Tunesien 2017: Wie Hitler mir half
Böses Abenteuer
Unter Räubern
Nun will ich über Kasserine nach Tunis.
Aber Kasserine soll unsicher sein, bewaffnete Terroristen in den Bergen usw.
Also mache ich einen vorsichtigen Plan: Ich fahre nur nach Thelepte, nächtige dort und am nächsten Tag fahre ich einfach durch Kasserine durch, so gefährlich wird es schon nicht sein.
Kurz vor Thelepte komme ich durch einen kleinen Ort, Feriana, und sehe auf einmal wieder ein Feuer neben der Straße.
Nein, es ist auf der Straße, ein brennender Reifen.
Ich halte an.
Nun sehe ich Strassenblockaden, Steine und demonstrierende Leute.
Schon klopft jemand ans Fenster und erklärt mir, ich solle umkehren, das sei gefährlich.
Die Demonstranten laufen schon auf mich zu.
Da stellt sich ein junger Mann auf einem Motorrad dazwischen, auf seiner Jacke steht "Security", und redet auf die Demonstranten ein.
Ich kehre also um und stelle mich ein paar hundert Meter dahinter zu den anderen Leuten, anderen Autofahrern, die auch angehalten haben.
Ich erfahre, dass Jugendliche wegen Arbeitslosigkeit randalieren.
Aber nach zwei Stunden sei das wieder vorbei.
Als ich es mir noch mehr aus der Nähe ansehen will, fliegen mir plötzlich Pflastersteine vor die Füße.
Also besser weg hier.
Aber für die Einheimischen scheint es ein bekanntes Ritual zu sein.
Gefahr?
Ja schon, denn "Diese Leute haben Null Hirn!"
Der Tipp lautet, darum herumzufahren, man könne einfach rechts abzubiegen, dann links und dann wieder auf die Hauptstraße einbiegen.
Dazu entschließe ich mich nach einiger Zeit.
Langsam rechts, dann links, dann kommt eine Kreuzung, wo man rechts oder links abbiegen kann.
Ich müsste eigentlich schon an den Barrikaden vorbei sein, also biege ich links ab.
Als ich zur Hauptstraße komme, stehe ich wenige Meter vor den Barrikaden, mitten im Trubel.
Ich versuche zurückzusetzen, aber zu spät.
Wieder kommt ein freundlicher junger Mann herbei und erklärt "No problem!"
Ehe ich mich versehe, öffnet er die Beifahrertür und steigt ein.
Auf der Fahrerseite kommt ein zweiter und redet auf mich ein.
Plötzlich greift er durchs Fenster, schnappt sich mein Handy und läuft davon.
Jetzt bin ich sauer.
Der andere schreit ihm nach und tatsächlich kommt er zurück und steigt ebenfalls ein.
Sie bedeuten mir, die Straße zu überqueren und auf der anderen Seite in eine Nebengasse einzubiegen.
Das verläuft auch ohne Probleme.
Dann wird die Gasse dunkler und enger.
Dann noch dunkler und noch enger.
Ich müsste nach rechts, aber sie weisen mich nach links.
Jetzt kann ich den Count-down starten, bis ich ausgeraubt werde.
Es ist ein ziemlich blödes Gefühl.
Dann soll ich auf einem kleinen Platz stehen bleiben.
Und dann: "Argent! Argent!!"
Was jetzt?
Es sind zwei.
Sie sind aufgedreht.
Könnten unter Drogen stehen.
Aber sie sind auch nervös.
Und blöd.
Ich spiele auf Zeit.
Bin doch Tourist, habe mit euren Troubles nichts zu tun, tut mir echt leid.
Er öffnet seine Jacke und sagt "Terrorist".
Will er mir seinen Sprengstoffgürtel zeigen??
Er macht auf wütend.
Macht mit den Fingern eine Pistole, die auf mich zeigt.
Der zweite Mann beginnt, meine Koffer zu durchwühlen.
Er findet einen Rucksack mit Notebook.
Der gehört der Firma, ich hatte ihn nur ausnahmsweise wegen dringender Geschäfte eingepackt.
Ich will mein Handy zurückhaben.
Schließlich biete ich Geld.
Hundert Dinar oder so.
Nicht mitgedacht.
In der selben Geldtasche sind daneben mehr als tausend Euro.
Der Kerl greift einfach hin und nimmt sie sich.
Schließlich krallen sie sich Telefone, iPad und steigen aus.
Ich fahre schleunigst weiter und befinde mich gleich darauf wieder an der Hauptstraße, wo ich losgefahren bin.
Ich erzähle den Leuten, was mir gerade widerfahren ist.
Gibt es denn keine Polizei hier?
Doch, auf der anderen Seite der Demonstration.
Sie werden mich hinbringen.
Wieder steigen zwei Leute in mein Auto ein und wir fahren genau die gleiche Strecke nochmal. Rechts - links - links.
An der Barrikade steigen sie aus.
Was kommt jetzt?
Konfrontation? Noch ein Überfall?
Nein, sie räumen die Barrikade einfach zur Seite und steigen wieder ein.
Gleich darauf stehen wir an einer Strassensperre voller Polizeiautos.
Ich erkläre kurz, was mir passiert ist und man bittet mich in das festungsartig gesicherte Gebäude.
Ich warte und warte.
Viele Polizisten gehen ein und aus.
Auf einem Sessel sitzt ein junger Mann in Handschellen, ein Häufchen Elend.
Nun erinnere ich mich, dass ich noch ein zweites iPad im Auto verstaut habe, das haben die Jungs nicht gefunden.
Ich hole es und schlage vor:
Gebt mir ein Wifi, dann können wir das iPhone orten und ihr könnt die Brüder einfach abholen!
Gesagt, getan, auch tunesische Polizisten haben Smartphones mit Hotspot.
Obwohl wir es mehrfach versuchen, klappt die Ortung leider nicht.
Entweder wurde das Telefon ausgeschaltet oder die Speicherkarte herausgenommen.
Plötzlich fällt mir ein, dass ich doch die Dashcam hinten im Auto habe.
Aber war sie auch eingeschaltet?
Ich stürze hinaus und tatsächlich: Der ganze Überfall ist auf Video!
Das zeigen ich gleich den Polizisten, die sich das interessiert ansehen.
"Morgen!"
Man bietet mir an, mich zu einem Hotel zu bringen.
Aber ich habe ja Wohnmobil.
Das steht nun direkt vor der Polizeiwache.
Irgendwann nach Mitternacht ziehe ich mich dorthin zurück und verfluche meine Dummheit.
Dann vertrete ich mir noch einmal die Beine.
Ein Polizist kommt auf mich zu: "Gibt es ein Problem?"
Nein, ich schaue nur nach den Demonstranten.
Alles ruhig.
"Das ist ein Spiel, oder was?" raunze ich.
"Ich weiß auch nicht, von Anfang bis Mitte Jänner drehen die jungen Leute alle durch."
Ein privates Revolutions-Reenactment?
Ich mache offenbar einen bemitleidenswerten Eindruck, der Polizist in voller Montur sagt:
"Hör zu: Ich stehe hier, damit du ruhig schlafen kannst."
Bald darauf dämmere ich tatsächlich weg.
Aufbruch: | 29.12.2016 |
Dauer: | 11 Tage |
Heimkehr: | 08.01.2017 |