Radtour Gorzow-Görlitz
An der Neiße aufwärts bis Görlitz
Wir spüren den Herbst. Morgens steht die Sonne zwar schon über dem Horizont, aber wir haben 4 Grad. Da muß man mit Handschuhen radeln.
Und sich Bewegung verschaffen, um warm zu bleiben.
So verzichten wir auf eine Besichtigung von Guben, bekommen nur mit, dass es heute nach fast 70 Jahren noch geprengte Brücken über die Neiße gibt, an denen manche Straße auf deutscher Seite abrupt endet.
Selbst in Forst gibt es nur eine Bahnverbindung nach Polen, eine kaputte Straßenbrücke ist mit Unkraut überwuchert. So sah es bis 1989 mancherorts an der Zonengrenze in Deutschland aus.
Unterwegs kommen wir an eine Stelle mit einer neuen Brücke über die Neiße. Wir fahren einmal rüber und finden ein verschlafenes Dorf. Alle Leute scheinen tagsüber zur Arbeit zu sein - irgendwo in einer entfernten Stadt. Die Einkehrmöglichkeiten für Radler werden zwar beworben, aber sowohl auf polnischer wie auf deutscher Seite sind sie alle geschlossen. Saison vorbei, Winterschlaf von September bis Mai des nächsten Jahres.....
Dem Wetter ist nicht mehr zu trauen, jeden Moment kann es beginnen zu regnen. So strampeln wir etwas schneller auf Bad Muskau zu, um dort festzustellen, dass unser bestelltes Quartier außerhalb des Neißetals in einem Dorf liegt. Nach einiger Suche finden wirs und sind sehr angetan, ein ganzes Obergeschoß eines Hauses für uns. Mit 74 km auf dem Tacho auch noch eine zufriedenstellende Tagesleistung.
Fürs Frühstück am nächsten Morgen hat uns unsere Wirtin alles im Kühlschrank vorbereitet, wir tafeln ausgiebig, so fängt der neue Tag gut an.
Leider kommt aber Regen, es sieht sogar nach Dauerregen aus. Wir drehen noch ein paar Runden durch den Weltkulturerbe-Park in Bad Muskau, dann geht es weiter neißeaufwärts, auf schönen Waldwegen, ohne Autoverkehr.
Bei soviel Feuchtigkeit schießen die Pilze aus dem Boden. Immer wieder steigt Joschka ab, um welche zu enten. Diesen hier allerdings läßt er stehen.
Man hat viel unternommen, um den Tourismus zu beleben. Ein Freizeitpark mit origineller Dekoration, jetzt aber wohl nur noch für Wochenendbesucher
Erinnerungen an meine Flucht aus Schlesien im Juli 1945 werden wach, als wir südlich von Rothenburg/Lausitz eine Umleitung wegen des Baus einer Eisenbahntrasse über die Neiße fahren müssen.
Da hatten meine Eltern und ich 1945 mit Mühe einen fast leeren Güterzug in Kohlfurt - heute Wegliniec- erklimmen können, dessen Fahrtziel uns niemand sagen konnte. Mein Vater war nur überzeugt: der kann nur nach Görlitz fahren, denn alle andern Züge auf den Gleisen sind voll mit Beutegut für Rußland, die fahren sicher nach Osten. Kaum hatte sich der Zug in Bewegung gesetzt, fielen eine Meute Jugendlicher über die Flüchtlinge her und plünderten uns aus. Meinem Vater nahmen sie das letzte Paar Schuhe ab. Dann sprangen die Jugendlichen vom fahrenden Zug ab und machten sich über die abgeworfene Beute her.
Wir sahen die Szene vom rollenden Zug aus hilflos mit an, dennoch war mein Vater erleichtert, als der Zug ganz langsam über eine Brücke ohne Geländer über die Neiße fuhr. Geschafft! Damals hatte ich nicht begriffen, was "Geschafft" zu bedeuten hatte. Wir waren aus den damals "besetzten deutschen Ostgebieten" nach Deutschland gekommen und von da an hatten wenigstens die Plünderungen ein Ende.
Heute nun fiel mir auf, dass wir damals 1945 gar nicht über Görlitz gekommen waren, sondern dass es nördlich davon eine Eisenbahnstrecke nach Westen gegeben haben mußte, die seit 60 Jahren auf keiner Landkarte mehr stand. Und nun heute hier die Baustelle, die genau diesen Bahnweg wieder erneuert, sogar mit Brücke über die Neiße.
Ich bin gespannt, ab wann man künftig von Horka nach Wegliniec wird reisen können. Das werde ich dann als Nostalgietour per Bahn machen!
Nach weiteren 18 Kilometern kommen wir nach Görlitz, erst durch Dörfer, die schon zu Görlitz gehören, dann, nach der Autobahnunterführung, wird es städtisch. Unser Quartier soll in einer alten Ofenfabrik sein, wo "die Berliner" schon auf uns warten sollen. Ha, und wir bringen die Pilze zum Begrüßungsmahl mit.
Eine tolle Idee der Berliner, ein Quartier für Gruppenreisende in einer umgebauten alten Ofenfabrik zu mieten. Die Adresse war schwer zu finden, aber unterwegs stießen wir schon auf Gleichgesinnte, die auch die Fabrik suchten. Nach dem Erfolg ein Grund mehr, das Begrüßungsbier zu genießen!
Nachts und tags darauf zeigt es sich, dass die schöne Herberge mit Kochgelegenheit leider keinen Dunstabzug hatte. Wir hinterlassen ein Pilzdampfklima, das uns zwar immer wieder an ein tolles Gelage erinnert. Aber Gäste nach uns mögen es bestenfalls als vergebliche Apetitanregung empfinden.
Pläne zu Radtouren rund um Görlitz fallen buchstäblich ins Wasser. Es regnet in Strömen, selbst in der Stadt drücken wir uns nur von Hauswand zu Hauswand. Immerhin können wir uns noch zur Besichtigung von Deutschlands östlichster Brauerei anmelden: Landskron läßt grüßen!
Die ganze Brauerei unter Denkmalschutz, und dennoch ein funktionierendes Brauhaus, in dem das Bier noch wie vor 30 Jahren langsam reifen kann.
Zum Abschied der Blick über die Bahnüberführung Richtung Polen. Von hier aus fahren wir schon am Samstag wieder nach Hause - der Sommer ist gelaufen, aber die letzte Tour war noch ein schönes Erlebnis.
Aufbruch: | 18.09.2014 |
Dauer: | 10 Tage |
Heimkehr: | 27.09.2014 |
Deutschland