"Rio" oder wie ich endlich mal Deutschland besser kennenlerne
Berlin - die Klassiknummer
22.08.2014: Das Pläneschmieden gestern Abend war relativ erfolglos, weil ich für keine einzige Attraktion in Berlin Tickets vorreserviert hatte. Insofern gibt es für heute kein Zeitgerüst, an dem ich mich festhalten muss. Die jeweiligen Warteschlangen vor den einzelnen Anlaufpunkten werden darüber entscheiden, wo ich hineinkomme und was ich mir ansehe. Aber zunächst frühstücke ich hervorragend in meinem Hotel, begebe mich zur U-Bahn-Station und werde wieder am Alex ausgespuckt. Kurzer Spaziergang entlang des Roten Rathauses zum Neptunbrunnen und hopp, wieder in den Bus.
Warteschlange hier, kurz vor 10 Uhr morgens: Endlos. Wer sich jetzt hier an der Kassenschlange anstellt, hat laut Auskunft an den Bildschirmen Aussicht auf ein Eintrittszeitfenster für ca. 13.00 Uhr. Nö. Will ich nicht.
Neptunbrunnen - ich steige in den Doppeldeckerbus, nur um an der nächsten Station Museumsinsel sofort wieder auszusteigen.
Ich unvorbereiteter Hornochse habe nämlich echt die Idee, ich könne so mal eben schnell Tickets bekommen für das Pergamon-Museum und das Neue Museum, welche ich wegen der TOP-Sehenswürdigkeiten Pergamon-Altar und Nofretete wahnsinnig gern besuchen möchte. So ganz spontan ist dieses Unterfangen allerdings nicht zu bewerkstelligen, wie ich feststellen muss ! Offenbar befinden sich neben meiner Wenigkeit nämlich noch ein "paar" weitere leidenschaftliche Kunst- und Kulturbeflissene und Museumsgänger in Berlin. Ein Schild informiert: Wartezeit für das Pergamonmuseum ca. 4 Stunden. Warteschlange vor dem Ticketschalter für alle Museen: Endlos. Das geht gar nicht ! In diesem Moment schon beschließe ich, schei..-egal, es gibt das lange Wochenende um den 3. Oktober herum, da komme ich wieder und bastele das gesamte Wochenende nur um diese beiden Museen herum. (Was ich auch durchziehe - nur, dass ich den Pergamon-Altar auch an jenem Wochenende nicht zu sehen bekommen werde, aber das ist eine andere Geschichte... Berlin, Fortsetzung folgt).
Vor dem Berliner Dom stehen jetzt überhaupt keine Menschenmengen, also ich rein da. Eine wunderschöne Kirche, die aber gar keine mehr ist. Ursprünglich die Hauptkirche des preussischen Protestantismus und Hauskirche der Dynastie der Hohenzollern. Aber das Teil wurde 1945 in Schutt und Asche zerbombt. Trotzdem wurde der Berliner Dom in 18 Jahren wieder aufgebaut und 1996 wieder feierlich eingeweiht.
Ich bin echt fast ganz alleine im Berliner Dom (sehr erstaunlicherweise !) und ich entdecke das Schild, das auf den Weg hinab in die Krypta weist. Ich gehe hinunter.
Das Licht ist schummerig, alles steht voller Särge und Sarkophage, große und auch sehr kleine. Kerzen brennen in einigen Ecken. Es ist kühl und doch gleichzeitig stickig hier unten. Trotz Gummisohlen hallen meine Schritte. Ich verliere meinen Weg zwischen all den Grabstätten. Ich sehe mich um, mir läuft es eiskalt den Rücken herunter. Ich bin allein in einer riesigen Gruft. Das Klick-Geräusch meiner Kamera hallt nach in den Gewölben. Ich bin allein mit all den toten Hohenzollern. Ich muss husten, das Echo schallt unheimlich von den Gruftwänden. Eine schwere Tür fällt hinter mir ins Schloss, ich höre das Geräusch eines eisernern Schlüssels, der sich knarzend im Schloss umdreht. Plötzlich weht ein Luftzug aus irgendeiner Gruft und löscht das Kerzenlicht. Ich bin allein. Aufgrund der Dunkelheit kann ich nichts mehr sehen, aber ich höre beunruhigende Geräusche, Schritte. Sehr schwere Schritte, wie von einem Soldaten, Marschier-Schritte. Daneben auch sehr viel leichtere, wie von einem Kind. Ich höre ein leises Weinen, die Stimme gehört einer vermutlich jungen Frau, Ich muss hier raus ! THRILLER !!! Am hellichten Vormittag.
Quatsch ! Nichts davon ist wirklich geschehen, ich spinne einfach nur etwas herum, weil es mich hier unten leicht gruselt...
Also: Den Berlin Dungeon für 25 EUR Eintrittspreis könnt ihr euch sparen, geht einfach in die Hohenzollern-Gruft des Berliner Dom´s und macht ein wenig Kopfkino. Dann habt Ihr euren Horror-Spaß !
Auf dem Areal des ehemaligen Palasts der Republik, den ich in Ruinen halb abgerissen bei meinem Berlin-Erstbesuch noch gesehen hatte, entsteht jetzt hier tatsächlich nach langem Hackehü doch wieder das Berliner Schloss
Tja, welche Hauptstadt eines demokratischen Landes ohne Monarchie kann schon einen Schloss-Neubau vorweisen ? Zwar wird das Berliner Schloss "nur" von außen halbwegs so aussehen, wie das Original und von innen wohl komplett anders, aber so what ? Beherbergen wird das Schloss dann auch keine gekrönten Häupter, sondern das Humboldt-Forum mit Museen, Bibliothek und Veranstaltungszentrum. Sollte der Wiederaufbau des Stadtschlosses planmäßig laufen, wird hier in 2019 wahrscheinlich Eröffnung gefeiert (aber bei Bauprojekten in Berlin weiß man ja nie...Der Großflughafen BBI ist ja das Paradebeispiel für "geringfügige" Verzögerungen).
Nun bin ich schon gerade hier, dann muss ich das Brandenburger Tor natürlich auch fotografieren, durchqueren und bestaunen
Das Denkmal mit den vielen Betonstelen hatte ich natürlich auch schon zuvor gesehen und besucht. Aber ich war noch nie im Ort der Information unter dem Denkmal. Das will ich mir heute ansehen. Wofür ich auch nur relativ kurz anstehen muss vor dem Eingang. Was mich überrascht: In der Warteschlange direkt hinter mir steht eine amerikanische Familie mit einer ca. 11-jährigen Tochter. Die Familie wird von den Ordnerinnen am Eingang auf englisch angesprochen und es wird den Eltern erklärt, dass diese Gedenkstätte für Kinder unter 14 nicht geeignet sei, da die Darstellung des Holocausts zu grausam sei. Ich spitze die Ohren und vernehme, dass die Eltern versichern, mit ihrer Tochter geredet zu haben und ihr die Dinge erklärt hätten. Das Mädel sei gut vorbereitet. Sie dürfen hinein.
Aufgrund dieser Warnung erwarte ich nun eine besonders drastische Darstellung im Ort der Information. Ich muss erwähnen, dass ich im März 2013 Yad Vashem in Jerusalem besucht habe, die Gedenkstätte Israels an den Holocaust. Dort werden täglich israelische Schulklassen aller Altersgruppen hindurchgeführt. Von meinem Besuch in Yad Vashem war ich damals schwer erschüttert, ich bin da mit Gänsehaut durchgelaufen und habe oftmals nach Luft geschnappt angesichts der Ausstellungsstücke, Fotos, Tagebuchausschnitte, Filmsequenzen und Erinnerungsstücke. Aus Yad Vashem bin ich nicht hinausgekommen, ohne mir Tränen aus den Augen zu wischen.
Was ich hier nun in Berlin sehe, ist dagegen relativ harmlos. Für meinen Geschmack kann man da Schulkinder ab 9 Jahren problemlos hineingehen lassen. Es ist ergreifend, ja. Aber nicht wirklich grausam in der Darstellung. Ich schreibe mich gerade um Kopf und Kragen, glaube ich. Die Geschichte der Ermordung europäischer Juden ist immer grausam, aber ich finde die Darstellung hier nicht sehr drastisch, nicht drastisch genug, zur Abschreckung.
Kleine Ecke der amerikanischen Botschaft gleich um die Ecke. Die Botschaften der anderen Siegermächte Frankreich, Groß-Britannien und Russland sind ebenfalls in der unmittelbaren Nähe, wobei die russische Botschaft hammer-gigantisch ist.
Im Ort der Information - ganze Familiengeschichten aus der Nazi-Zeit werden dargestellt und erzählt.
Der hohle Zahn - oder Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Wahrzeichen von West-Berlin - der Neubau der Gedächtniskirche (Glockenturm und eigentliche Kirche) trägt übrigens den Spitznamen Lippenstift und Puderdose...
...und genau deswegen muss ich hier wieder hin. Checkpoint Charlie ist mittlerweile ein Touri-Rummelplatz. Die Menschen schieben sich nur so durch die Straßen rundum den ehemaligen Grenzposten. Die Busse schubsen sich fast gegenseitig voran. Ein Mega-Trubel hier. Das Trabi-Museum und der Berlin Hi-Flyer sind auch hier zu finden, sowie das Mauermuseum. Dazu gesellen sich alle, die so richtig Geld verdienen möchten: Mc D. und Starbucks + Souvenirshops. Die "sowjetischen" und "amerikanischen" Soldaten, mit denen man sich unter dem Schild ablichten lassen kann, verdienen sicherlich auch nicht schlecht...
Ausgerechnet hier werde ich so hungrig, dass ich es nicht mehr aushalten kann. In einer Seitenstrasse finde ich eine Pizzeria, bestelle die Notration in Form von Pizza Hawaii + Coke Zero und werde satt. Mehr aber auch nicht, die Pizza schmeckt einigermaßen fies, ist aber billig.
Checkpoint Charlie ist ja nun nicht sehr weit entfernt vom Gendarmenmarkt und der ach-so-feinen Friedrichstrasse. Schönster Platz von Berlin mit Schauspielhaus, Deutschem und Französischem Dom. Da war ich 2006 natürlich auch schon. Aber nirgends drinnen. Ich gehe heute mal in den Französischen Dom. Nö, das war gar nichts. Das Ding ist einfach nur Fassade, drinnen ist nix. Den Deutschen Dom erspare ich mir dann aufgrund dieser Erfahrung. Gegenüber ist eines dieser DDR-Ampelmännchen-Geschäfte, da muss ich mal gucken ! Diese Geschäfte gibt es nämlich häufig in Berlin-Mitte, wie ich schon gesehen habe und man verkauft dort Ampelmännchen-Gedöns. Das ist echt krass: Nur, weil die DDR andere grüne/rote Ampelmännchen hatte an deren Fußgängerampeln, ist das nun zu so einem Hype geworden. In den Läden kann man Schrott kaufen, den die Welt nicht braucht, aber bedruckt mit DDR-Ampelmännchen ! Ja, sch...-die-Wand an, ich brauch´das nicht, aber eine ganze Menge anderer Touris - speziell aus dem Ausland - offfenbar schon.
Der heutige Tag geht so zu Ende: Vom Gendarmenmarkt lasse ich mich per Bus wieder zum Alex bringen, kaufe dort in einem DB-Center ein Ticket für morgen nach Potsdam, fahre per U-Bahn zum Spittelmarkt zurück, kaufe self-catering-Kram im örtlichen Supermarkt und falle im Grimm´s Hotel tot ins Bett.
Aufbruch: | 15.08.2014 |
Dauer: | 10 Tage |
Heimkehr: | 24.08.2014 |