Im herbstlichen Bosnien und der Herzegowina
Mostar, Blagaj und die Buna-Quelle
Nach einem kleinen Frühstück brach für mich am Samstag, den 20. Oktober der erste komplette Tag in der Herzegowina an, den ich dafür nutzen sollte, die Stadt Mostar zu beiden Seiten des Neretwa-Ufers ausgiebig zu Fuß zu erkunden.
Um zehn Uhr morgens machte ich mich zu Fuß (ca. 15 Min.) bei strahlendem Sonnenschein und insgesamt verzückendem Herbstwetter (trotz des Windes) auf den Weg von meinem Quartier in Richtung Altstadt. Als erstes fallen einem Westeuropäer, der Kriegsschäden in der Regel nur aus dem Fernsehen kennt, in Mostar die Spuren jener Auseinandersetzungen auf, die die Stadt in den Jahren 1992 bis 1994 so schwer getroffen haben. An fast jedem Gebäude finden sich selbst über zehn Jahre nach Beendigung der Kampfhandlungen noch Einschusslöcher aus Sturmgewehren oder sogar trichterförmige Auswölbungen, die auf Mörser- und Granatbeschuss schließen lassen.
Je näher man zur Brücke gelangt, desto mehr wurden die Gebäude restauriert, aber Gott sei Dank weitgehend nach originalem osmanischem Baumuster. Die Alte Brücke ("Stari Most") wurde Ende 2004 nach jahrelangen Baumaßnahmen, die sich so originalgetreu wie möglich an dem ursprünglichen vom osmanischen Baumeister Hajrudin im 16. Jahrhundert errichteten Bauwerk orientierten, unter der Schirmherrschaft der UNESCO wiedereröffnet.
Bis zur Gegenwart blieb sie die längste Steinbogenbrücke der Welt mit nur einem Bogen. Sie galt seit Jahrhunderten als die symbolische Brücke zwischen Ost und West, nicht nur zwischen der Welt des Christentums und der islamischen Welt, sondern auch zwischen den katholischen Kroaten und orthodoxen Serben - die in den kriegerischen Auseinandersetzungen 1993 vertriebene serbische Bevölkerung ist jedoch heute aus der Stadt Mostar praktisch verschwunden. Im Laufe des Krieges in Bosnien und Herzegowina wurde die Brücke am 9. November 1993 nach mehrstündigem Beschuss durch die kroatische Armee gezielt zerstört. Nach dem Ende des Bürgerkriegs in Bosnien und der Herzegowina wurde zunächst eine Behelfsbrücke in Form einer Drahtseilhängekonstruktion errichtet.
Zu dieser Jahreszeit, und obwohl es ein Samstag war, konnte man rund um die Brücke die Touristen fast an einer Hand abzählen; die Dame vom Hostel meinte mir gegenüber, dass im Sommer zur Hauptreisezeit die Stadt durchaus von Touristen profitiere, die sich für einen Tagesausflug von der dalmatinischen Küste auf nach Mostar machen würden. Dennoch aber unübersehbar, dass der Touristenboom der Vorkriegszeit, der jedes Jahr neue Besucherrekorde in die Stadt an der Neretwa führte, noch lange nicht wieder erreicht ist.
Über die Brücke ging es also hinüber in den moslemischen Teil der Stadt, zuerst zum alten Markt Kujundžiluk, der sich direkt im Norden an den Fluss anschmiegt. Dort ließen sich bereits im 15. Jahrhundert Gold- und Silberschmiede in dem orientalisch anmutenden Altstadtviertel nieder und boten ihre Waren und Fertigkeiten an. Heute ist das Viertel mit seinen Souvenirläden ein Touristenziel. Ein Stück weiter in nördlicher Richtung befindet sich die Koski-Mehmed-Paša-Moschee und nur wenige Meter dahinter der Tepa-Markt, wo ich auch in einem kleinen Lokal mein Mittagessen (traditionelle Balkanküche, also Ražnjici, Cevapcici, Gemüse und Djuvecreis) einnahm.
Nach dem Mittagessen machte ich mich auf, abseits der touristischen Hauptattraktionen den wahrhaftigen, den originalen Charakter Mostars keine 15 Jahre nach den Kriegswirren zu erkunden. Bereits auf den wenigen hundert Metern vom Hostel zur Stari Most waren mir überall an den Gebäuden bereits auf der kroatischen Seite die Spuren aufgefallen, die der Krieg hinterlassen hatte: zerschossene Fassaden, ausgebombte Ruinen, die sich die Natur mittlerweile zurückholt und überall in den Souvenirshops Bilder und Poster von Mostar während des Krieges. So dauert es nicht lange bis man etwas oberhalb der Brücke im moslemischen Teil der Altstadt auf einen Friedhof stößt, der aufgrund seiner zentralen, räumlich beengten Lage vormals einen innerstädtischen Park darstellte. Mittlerweile ist der Platz zugepflastert mit über einhundert weißen Grabsteinen für moslemische Gefallene. Die Sterbedaten umfassen hier nur die Jahre 1992 und 1993.
Friedhof für die in den Kriegswirren der Jahre 1992-93 Getöteten im Stadtzentrum des moslemischen Teil Mostars
Entlang an zerschossenen Ruinen, mit Einschussspuren versehenen Fassaden, oder teilweise oder ganz renovierten Gebäuden schlenderte ich in Ost-Mostar entlang. Zu beobachten war, mit welcher Art von routinierter Gelassenheit die Einheimischen mittlerweile mit den Wunden in ihrer Stadt umzugehen wissen, die der Krieg dort nicht nur an den Gebäuden sondern auch in den Seelen hinterlassen haben muss. Dennoch ist das Treiben ähnlich geschäftig wie in Mitteleuropa, so dass kaum noch einem Bewohner Mostars die Gebäudegerippe zu stören scheinen.
Auf dem Weg zur Most Musala kommt man an einem weitgehend renovierten Platz vorbei, an dem sich mittlerweile Banken und Versicherungen, sowie kleine Cafes und Handyshops tummeln. Die Most Musala überquert man wieder, um auf die kroatische Seite zu kommen, wo einem auf der rechten Seite das neu eröffnete ehemals renommierte Hotel Bristol auffällt.
Von dort aus schlenderte ich weiter Richtung Norden bis zur Kralja Tvrtka, wo ich einen Linksschlenk hin zum Rondo, dem größten und wohl bekanntesten Platz der Stadt machte. Der Platz war mir bereits am Abend vorher bei der Autofahrt vom Busbahnhof zum Hostel aufgefallen, weil er trotz seiner umübersehbaren Zerstörungen gut beleuchtet und von Menschenmassen beseelt war. Der erste Eindruck an diesem Nachmittag war allerdings schockierend. Entlang des Rondos und seiner sternförmig ausbrechenden Straßen steht auch heute - über zehn Jahre nach den Kriegshandlungen - kaum ein Stein auf dem anderen. Manche Gebäude komplett zerschossen, und mittlerweile von der Natur zurückgeholt, in anderen wiederum residieren wieder kommunale Behörden, obwohl die Gebäude lediglich notdüftigst renoviert wurden. Das Gymnasium am zentralen Platz zeugt ebenso noch von den Kampfhandlungen der 90er Jahre. Mitten auf dem Platz steht ein Denkmal zu Ehren von 18 spanischen UN-Soldaten, die im Laufe der Jahre in Mostar bei Kampfhandlungen zwischen die Fronten gerieten und erschossen wurden oder sonstig ums Leben kamen. Schaurig auch der Anblick (unter per Bild dargestellt) eines wohl ehemaligen mehrstöckigen Fabrikgebäudes, das im Stile eines Stahlgerippes emporragt. Gegenüber befindet sich ein mittlerweile wieder in Stand gesetzter Park.
Über die Humskog-Allee ging es zu Fuß weiter Richtung Bulevar, der seinen Namen wohl noch aus K.und K.-Zeiten trägt, denn auch auf dieser ehemaligen Prachtstraße finden sich mittlerweile neben zerschossenen Gebäuden zumeist wenig liebevoll renovierte oder neu errichtete Zweckbauten, die im Grunde genommen dem ästhetisch gesonnenen Mostar-Touristen nicht zur Erquickung seines Herzens taugen. Dort in der Nähe befindet sich die katholische Kirche, deren Turm jedes andere Bauwerk in Mostar an Höhe überragt (m.E. ein ansonsten scheußliches, protziges Bauwerk). Direkt dahinter auf den angrenzenden Höhenzügen thront ein nicht minder protziges Kreuz, das von beiden Seiten der Stadt und noch Kilometer außerhalb zu sehen ist. Während meines Besuches fand in der Kirche eine kroatische Hochzeit statt und nach dem Gottesdienst feierten das Brautpaar und ihre Familien ausgelassen in einem Autokorso, der bis in die Nacht hinein durch den Westteil der Stadt fuhr und mir noch mehrmals im Laufe des Abends begegnete. Angesichts des Anlasses darf natürlich auch die kroatische schachbrettgemusterte Flagge nicht fehlen, die triumphierend von manchen Korsoteilnehmer geschwungen wurde.
Am späten Nachmittag machte ich mich nochmals auf zur Stari Most und entdeckte dabei ein weiteres Kleinod osmanischer Brückenbaukunst, die Kriva cuprija, die auf der Westseite einen Zufluss der Neretwa überspannt.
Am Abend machte ich mich dann nochmal auf, um in einer m.E. recht noblen Pizzeria bei mir um die Ecke zu Abend zu essen. Die Pizza mit Peperoni-Salami und Champignons war sehr groß und schmackhaft und kostete dafür gerade einmal 3€ umgerechnet. Nach dem üppigen Mahl machte ich mich nach einem Abendspaziergang über die Flaniermeile des Westteils von Mostar auf nach hause in mein Hostel.
Am Sonntag, den 21. Oktober sollte es früh morgens zur Buna-Quelle nach Blagaj gehen, jedoch machte mir das teils chaotische Busfahrplansystem fast einen Strich durch die Rechnung...
Ursprünglich hatte es geheißen, um zehn Uhr würde ein Bus direkt nach Blagaj fahren; dieser ließ dann jedoch bis 11.30 Uhr auf sich warten und fuhr auch nicht direkt nach Blagaj, sondern ins ca. vier Kilometer entfernte Buna.
In Buna angekommen nach ca. viertelstündiger Fahrt war es dem Örtchen deutlich anzumerken, dass es Sonntag war. Kaum ein Mensch auf den Straßen anzutreffen und das uns meist abhanden gekommene Gefühl von Ruhe und Stille. So blieb mir nichts anderes übrig als mich zu Fuß auf den Weg nach Blagaj zu begeben, zuerst über einen unasphaltierten Weg entlang der Buna. Links und rechts ein paar kleine Gehöfte, bellende Hunde und ein paar Autos, die mir begegneten. Nach rund 20 Minuten hatte ich die letzten Gehöfte hinter mir gelassen und gelangte auf eine Teerstraße Richtung Blagaj, die jedoch so gut wie unbefahren war an diesem bewölkten Sonntag Mittag. Abseits der Straßen links wie rechts meist brach liegende Felder; in wenigen Kilometern Entfernung zu meiner Linken in westlicher Richtung sah man schon den Mostarer Flughafen, der offenbar im Krieg heftig umkämpft war. Nach rund einer Stunde Gehzeit kam ich in der ebenso sonntäglich gottverlassenen Ortschaft Blagaj an; Gott sei Dank hatten die Kioske geöffnet und bei einer jungen Frau erkundigte ich mich, dass der einzige Bus an diesem Tag um ca. 16 Uhr zurück nach Mostar fahre. So hatte ich über drei Stunden Zeit für die Besichtigung des nahe gelegenen Derwisch-Klosters direkt an der Buna-Quelle.
Das Wasser quillt aus der 200 Meter tiefen Felsenhöhle heraus, und zwar in solcher Menge, dass es gänzlich selbstständig den Fluss Buna bildet. Deswegen wundert es nicht, dass der türkische Sultan dermaßen davon beeindruckt war, dass er ein moslemisches Kloster, die sogenannte Tekija da bauen ließ. Das Haus wurde im 16. Jahrhundert für die Bedürfnisse des Derwischordens erbaut und stellt bis heute den geheimnisvollsten Ort in ganz Bosnien und Herzegowina.
Das Velagic´s Haus wurde im 17. Jahrhundert erbaut und ist ein wunderschönes Beispiel der osmanischen Bauweise in Stein.
Nach einer kleinen Besichtigungstour rund um das landschaftlich eindrucksvoll gelegene Derwisch-Kloster, ließ ich mich noch auf einen türkischen Mokka nieder, um dann Nachmittag wieder in das benachbarte Örtchen Blagaj aufzubrechen. Schließlich wollte ich den einzigen Bus zurück nach Mostar an diesem Tag auf keinen Fall versäumen.
Dabei machte ich noch einen kleinen Abstecher zur katholischen Kirche, die in den Kriegswirren offenbar gesprengt wurde. Im Kirchgarten weideten mittlerweile Ziegen.
Anschließend kam es noch an der Bushaltestelle zu einem kleinen Plausch mit einer einheimischen älteren Frau, die weder Englisch noch Deutsch sprach, so dass wir uns mit Händen und Füßen verständigen mussten. Kurz danach kam ihre Enkelin dazu, die ein bisschen Deutsch sprach, weil sie als Flüchtlingskind in Stuttgart aufgewachsen war, so dass sie ein bisschen dolmetschen konnte. Zurück ging es mit dem 16 Uhr-Bus nach Mostar. Bei leichtem Regen kehrte ich anschließend noch in Mostar in einer klassischen "Cevapcinica" ein, ehe ich den Tag abends in meinem Zimmer bei einem Glas bosnischen Weines ausklingen ließ.
Aufbruch: | 19.10.2007 |
Dauer: | 7 Tage |
Heimkehr: | 25.10.2007 |