Vibrancies can be found everywhere - Ägypten 2022

Neuer Tag, neues Glück, die Münze dreht sich, gefühlte 1.000 Jahre Schlaf, in der Realität vermutlich eher 5,73 Stunden, Sonnenstrahlen, Stechmücken und die sinnlichen Töne der 10 bis 25-Millionenmetropole Afrikas.
Deine Bestrebung hätte nicht ernster sein können Hieroglyphen mit dem Teleskop Leonardo da Vincis aus dem Planetarium nahe des Museo de Oro zu entschlüsseln während die Karawane aus vier Kamelen bestehend an der Tankstelle vorbeizog. Vielleicht waren es auch Dromedare. Falscher roter Faden.
Tief ein- und ausatmen, keine Panik auf der Titanic, zwischen all den Blechkarossen und den Gebäuden gab es in diesem Häusergeflecht der Jahrtausende immer wieder Grünoasen gleich Fata Morganen.
Von der Muhammad-Ali-Moschee aus zähltest du all die Bewohnenden dieses kleinen Kosmos im Detail, wipptest ein wenig mit den Füßen und dachtest an nicht viel bei alledem außer daran, welches Gewicht die Gesamtheit der Menschheit wohl haben würde. Seit Anbeginn der Ersten von ihnen versteht sich.

Kairo, was soll es da groß zu erzählen geben?
Eine Stadt wie jede andere, nichts besonderes, alles nicht außergewöhnlich. Ohnehin Smog und bellende Hunde. Du hättest nun wieder einmal durch die Carrera 7 gehen und dir südamerikanischen Kaffee noch und nöcher in all den Cafétempeln Kolumbiens einverleiben können. Du hattest die Wahl, aber du wolltest es so.
Im Nu wurde die imaginäre Liste Nr. 0-005-8371 abgehakt: Nationalmuseum und -bibliothek, türkischer Kaffee, die Pyramiden von Gizeh, koptisches Viertel, hängende Kirche, Khan el-Khalili, Teppichbazar, ewigliche Saharasanddünen, schreiben am Nil, Begegnung mit deiner persönlichen Kleopatra, stehen vor der Sphinx, islamisches Museum und ein paar Tintenkleckse im Restaurant Nagib Mahfuz setzen.
Andere erhielten Nobelpreise für Literatur aber du stakstest durch das Gewirr von Fenstern umgeben. Leider ohne "Blueprint for perpetual success" im Reclam-Heftchen-Kurzformat. Weimar, Genf, Lima, Kopenhagen, Hamburg irgendwo in der Vergangenheit... nun einzig Downtown Kairo.

Herzensgebete und Meditationen in Moscheen, fluchtartiges Verlassen derselben bei den Rufen der Muezzine (nicht Muhezin oder Muezin!) und den Anstürmen der muslimischen Gläubigen, Hibiskustee oder das Queren vierspuriger Straßen bei leicht erhöhtem Verkehrsaufkommen im Fluss waren weitere Erlebnisse, die du von da an auf deiner Löffelliste aus Stein eingravieren konntest.
Freilich wird es "Ägypten-Reiseberichte" wie Wassertropfen im Amazonas geben, deswegen redest du nicht um den heißen Brei. Denn niemand wird "Die Midaq-Gasse", "Der Alchemist", "Pyramidenzeit", "Die unendliche Bibliothek", "Die Straßen von Alexandria", "Reisetagebuch aus Ägypten" oder "Die dunkle Blume" in der deinigen Anordnung auf dem Fensterbrett stehen haben werden. Und - dieses Werk wird keiner vollbracht haben - du trugst "Lincoln im Bardo" in einem deiner zwei Rucksäcke. Wenngleich du insgeheim dem in Basel nun weilenden "Paris - Ein Fest fürs Leben" Tränen widmetest.

Inmitten der neuen Kapitel, einer Ouvertüre und dem finalen Epilog steht ein Satz geschrieben: "Was eint all die Gegenden dieser Erde, was eint einen jeden von uns Menschen und scheint uns im Alltag doch allzu oft verborgen?"
Beliebige Worte inklusive Leerzeichen.
Wie viele?
Zählen dürfen andere, denn du bist während sie immer noch in Erwartungshaltungen in Embrionalstellung ausharren. Aber deine Fantasie ist leergefegt. R2D2, Aomame, Mungo Parks, Bartleby, Gordon Pym oder Kunigunde mussten sich vermutlich auf einem der 507 Sitzplätze eines A380 - 800 befinden. Wohin sie flogen, du hattest nicht einen einzigen Anhaltspunkt.
Währenddessen ruhte gleichwohl über dem Chiribiquete-Regenwald ein zitronengelbes Doppeldeckerflugzeug und ein imaginäres Du samt Fernglas in der Luft, Bäume spähend und sich innerlich freuend.

Dann heißt es ein weiteres Mal "Lebewohl" zu sagen, nach der dritten Metrofahrt an der Ramses-Station, dem Hauptbahnhof in den Zug in die erste Klasse zu steigen und über 50 Prozent auf der Nord-Süd-Achse des Landes gen Süden zu streben. An diesem Tag im grünen Bett der Lebensader Nil wurden in Gedanken unzählige Sätze geformt, denn die Tuk-Tuks, Gebetsketten, Dattelpalmenhaine, Ausblicke und leuchtenden Augen samt dem gleißend glühenden Sonnenuntergang formten Giganten auf dem Papier.