Auf der Spur Kolumbiens Schätze
Medellin und Umland : Das Tal der Wunder
Meine nächste Etappe wird durch die Zusage einer Öko-Farm bei Alejandria bestimmt. In Vorfreude auf die Familie, die Natur, die anderen Freiwilligen, die Tiere und die Arbeit verlasse ich bei Regen Guatapé. Am Busterminal treffe ich auf ein gutes Dutzend anderer Backpacker, die jedoch entweder nach Medellín oder San Rafael fahren. Ich komme in den Genuss, einen Kleinbus mit 35 Plätzen für mich alleine zu haben. Ich komme also meinem Traum von etwas Abenteuer und Dschungel näher.
Abseits der 5.000 Seelengemeinde Alejandria, ein paar Kilometer Fußweg von der nächstbesten befahrbaren Straße entfernt, liegt die Farm. Die Strecke von rund 35 Kilometern dauert fast zwei Stunden, was weniger am überladenen Reisebus als an der Kombination aus der Beschaffenheit der Straße und der kurvigen Auf- und Abfahrt liegt. Doch der Blick auf die Weiten der Landschaft, auf die unzähligen Bergrücken und Täler mildern meine Übelkeit und entfachen meine Fantasie. ‘Was mich wohl hier in den ursprünglichen Tiefen Kolumbiens in den kommenden Tagen erwarten wird?‘, ich bin gespannt.
Zudem meine ich verstanden zu haben, weswegen die Kolumbianer teils so wagemutig oder riskant auf den Straßen unterwegs sind. Weil sie eine andere Energie haben, getrieben von der Leidenschaft, ja vom Leben selbst. Weil sie das Leben lieben und wissen gelebt zu haben und sich deswegen keine Gedanken darüber machen, was morgen kommen möge, da sie ja im gegenwärtigen Augenblick das Leben als solches voll genießen und jede Einschränkung, jede Vorsicht, jedes Zögern nur eine Einschränkung dieser intensiven Erfahrung wäre. Zudem wacht über alledem Gott und er wird sehen, ob die Schicksalsstunde für die Menschen geschlagen hat. Und dennoch sind vorwiegend die älteren Kolumbianer so tiefenentspannt und in sich ruhend, dass sie für mich kleine Buddhas verkörpern.
Die schwüle Mittagsluft tritt mir entgegen als ich mitten auf der Strecke aus dem Bus trete. Ich bin also angekommen, am Ende der Welt, so scheint es mir. Es hat mich einige Überzeugungskraft gekostet den Busfahrer zum Halten an dieser Stelle zu bringen, hoffentlich ist das kein schlechtes Omen. Ich ziehe die Wanderschuhe an und mache mich also auf den Weg. Eigentlich hatte ich vereinbart bei der Familie anzurufen sobald ich angekommen bin, doch hier im Nirgendwo habe ich keinen Empfang. Also probiere ich alleine mein Glück und frage mich bei den spärlich vorhandenen Gehöften durch. Bald schon kommt mir Emanuel der Gastvater entgegen und so stapfen wir gemeinsam zur Unterkunft. Eine wirkliche Konversation kommt nicht zustande, dafür ist unsere gemeinsame Schnittmenge an Spanisch- und Englischkenntnissen zu gering, doch verstehen wir uns direkt – wir sprechen die gleiche Sprache – die Sprache des Seins. Von einer kleinen Anhöhe erhasche ich einen Blick auf die Farm. Inmitten dieses Naturidylls werde ich nun abseits allen Großstadttrubels für fast zwei Wochen in eine andere Welt eintauchen. Schnell merke ich, dass hier andere Dinge von Bedeutung sind und ein anderer Lebensrhythmus schlägt. Zeit, wie sie die meisten Menschen kennen existiert an diesem Ort nicht. Das umliegende Panorama ist die Summe aus bewaldeten Berghängen, einem kristallklaren Himmel und den hoch am Himmel kreisenden Aguilas. Es ist als sei dies ein in sich geschlossenes Universum.
Die Begrüßung mit der Familie und den anderen Freiwilligen ist herzlich, die Begrüßung mit den Hunden stürmisch. Noch am gleichen Tag machen wir einen Ausflug zu einer weiteren, noch paradiesischer gelegenen Hütte. Wir quetschen uns also zu viert ins Tuktuk und folgen dem Motorrad der anderen Dreien. Gut durchgerüttelt sind wir nach einer knappen Stunde an einem versteckten Wasserfall. Im angenehm kühlen Nass tauchen wir in die Welt des Wassers und tanken Energie. Danach gehen wir weiter bergauf in Richtung der Hütte, einem mehr verborgenen Trampelpfad folgend inmitten eines Meers aus Bambus und Zuckerrohr. In der Hütte hängen fünf Fledermäuse und ich muss an Covid-19 denken. Wurde der Virus ursprünglich nicht von gestressten Fledermäusen auf den Menschen übertragen? Doch hier am Ende der Welt inmitten dieser Naturfülle bin ich überzeugt, dass die Fledermäuse ein entspanntes Leben führen und Covid-19 hier so fremd ist wie die Dunkelheit bei Licht.
Unter dem Bambusvordach, geschützt vor der Hitze der Sonne machen wir ein Feuer um eine Suppe zuzubereiten. Ich erinnere mich an Robinson Crusoe, Huckleberry Finn und Henry David Thoreau. Es ist ein etwas befremdliches Gefühl was mich an diesem Ort überkommt, doch gefällt es mir, denn ist es nicht etwas zutiefst Menschliches? Eine Mischung aus Abenteuer, Freiheit und der Ursprünglichkeit des Menschseins kann nur inmitten der Natur, abseits der Errungenschaften oder in diesem Fall Bequemlichkeiten der Zivilisation entstehen. Carl Sagan schrieb einst in Pale Blue Dot: “For 99.9 percent of the time since our species came to be, we were hunters and foragers, wanderers on the savannahs and the steppes. There were no border guards then, no customs officials. The frontier was everywhere. We were bounded only by the Earth and the ocean and the sky […]”.
Doch das bringt die Freiheit nun einmal mit sich. Mit einer Freiwilligen stehe ich vor einem Vogelkäfig auf der Farm und wir fragen uns, ob die Vögel wissen, dass sie in einem Käfig sind. Und würden sie aus diesem Käfig fliegen, wenn man ihnen die Türe öffnet und wüssten sie, was sie mit dieser Freiheit anzufangen haben. Aber vielleicht haben sie diesen Drang auch gar nicht in sich und haben nie gelernt ihm Bedeutung zu schenken, da sie die Freiheit ja nie kennengelernt haben. Währenddessen ziehen die Aguilas ihre Kreise über unseren Köpfen. Sie sind so frei wie man es sich nur vorstellen kann und für sich selbst verantwortlich. Dafür sind sie angewiesen, auf ihren Instinkt zu vertrauen.
Aufbruch: | 27.02.2020 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 21.03.2020 |