Zum ersten Mal allein
Abseits des Tourismus
Der Chitwan Nationalpark sagt Ihnen vielleicht etwas - der Ort Sauraha als Ausgangspunkt für zahllose Safaris ist ein recht geschäftiger Ort - jedoch sollte mich meine Reise ins weniger populäre Agrarland Chitwans führen. Eine Woche habe ich dort bei einer Gastfamilie verbracht und das Leben der Nepalesen aus einer etwas anderen Perspektive kennengelernt.
21. April
Früh morgens machte ich mich auf den Weg zum "Tourist Bus Stop", welcher glücklicherweise auf google maps verzeichnet ist. Im Endeffekt ist dieser eine lange Straße, an der verschiedenste Reisebusse halten und auf ihre Mitfahrenden warten. Obwohl der Bus schon sehr alt schien, waren die Sitze bequemer als in deutschen Zügen - und das war auch gut so, denn die Reise nach Bharatpur dauerte neun Stunden. Da sich die schmalen unasphaltierten Straßen auf der einen Seite an einen Berghang klammerten und auf der anderen direkt in einen Abgrund übergingen, ging es nur langsam voran. Oft standen wir und mussten auf den Gegenverkehr warten . Mit mir reisten hauptsächlich nepalesische und indische Personen, sodass der Busführer sich gar nicht erst die Mühe machte, Englisch zu sprechen. So ergab sich auch das Problem, dass ich in den Pausen nie wusste, wie lange diese sein würden. Während der Ersten wagte ich es noch, auf Toilette zu gehen - Nachdem ich jedoch auf den fahrenden Bus aufspringen musste, dessen Türen glücklicherweise noch offen waren, beschloss ich, die nächsten Stunden auszuharren. So beschäftigte ich mich damit, Musik zu hören und in die Landschaft zu schauen: Nicht selten sah man Rauchschwaden in den Bergwäldern - Einheimische, die Plastik oder Unkraut verbrennen oder auch natürliche Feuer, denn noch war es sehr heiß und trocken in Nepal. Der Erleichterung bringende Monsun sollte erst gegen Ende meiner Reise kommen.
PS: Auf dieser Busreise von Kathmandu nach Chitwan sah ich außerdem zum ersten Mal frei wachsende Hanfpflanzen - Ein Anblick, den man als Deutscher sicher nicht gewohnt ist.
Die Reise war lang und huckelig, ich verlor einen Flipflop, den ich nicht ordentlich an meinem Gepäck befestigt hatte und bei meiner Ankunft in Bharatpur war ein Großteil meiner Energie aufgebraucht - nur, dass ich noch icht an meinem Ziel angekommen war. Denn meine Gastfamilie lebte abseits der Stadt und so musste ich sehen, wie ich weiterkam. Abgemacht war eigentlich, dass ich Tara an einem Mopedladen treffen sollte. Da ich nicht wusste, wie ich sonst dahinkommen sollte, nahm ich ein Tuk Tuk. Ich verstand mich zwar gut mit dem Fahrer Babu, dennoch denke ich, dass er nicht umhin konnte, aus meiner Situation einen Vorteil zu schlagen und letztendlich das doppelte des vereinbarten Preises zu verlangen. Es stellte sich nämlich heraus, dass mein Gastgeber Tara gar nicht da war, sondern für ein paar Tage auf einer Fortbildung als Lehrer. So fragte Babu im gesamten Dorf herum, bis wir nach etlichen Umwegen vor Taras Haus ankamen - bis auf den 13-jährigen Sohn war jedoch niemand zuhause.
Etwas ernüchtert und einsam kam ich in meinem Zimmer an. Ich ging auf das Dach des alleinstehenden Hauses und schaute mir die Umgebung genauer an: Bunte, halbfertige Einfamilienhäuser, umgeben von kleinen quadratischen Feldern, ab und zu eine Baumgruppe.
Eine tröstliche Ruhe nach diesem Tag fand ich darin, in den Sonnenuntergang Südnepals zu schauen und den Vögeln zu lauschen. Es beeindruckte mich, wie trotz der Abholzung des ursprünglichen Regenwaldes die Artenvielfalt dieses Ortes so stark spürbar war. Geckos an den Wänden, Frettchen und ähnliche Tiere, welche durch die Felder huschen und in den Komposthaufen nach einer Mahlzeit suchen - und die Vögel. Wenn ich die Augen schloss, hatte ich das Gefühl, mitten im Amazonas-Regenwald zu stehen - auch wenn dieser vermutlich noch viel lauter ist.
Am Interessantesten fand ich eine Vogelart, welche sich hängende Nester in den Palmen baute.
PS: Tatsächlich gibt es Ansätze, diese akustische Informationsvielfalt in Regenwäldern zur Kartierung und dem Aufspüren illegaler Abholzung zu nutzen - jedoch nicht in Nepal.
22. bis 27. April
In den folgenden Tagen half ich auf dem Feld und in Anjanas Kiosk, einmal sogar in der Schule wo Tara arbeitete. Die Mahlzeiten bestanden aus Dahl Baat und Wassermelone, welche die Nepalesen gerne mit Salz würzen. Ab und zu spielte ich Karten mit Akriti und ihrem Bruder.
Am zweiten Tag verbrachte ich etwas Zeit mit zwei Geschwistern, die nebenan wohnten. Ihre Familie besaß eine kleine Herde Ziegen, auf die die beiden aufpassten. Es ist schon erstaunlich, wie gut Samgam Englisch sprach für ihr Alter, einerseits im Vergleich zu erwachsenen Nepalesen und andererseits im Vergleich zu meinen Erfahrungen in europäischen Ländern wie Spanien, wo wir eigentlich nur auf Spanisch kommunizieren konnten.
Am Abend des dritten Tages gab es Überraschungsgäste, denn der Sohn der Familie hatte Geburtstag. Also holten wir fix Hähnchen, schnippelten Kartoffeln und bereiteten das klassische Dahl Baat zu, jedoch diesmal nicht vegetarisch, sondern mit frittierten Hähnchenkeulen. Sogar eine kleine Torte gab es. Das Geburtstagskind schnitt wie bei uns die Torte an, 'fütterte' dann jedoch erst die Mitglieder seiner Familie, bevor er selbst ein Stück nahm. Während dann die Männer am Tisch saßen und aßen, kümmerten sich die Frauen darum, dass jeder genug zu Essen hatte - auch ich wurde zum Essen gedrängt. Für Anjana, die Frau von Tara, war dieser Abend offensichtlich eher stressig. Ich nahm ihr am Ende des Abends den Berg an Abwasch ab. Die Männer schienen es gewohnt zu sein, nichts tun zu müssen.
An diesem Tag wurde ich nicht nur Zeuge der doch immernoch merkbaren Patriarchalität nepalesischer Kultur, sondern ich fing mir auch meine erste Lebensmittelvergiftung ein.
So verbrachte ich den ganzen Tag im Bett, aß nicht und schlief sehr viel. Glücklicherweise schien sich mein Körper von alleine zu erholen und am nächsten Tag besuchte ich mit Tara eine andere Familie, die mehrere Kühe und Büffel besaß. Der Geruch nach alter Milch fühlte sich dennoch sehr unangenehm für meinen Magen an und ich war froh, als ich wieder im Bett war.
Das Leben in der Agrarprovinz Chitwan ist sehr einfach. Groß vielfältige Gerichte gibt es nicht - es wird lediglich die Rezeptur des Dhal Baat je nach Vorrat leicht abgeändert. Wenn man die staubigen Pfade entlang läuft, kommt man nur an Einfamilienhäusern, kleinen Kiosks und Feldern vorbei. Die größte Bildungseinrichtung der Gegend ist ein Landwirtschaftscollege - wer es sich jedoch leisten kann, der geht ins Ausland. Der Sohn des Tuktuk-Fahrers Babu war zum Beispiel zum Studieren nach Australien gegangen. Andere hoffen auf Korea und selbst die schwere Arbeit in der sengenden Hitze arabischer Wüste lockt einige aus ihrem Heimatland.
Nichtsdestotrotz muss ich zugeben, die Einfachheit dieses Landes hat etwas - mit dem Moped durch die Landschaft fahren, den Abend bei Freunden drei Felder weiter verbringen, Mais, Kartoffeln und Tomaten anbauen... Es ist ein Gefühl der Verbundenheit der Leute zu ihrem Land, und zu ihren Menschen, das ich in Deutschland nicht spüre.
Aufbruch: | 18.04.2023 |
Dauer: | 5 Wochen |
Heimkehr: | 24.05.2023 |