Stephan in Lateinamerika
San Cristóbal de las Casas II
Chiapas wird als aermster und rueckstaendigster Teil Mexikos angesehen. Ich habe dann auch mit einem sehr erfahrenen "local guide" einen Tagesausflug nach Chamula unternommen, um mir den Wohnort einer Gruppe von vergleichsweise rueckstaendigen "Indigenas" ("Eingeborenen") mal anzuschauen. Man sieht diese in kratzige, aus schwarzer Schafwolle gefertigte Roecke gewandten "indigenas" zuhauf auch in San Cristóbal vor der Kirche, wo sie ihre handgefertigten Waren, v.a. Decken, Ponchos, Spielzeug, Schmuck etc. verkaufen. Lustigerweise zuecken sie ab und an ihr Handy, um mit ihrer Familie oder sonstwem zu kommunizieren. Die "boese" Moderne hat also auch schon hier Einzug gehalten und veraendert - v.a. durch das Fernsehen - althergebrachte Familien- und Lebensstrukturen.
Wir haben zuerst ein Heiligtum, eine Art Altar dieser "indigenas" besucht. Dieser Altar steht im jaehrlichen Turnus unter der Obhut eines ausgewaehlten Mitglieds des Dorfs, einem angesehenen und deshalb in weisse Schafswolle gekleideten Mannes, des "maior domus". Das stellt fuer ihn eine grosse Ehre dar und er muss den Altar pflegen und jedem zugaenglich machen. Da nun aber das Fernsehen Einzug gehalten hat, uebernehmen die "indigenas" alles, was ihnen so gefaellt: Der aus der katholischen Kirche stammende Heilige wird also mit bunten Lichterketten umgeben, die an deutsche Doenerbudenbeleuchtung erinnern; daneben findet man natuerlich Mais - fuer die Maja eine heilige Pflanze, da der erste Mensch aus Mais erschaffen worden sei; Kerzen, Coca Cola und Gewuerze, die auf einem kleinen Kohlegrill verbrannt werden, runden das Bild ab. Aus der Stereoanlage hoert man Synthesizer-Weihnachtsgedudel, wie "Stille Nacht, Heilige Nacht" - und das im Maerz, April. Wir bekamen von einem schaetzungsweise 200-Jahre alten Hutzelweib einen Schnaps serviert, was gut gegen boese Geister sein soll.
Die katholische Kirche ist nicht so begeistert von dieser eklektizistischen Ansammlung von Braeuchen. In der Kirche in Chamula werden nur Taufen nach dem katholischen Ritus abgehalten; Hochzeiten etc. finden nach "indigena"-Ritus statt. Die "indigenas" haben aber die Kirche als "heiligen Ort" akzeptiert. Auf dem Boden werden Piniennadeln ausgestreut, die jede Woche mit den darin gefangenen boesen Geistern entsorgt werden. Diese boese Geister befinden sich etwa in den Einheimischen drin, weshalb Cola, Fanta etc. sehr beliebt sind, da diese beim Aus-Ruelpsen der Geister helfen. Als wir in der Kirche waren, sahen wir eine alte Frau mit einem Huehnchen in der Hand neben einer anderen Einheimischen stehen. Die alte Frau murmelte etwas Unverstaendliches vor sich hin (viele Eingeborene sprechen kein Spanisch, sondern Tzotzil, einen Maja-Dialekt) - dann bewegte sie das Viech vor dem Koerper der anderen Frau auf und ab, um in dem Tier die boesen Geister zu fangen. Dann murmelte sie wieder etwas und drehte dem Huhn den Hals um - und schwupp, schon sind die boesen Geister verschwunden.
Als westlicher Tourist betrachtet man das Ganze eher aus einer romantisch gefaerbten Brille, mit Ideen des "noblen Wilden" im Hinterkopf, der von der Zivilisation noch nicht korrumpiert worden ist. Allerdings muss man sich auf den zweiten Blick doch ein bisschen mehr Moderne wuenschen, weil manche "indigenas" beispielsweise an einer einfach zu heilenden Lungenentzuendung sterben, statt zum lokalen, westlich ausgebildeten Arzt zu gehen. Laut unserem "guide" wurde erst vor ein paar Jahren eine Frau als Hexe diffamiert und von den Dorfbewohnern umgebracht. Die Polizei ist da machtlos, sie kommt hier ohnehin nur alle Jubeljahre mal vorbei. Das Gericht halten die Dorfaeltesten ab. Da wuenscht man sich dann doch ein bisschen mehr Aufklaerung und weniger Mittelalter.
Aufbruch: | 05.03.2008 |
Dauer: | 6 Monate |
Heimkehr: | 19.08.2008 |