Entlang der antiken Via Egnatia durch den südlichen Balkan
Entlang der Via Egnatia durch die Türkei
Nun sind wir also im europäischen Teil der Türkei angekommen. Die Autobahn ist so gut wie leer. Störche flattern vor unserem Auto, Schildkröten queren die Fahrbahn. Von hier sind es noch 230 Kilometer bis Istanbul.
Wir halten auf Istanbul aber nicht direkt zu, sondern biegen bei Keçan Richtung Norden nach Edirne ab.
Zunächst säumen hochgewachsene Eichen die Straße, die durch offenes Ackerland mit wenigen Dörfern führt. Jedes Dorf hat eine Moschee, deren weißes Minarett hoch in den weiten, sonnig-blauen Himmel ragt. Bei den in Architektur und Ornamentik orientalisch geprägten Dörfern Uzunköpri und Cucurkö bestimmen Reisfelder das Landschaftsbild.
Thrakische Landschaft in der Türkei
Als wir Edirne erreichen, parken wir das Auto und machen einen kleinen Orientierungsrundgang. Was wir sehen, gefällt uns sehr. Die Altstadt ist bezaubernd mit ihren vielen Moscheen und Märkten. Als wir nach einem Hotel fragen, empfiehlt uns ein gut deutsch sprechender, älterer Herr, das "Hotel Sultan". Das sei "normal" und nicht "lux", wenn uns das recht wäre. Das ist es. Das Hotel ist ordentlich, hat ein nettes Restaurant, Rex stellt auch kein Problem dar und der große Parkplatz ist abgeschlossen.
Wir können unsere Neugierde auf Edirne kaum zügeln. Die Stadt war fast hundert Jahre (von 1365 bis 1453) Hauptstadt des Islamischen Reiches und verfügt dank dessen über wunderbare Bauwerke, die meisten konstruiert von dem genialistischen Baumeister Sinan. So führt unser erster Weg entlang der geschäftigen Hauptstraße zum großen Sinan-Denkmal. Dort spricht uns ein freundlicher Herr ebenfalls auf Deutsch an. Seine Frau sei Österreicherin, erzählt er, und dann gibt er uns einen kleinen Überblick über die Geschichte der Stadt, ihre Moscheen und ihre drei Märkte. Edirne hat sehr viele Brunnen, Grünanlagen mit Blumenrabatten, Restaurants, Cafés, auch alte Holzhäuser, von denen einige leider dem Zerfall preisgegeben scheinen. Alles wirkt sehr orientalisch und von anderen Touristen findet sich weit und breit keine Spur.
Denkmal für den genialistischen osmanischen Baumeister Sinan in Edirne
Zuerst besichtigen wir die um das Jahr 1410 erbaute Alte Moschee (Eski Cami). Vom Imam erhalten wir eine kleine Führung, während der wir erfahren, dass hier einst die Sultane des Osmanischen Reiches vereidigt wurden. Die Moschee beherbergt einen Stein aus der Kaaba in Mekka, Kalligraphien schmücken die Wände.
Alte Moschee oder Eski Moschee in Edirne
Die Moschee ist ganz wunderbar, doch die Selimiye Camii mit ihren vier Minaretten ist noch prächtiger. Durch einen überdachten Basar, genannt Arasta, erreichen wir den Hof der Moschee, von dort geht es ins Innere. Am Eingang werden für Frauen Kopftücher angeboten. Vor uns betritt eine Gruppe junger Türkinnen die Moschee. Während zwei junge Mädchen schon Kopftücher tragen, greift die dritte zuerst nach dem Kopftuch, sieht es unschlüssig an, legt es zurück und zieht es vor, die Moschee ohne Kopftuch zu betreten. Dagegen nehme ich gern das Kopftuch an, aus Höflichkeit. Die Schuhe haben wir schon vor der Türe ausgezogen und so schreiten wir auf Socken über die kostbaren Teppiche, direkt unter die wie schwerelos im warm beleuchteten Raum hängende, riesige Kuppel zu. Unter ihr befindet sich eine auf Pfeilern errichtete hölzerne Tribüne, darunter ein kleines Wasserbecken, aus dem die Gläubigen Wasser schöpfen. Auf den Teppichen sitzen einige Muslime und lesen in kunstvollen Koranausgaben. Von den Gläubigen werden wir freundlich ignoriert.
Selimiye Camii in Edirne
Wir setzen unseren Spaziergang durch die Stadt zu den anderen Moscheen wie zum Beispiel die Üç Serefeli Cami und die Muradiye Camii fort und sind beeindruckt von der gestalterischen Vielfältigkeit.
Nun besuchen wir den Basar Ali Pasa Çarsisi, der auf dem Weg zu unserem Hotel an der Hauptgeschäftsstraße von Edirne liegt. Haushaltwaren, Stoffe, Bekleidung, Schuhe, alles ist hier zu haben. Wir erstehen zwei CDs mit türkischer Bauchtanzmusik und ein riesengroßes Stück Halva, das hier Elva heißt, eine Art türkischer Honig. Dann ruft der Muezzin die Gläubigen zum Gebet und uns der Appetit ins Hotel.
Basar Ali Pasa Carsisi
Am nächsten Tag regnet es. So fahren wir nur kurz am großen Gemüsemarkt vorbei und gleich weiter über die alte Steinbrücke Beyazit Köprüsü zu dem etwas außerhalb von Edirne gelegenen Baukomplex Beyazit Külliye aus dem 15. Jahrhundert. Er umfasste einst eine Armenküche, ein Krankenhaus, einen großen Arkadenhof, Gästehäuser, Bäder, Wohngebäude und eine Moschee. Heute ist in dem ehemaligen Krankenhaus ein liebevoll gestaltetes Medizinisches Museum eingerichtet.
Beyazit Külliye
Es gäbe in Edirne noch einiges zu besichtigen, doch die Zeit drängt. So verlassen wir mit Bedauern die Stadt und machen uns auf den Weg nach Lüleburgaz. In der dortigen, auch von Sinan konstruierten Moschee findet gerade das Freitagsgebet statt. Freundlich werden wir angewiesen, uns auf die Empore zu begeben. Wir lauschen eine Weile der Predigt, verstehen nur das Wort "Allah" und machen uns nach einiger Zeit wieder auf die Socken.
Rund um die Moschee bieten Garküchen dampfende Eintöpfe und Suppen aus großen Kesseln an, die auf offenen Feuern stehen. Wir entscheiden uns für eine weiße Kuttelsuppe. Der Wirt weist uns in einem zweiten, hinter dem Verkaufsraum liegenden Gewölberaum einen Tisch an. Zur leckeren Suppe mit viel Petersilie gibt es frisches Weißbrot und einen Krug Wasser.
So müssen auch die Garküchen zu Zeiten der Via Egnatia ausgesehen haben, große Töpfe auf offenem Feuer, in die die Vorbeigehenden einen Blick werfen konnten.
Weiter geht es nach Tekirdag, wo wir nur kurz halten, um die Moschee zu besichtigen, bevor wir weiter auf der fast leeren Autobahn nach Istanbul fahren.
Vor Istanbul fächert sich die Autobahn in immer mehr Spuren auf und der Verkehr schwillt an. Uns wird etwas mulmig, ob und wie wir uns in der Megapolis Istanbul mit ihren - wenn man das Einzugsgebiet dazurechnet - geschätzt zwanzig Millionen Einwohnern zurechtfinden werden. Wir fahren an Trabantenstädten vorbei, an Ausschilderungen und Abzweigungen, deren Namen uns völlig fremd sind. Nirgends sind das Zentrum oder uns bekannte Stadtteile angegeben. Das Verkehrsaufkommen wird immer gigantischer. Fahren wir immer noch durch Vororte oder befinden wir uns bereits in Istanbul? Wir verlassen den Autobahnring und folgen der Ausschilderung "Besiktas", das ist endlich ein Stadtteil, dessen Namen wir kennen, wenn auch nur in seiner Bedeutung als Fußballclub.
Wir irren mit dem Auto durch die Häuserschluchten Istanbuls ohne ein Hotel zu sehen. Als wir mal wieder im Stau stehen, fragen wir einen neben uns auf dem Bürgersteig flott dahin schreitenden Herrn, schwarze Hose und weißes Hemd, mit einer braunen Aktenmappe unter den Arm geklemmt, nach einem Hotel, "normal" und nicht "lux". Der Gesichtsausdruck des Herrn wechselt von sanft-freundlich auf angestrengt-nachdenkend und weiter auf entspannt-erleuchtet, dann meint er in Englisch, ja, das "Cihangir Otel" sei bestimmt etwas für uns. Er erklärt uns den Weg, gibt uns seine Visitenkarte und sagt, sollten wir in Istanbul irgendein Problem haben, könnten wir ihn jederzeit gerne anrufen. Was für ein netter Mann!
Nach ein paar Anläufen schaffen wir es, das Hotel zu finden. Übernachtung mit Frühstück im Doppelzimmer 70,00 Euro, Zimmer mit Balkon, Blick auf den Bosporus. Das Hotel ist reizend, hat ein hübsches Restaurant und der Blick ist unbezahlbar. Und so sitzen wir auf dem Balkon unseres Hotels, blicken auf den Bosporus, wo bei den letzten Strahlen der untergehenden Sonne lautlos die Schiffe vorbei gleiten, beobachten, wie auf der gegenüber liegenden, asiatischen Seite, langsam die Lichter angehen, lauschen den Gebetsrufen der Muezzins, die von den Minaretten erklingen, geben uns dem Zauber Istanbuls hin und stoßen auf diesen wunderbaren Abend an.
Istanbul: Blick auf den Bospurus
Da wir Istanbul schon mehrere Male besucht haben, halten wir diesen Aufenthalt kurz. Wir besuchen unsere Lieblingsplätze wie den Blumenmarkt für ein Abendessen, spazieren durch das historische Zentrum und den Topkapi Saray, machen einen Rundgang durch das Mosaiken-Museum und zum Abschluss einen Spaziergang entlang der antiken Theodosianischen Mauer.* Wie immer finden wir, dass Istanbul eine faszinierende Stadt ist, für die wir uns das nächste Mal wirklich wieder mehr Zeit nehmen sollten.
*2015 erschien bei ProBusiness der empfehlenswerte kleine historische Reiseführer "Instanbul und die Theodosianische Mauer" von Bernd Gothner und Holger Schönberg
Die Blaue Moschee in Istanbul
Im historischen Zentrum kommen wir ins Gespräch mit einem jungen Türken, der in München wohnte und heute Geschäftsleute durch Istanbul chauffiert (www.driverserviceistanbul.com). Da wir die Stadt verlassen wollen und er Kunden zum Flughafen bringen muss, können wir uns an ihn anhängen, um auf dem schnellsten Weg aus der Stadt zu kommen.
Denn wir haben noch etwas vor: Wir wollen Troja besuchen! Über die Autobahn fahren wir ans Marmara-Meer und weiter nach Tekirdag, wo wir einen Halt einlegen, um wieder eine dieser wunderbaren Sinan-Moscheen zu besichtigen.
Wir nehmen nicht die Straße nach Ipsala, sondern fahren weiter entlang der Küste. Die Straße wird schlecht und ab Kumbag zur Piste. Doch die Ausblicke auf das Marmara-Meer und seine Inseln sind fantastisch. In Sarköy übernachten wir in einem einfachen Hotel. Sarköy ist ein Touristenort, aber wie es scheint, nur für einheimische Touristen. In einem netten Restaurant direkt an der Mole gönnen wir uns ein wunderbares Fischessen mit köstlichem Wein aus Thrakien.
Nun geht's zur Gelibolu-Halbinsel, zu den Dardanellen, in der Antike Hellespont genannt. Diese Meerenge verbindet das Ägäische Meer mit dem Marmara-Meer. In dem hübschen Städtchen Gelibuli setzen wir mit einer Fähre in zwanzig Minuten nach Kleinasien über und fahren weiter nach Çanakkale und von dort nach Troja.
Fast einen ganzen Tag verbringen wir auf dem Ausgrabungsgelände, in dem Heinrich Schliemann einst den Schatz des Priamos zu Tage förderte. Wir machen uns mit den verschiedenen Schichten von Troja (I bis X) bekannt. Der Rundgang - ausgehend von der künstlerischen Nachbildung eines trojanischen Pferdes - ist bestens ausgeschildert.
Als wir uns anschließend in dem kleinen Café am Eingang stärken, stellen wir fest, dass hier auch Zimmer vermietet werden. Wir beziehen ein kleines Appartement im "Priamos-Troja Mocamp". Beim Abendessen lernen wir den Besitzer kennen, der interessante Geschichten von den Ausgrabungsarbeiten, bei denen viele deutsche Archäologen beteiligt sind, erzählen kann.
Die Sonne geht unter. Hinter uns versinken die verlassenen Ruinen Trojas in der Dunkelheit. Wir sind am Ende unserer Reise angelangt. Ein langer Weg, weit über tausend Kilometer, der uns durch vier im südlichen Balkan gelegene Länder führte, verknüpft mit zahllosen unvergesslichen Erlebnissen und Begegnungen. Nun bleibt nichts mehr, als Abschied zu nehmen von der uns so teuer gewordenen alten Römerstraße Via Egnatia, die auch heute noch viele Überraschungen und Abenteuer zu bieten hat, und uns auf die Rückfahrt gen Westen zu machen.
Literatur: "Auf den Spuren der Via Egnatia - vom Weströmischen ins Oströmische Reich", Angelika Gutsche, Wiesenburg Verlag 2010, www.via-egnatia.de
Die Via Egnatia (griechisch: Egnatia Odos) führte auch durch Philippi
Aufbruch: | April 2009 |
Dauer: | circa 4 Wochen |
Heimkehr: | Mai 2009 |
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Türkei