Kurventraum - Vom Niederrhein nach Südtirol

Reisezeit: September 2012  |  von Ralf Beelitz

Die Königsetappe - das Stilfser Joch

Stilfser Joch

Stilfser Joch

"Königin der Alpenpässe" und "Höchster Rummelplatz Europas" sind die oft genannten Beinamen des "Passo dello Stelvio" (2.757). Der Pass wird eingerahmt vom Ortler-Massiv (3.905) und dem Monte Scorluzzo (3.094). Für ein angemessen grandioses Panorama auf dem zweithöchsten befestigten Straßenpass der Alpen ist also gesorgt.
An der Tornante No. 22, direkt vor der Haustür der Franzenshöhe, beginnt der 6 km lange, Furcht erregende Steilhang, an dessen Ende schon die Tibethütte über dem Joch sichtbar ist. Das bedeutet 600 Höhenmeter immer mit dem Ziel vor Augen. Durch Schotterhalden und spärlich bewachsenem Fels schlängelt sich das schmale, rissige Asphaltband wie an den Hang geklebt nach oben.
Die Nordostrampe des Stilfser Jochs zählt zu den schwersten Passstraßen der Alpen. Etwas Erfahrung ist daher insbesonders für Flachlandtiroler auf der engen Straße, mit Spitzkehren in des Wortes wahrer Bedeutung, wünschenswert. Schneereste liegen am Straßenrand, denn Regen im Tal bedeutet hier oben oftmals schon Schneefall.
Auf der zugebauten Passhöhe umgeben zahlreiche Andenkenläden, Restaurants und Würstchenstände das mit unzähligen Stickern zugeklebte Passschild.
Hier oben ist die Luft schon recht dünn. Die Gashand ist daher gefordert, um den Motor meiner Siwi am Laufen zu halten. Tipp: unbedingt zur Tibethütte hinauffahren. Von dort hat man einen grandiosen Blick auf die Nordostabfahrt der Stilfserjochstraße.
Ein kurzes Fotoshooting auf dem Joch, dann nehmen wir die 39 Kehren nach Bormio (deutsch: Worms) in Angriff. Nach der Passage einiger Serpentinen mit einem Gefälle von bis zu 12% schwingen wir uns entlang des Brauliobachs durch das Hochtal Bocca del Braulio. Dieses baumlose Tal erinnert eher an ein schottisches Hochmoor als an ein Alpental. Eine lange Gerade am Hang führt uns weiter hinab ins Valle del Braulio, einem wilden Gebirgstal mit fast senkrechten Felswänden und phantastischen Ausblicken hinunter zum Flussbett. In kurzem Abstand sind mehrere in den Fels gehauene, unbeleuchtete Tunnel zu durchfahren. Galerien schützen vor Lawinen und Steinschlägen. Von allen Seiten rinnt Wasser aus dem Berg. Kurz vor Bormio biegen wir auf die SS301 zum Passo di Foscagno ab. Kurz lassen wir den Blick bis zum schneebedeckten Gipfel des Cima de Piazzi (3.439), den höchsten Berg der Livigno-Alpen, schweifen, ehe es recht unspektakulär den Passo di Foscagno (2.291) hinaufgeht. Dieser verbindet Bormio mit dem Zollfreigebiet Livigno. Wir überwinden zügig den Pass und schon empfängt uns an der Brücke Ponte del Rezz die Auffahrt zum Passo d'Eira (2.209). Der Ort Trepalle, der durch diesen Pass erreichbar ist, ist nach eigenen Angaben der höchste dauerhaft bewohnte Ort Europas. Von der Passhöhe des Eira haben wir einen fantastischen Blick hinunter nach Livigno, das wir über einige große Schleifen hinab ins Tal erreichen. Hier ist erst einmal Cappuchinopause angesagt, ehe wir wieder zügig über das schwarze Teerband durch das Valle di Livigno gleiten, das stetig leicht bergan steigend dem Forcola di Livigno (2.315) zustrebt. Die Straße ist teilweise vom Frost zerklüftet. Die Landschaft wird irgendwann zum Niemandsland. Nach wenigen Kilometern erreichen wir die Passhöhe, welche die Grenze zwischen Italien und der Schweiz bildet. Hier oben befindet sich auch die italienische Grenzstation. Das Gefälle der Abfahrt liegt im niedrigen zweistelligen Bereich und führt durch eine äußerst karge und schroffe Felslandschaft. Wir lassen den Abzweig zum Bernina Pass rechts liegen - man kann eben nicht alles haben - und folgen der Strada del Bernina etliche Kilometer durch das Val Poschiavo nach Tirano. Unterwegs lässt sich sogar der berühmte Bernina Express am Hang blicken. Im Örtchen Tovo di Santa Agnata biegen wir zum Passo del Mortirolo ab. Der Mortirolo ist ein ehemaliger Militärpfad. Auf offiziellen Karten ist er oftmals nicht verzeichnet. Er wird umrahmt von den Bergspitzen des Mte Serottini (2.967), Cima Cadi (2.449) und Mte Pagano (2.348). Der Pass heißt eigentlich Passo della Foppa (1.852), der Mortirolo (1.892 m) liegt etwas oberhalb in Richtung Monno.

Am Friedhof (das hätte uns eine Warnung sein sollen) taucht die sehr schmale aber neu geteerte Straße in den Wald ein. Ab hier gilt nur noch: Hauptsache bergauf, und dies bei hochprozentiger Steigung. Immerhin gibt es fast keinen Gegenverkehr und wir können die rund 40 Kehren in einer scheinbar nicht endenden Kurvenorgie genießen bis - ja bis wir uns plötzlich in einer Sackgasse befinden. Wenden auf engstem Raum ist angesagt. Höre ich da leise Flüche? Es geht ca. 300m zurück, dann folgen wir rechts der Route des Giro d`Italia 2012. Das zunächst noch gute Sträßchen wird kurz darauf zu einem Waschbetonpfad mit groben Schottersteinen, der uns nun fast bis zum Gipfel begleitet. Da fährt man am besten stehend, um den Allerwertesten zu schonen! Auf der Passhöhe werden wir durch ein herrliches Panorama auf die Adamello- und die Bernina-Gruppe und ins Veltins belohnt. Auf der Abfahrt zum Dorf Monno bieten sich uns immer wieder wunderschöne Ausblicke über das Valle Camonica und ins Oglio-Tal.
Wir folgen der SS42 und biegen bei Ponte di Legno auf die SS300 ab. Tja, und dann liegt er vor uns, der Gaviapass, meiner Meinung nach einer der schönsten Pässe der Alpen. Zu Unrecht fristet der Gavia ein recht unscheinbares Dasein im Schatten des Stilfser Jochs, denn landschaftlich ist er wesentlich eindrucksvoller. Wir touren auf gut ausgebauter Straße entlang dem Óglio Frigidolfo nach Pezzo (1.565) und erreichen kurz darauf Sant' Apollonia. Die nun folgenden 10 Serpentinen führen uns direkt in den Nationalpark Stilfserjoch. Kurve folgt auf Kurve. Die heiklen Kehren lassen uns kaum Zeit, die Gletscher der Adamellokette zu bewundern. An einigen Stellen bestehen die "Leitplanken" nur aus einbetonierten Pfosten oder mit Draht befestigten Zaunlatten, die eine nicht vorhandene Sicherheit vortäuschen. Die Straße wechselt von sehr bereit auf äußerst schmal. Spätestens jetzt wird die Passfahrt bei Steigungen bis zu 16% zu einer der schönsten der Alpen. Eine lange Gerade am rechten Hang führt uns durch einen 800m langen, unbeleuchteten Tunnel. Weit vorne ist der Lichtfleck des Ausgangs nur zu erahnen. Der Straßenzustand in diesem Tunnel ist schlecht; Wasser tropft herab. Doch dann ist auch diese Durchfahrt geschafft. 3 km vor dem Pass helfen erneut Serpentinen bei der Überwindung der letzten Steigung. Hier sollte man sich unbedingt die Muße nehmen anzuhalten und auf den Talkessel und den Lago Nero (2.386) inmitten von grasgrünen Wiesen hinabblicken. Weiße Wolken und die Gipfel der Berge spiegeln sich im glasklaren Wasser.

Auf der Scheitelhöhe (2.652) erwartet uns inmitten buckliger, hochalpiner Grasnarben der Lago Bianco vor den schneebedeckten Gipfeln des Corno dei Tre Signori (3.359). Weit schweift der Blick über den Dosegugletscher und die Punta S. Matteo (3.678). Eine unbeschreibliche Landschaft.
Die Nordabfahrt des Gavia hat weniger Kehren als die fahrerisch schwierigere Südrampe. Es lohnt sich, auf der Plaghera-Hochfläche (2.140), wo nur eine spärliche Grasnarbe den blanken Fels bedeckt, einen Stopp einzulegen. Die Sicht von hieraus auf den 3.778m hohen Monte Cevedale und hinab ins Forni-Tal ist einfach klasse. Dann windet sich die Straße sehr schmal und steil den Hang hinab. Von der kargen Flora hochalpiner Regionen bis zum üppigen Bewuchs im Tal wird uns unterwegs alles geboten. Wir halten noch an einem italienischen Kriegerdenkmal. Im ersten Weltkrieg fanden hier oben heftige Kämpfe statt. Durch das Valfurvatal erreichen wir wieder die Auffahrt zum Stilfser Joch und das Berghotel Franzenshöhe.

© Ralf Beelitz, 2013
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Von den weiten Ebenen des Niederrheins zu den mächtigen Felsformationen der Dolomiten - abwechslungsreicher kann eine Motorrollertour kaum sein. Die „Königsetappe“ Stilfser Joch; eine Herausforderung für jeden Motorrollerfahrer und das Pordoijoch; der höchste Pass der Dolomiten mit herrlichen Kurven und super Ausblicken sind nur einige Höhepunkte der Reise.
Details:
Aufbruch: 05.09.2012
Dauer: 14 Tage
Heimkehr: 18.09.2012
Reiseziele: Schweiz
Italien
Deutschland
Der Autor
 
Ralf Beelitz berichtet seit 12 Jahren auf umdiewelt.
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