Reisebericht aus Afghanistan
Eid und anderes
Id, Suffis und Gefahren
Morgen beginnt Id ul-Adha, das höchste islamische Opferfest, das drei Tage dauern wird. Id ul-Adha wird in Afghanistan meist nur Id genannt, ausgesprochen mit einem langen I, manchmal auch Eid geschrieben. Das Opferfest ist das höchste islamische Fest. Es wird zum Höhepunkt der Hadsch gefeiert, der Wallfahrt nach Mekka, die jährlich im Monat Dhu al-hidscha stattfindet.
Zur Erinnerung: nach moslemischer Zeitrechnung schreiben wir heute das Jahr 1383 in der islamischen Welt. Gerechnet wird der 1. Muharram 1 A.H. (Anno Higerae), also Tag Eins der muslimischen Zeitrechnung, gewöhnlich ab Donnerstag dem 15. Juli 622 nach dem julianischen Kalenders. An diesem Tag zog der Prophet aus Mekka nach Medina.
Noch vor dem id al-fitr, dem Fastenbrechen am Ende des Ramadan, ist es das wichtigere der zwei Eid-Feste. Beim Opferfest wird des Propheten Ibrahim (Abraham) gedacht, der die göttliche Probe bestanden hatte und bereit war, seinen Sohn Ismail Allah zu opfern. Als Allah seine Bereitschaft und sein Gottvertrauen sah, gebot er ihm Einhalt, und Ibrahim und Ismail opferten daraufhin voller Dankbarkeit im Kreis von Freunden und Bedürftigen einen Widder. Seit dem ist es für alle rund drei Millionen gläubigen Muslime weltweit Pflicht, zur Feier des Opferfestes ein Tier zu schlachten, wenn sie es sich denn finanziell leisten können. Dabei ist es üblich das Tier anschließend in drei Teile aufzuteilen. Ein Teil für die Verwandtschaft, ein Teil wird an Bedürftigen abgegeben und der dritte bleibt der eigene Familie. Es ist guter Brauch, allen Freunden und Verwandten zum Opferfest die besten Wünsche zu versichern. Das führt zu so aberwitzigen Besuchermarathons, wie ihn Yamma, unser Logistiker, Jahr für Jahr zu wiederholen gedenkt. Er besucht an den drei Feiertagen mehr als 70 (!) Familienangehörige. Im Allgemeinen wird an Id ein Schaf geschlachtet, es wird rituell unter Gebeten und der Anrufung Allahs geschächtet.
Heute, am Vortag von Id, will ich in die Innenstadt, nahe der Bazare in die Altstadt Herats. Dem Teil, der noch, oder fast noch nicht dem Aufschwung der Stadt zum Opfer gefallen ist. Die Altstadt Herats ist in einem Schachbrettraster um die Dschami-Moschee, der großen blauen Moschee, herum angesiedelt. Von ihr weg, oder zu ihr hin, je nach Sichtweise, führen vier große Prachtstraßen rechtwinklig auf die Boulevards, die die ehemaligen Stadtumfassungsmauern ersetzt haben. Hier spielt sich das Leben noch in den Suqs ab, ein quirliges Leben voller vertrauter und fremder Gerüche und Geräusche. Heute aber wird das ansonsten schon geordnet chaotische Treiben in der Altstadt um das Blöken abertausender Schafe ergänzt. Wohin man auch schaut, Schafe über Schafe. Es müssen fast ebenso viele Schafe auf den Straßen sein, wie Herat Einwohner überhaupt hat. Schon in den letzten Tagen vor dem großen Fest haben sich unzählige Bauern aus der Umgebung mit ihren Herden Richtung Stadt aufgemacht, manche führten nur eine handvoll Tiere mit sich, andere bis zu 50 Tiere. Um all diese in die Stadt einfallenden Herden unterscheiden zu können, die eigenen von fremden Tieren, haben die Viehtreiber ihre Tiere durch Farbflecken auf den Hinterleibern oder auch am ganzen Körper gekennzeichnet. So begegne ich mit Erstaunen, statt der ansonsten nur dreckig beige-weißen Schafe, gelbgepunkteten oder grün-gestreiften Tiere. Zwischen all diesen hunderttausenden Tieren, im Übrigen auch Ziegen und Kühen, bewegen sich wie in Zeitlupe hupende Autos, knatternde Motorrad-Rikschas, quietschende Millie-Busse, wie hier die öffentliche Busse genannt werden und klingelnde Fahrräder durch die Rushhour. Die ganze Atmosphäre erinnert mich sehr an die letzten Vorweihnachtstage, an denen die Innenstädte vor Menschen überquellen, eine Vorfreude spürbar ist, aber auch der Stress gehetzter Menschen, die auf den letzten Drücker noch Geschenke besorgen wollen. Genau so fühlt es sich heute in Herat an, nur dass hier Millionen von Schafe Teil des moslemischen Weihnachtens sind. Zwischen den Herden bewegen sich zielsicher unzählige Familienvorstände, unnötig zu erwähnen, dass es ausschließlich Männer sind. Mit fachkundigem Blick, mal hier in ein Tier zwickend, mal dort eines näher begutachtend oder doch schon Desinteresse heuchelnd bewegen sie sich punktgenau auf Umwegen auf das Objekt ihrer heutigen Begierde zu. Jetzt gilt es zu handeln.
Ein Schaf kostet je nach Gewicht zwischen 3 und 6000 Afghani, also zwischen ca. 60 und 120 €. Eine unvorstellbare Summe für die meisten Afghanen. So viel Geld nur für Essen ausgeben, können sich nur die wenigsten Familien leisten. Also machen sie es so, wie die Besitzer der Tiere. So, wie die einzelnen Tierherden einer Gemeinschaft von Eigentümern gehören, so teilen sich auch mehrere Endverbraucher je ein Tier. Der Kilopreis für Schafsfleisch liegt ungefähr bei 120 Afghani, immer noch 2,50 € und immer noch viel Geld für die meisten Männer, die im Schnitt ca. 250 Afghani pro Tag verdienen. Das muss reichen um eine ganze Familie zu versorgen. Umso atemberaubender das Aufgebot an Speisen, wenn man von Afghanen nach Hause zum Essen eingeladen wird. Die Tische, hätten sie den Tische, denn gegessen wird auf dem Boden, bögen sich durch unter der Last des Essen, das einem dort aufgetischt wird. In meinen Augen eine Verschwendung, für Afghanen eine Selbstverständlichkeit, die die Gastfreundschaft gebietet.
Der Kilopreis Schafsfleisch hat im Übrigen direkte Auswirkungen auf meine eigene Ernährung. Wir Expats essen mit unseren lokalen Mitarbeitern jeden Tag gemeinsam zu Mittag. Und die würden Sturm laufen, wenn das Essen am Monatsende zu teuer käme. Also gibt es fast jeden Tag Reis mit Kichererbsen oder einem anderen Gemüse, nur ab und zu angereichert mit Fleisch, und ein wenig Salat. Das klingt eintöniger als es ist, da unser Koch sich darauf versteht das Gemüse in immer neuen Variationen auf den Tisch zu bringen, gleichbleibend ist nur das stundenlange Einkochen des Gemüses. Kraft bringend soll das literweise hinzugefügte Öl sein, dass die meisten Speisen triefend einnässt, obwohl ich da so meine Zweifel habe.
Zurück auf die Straßen Herats an diesem sonnigen Vormittag, dem Vortag des Id ul-Adha-Festes. Handelseinig mit den Verkäufern zu werden ist eine Sache, die Ware anschließend nach Hause zu bringen eine andere. Schafe sind Herdentiere und ohne ihre Herde fühlen sie sich augenscheinlich nicht sonderlich wohl. Nicht alle Tiere, Frischware im besten Sinne des Wortes, werden an den Läufen gefesselt um sie transportieren zu können. Das tun nur diejenigen, die die Tiere mit dem Fahrrad oder Motorrad nach Hause bringen müssen. So sieht man ab und an bis zu drei Menschen und ein Schaf auf einem Motorrad durch das Gewühl aus Tier- und Menschenleibern manövrieren. Plötzlich hupt es hinter mir laut. Eine Motorradrikscha möchte vorbei. Noch im vorbeiziehen streckt sich ein Kalbskopf, der Rest des Tieres ist durch eine Plane verdeckt, raus auf die überfüllte Straße. Nur um Haaresbreite verpasst das Tier meine Schulter. Plötzlich wird mein Blick auf ein, in Deutschland unvorstellbares Spektakel gelenkt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite versuchen mehrere Männer drei Schafe in den offenen Kofferraum eines nagelneuen Mercedes zu bugsieren. Kaum sind zwei der Tiere sicher untergebracht, man müht sich gerade am dritten, da springt schon wieder eines der sicher verstaut geglaubten Tiere zurück auf die Straße, hilflos seine Herde suchend. So wiegt der ungleiche Kampf einige Minuten hin und her. Letztendlich entschließen sich die Käufer der Tiere doch diese zu fesseln und einem der Kundschaft suchenden Handwagen anzuvertrauen. Und ab geht's nach Hause, für das Schaf wird es die letzte Reise sein. Dort angekommen macht sich gleich ein bestellter Metzger ans Schächten und zerteilen des Tieres in handliche Portionen. Für das gesamte Tier benötigt er im Schnitt nur zwei Stunden, als Lohn darf er das Fell des Schafs, nun ein Festtagsbraten, behalten. Geht man an diesem Abend durch die Straßen der Stadt so kann man allerorten Rinnsale voller Blut in den engen Gassen der Stadt entdecken. Ging es Morgens noch laut zu auf den Bazaren, so breitet sich nun im Abendlicht der hereinbrechenden Nacht eine friedvolle Ruhe in der Stadt aus. Die Menschen sind zuhause im Kreise ihrer Liebsten und breiten sich auf einen dreitägigen Marathon aus Essen, wechselseitigen Besuchen und nochmaligem Essen vor. Es ist eine Zeit des Wohlbehagens. Nicht zu vergleichen mit der habgierigen Hast des "kleinen" Id-Festes zum Ende des Ramadans, wenn die Menschen sehnsüchtig darüber aufatmen, dass die schwere Zeit des Fastens für dieses Jahr wieder ein Ende gefunden hat.
Ruhe und Zufriedenheit breitet sich in der 3600 Jahre alten Stadt aus.
Die Hadschis, die Pilgerfahrer, kehren zurück in ihre Heimat. Ein paar Mal hatte es Unruhen in der Stadt gegeben, da einigen Pilgerwilligen das Visum für die heilige Stadt verweigert worden war. Afghanistan waren in diesem Jahr 20000 Visa zugeteilt worden, 27000 Menschen aber wollten die Reise nach Mekka antreten. Das es kein Recht auf ein Visum nach Saudi-Arabien gibt, wollte diesen Gläubigen nicht in den Sinn. Also zogen sie protestierend von Ministerium zu Ministerium, aber auch vor einige NGO-Anwesen. Als könnten diese irgendetwas ändern. Heute aber ist es friedlich. Und nur die Schafe, die im Dämmerlicht den Heimweg zurück zu ihren Koppeln antreten, ahnen nichts von dem Glück, das sie den heutigen Tag überleben ließ.
Aufbruch: | Juni 2003 |
Dauer: | 20 Monate |
Heimkehr: | Februar 2005 |