshtme

Detail an einem illyrischen Königsgrab von Selca e Poshtme

Auf der Rückfahrt haben wir nun Muße, die wunderbare Flusslandschaft zu genießen, die uns zu einem Picknick am Wegesrand verführt. In Perrenjas angekommen, gönnen wir unserem Auto eine Wäsche.

Flußlandschaft bei Qukës  mit osmanischer Brücke

Flußlandschaft bei Qukës mit osmanischer Brücke

Über einen Umweg zu der Halbinsel Lin am Ohrid-See mit ihrer frühchristlichen Basilika geht es hinauf zum Thana-Pass und zum Grenzübergang nach Mazedonien. Dies ist die Route, die einst auch die alte Via Egnatia nahm.

Autowäsche in Perrenjas

Autowäsche in Perrenjas

© Angelika Gutsche, 2011
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Die Fahrt führt uns entlang der antiken Römerstraße Via Egnatia, die einst das Weströmische mit dem Oströmischen Reich verband, durch die vier Länder Albanien, Mazedonien, Griechenland und Türkei (europäischer Teil). Nach weit über tausend Kilometern wird unser Ziel das heutige Istanbul sein, das ehemalige Byzanz oder Konstantinopel. (Basierend auf dem historischen Reiseführer "Auf den Spuren der antiken Via Egnatia vom Weströmischen ins Oströmische Reich", Wiesenburg Verlag, Nov. 2010)
Details:
Aufbruch: April 2009
Dauer: circa 4 Wochen
Heimkehr: Mai 2009
Reiseziele: Italien
Albanien
Mazedonien
Griechenland
Türkei
Der Autor
 
Angelika Gutsche berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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