Die letzte Reise der Beluga
In Rumänien
Der Wind schläft nicht ein. Im Gegenteil, morgens wird er noch stärker. Es so bedauerlich, dass es diesig und unsichtig ist, gerade hier in dieser grandiosen Kulisse. Als wir die 1000 km Marke knacken, kommt auch die Sonne ein bisschen hervor. Jetzt zwängen sich die gewaltigen Wassermassen des Flusses durch eine Enge von nur 150 m. Wer denkt, dass das Wasser da hindurchschießen würde, der irrt. Der Starkwind Koschowa, er ist ein örtlicher Wind, wie der Mistral an der Rhone, lässt das Boot auf den Wellen tanzen und die Strudel im Wasser tun das Ihrige dazu. In Orsova versuchen wir einzuklarieren, obwohl wir ja angeblich in Serbien nicht ausklarieren konnten. Wir steuern den Ponton der Policia an, doch sie verweisen uns auf ein weißes Haus am genüberliegenden Ufer. Als wir anlegen kommt gleich ein junger Beamter und nimmt mich mit. Der serbische Stempel auf den Papieren scheint ihm zu reichen. Das Gebäude ist sehr jung und modern, im Erdgeschoss ist ein Fließband für Koffer, wie in einem Flughafen-Terminal, so ähnlich sieht auch die Empfangshalle aus. Erst marschieren wir drei Treppen rauf in ein völlig überhitztes Büro, dann wieder runter in ein Büro zur Ausländerbehörde. Die Dame die dort in Uniform sitzt trägt einen dicken Pullover, neben ihr bläst ein Heizöfchen und zusätzlich zu der Zentralheizung steht auch noch ein Elektro-Radiator da, der Hitze abgibt. Mir treibst den Schweiß aus allen Poren und ich habs wirklich gerne warm. 12 Euro werde ich hier los, dann marschieren wir ein Gebäude weiter zum Hafenkapitän. Er ist mit einer Crew-Liste zufrieden und will wissen, wie lange wir hier bleiben. Gar nicht sage ich ihm, wir wollen gleich nach dem Check in weiter. Das geht nicht, es hat 8 Bft. vor der Schleuse, sie arbeitet nicht. Gut, dann soll er uns einen Ponton zuweisen. Das bringt ihn in Schwierigkeiten. Am Zollponton können wir nicht liegen bleiben und sonst gibt’s hier nichts. Er sucht mit dem Fernglas die Ränder des kleinen Sees ab. Ohne Erfolg. Wir werden keinesfalls ankern bei diesem Sturm, erkläre ich ihm. Dann telefoniert er mit der Schleuse. Sie arbeiten wieder, also sollen wir los.
Natürlich arbeitet nix, außer diesem verflixten Koschowa, der uns fast das Verdeck runter reißt. Die Schleuse gibt uns keine Antwort, weder in Englisch noch in Deutsch, also knallen wir uns an die Mauer. Wer schon mal bei 8 Windstärken an eine Mauer angelegt hat, der weiß wovon ich spreche. Der Sturm pfeift in den Schleusenkanal und lässt uns an der Mauer hüpfen. Meterhoch spritz die Gicht am Schleusentor hoch. Doch hier ist das noch harmlos. Auf der serbischen Seite ginge heute wohl gar nichts mehr. Da jagen die Wellen bis oben ans Tor.
Nach über einer Stunde kommt ein junger Mann angetappt. Es käme gleich ein Schiff, mit dem könnten wir dann. Aus lauter Dankbarkeit drücken wir ihm eine Flasche Wein in die Hand. Es dauert dann noch mal eine Stunde, (ob er nix besseres zu tun hat?) in der er treu bei uns ausharrt bis drei Frachter ankommen und eingefahren sind. Die Schleuse ist zweistufig. Man fährt in die Schleuse, die Kammer geht runter und man gelangt in die nächste Schleuse. Jede Kammer hat eine Hubhöhe von 16 m. Zu unserem Glück haben die Kammern Schwimmpoller. Bis das Tor hinter uns endlich geschlossen ist, hüpfen wir an der Mauer auf und ab, so dass ich nochmal zwei zusätzliche Fender raushänge. Das Tor geht nach unten weg, darüber bleibt eine Wand stehen, über die eine Straße führt. Schleusung in beiden Kammern dauert satte 90 Minuten. In der unteren Schleuse schwimmt ein meterbreiter und meterlanger Teppich aus Unrat, Ästen und ganzen Baumstämmen.
In Turnu Severin ist bei km 932 tatsächlich eine Bootstankstelle. Hier bunkern wir noch mal voll. Für uns das letzte Mal. Für den Tankwart wohl das erste Mal, dass einer mit einer Karte bezahlt. Sie nehmen keine Kreditkarte, nur Bankkarte, hieß es im Vorfeld. Aber mit meiner Bankkarte geht das gar nicht. Die handgeschriebene Anleitung für das kleine Terminal ist ihm nicht so klar. Dauernd soll ich meinen PIN eingeben, obwohl der Apparat seinen Preis gar nicht angenommen hat und auf null steht. Und dann steht da dauernd was von Visa. Keine Visa – keine Visa – na ja, ist ja auch nicht. Es bringt nix. Wir rufen den Chef. Das gleiche Spiel, der junge Mann hat auch keine Ahnung von diesem modernen Kram. Nach einigem Hin und Her versuchen wir es dann doch mit der Visa Karte und siehe da, jetzt funktioniert es. Schei… Technik.
Für zusätzliche 20 € dürfen wir an der Tankstelle auch übernachten und bekommen Strom. Und diese Nacht wird herrlich ruhig. Der Koschowa legt sich schlafen und als wir aufstehen scheint die Sonne. Leider nicht lange. Morgens stellen wir fest, dass wir unserer Zeit hinterherhinken. Ich habe unsere Abfahrt mit 6 bis 7 Uhr angegeben. Wir stehen um 5 Uhr auf und kurze Zeit später ist auch schon der Tankwart zugange und will sein Stromkabel einsammeln. Sehr merkwürdig um diese Zeit??? Noch merkwürdiger, alle unsere Uhren zeigen etwas anderes. Die Armbanduhr 6 Uhr, die Funkuhr 7 Uhr und das Handy 8 Uhr. Hallo? Okay, wir leben noch nach deutscher Winterzeit, also Uhren umstellen. Die Rumänen sind sogar noch eine Stunde weiter. Jetzt ist uns auch klar, warum es morgens so früh hell und abends so früh dunkel ist.
Bis zum endgültigen Eisernen Tor haben wir noch mehr als 60 km zu bewältigen. Das macht uns keine Probleme, heute ist der Fluss breit und glatt wie der Stausee, der er hier auch ist. Das Kraftwerk auf serbischer Seite produziert jährlich 15,5 Milliarden kWh und das rumänische 17 Milliarden grünen Strom.
Die serbische Schleuse ist heute in Betrieb, gibt uns ein Schiffsmann Auskunft. Also setzt Manfred auch die serbische Gastflagge. Es ist so gewünscht, wenn es auch totaler Unsinn ist, da wir ja bereits in Rumänien einklariert sind. Und es geschehen noch Zeichen und Wunder. Die Kammer liegt voller Berufs schiffe, doch der Schleusenmeister wartet auf uns. Er winkt aus seinem Turm und wir danken ihm zurück.
Wir haben das Nadelöhr Eisernes Tor hinter uns.
Die Donau betritt jetzt das Rumänische Tiefland, das Dakische Becken. Wenn unsere Freunde anrufen und fragen wo wir sind, kann ich ohne überheblich zu sein behaupten: „Wir sind in der Walachei.“ Zumindest links von uns, am rechten Ufer ist Bulgarien. Doch da werden wir nicht einklarieren.
Das Ende unserer Reise ist absehbar. Es geht nur noch darum Kilometer zu machen und einen Nachtplatz hinter einer Insel oder, wenns denn zeitlich ausgeht, an einem Ponton zu finden.
Die Besiedlung am Ufer wird immer spärlicher. Auf Bulgarischer Seite ab und an ein paar verstreute Häuser. Erst im Einzugsgebiet von Calafat gibt’s wieder etwas Leben. Und bei jeder Ansiedlung ist die Uferböschung der Schuttplatz. Vor Calafat, eigentlich an der breitesten Stelle hier, auch noch über zwei Inseln, wurde eine neue Brücke gebaut. Supermodern, mit völlig quadratischen Brückenpfeilern im Wasser. Hier war eine absolute Landratte am Werk. Schon die alten Römer wussten, dass Brückenpfeiler in einem Fluss eine Form wie einen Schiffsbug haben müssen, damit Treibgut abgeleitet wird und nicht hängen bleibt. Und die Donau hat reichlich Treibgut, weil die Ufer nicht von Bruchholz befreit werden.
Kulinarisch hat uns eigentlich an Rumänien wenig gereizt. Sie haben eher eine multikulti Küche. Byzanz, Österreich und Russland haben ihren Einfluss hinterlassen. Ein wichtiges Grundnahrungsmittel ist der Mais. Maisbrei , mǎmǎligǎ, ist das rumänische Nationalgericht. Meist bekommt man die banale Variante als Sättigungsbeilage vorgesetzt, bei der das Maismehl nur mit Wasser und Salz gekocht wird. Tatsächlich aber gibt es ein Dutzend Rezepte, je nachdem, ob mit süßer oder saurer Milch, mit Sahne oder Butter zubereitet wird. Krönung ist die Hirtenspeise bulz: Ein Stück herbwürziger burduf-Käse wird in eine Kugel aus Maisbrei gesteckt und im Ofen gebacken. Doch egal wie, alles schmeckt ein bisschen nach Polenta. Wer Galle und Leber schonen will, hat es schwer in Rumänien. Vegetarisches gibt es selten, schon weil sich kein Rumäne vorstellen kann, ohne Fleisch satt zu werden. Schwein muss man haben, täglich, sonst war das kein Essen. An der Schwarzmeerküste und im Donaudelta gibt es natürlich Fisch, z.B. als leckere säuerliche Suppe borş pescǎresc. Spezialitäten sind auch scharfe Frikadellen aus Hecht und Karpfen mit gemahlenen Peperoni und Paprika oder das Fischgulasch storceag (stortschag) mit Kartoffelstücken, Sahne und viel Dill. Beim im Ofen gebackenen Karpfen kommen eine ganze Knolle Knoblauch sowie Tomaten, Paprika und Weißwein dazu. Bei den Desserts dominieren türkischer und österreich-ungarischer Einfluss: baclava und sarailie sind Blätterteignusskuchen, aus denen Zuckersirup tropft. Auf siebenbürgischen Speisekarten taucht die k.u.k.-Süßigkeit Vogelmilch (lapte de pasǎre) auf: In einer Vanillesauce mit Nüssen schwimmen Eiweißbällchen. Doch leider ist der gute alte schaumige türkische Kaffee cafea turceascǎ (kaffja turtschaskö) fast überall westlichem Espresso, Cappuccino, Filter- und Instantkaffee gewichen.
Nachts haben wir uns ein stilles Plätzchen hinter einer Insel gesucht. Morgens scheint die Sonne. Auch dem Wind scheint die Ruhepause gut getan zu haben, er kann sich wieder ordentlich austoben. Wasser und Wellen peitscht er zu Schaumkronen und lässt Beluga ein bisschen torkeln. Für Manfred bedeutet das, dass er nicht mehr mit dem Autopilot fahren kann, sondern selber am Rad drehen muss.
Bei km 704 liegt ein Nachbau des Dampfschiffs „Radetzki“, leider etwas versteckt hinter einer Mole. Die Donau erreicht nun ihre breiteste Ausdehnung. Bis zu sieben Kilometer sind ihre Ufer auseinander, dazwischen eine verwirrende Inselwelt. Das Navigo-Programm ist hier nur noch eine kleine Hilfe. Am Aussagekräftigsten sind immer noch die Karten von Verbergh, auch wenn die schon 10 Jahre alt sind. War die Navigation ab Budapest schon ein wenig spannend, wird sie hier abenteuerlich. Fehlende Tonnen, verschleppte Tonnen, oft nicht sichtbare Landmarken, Sandbänke, die neu angeschwemmt sind, oder unter Wasser weitergewandert, andere die gar nicht mehr vorhanden sind. Fahrrinnen, die an der anderen Inselseite vorbeiführen. Ein Blindenhund wäre jetzt von Nöten, der die Tonnen findet. Auf dem PC sind wir oft genug über Land gefahren. Sich darauf zu verlassen wäre fatal. Hier sind Instinkt und Flusserfahrung meines Skippers gefordert.
Auf der bulgarischen Seite verwandeln die Ausläufer der Karpaten das Ufer in eine Hügellandschaft mit vereinzelt bukolischen kleinen Dörfchen, während das linke Ufer immer noch völlig flach ist und menschenleer scheint.
Auf Turnu-Margurele bin ich gespannt. Hat sich hier etwas verändert, oder ist die Zeit tatsächlich stehengeblieben? Ja, die Industrie ist genauso tot wie vor 10 Jahren. Industrieanlagen sehen eher noch vernachlässigter aus als damals. Wieder suchen wir uns einen Nachtplatz hinter einer Insel. Hat die Donau eigentlich sehr wenig Strömung, schießt das Wasser hintern den Insel durch, als hätte es eilig, endlich wieder in den Fluss zu kommen. Doch unser Anker ist bombig. Nachts rumpelt es einmal heftig, doch wir liegen immer noch fest. Erst morgens stellen wir fest, dass unsere Ankerkette einen kompletten Baum gefangen hat. Da bewahrheitet sich mal wieder, dass ein gutes Ankergeschirr lebensnotwendig ist.
Wirt starten früh, wie immer. Leider regnet es. An der Farbe des Donau-Wassers kann man sehen, dass es auch andernorts regnet und von irgendwoher Schlammwasser kommt. Gut, dass wir unserem Ziel schon nahe sind. Mit Hochwasser möchten wir uns nicht auch noch plagen.
Bis wir Russe auf bulgarischer Seite und die Schwesterstadt Giurgu auf rumänischer Seite erreichen, gibt es wenige Highlights am Ufer, nur Natur, Natur, Natur und Inseln. Russe ist die viertgrößte Stadt Bulgariens und bereits die Römer hatten hier ihre Flottille stationiert. Die Stadt hat sich in den letzten 10 Jahren sehr verändert. Man bemerkt den Aufschwung. Auch in Giurgu hat sich einiges getan. Die Kais und Industrieanlagen sind lebhaft, viele Schiffe leichtern. Der kleine Hafen, in dem wir vor 10 Jahren einige Tage liegen durften um Bukarest zu besuchen, liegt jetzt voller Berufsschiffe. Was sich nicht geändert hat, ist die „Freundschaftbrücke“, die beide Städte verbindet. Oben fahren die Autos, unten die Bahn. Ein Stück dazwischen lässt sich für Seeschiffe heben. Fußgänger oder Radfahrer dürfen die Brücke immer noch nicht benutzen. Man muss ein Taxi nehmen und die legen ihre Preise ziemlich willkürlich fest. Immer noch Raubrittertum. Ob auch heute die Grenzbeamten, sollten sie keinen Schein im Pass finden, die Überfahrt verweigern, konnte ich nicht überprüfen.
Die Navigation wird immer undurchsichtiger. Schwierig zu bestimmen, welcher Arm nun die Fahrrinne bildet, wenn man drei Inseln vor sich hat und jeder Arm dazwischen so breit wie der Rhein ist. Wir legen beide die Augen aufs Deck um vielleicht doch mal eine Tonne zu erspähen. Meist erfolglos. Das Echolot ist jetzt ständig eingeschaltet. Das Flussbett ist ziemlich uneben. Das Lot springt von 15 m auf30 m auf 6 m auf 10 m, usw. Würde es uns frühzeitig warnen können, wenn wir auf eine Sandbank fahren?
Zu unserer Rechten Tukratan malerisch wie ein antikes Amphitheater am Hang klebend. Ein ehemaliges Fischerdorf, heute sieht man doch ein wenig Industrie.
Fast gegenüber Oltenita, die einstige Quarantänestation. Hier war einst eine nicht unbedeutende und auch nicht kleine Werft. Sie habern die Passagierschiffe „Oltenita“ und „Carpati“ gebaut. Heute ist alles verfallen. Auch der kleine Hafen etwas unterhalb, in der die holländische Stentor-Werft ansässig war, ist heute verwaist. Stentor ist Bankrott, die Werft geschlossen. Als wir das letzte Mal hier waren, hatten wir die Absicht die Werft zu besichtigen, weil wir ernsthaft an einer Stentor interessiert waren. Doch soweit kamen wir erst gar nicht. Es wurde uns von einem Holländer ziemlich wörtlich klar gemacht, dass Ausländer hier nicht erwünscht sind. Hochmut kommt vor dem Fall. Und der war wohl ziemlich tief für Stentor.
Wieder hat der Wind aufgefrischt und Beluga torkelt durch die Wellen. Es ist so schlimm, dass ich freihändig auf dem Achterschiff nicht mehr stehen kann. Es reißt einem nicht nur die Haare vom Schädel, sondern auch die Knie unterm Hintern weg. Manfred muss jetzt noch aufmerksamer sein. Es schwimmt viel Treibgut im Bach, von Ästen bis richtigen Bäumen. Wir wollen ja nicht auf den letzten Kilometern noch eine Schraube verbiegen.
Drei Kräne, die ihre Jugendzeit lange hinter sich haben, künden den Beginn von Silistra an. Sie ist die letzte Stadt in Bulgarien, an der wir vorbeischippern. Ab km 375 fahren wir nur noch in Rumänien.
Rechts von uns stellt sich die Dobrudscha dem Fluss entgegen und verhindert, dass er einen direkten Lauf ins Schwarze Meer nimmt. Bei Cernavoda wird die Donau den Kampf dann endgültig verlieren und biegt rechtwinklig nach Norden ab. In Cernavoda ist die Donau dem Schwarzen Meer am nächsten. Deshalb wurde hier der Donau-Schwarzmeer-Kanal gegraben. Eine direkte Verbindung nach Konstanza.
Der Fluss gebärdet sich mittlerweile so wild, dass Manfred in Erwägung zieht in den Bala-Kanal abzubiegen, der nach 10 km in den Borcea-Arm mündet. Doch Verberghts Karten zeigen viele Begegnungsverbote und Engstellen in dem Arm. Also scheint er ziemlich schmal zu sein. Würden wir einem Frachter auflaufen, könnten wir wahrscheinlich nicht überholen und würden vielleicht mit 2 km/h hinter ihm her trotteln. Darauf können wir auch verzichten. Also weiter auf dem Fluss. Nurt zwei Kilometer weiter ist ein Bagger dabei ein Leitwerk vor die Insel Epusarul zu legen. Anscheinend hat das letzte Donau-Hochwasser hier schwer gewütet. Die Bäume auf der großen Insel sind alle kahl, tot oder krank. Viele hat die Donau bereits entwurzelt, an der Abholzung des verbliebenen Restes arbeiten sie auch schon.
Wieder schleichen wir uns auf der Suche nach einem Nachtplatz in ein sehr schmales Ärmchen. Hier ist es mir eigentlich nicht recht wohl. Die Behausungen am Ufer sind unheimlich ärmlich und ungepflegt. Nachen liegen am Ufer, mit denen wäre es nur zwei Schläge mit den Rudern und schon bekämen wir Besuch. Unrat liegt auf der Uferböschung, ein Pony-Wagen klappert über die Straße, eine Kuh-Herde kommt anmarschiert, auf einer Straßenlaterne brütet ein Storch. Es ist unsere letzte Nacht auf der Donau. Unsere letzte Nacht vor Anker.
Meine Befürchtungen waren völlig unbegründet. Wir hatten eine völlig ruhige Nacht, wenn man vom Wind absieht, der Beluga ein wenig schwoien ließ und an der Ankerkette zerrte. Morgens marschiert die Kuh Herde wieder herbei. Voran die Leitkuh. Sie legt sich mitten auf die Straße und schaut ihrer Herde beim Grasen auf der Uferböschung zu. Als wir losfahren hat der Himmel eine bedrohliche Färbung. Wolken, ähnlich einer Windhose ziehen auf. Nach einer Stunde scheint die Sonne. Vielleicht haben wir noch mal Glück gehabt.
Wir lassen Cernavoda rechts liegen und suchen weiter unseren Weg durch den Irrgarten der Inselwelt. Steppenartige Abhänge und Sandfelsen, hügelig, menschenleer. Selten eine kleine Ansiedlung, ein Lipovaner-Dorf. Der Volksstamm der streng orthodox gläubigen Lipovaner wurde aus Russland vertrieben und siedelte sich im Donau-Delta an. Ihre Dörfer muten sehr armselig an, doch die Kirchen sind sehenswert, teilweise mit vergoldeten Dächern.
Auf vielen der künstlich angelegten Au-Wälder sind die Pappeln abgestorben. Ganze Wälder sind kahl. Beim nächsten höheren Wasser werden die kranken Wurzeln die Stämme nicht mehr halten können und die Bäume werden als Treibgut im Fluss schwimmen. Es schwimmt sowieso sehr viel Unrat im Wasser. Manfred muss unheimlich aufpassen, trotzdem rumpelt es einige Male kräftig. Was unter Wasser so alles schwimmt, das sieht man leider nicht.
Auf den letzten Kilometern erwischt uns noch ein Sturm und versucht Beluga aus dem Tritt zu bringen, doch sie und beißt sich durch. Beluga ist ein Kampfhuhn. Spürt sie die fest Hand ihres Herrn, geht sie brav am Gängelband, doch wehe sie bemerkt eine Schwäche, dann wird sie hinterlistig und aufmüpfig. Ich kann nur hoffen, dass ihr neuer Skipper ihr zeigt wer der Chef ist.
Endlich kommt Braila in Sicht. Der neue Eigner hat umdisponiert. Nicht Galati ist jetzt unser Ziel, sondern die Vard-Werft in Braila. Uns kann das Recht sein. Wir können Beluga ihrem neuen Besitzer kratzerfrei und ohne Probleme nach fast 3000 km Sturm- und Schleusenfahrt übergeben.
Wir nehmen Abschied. Abschied von der Donau, die wir zweimal bezwungen haben. Auf den Tag genau drei Wochen waren wir unterwegs. Das muss uns erst mal einer nachmachen.
Wir nehmen Abschied von unserem wunderbaren Schiff. Und wir nehmen Abschied von einer unübertrefflichen Zeit als Wassersportler. Wir haben mit dem Paddelboot begonnen, wir haben gesegelt und selber einen Krabbenkutter zu einer „Yacht“ um-und ausgebaut und wir haben mit Beluga halb Europa erkundet.
Jetzt ist die Zeit gekommen für Veränderungen. Trotzdem fühlen wir uns wie der Vater von Hänsel und Gretel, der seine Kinder im Wald ausgesetzt hat.
Adieu!
Aufbruch: | 12.03.2015 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 02.04.2015 |
Rumänien